Mo 16.04.2018
Vorbemerkung: Die USA, Großbritannien und Frankreich haben in der Nacht von Freitag auf Samstag Luftangriffe auf Ziele in Syrien durchgeführt. Damit hat Trump seine Drohungen der letzten Tage wahr gemacht und riskiert eine gefährliche Eskalation des Syrien-Konflikts, der immer mehr zu einem Stellvertreterkrieg der westlichen imperialistischen Mächte und Russlands bzw. der regionalen Mächte geworden ist. Die relative Begrenztheit der Luftschläge, die nach offiziellen Angaben keine Todesopfer zur Folge hatten und außerhalb des russischen Einflussbereichs in Syrien durchgeführt wurden, drückt aus, dass sich die westlichen Strategen dieser Gefahr bewusst sind, aber auch, dass sie bereit sind eine Kettenreaktion zu riskieren und ihrer militärischen Logik nicht entrinnen können.
Vor dem Hintergrund der verschärften Konflikte zwischen den Großmächten und der allgemeinen Zunahme imperialistischer Konkurrenz um Märkte und Einflusssphären in Folge des Zusammenbruchs der stalinistischen Staaten und der Weltwirtschaftskrise von 2008/09, sowie der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, nehmen Kriege und militärische Konflikte zu und steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu direkten militärischen Konfrontationen zwischen Russland und NATO-Staaten kommen kann.
Die politische Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Luftschläge ist ein Skandal und Ausdruck der Komplizenschaft der deutschen herrschenden Klasse mit Trump und den anderen imperialistischen NATO-Staaten – trotz aller Konflikte und Differenzen, die es um Handelspolitik und andere Fragen gibt.
Wir veröffentlichen hier einen Artikel von Serge Jordan, Mitglied des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiterinternationale, der wenige Tage vor den Luftangriffen auf socialistworld.net veröffentlicht wurde und dessen Analyse der Situation Gültigkeit behält.
Sowohl Trump als auch die britische Premierministerin Theresa May erleben turbulente politische Zeiten und müssen die öffentliche Aufmerksamkeit von den Problemen ihrer jeweiligen Regierungen ablenken. In Großbritannien kam es May sehr gelegen, dass der mutmaßliche Giftgasanschlag, für den keine konkreten Beweise geliefert wurden, im Vorfeld dieser Krise stattfand. Neben Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron mit einer neuen Welle kämpfender ArbeiterInnen ringt, und Saudi-Arabien, welches den anderen dreien Unterstützung zugesagt hat, verschärfen alle ihre Rhetorik und lassen gegenüber dem Assad-Regime und seinen Unterstützern im Kreml die Muskeln spielen. Zynischerweise benutzen sie als Vorwand einen mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz in Douma, der größten Stadt Ost-Ghoutas in den Vororten von Damaskus.
Diese abscheuliche Tat, welche mutmaßlich dutzende Menschen tötete, wird ohne irgendwelche substantiellen bisher vorgebrachten Beweise dem Regime von Bashar al-Assad und seinen ausländischen Unterstützern in die Schuhe geschoben. Um eines klarzustellen: Assads Regime hat seine korrupte Herrschaft seit Jahren unter Strömen von Blut unschuldiger Menschen verteidigt. Das CWI unterstützt weder dieses brutale reaktionäre Regime noch seine russischen und iranischen Patronen. Doch warum sollte die syrische Armee gerade jetzt einen Chemiewaffenangriff tätigen, welcher den Zorn der westlich-imperialistischen Mächte auf sie ziehen würde? Auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, erschließt sich die taktische Logik hinter solch einer Entscheidung nicht. Ein militärischer Erfolg in Ost-Ghouta war für das Regime in Reichweite und hätte Assads Kontrolle in den meisten der städtischen Zentren Syriens etabliert. Einige Kommentatoren spekulieren, dass dieser kürzliche Angriff von dschihadistischen „Rebellen“ hätte initiiert werden können, um den US-Imperialismus tiefer in den Konflikt zu ziehen.
Unabhängig davon wer für den Angriff verantwortlich ist: Dass dieser jetzt als Legitimation für eine weitere imperialistische Intervention benutzt wird, sollte zurückgewiesen und bekämpft werden. 15 Jahre nach der Invasion und Besetzung des Irak erinnern sich Millionen Menschen an die Lügen herrschender Politiker und ihrer Freunde in den etablierten, unternehmernahen Medien von damals, welche den furchtbaren Krieg rechtfertigen sollten. Berechtigterweise sind viele nicht bereit die offizielle Version der Ereignisse hinzunehmen, wie sie jetzt von westlichen Regierungen und Mainstream-Medien präsentiert wird. Andere westliche Interventionen in Afghanistan und Libyen waren ebenfalls ein Desaster für die Völker der Region und haben die Krise nur verschlimmert.
Der Irak-Krieg läutete den Niedergang des US-Imperialismus im Nahen Osten ein. Der aktuelle Krieg in Syrien hat seine Schwäche noch mehr zutage gebracht und für Russland und Iran Möglichkeiten eröffnet, ihren regionalen Einfluss auszubauen. Zudem hat die offen verstärkte Unterstützung der Erzfeinde des Iran – Israel und Saudi-Arabien – durch die Trump-Administration die regionalen Spannungen auf ein neues Hoch schnellen lassen.
