So 08.07.2012
Am 17.12.2010 zündet sich Mohamed Bouazizi in der tunesischen Kleinstadt Sidi Bouzid an. Der junge Uni-Absolvent sah keinen anderen Ausweg mehr aus seiner sozialen Misere. Das Regime erlaubte ihm nicht einmal, auf der Straße Gemüse zu verkaufen. Seine Tat löste nicht nur eine Welle von Aufständen und den Sturz von Ben Ali und Mubarak aus. Sie steht auch symbolisch für die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit einer ganzen Generation. Die Selbstverbrennung eines Arbeitslosen führte im April 2012 in Algerien zu Jugendaufständen – bei den letzten großen Jugendrevolten schoss die Polizei auf algerische Jugendliche, die ein Transparent trugen: „Ihr könnt uns nicht töten. Wir sind schon tot.“
In Griechenland erschütterte bereits 2008 eine verzweifelte Bewegung von Jugendlichen das Land. Ihre Nachricht an Europa war: „Wir sind ein Bild aus der Zukunft.“ Sie sollten Recht behalten. Am 6.8.2011 explodiert die aufgestaute Wut britischer Jugendlicher nach der Ermordung des unbescholtenen Mark Duggan durch einen Polizisten. Vier Tage standen London und weitere Großstädte in Flammen. Den Ausbruch von Verzweiflung schob die britische Regierung dem „völlig verdrehten Moralkodex“ der Jugendlichen zu. Der Moralkodex jener Regierung, die nur aus MillionärInnen besteht, erlaubt es offenbar, einer Generation die Zukunft zu rauben, indem sie die Studiengebühren auf 10 000€ verdreifacht und die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen auf über eine Million steigen lässt.
Währenddessen erreicht in Spanien die Jugendarbeitslosigkeit 50%. Zum Jahrestag des Aufflammens der Bewegung der „Indignad@s“ strömten im Mai 2012 wieder hunderttausende Jugendliche auf die Straßen. Einer ihrer Hauptslogans: „Sin trabajo, sin casa, sin miedo“ – Ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Furcht.
Der portugiesische Premier Coelho riet der Jugend, sich aus dem Staub zu machen. Portugal hätte keine Jobs und keine Perspektive für sie. Über 500.000 Menschen wanderten seit Beginn der Krise aus Portugal aus, die meisten davon Jugendliche. Der Kapitalismus hat denen, die nicht das Glück hatten, in wohlhabende Verhältnisse hineingeboren zu werden, keinen Ausweg aus dieser verzweifelten Situation zu bieten.
Wirklich erfolgreich können Jugendbewegungen dann sein, wenn sie aufhören, nur Jugendbewegungen zu sein.
In Ländern wie Österreich, in denen die Krise noch nicht so hart zugeschlagen hat und in denen die Kampftradition der ArbeiterInnen von sozialpartnerschaftlichen Konstrukten ausgehöhlt wurde, sieht die Situation noch etwas anders aus. Es gibt einerseits den Trend, sich in dieser Zeit besonders hohen Drucks in Schule, Ausbildungsstätte oder Uni besonders anzustrengen. Der Gedanke ist: Es wird immer schlimmer, also muss ich schnellstens fertig werden. Aber: auch im Berufsleben wird der Druck immer stärker und den Verschlechterungen kann man nicht entfliehen.
Andererseits ist ein Rückzug aus dem sozialen Leben und eine verstärkte Flucht in Resignation, Sucht und „Scheiss-drauf“-Stimmung bemerkbar: Österreichs Jugend belegt bei Alkohol- und Nikotinkonsum europaweit den ersten Platz.
Die Perspektive, gegen diese Umstände zu kämpfen, stellt sich kaum: Es fehlt an einer starken Linken und einer kämpferischen Gewerkschaftsjugend, die Kämpfe organisieren könnte. In Britannien kämpft die von der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP) initiierte Kampagne„Youth fight for Jobs“ für sichere und gut bezahlte Arbeits- und Ausbildungsplätze für Jugendliche. Unterstützt wird sie von zahlreichen Gewerkschaften. WelcheR Jugendliche käme auf die Idee, sich hier in der ÖGJ zu organisieren und sie als kämpferische Interessenvertretung wahrzunehmen? Der „aktuellste“ Termin auf ihrer Homepage ist von Anfang März. Statt als Kampforganisationen verstehen sich die Gewerkschaftsjugenden als Serviceleister und Karrieresprungbretter – kein Wunder, dass kein Leben in ihren Strukturen ist.
