Mi 11.05.2016
Der fast überstürzte Rücktritt von Faymann zeigt, wie tief die Krise der SPÖ ist und wie ratlos die SPÖ-Führung, aber auch die verbliebenen Linken innerhalb der SPÖ bezüglich der Lösung sind. Faymann war stets ein mittelmäßiger Kompromisskandidat – nun droht die SPÖ an ihren sich immer stärker zuspitzenden Widersprüchen zu zerbrechen. Und die verbliebenen AktivistInnen und WählerInnen, die sich von der SPÖ einen Damm gegen die FPÖ erhofften, sind geschockt.
Faymanns Rücktritt hat den Niedergangsprozess der SPÖ beschleunigt, der sich in Richtung eines Szenarios wie jenem der Pasok in Griechenland entwickeln könnte – also dem Schrumpfen zu einer Mini-Partei. Die Richtungsstreitigkeiten sind weniger fundamental, als sie aufs Erste scheinen mögen. Es gibt zwar Unterschiede bezüglich des Umgangs mit der FPÖ, aber kaum Unterschiede bei der Umsetzung neoliberaler Kürzungspolitik – die ja ihrerseits gerade die Grundlage für den Aufstieg der FPÖ darstellt. Auch die SPÖ-Linke agiert bestenfalls verhalten und nicht sehr offensiv. Wenn den zentralen AkteurInnen der SPÖ-Linken nicht mehr einfällt, als dass die Partei „modern“ und „glaubwürdig“ sein muss, wenn sie ihre Kompass-Konferenz NACH der Bestellung eines neuen Parteivorsitzenden und dem dazugehörigen Parteitag machen und wenn sie noch nicht einmal eineN linkeN Alternativkandidaten/in aufstellen, dann ist zu befürchten, dass von dieser Seite nicht viel kommen wird.
Es kann zum momentanen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden, ob es Neuwahlen, einen fliegenden Koalitionswechsel oder ein Weiterwurschteln mit vertauschten Gesichtern oder sogar Rollen geben wird. Klar ist aber: die politische Lage hat sich weiter destabilisiert. Die Wahrscheinlichkeit für Neuwahlen im Herbst 2016 hat sich massiv erhöht. Und die Dringlichkeit, etwas „zu tun“ ebenso.
Die ÖVP wird sich eine Fortsetzung der Koalition teuer abkaufen lassen – mehr MinisterInnen, vielleicht sogar der Kanzlerposten und Umsetzung zentraler ÖVP-Begehrlichkeiten (wie Kürzungen bei der Mindestsicherung, Arbeitszeitflexibilisierung und Asyl-Obergrenzen etc.) sind mögliche Forderungen. Die SPÖ-Führung wird also weitgehende Zugeständnisse machen müssen, um die Koalition zu erhalten. Und sie muss das rasch tun – nämlich vor einer möglichen Amtsübernahme durch einen Bundespräsidenten Hofer. Denn es ist absolut möglich, dass dieser einen neuen Bundeskanzler nicht angeloben würde. Und angesichts des massiven Unmuts in der Bevölkerung über „die da oben“ und den Wunsch nach „es muss endlich was anders werden“ könnte er mit so einem Schritt auch eine real existierende Stimmung aufgreifen. Wenn die SPÖ aber für den Erhalt der Koalition die „Hose bis zu den Knöcheln runter lässt“, dann beschleunigt das ihren Abwärtstrend weiter und ist die denkbar schlechteste Ausgangssituation bei kommenden Wahlen. Auch das ein Grund, warum sowohl in der ÖVP als auch in der SPÖ jene, die trotz schlechter Umfragewerte die Flucht nach vorne, in Neuwahlen, antreten wollen, zunehmen werden. Doch weder eine Fortsetzung der Koalition noch Neuwahlen werden den befreienden, dynamischen Neuanfang bringen bzw. in der Lage sein, die FPÖ zu stoppen – solange es keine neue echte linke Alternative gibt! Auch wenn noch vieles offen ist, so lässt sich heute schon einiges klar sagen:
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Der große Gewinner der aktuellen Regierungs- und SPÖ-Krise ist die FPÖ. Hofer, Strache und Co. müssen sich nur zurücklehnen und abwarten. Ohne wirkliche linke Alternative kann sich die FPÖ als die Partei der „kleinen Leute“ und als „arbeiterInnenfreundlich“ präsentieren – auch wenn sie in der Praxis das Gegenteil ist. Die FPÖ profitiert davon, immer noch als einzige „Opposition“ wahrgenommen zu werden - obwohl sie in Oberösterreich, in Wels und Wiener Neustadt bei Jugendlichen, PensionistInnen und ganz allgemein bei Armen kürzt. Sie bereitet Angriffe auf Frauen und natürlich MigrantInnen/Flüchtlinge vor. Doch die immer größere – berechtigte – Ablehnung der Regierung überdeckt das alles. Die FPÖ kann zur Zeit einen Besenstiel aufstellen, und der würde gewählt werden. Das funktioniert, solange es keine echte Alternative gibt. Selbst in den USA zeigt sich rund um Sanders die wachsende Unterstützung für sozialistische Ideen. In Spanien und vielen anderen Ländern zeigt sich, dass linke Organisationen, wenn sie kämpferisch und antikapitalistisch auftreten, den Rechten das Wasser abgraben können. Darum ist es notwendig, endlich konkrete Schritte in Richtung des Aufbaus einer neuen politischen Kraft zu tun, die eine echte Alternative zu den etablierten Parteien der aktuellen Regierung sowie der „Opposition“ darstellt.
