Welcher Frieden?

Ein Kommentar zum Friedensnobelpreis für die EU.
Jan Rybak

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union hat bei vielen Menschen völliges Unverständnis hervorgerufen. Ist das nicht jene EU, die Battlegroups aufbaut um sie innerhalb kürzester Zeit weltweit zur Durchsetzung der eigenen ökonomischen und strategischen Interessen einzusetzen? Ist es nicht jene EU, in der tagtäglich auf friedliche DemonstrantInnen, die für ihre Rechte eintreten eingeprügelt wird? Sind nicht zahlreiche EU-Länder aktiv an der Besetzung und Unterdrückung anderer Länder beteiligt (u.a. Afghanistan)?

Die Argumentation des Nobelpreis-Komitees, die EU lautete: „für über sechs Jahrzehnte, die zur Entwicklung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beitrugen“. Diese Argumentation ist vor allem eins: eine konsequente Ignoranz gegenüber historischen Fakten. Die „europäische Einigung“ lag weniger an einem frisch entdeckten Demokratie- und Menschenrechtsbedürfnis der westeuropäischen Regierungen, sondern daran, dass im Osten der „große Satan“ Sowjetunion wartete. Sie war somit ein notgedrungenes militärisches und ökonomisches Bündnis gegen die Sowjetunion und die Länder des Warschauer Paktes. Friedlich ist das an sich einmal nicht.

Dabei reiht sich der aktuelle Friedensnobelpreis für die EU in eine bemerkenswerte Linie nur mäßig friedliebender PreisträgerInnen ein. Hier eine Auswahl:

Austen Chamberlain erhielt den Nobelpreis 1925, von 1915 bis 1917 war er Staatssekretär für die britische Kolonie Indien, im Ersten Weltkrieg war er nicht nur einer der wichtigsten Kriegsbefürworter auf britischer Seite sondern auch Mitglied des Kriegskabinetts. Im Jahr darauf erhielt Gustav Stresemann den Preis. Auch er war im Weltkrieg ein wichtiger Kriegstreiber, befürwortete, fernab jeglicher militärischer Realitäten, noch im November 1918 einen Kriegsfrieden, trat für die Niederschlagung der deutschen Revolution ein und verbreitete, ähnlich der Rechtsextremen die Dolchstoßlegende. Als besonders bemerkenswert gilt der Friedensnobelpreis 1973 für den US-Außenminister Kissinger, der unter der Parole „Wir können nicht tatenlos zuschauen, wie ein Land auf Grund der Dummheit seines Volkes kommunistisch wird!“ den Pinochet-Putsch gegen die demokratisch gewählte sozialistische Regierung Allende in Chile organisierte, was tausende Tote und jahrelange Militärdiktatur zur Folge hatte. 1978 erhielten der ägyptische Diktator Anwar as-Sadat und der israelische Ministerpräsident Menachem Begin, der 1982 den israelischen Einmarsch im Libanon zu Verantworten hatte den Preis. Auch Michael Gorbatschow ist Preisträger. Er machte sich nicht nur um die Auflösung der Sowjetunion, und damit die Produktion von zahlreichen neuen Konflikten in den ehemaligen Teilrepubliken und soziale Verelendung in der ehemaligen UdSSR „verdient“, er zeichnet auch verantwortlich für brutales militärisches Vorgehen sowjetischer Truppen im Baltikum. Außerordentlich originell war der Friedensnobelpreis für die „Friedenstruppen der Vereinten Nationen“ 1988. Bis dahin waren sie in unzähligen militärischen Konflikten (u.a. Koreakrieg, zahlreiche afrikanische Staaten, Sri Lanka, etc.) aktiv. Frieden wurde kaum einmal gebracht, viel mehr die strategischen Interessen der imperialistischen Staaten durchgesetzt. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter (Friedensnobelpreis 2002) zeichnete u.a. verantwortlich für die Bewaffnung der Mujaheddin in Afghanistan und die Waffenlieferungen an Saddam Hussein für dessen Angriffskrieg gegen Iran. Al Gore, Vizepräsident unter Bill Clinton (Preisträger 2007) war als Teil des Kabinetts von Bill Clinton mitverantwortlich für die US-Interventionen in Somalia und am Balkan. Schon kurz nach Amtsantritt erhielt der aktuelle US-Präsident Barack Obama den Friedensnobelpreis. Während seiner Amtszeit zogen sich US-Truppen zwar aus dem Irak zurück, die Besetzung Afghanistans blieb aber aufrecht. Mit dem weltweit geführten Drohnenkrieg zeichnet er verantwortlich für die weitere Eskalation von Konflikten und den Tod unzähliger Menschen.

Zweifelsohne hat auch eine Reihe von Menschen den Friedensnobelpreis erhalten, die sich tatsächlich und aufopfernd für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt haben. Die EU steht allerdings vielmehr in einer Reihe mit der oben angeführten Kurzliste. Frieden ist im Kapitalismus, in einer Gesellschaft die auf der Ausbeutung vieler für den Reichtum weniger basiert schlicht nicht möglich. Der Friedensnobelpreis bedeutet in zahlreichen Fällen die Kaschierung dieser Tatsache und die Reinwaschung der jeweiligen PreisträgerInnen. Le Duc Tho, der vietnamesische Spitzendiplomat während des Vietnamkrieges hatte recht, als er den Preis, den er gemeinsam mit Kissinger erhalten sollte mit den Worten ablehnte „Welcher Friede?“