Dieses Vakuum bietet auch Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme. Mangels Alternativen erscheint Strache für viele Jugendliche als einzige Opposition. Er kann sich als „anders“ präsentieren und beantwortet soziale Probleme unwidersprochen mit Rassismus. In der Praxis zeigen SchülerInnen in Österreich jedoch oft, was sie von der FPÖ-Propaganda halten. Die breite und schulübergreifenden Unterstützungskampagnen für Arigona, Araksya, Denis, Jovana und Amina sind nur einige Beispiele dafür, wie sich Jugendliche mit ihren MitschülerInnen solidarisieren und mit ihnen gegen drohende Abschiebungen kämpfen. Der Kampf gegen Abschiebungen ist ein konstanter und wichtiger Faktor, der viele Jugendliche politisiert.
Doch es gab auch andere Kämpfe von Jugendlichen in Österreich in den letzten Jahren. Praktisch aus dem Nichts wurde zwei mal in allen Landeshauptstädten massenhaft gegen ACTA demonstriert. Für Viele waren dies die ersten Demonstrationen ihres Lebens. Die UniBrennt-Bewegung konnte 2009 Zehntausende begeistern, im Frühling desselben Jahres streikten über 60.000 SchülerInnen gegen Bildungsabbau. Aktuell wird gegen die Abschaffung des Studiums Internationale Entwicklung, die drohende Pleite der TU Wien bzw. die Einführung von Studiengebühren gekämpft.
Es ist eine allgemeine Eigenschaft jugendlicher Kämpfe, dass sie zwar radikale Aktionsformen und Forderungen annehmen können, aber selten den notwendigen Druck auf die Herrschenden aufbauen können, um auch nur kleine Errungenschaften dauerhaft abzusichern. Dies liegt an ihrer geringen ökonomischen Macht. Eine Besetzung einer Uni oder Schule kann ein gutes Mittel sein, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Dem Rektorat, und der Regierung, macht sie relativ wenig aus. 2009 saß die Regierung monatelange Besetzungen in ganz Österreich einfach aus. Als diesen Frühling das Wiener Audimax von IE-Studierenden besetzt wurde, schloss das Rektorat das Uni-Hauptgebäude gleich für zwei Tage, als Kollektivstrafe. Die oftmals angestrebte „Störung des Unibetriebs“ stört das Rektorat also nicht im Geringsten, die führt es selbst durch.
Wirklich erfolgreich können Jugendbewegungen nur sein, wenn sie aufhören, nur Jugendbewegungen zu sein. Wenn sie sich mit anderen Teilen der ArbeiterInnenklasse verbünden. Das bedeutet nicht nur, sie für die eigenen Forderungen zu gewinnen, sondern Forderungen aufzustellen, die sie auch konkret betreffen. Eine Stärke von UniBrennt waren die gemeinsamen Aktionen mit MetallerInnen in Tarifverhandlungen und der Kindergartenaufstand-Bewegung. Leider gab es davon nicht genug.
Diese Generation wird die erste sein, die einen niedrigeren Lebensstandard als ihre Eltern haben wird. Sie ist die „Generation Krise“. Aber sie nimmt ihr Schicksal nicht hin. Sie kämpft jetzt, und sie wird in Zukunft noch mehr kämpfen. Um erfolgreich zu sein, muss sie sich mit dem Rest der ArbeiterInnenklasse verbünden. Die Studierenden in Quebec zeigen, wie es gehen kann. Ihr Kampf ist längst zu einer allgemeinen Bewegung gegen die Regierung angewachsen. „Der Kampf gegen die Erhöhung der Studiengebühren muss bei seinem Namen genannt werden: Das ist ein Klassenkampf.“, sagt Gabriel Nadeau-Dubois, einer der Köpfe der Bewegung. Recht hat er.