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Die Krise der SPÖ wird mit diesem Rücktritt nicht gelöst, sondern der Zerfallsprozess eher beschleunigt werden. Der/Die Super-Vorsitzende, der/die die Partei einigen und auf Kurs bringen/halten kann, ist nicht existent. Die bisherigen Top-Kandidaten Kern und Zeiler sind beide Manager und wären ein Signal an die Wirtschaft, dass die Partei am neoliberalen Kurs festhält bzw. diesen sogar intensiviert. Denn Bundeswirtschaftskammer und Industriellenvereinigung zeigen vermehrt Sympathie für eine schwarz-blaue Koalition, um ihre Agenda (also die Angriffe auf Arbeitszeit, Löhne, Pensionen und Soziales) mit erhöhtem Tempo durchzubringen. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft auf Kosten der ArbeiterInnenklasse zu erhöhen. Die SPÖ, die traditionell gute Verbindungen v.a. zum internationalen Kapital (z.B. Siemens) hat, versucht hier deutlich zu sagen: „wir sind zu jeder Schandtat bereit“. Wer auch immer der/die neue Vorsitzende wird, das spiegelt nicht nur die magere Personalreserve wider, sondern auch die Widersprüche, an denen die SPÖ gerade zerbricht. Durch ihren Verbürgerlichungsprozess stützt sich die SPÖ heute politisch stark auf die Interessen des internationalen Kapitals. Das bringt aber keine WählerInnenstimmen. Sie setzt Sozialabbau um und wird zu Recht als abgehoben und korrupt gesehen und verliert so ihre traditionellen WählerInnen in der ArbeiterInnenschicht. Während die ÖVP ihre traditionellen WählerInnenschichten in der ländlichen Bevölkerung, bei KleinunternehmerInnen und Großbürgertum zumindest teilweise halten kann, bricht der SPÖ die WählerInnen-Basis weg. Um das Bildungsbürgertum muss sie mit den Grünen konkurrieren, daher setzt auch die SPÖ-Wien stärker auf ein humanistisch-liberales Image als z.B. die SPÖ-Burgenland, die sich stärker in einer Konkurrenz mit der FPÖ um WählerInnen befindet. Es mag sein, dass Personen wie Katzian (GPA) oder Wehsely (SPÖ-Wien) eine ehrliche Ablehnung gegen die FPÖ und deren rechte Hetze haben. Doch sie stellen kein Bollwerk gegen die FPÖ dar, da sich ihre Politik in Bezug auf soziale Fragen nicht von jener der anderen Landesorganisationen unterscheidet. Wenn in der SPÖ der Mythos kreiert wird, Faymann wäre auf Druck der Partei-Linken zurückgetreten, dann ist das nicht nur unwahr, sondern v.a. eine Vorbereitung zum Schlag gegen eben jene. Tatsächlich waren es die rechteren Teile der SPÖ, die sich durch einen vorgezogenen Parteitag einen Neustart für die Koalition und damit bessere Karten bei Neuwahlen erhofften. Doch es gibt keinen ernsthaften „linken Flügel“, der in der SPÖ einen Kampf führen würde. Weder um einzelne Wiener StadträtInnen, noch um GewerkschafterInnen und auch nicht um die Initiative Kompass. Sie alle stellen keine ernsthafte Gefahr für die weitere Rechtsentwicklung der SPÖ dar. Nach wie vor gibt es keine Organisierungsversuche. Die Obmannsuche wird nicht genutzt, um einE linke KandidatIn ins Spiel zu bringen, der/die für einen klar linken/sozialistischen Kurs steht. Eine SPÖ-Linke, die es mit der „Rettung der Partei“ ernst meint, müsste jetzt sofort eine organisierte Plattform/Fraktion in der SPÖ organisieren und rund um ein Programm unter dem Motto „das Geld der Reichen für Jobs, Wohnen, Soziales und Flüchtlinge verwenden“ eineN Alternativkandidaten/in aufstellen, aber auch um so ein Programm außerhalb der Partei mit anderen Linken zusammenarbeiten, z.B. im Rahmen des Projektes „Aufbruch“. Gerade weil Neuwahlen im Herbst ein realistisches Szenario sind, kann eine solche Vorgehensweise nicht bis zu einem Parteitag im Herbst (der dann wohl nach solchen Wahlen wäre) warten, sondern müsste sofort gestartet werden. Und ein solches Projekt müsste auch klarstellen, dass wenn der Kampf in der Partei verloren geht, man dann für die Inhalte, mit denen man in der Partei gescheitert ist, außerhalb der SPÖ kämpft und sich am Aufbau einer neuen, linken Kraft beteiligt. Das ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich die ArbeiterInnenklasse in Österreich mit der Notwendigkeit konfrontiert sieht, eine neue Partei aufzubauen. Es ist wichtig, die Lehren aus den bisherigen Erfahrungen zu ziehen und zu zeigen, dass es notwendig ist, dass eine solche neue Partei nicht bei der beschränkten kapitalistischen Logik stecken bleiben darf!
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Wie es auch immer weiter geht, die Opfer der künftigen Regierung werden Arme und Arbeitslose, ArbeitnehmerInnen und Flüchtlinge, Frauen und PensionistInnen, Kranke und Junge sein. Der Sparterror wird zunehmen, die Angriffe werden sich beschleunigen. Bundeswirtschaftskammer und Industriellenvereinigung drängen schon länger darauf, das Tempo der „Reformen“ zu erhöhen. Die kommende Regierung wird hier einen Turbo bei Arbeitszeitflexibilisierung, Verwaltungsreform (also Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen), Bildungskürzungen, Pensionen, Lohnsenkung, Sozialabbau einlegen. Darum ist es notwendig, dass BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen, die die Interessen ihrer KollegInnen gegen Lohnraub, Sozialabbau und Jobverluste verteidigen wollen, einen offensiven Kampf gegen diese Angriffe beginnen. Die Sozialpartnerschaft ist schon lange tot, das erlebt die Gewerkschaftsbasis tagtäglich, nur die Bürokratie appelliert immer noch an sie. Der Klassenkampf tobt in Österreich, doch er wird nur von oben nach unten geführt. Die Gewerkschaftsführung aber agiert immer noch als Bremse für den Widerstand der ArbeiterInnenklasse. Hier ist es höchste Zeit, dass GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen beginnen, Druck von unten aufzubauen, um die Gewerkschaften aus der bremsenden Umarmung der Gewerkschaftsführung zu lösen, die in weiten Teilen immer noch an der Leine der SPÖ hängt und die Interessen der SPÖ jenen der ArbeiterInnenklasse unterordnet. Die Gewerkschaften und auch die FSG müssen sich von der SPÖ lösen – nicht weil die Bindung an eine Partei falsch wäre, sondern weil die Bindung an eine arbeiterInnenfeindliche Partei falsch ist. Wer heute die Interessen der Beschäftigten vertreten und verteidigen will, muss das in der Praxis meist auch gegen die Politik der SPÖ tun. Denn wenn das nicht getan wird, dann kann die FPÖ sich weiterhin als „ArbeiterInnenpartei“ aufspielen und Rassismus mit Angriffen auf die gesamte ArbeiterInnenklasse verbinden. Um endlich wieder einen politischen Bündnispartner der Gewerkschaften im Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten, aber auch der Arbeitslosen sowie beider Familien zu haben, kommt GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen daher auch eine besonders wichtige Rolle beim Aufbau einer politischen Vertretung der ArbeiterInnenklasse, einer neuen ArbeiterInnenpartei zu.
Am 3./4. Juni findet die Konferenz von „Aufbruch“ statt. Dort wird der Startschuss für eine Kampagne gesetzt werden, die klar macht, dass die Reichen zahlen müssen. Das ist gut – und doch nicht genug. Die meisten der TeilnehmerInnen werden mehr wollen und brauchen, als eine Umverteilungskampagne. Spätestens seit dem Ergebnis der 1. Runde der Präsidentschaftswahl und dem Rücktritt von Faymann hat sich das Tempo der Ereignisse erhöht. Die Gefahr einer Doppelachse Hofer-Strache macht zu Recht Angst. Die berechtigte Wut über die abgehobenen, neoliberalen etablierten Parteien braucht dringend ein Ventil nach links, da sonst der Siegeszug der FPÖ ungebremst weiter geht.
Es ist darum auch notwendig, die Diskussion über ein neues politisches Projekt, eine neue Formation, eine neue Partei, die sich klar auf die Seiten der ArbeiterInnen, Armen und Ausgebeuteten stellt und die eine Bewegung aufbauen kann, die in der Lage ist den Aufstieg der extremen Rechten zu stoppen, zu intensivieren und spätestens mit dem 3./4. Juni auch klar zu machen, dass der Aufbruch sehr konkret in diese Richtung geht. Neuwahlen im September sind mit dem heutigen Tag wahrscheinlicher geworden. Und auch wenn sie erst Monate später stattfinden: wir müssen sicherstellen, dass wir bis dahin eine kampffähige, demokratische und antikapitalistische Organisation bzw. Struktur oder Bündnis haben, die die Proteste gegen die Angriffe der Regierung und gegen die extreme Rechte unterstützt und organisiert und auch bei den kommenden Wahlen antritt.