Die Spannungen zwischen den Großmächten, welche während des Kampfs gegen den IS in Schach gehalten wurden, wurden nun mit neuer Intensität an die Oberfläche gespült, nachdem der Proto-Staat des IS zusammenfiel. Die letzten Entwicklungen zeigten eine Eskalation „zwischenstaatlicher“ militärischer Scharmützel auf syrischem Territorium: Israel, die Türkei, Iran und andere weisen ein verstärktes militärisches Engagement auf.
Trumps Luftschläge werden wahrscheinlich eine Machtdemonstration von beschränkter Dauer sein; in etwa so wie jene vom April 2017, als die US-Navy 59 Tomahawk-Raketen auf eine syrische Luftwaffenbasis abfeuerte. Größere Optionen, wie die eines richtigen Kriegs mit dem Ziel eines „Regime Change“, würden nicht nur riskieren, die ganze Region in die Flammen eines heftigen Kriegs zu ziehen, sondern würden auch in den westlichen Hauptstädten und auf der ganzen Welt große politische und soziale Verwerfungen befeuern. Doch der Krieg hat seine eigene Logik und neue US-Luftschläge könnten in so einer leicht entflammbaren Situation zu ungewollten Konsequenzen führen.
Heuchelei
Während die zwischenimperialistischen Spannungen im Nahen Osten und auf dem Globus zunehmen, so erreichen auch die schiere Heuchelei und doppelten Standards der herrschenden Klassen neue Höhen und Ausmaße. Während sie Assad „Missachtung von Menschenleben“ vorwerfen, haben Trump, May und Macron erst kürzlich dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman den roten Teppich ausgerollt – dem Hauptarchitekten des Gemetzels im jemen und der Aushungerung des Landes, die im Durchschnitt alle zehn Minuten ein Kind tötet. Alle beglückwünschten sie den konterrevolutionären Schlächter al-Sisi zu seiner kürzlichen „Wiederwahl“-Farce in Ägypten. Alle stellten sowohl der ethnischen Säuberung des türkischen Präsidenten Erdogan in Afrin einen Freifahrtsschein aus, als auch den israelischen Scharfschützen, welche unbewaffnete PalästinenserInnen in Gaza niederschossen. Eine Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat wurde durch das Veto des US-Imperialismus verhindert.
KeineR der KommentatorInnen, welche sich nun über den Einsatz von Chemiewaffen entrüsten und eine neue militärische Aggression in Syrien legitimieren, zuckten auch nur mit der Wimper, als im letzten Jahr die US-Armee Phosphorbomben in dicht besiedelten Gegenden von Mosul und Raqqa im Kampf gegen den IS einsetzte. Im Namen des „Krieg gegen den Terror“ konnte anscheinend auf hunderte ZivilistInnen verzichtet und ihre Städte ausgelöscht werden. Dieselbe Logik wurde von Assad- und Putin-UnterstützerInnen angewandt, um die tödlichen Belagerungen und brutalen Bombardierungen der zivilen Bevölkerung in den Gegenden Syriens zu rechtfertigen, welche von bewaffneten Rebellengruppen gehalten wurden. Die meisten dieser Gruppen waren von islamistisch-fundamentalistischer Tendenz, wie die Salafisten von „Jaysh al-Islam“, welche bis vor Kurzem noch Ost-Ghouta kontrollierten.
Stattdessen werden das mörderische Wüten von Assad und seinen Unterstützern wie auch die zivilen Opfer durch die westlich-imperialistische „Befreiung“ vom IS – in Kombination mit Massenarmut und -entfremdung von Millionen Menschen – wie Rekrutierungsgehilfen für zukünftige sunnitische bewaffnete Gruppen wirken, wenn sie nicht durch eine wirkliche Alternative herausgefordert werden. Parallel haben skrupellose bewaffnete Gangs von SalafistInnen und DschihadistInnen Assad dabei geholfen, durch die Angst vor selbigen Kontrolle über wichtige Schichten der Bevölkerung zu behalten. Eine neue Serie von imperialistischen Luftschlägen würde denselben Effekt haben und Assads Märchen bestärken, das sein Regime mit einer Festung vergleicht, die sich gegen interne und äußere terroristische und imperialistische Feinde verteidigt.
Das CWI stellt sich unnachgiebig gegen alle Militärschläge in Syrien sowie gegen jede ausländische Intervention und Einmischung im Land. Das Blutvergießen und die Zerstörung, welche fast unvermindert seit sieben Jahren anhalten, müssen gestoppt und nicht verschärft werden. Das ist eine Aufgabe, zu deren Lösung alle existierenden kapitalistischen und imperialistischen Mächte, welche in der Region agieren und um Einfluss, Prestige und Profit ringen, offensichtlich nicht in der Lage sind. Es kann auf der Grundlage dieses verrotteten Systems ganz einfach keine Lösung für die Schrecken geben, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist.
Während das syrische Volk die Schläge der Konterrevolution und des Krieges erträgt, existiert eine mächtige und wichtige Arbeiterklasse in den Ländern des Iran, der Türkei und Ägyptens. Im Bündnis mit den Armen und Unterdrückten der Region und Schulter an Schulter mit einer dringend erforderlichen Anti-Kriegs-Bewegung im Westen könnte solch eine mit demokratischen und sozialistischen Ideen bewaffnete Kraft einen Weg aus dem Albtraum zeigen, mit welchem Syrien und der Nahe Osten konfrontiert ist.
Wir sagen: