Spiegelgrund

“Wir wollen Alltagsgeschichte statt Herrschaftsgeschichte“

Passend zu unserem Schwerpunktthema (Seite 4 & 5) läuft noch bis 04.05. im Wiener Votiv-Kino die Filmdokumentation "Am Spiegelgrund" von Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber. VORWÄRTS führte ein Gespräch mit Tristan Sindelgruber.

Vorwärts : Tristan, um was genau geht es in eurem Film?

T.S.: Es geht um Opfer des Euthanasieprogramms der NS-Zeit. Der Film ist dokumentarisch gehalten und läßt Opfer sowie Verwandte und Freunde von Opfern zu Wort kommen. Wobei wir uns bewußt auf 4 Personen begrenzt haben, einen geringeren Stellenwert haben die Beträge von Menschen, die sich seit Jahren mit der Thematik befassen. Unter anderem Dr. Werner Vogt, der 1979 von Dr. Heinrich Gross wegen Ehrenbeleidigung geklagt wurde. Vogt hatte damals auf einem Flugblatt geschrieben, dass Dr. Heinrich Gross an der "Tötung mehrerer hundert angeblich geisteskranker Kinder mitbeteiligt" war. Gross klagte, aber verlor den Prozeß 1981. Es geht aber nicht nur um die Zeit von 1938 bis 1945, sondern auch um die Zeit von davor und danach. Eine der handelnden Personen ist Frau Antje Kosemund. Sie lebt in Hamburg und erforschte jahrzehntelang das Schicksal ihrer Schwerster Irma, die 1943 von den "Alsterdorfer Anstalten" in Hamburg nach Wien deportiert und am Spiegelgrund ermordet wurde. Sie führte einen jahrzehntelang Kampf dafür, dass die sterblichen Überreste ihrer Schwester nach Hamburg überstellt und beigesetzt werden.

Vorwärts: Ihre Schwester wurde von Hamburg nach Wien deportiert?

T.S.: Ja, das war ein Teil des Euthanasieprogramms der Nazis; Menschen wurden durchs ganze Deutsche Reich transportiert, viele landeten am Spiegelgrund, wo sie schließlich ermordet wurden. Es waren am Spiegelgrund auch nicht nur angeblich Behinderte, sondern sogenannte "asoziale Jugendliche", also Kleinkriminelle oder die "Schlurfs", Halbstarke, die den Nazis sehr kritisch gegenüber standen, und sich im Prater mit der HJ prügelten. Ohne das zu idealisieren, das war auch eine Form des Widerstandes. Unser Film handelt auch von Menschen, die scheinbar unspektakulär solchen Widerstand geleistet haben. Herr Roggenthien z.B. war selbst "Pflegling" in den Hamburger "Alsterdorfer Anstalten". Er lernte dort seine Freundin kennen, diese wurde später nach Wien deportiert. Er flüchtete aus der Anstalt schlug sich nach Wien durch und befreite seine Freundin vom Spiegelgrund. Antifaschistischen Widerstand gab es in unterschiedlichen Formen und auf unterschiedlichen Ebenen. Der Widerstand, von dem wir berichten, der wird halt´ kaum gewürdigt.

Vorwärts: Womit hängt es deiner Meinung nach zusammen, dass über manche Widerstandsformen kaum gesprochen wird?

T.S.: Generell wird wohl immer noch zu wenig darüber gesprochen. Aber nach 1945 ist es eben einigen Gruppen, die Widerstand geleistet haben, gelungen, Lobbys zu bilden. Es entstanden die K.Z.- Verbände , die Partisanenorganisationen, es gab politische Unterstützung durch die Linke, durch die Sowjetunion, durch Israel usw.. Die Formen dieses Widerstandes paßten zu einer Art linkem Heldenmythos. Diesen Lobbys ist es nach harter Auseinandersetzung gelungen, eine gewisse Anerkennung für ihren Kampf zu erreichen. Das ist ja positiv, aber anderen ist das eben nicht gelungen.

Vorwärts: Warum?

T.S. : Für Linke ist ein Partisan eben ein Held, aber bei der Gesamtbevölkerung, vor allem im ländlichen Raum ist nicht einmal der Begriff Partisan positiv besetzt. Wie schaut's dann mit Menschen aus, die einem gewissen Stigma ausgesetzt sind. Wie schaut's dann aus mit Roma und Sinti, mit Schwulen, mit angeblich geistig Behinderten mit angeblich "Asozialen"? Jahre hat es gedauert bis man auch über Schwule gesprochen hat, bis man sich mit der Situation der Roma auseinandergesetzt hat. Da geht es ja nicht nur um die gesellschaftliche Anerkennung, sondern auch um die entsprechende finanzielle Entschädigung. Die Menschen in unserem Film haben es nach wie vor am schwersten. Wir wollten ganz bewußt ihre Geschichte erzählen, die meisten werden ja leider nicht mehr lange leben.

Vorwärts: Du bist ein sehr politischer Mensch, aber wie bist du gerade darauf gekommen, einen Film zu diesem Thema zu machen?

T.S.: Angelika und ich kommen aus der Jugendarbeit, Angelika war bei der mobilen Jugendbetreuung und ich war Hauptschullehrer. Ich habe das Lehramt in Geschichte und Deutsch gemacht und war zum Schluß in einer Integrationsklasse in Wien-Simmering. Ich habe bald gemerkt, dass ich mit dem klassischen Lehrplan bei den Kids, wenn es um die NS-Zeit geht, nicht durchkomme. Eine Integrationsklasse in einem Arbeiterbezirk heißt viele Kinder zu unterrichten, die in der NS-Zeit als "Asoziale" gegolten hätten. Wir wollten bei den Kids damit einen Nachdenkprozeß auslösen. Und den Film halte ich sowieso für das geeignetste Medium, mit Bücher beeindruckt man nur wenige.

Vorwärts: Oft heißt es, politische Kunst sei out bzw. es gäbe keine politischen KünstlerInnen mehr. Wie siehst Du das, bzw. wie politisch ist euer Film ?

T.S. : Diese Kunst/Politikdebatte geht mir eher auf die Nerven; unser Film ist natürlich politisch. Wir haben bewußt nur die Opfer und die Betroffenen zu Wort kommen lassen, dadurch beziehen wir eine politischen Standpunkt. Wir wollten bewußt Alltagsgeschichte statt Herrschaftsgeschichte. Die Herrschenden sorgen schon dafür, dass ihre Geschichte geschrieben wird. Politische Künstler sollen die Geschichte der Beherrschten und deren Widerstandes erzählen.

Vorwärts: Es geht aber bei eurem Film doch auch um Dr. Gross?

T.S.: Unser Filmprojekt startete vor dem Grossprozeß. Der Fall Gross ist ein Symbol dafür, wie in Österreich die Täter versorgt und die Opfer möglichst entsorgt wurden. Schließlich verwendete er die sterblichen Überreste seiner Opfer auch nach 1945 für seine Forschungen. Es ist ja besonders peinlich, dass zu einem Zeitpunkt, als bereits ein psychiatrisches Gutachten bezüglich seiner Verhandlungsfähigkeit besprochen wurde, er selbst noch als Gutachter an Wiener Gerichten tätig war! Auch die ganze „Brauen Flecken“-Debatte von Gusenbauer ist verlogen. Wir haben, als wir Geld für unsern Film brauchten, alle SPÖ-Gliederungen, also auch SJ und VSSTÖ, angesprochen. Das einzige Ergebnis: wir bekommen noch heute die Aussendungen der Zukunftswerkstätte von Josef Cap. Wir haben uns auch an das Wissenschaftsministerium unter Dr. Einem gewandt. Schließlich hat das Wissenschaftsministerium ja auch Dr. Gross ausgezeichnet. Wir haben nie von denen Geld bekommen.

Vorwärts: Erhebt ihr in eurem Film konkrete Forderungen?

T.S. Der Film endet mit 3 Feststellungen: bis zur Fertigstellung des Filmes gab es keinen Prozeß gegen Dr. Gross, bis heute sind nur wenige der sterbliche Überreste der Opfer begraben, viele Opfer haben bis heute keine Entschädigung enthalten. Ein Journalist einer sogenannten Qualitätszeitung meinte, man könne das als Forderungen verstehen, er hat es richtig verstanden.

Vorwärts: Danke für das Gespräch.

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