Mi 30.03.2011
Ende Jänner dieses Jahres tönte der syrische Präsident Bashir Al-Assad in einem Interview mit dem Wall Street Journal noch, Syrien wäre „immun“ gegenüber der revolutionären Welle, die zurzeit durch die arabische Welt schwappt. Spätestens seit dem 18. März beweisen die syrischen Massen die Falschheit dieser Vorhersage.
Seit Anfang März finden täglich Massendemonstrationen statt. Es gibt Berichte von zehntausenden bis hunderttausenden Menschen, die in Deraa, Damaskus, Baniyas, Lattakia, Aleppo, Homs und zahlreichen anderen Städten auf die Straße gehen und ein Ende des diktatorischen Regimes des Al-Assad-Clans und der Baath-Partei fordern. Das Regime antwortet mit unbeschreiblicher Gewalt.
Im Gegensatz zu den revolutionären Bewegungen in Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain und Jordanien dauerte das Überspringen des revolutionären Funkens auf Syrien deutlich länger. Das liegt maßgeblich daran, dass das Regime sofort ab Beginn der revolutionären Entwicklungen in der arabischen Welt Massenverhaftungen bekannter Oppositioneller durchführte. Hunderte Oppositionelle dürften schon vor Ausbruch der aktuellen Bewegung, etwa ab Beginn dieses Jahres verhaftet worden sein. Versuche von Angehörigen der Verhafteten für deren Freilassung zu demonstrieren wurden, etwa in Damaskus am Anfang März, von massiver Gewalt von Polizei und Geheimdienst unterdrückt. Gleichzeitig sagte die Regierung eine Erhöhung der staatlichen Subventionen für Grundnahrungsmittel zu, um die Menschen zu beruhigen. Beide Maßnahmen haben den Ausbruch der Bewegung verzögert, waren aber absolut ungeeignet die Explosion des Zorns der Massen zu verhindern.
Der Regierung scheint bewusst zu sein, dass die Revolutionen in der arabischen Welt auch eine Bedrohung für das syrische Regime ist. Dementsprechend unterstützt es auch den brutalen Krieg Gaddafis gegen die revolutionäre Bewegung in Libyen.
Aufstand und Repression
Rund um den 15. März brachen die Massenproteste aus. Das Regime antwortete mit brutaler Unterdrückung. Am Platz vor der Ummayyad-Moschee in Damaskus kam es zu Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und DemonstrantInnen. Am Selben Tag wurden in der Stadt Der‘a, nahe der Grenze zu Jordanien mehrere Menschen bei einer Demonstration von der Polizei erschossen. Die Bewegung weitet sich kontinuierlich aus. Das Regime versucht die Bewegung physisch zu brechen, indem es Feuer auf friedliche Demonstrationen eröffent und Scharfschützen einsetzt, die von Dächern aus die scheinbaren AnführerInnen der Proteste ausschalten sollen. Die Gewalt hat aber nicht dazu geführt, dass die DemonstrantInnen aufgeben. In Deraa wurde Berichten zu Folge die Zentrale der Baath-Partei gestürmt. Es gibt auch Berichte, dass bereits Teile der Armee zu den DemonstrantInnen übergelaufen sind und sich Polizeieinheiten weigern auf friedliche DemonstrantInnen zu schießen.
Verbindung von sozialen und politischen Forderungen
Auch wenn das Regime die DemonstrantInnen als „SektiererInnen“, „religiöse FanatikerInnen“ oder „kriminelle Banden“ darstellen will, die Grundlage für die Bewegung ist vor allem die verzweifelte soziale Lage der Massen und ihr Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit. Die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit sind eng mit politischen Forderungen verbunden.
Die gigantische Bürokratie, verbunden mit einem großen staatlichen Sektor in der Industrie, schufen in der Vergangenheit geschätzten 50% der Bevölkerung relativ sichere Arbeitsplätze und Einkommen. In den letzten Jahren stagnierten bzw. fielen die Einnahmen der Beschäftigten. In Kombination mit massiven Preisanstiegen in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen bedeutete dies einen anhaltenden Verlust von Lohn und Lebensstandard. So wurde im Dezember 2008 der Preis für Diesel um 357% (!) angehoben.
Die Arbeitslosigkeit wird auf 20% geschätzt. Die Situation verschärft sich laufend. Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Das syrische Regime hat vor allem jungen Menschen keine Perspektive anzubieten.
Regime versucht zu spalten
Die syrische Gesellschaft besteht aus einer Vielzahl verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen. Das Regime hat in der Vergangenheit immer wieder darauf gesetzt die einzelnen Gruppen gegeneinander auszuspielen um selbst die Oberhand zu behalten. Insbesondere spielt das Regime mit der Angst vor dem politischen Islam. Besonders die DemonstrantInnen in Der‘a werden als sunnitische FundamentalistInnen dargestellt um sie von anderen Teilen der Bevölkerung zu isolieren. Gleichzeitig scheint das Regime auch den existierenden religiös-fundamentalistischen Flügel in der Bewegung zu stärken. Dieser erscheint als leichter zu kontrollieren als die weitgehend säkularen Massen, die für soziale Gerechtigkeit und gegen die Diktatur kämpfen. Eine wichtige Frage für die Entwicklung der syrischen Revolution ist, ob es der bisher überwiegend arabisch geprägten Bewegung gelingt sich mit den kurdischen Massen zusammenzuschließen. Die KurdInnen sind in Syrien eine der am brutalsten unterdrückten nationalen Minderheiten. Entscheidend ist es jetzt ArbeiterInnen, Arbeitslose, BäuerInnen und Jugendliche unabhängig ihres ethnischen oder religiösen Hintergrunds im Kampf gegen das Regime zusammenzuschließen.
Welcher Weg zum Vorwärts?
Am 27. März feuerten Scharfschützen des Regimes auf eine friedliche Demonstration in der nordwestlichen Hafenstadt Latakia. 12 Menschen wurden dabei getötet. Der Aufschrei, der in Folge des Massakers durch das ganze Land geht kann dazu führen, dass die Bewegung bereit ist das barbarische Regime noch härter als bisher zu konfrontieren. Auch der Regierung ist bewusst, dass die Gewalt die DemonstrantInnen nicht aufhalten wird. Darum wurde nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Massakers von Latakia die Aufhebung des seit 1963 geltenden Notstandsgesetzes, was bereits in einer Pressekonferenz am 24. März angekündigt wurde, bestätigt. Das ist ein Versuch des Regimes durch Zugeständnisse die Bewegung zum Ende zu bringen. Die Erfahrungen mit den Bewegungen in anderen arabischen Ländern haben aber gezeigt, dass Zugeständnisse dieser Art nicht zwangsläufig zu einem Ende der Proteste führen. Im Gegenteil. Sie können von den Massen als Beweis gesehen werden, dass das Regime in der Defensive und leicht angreifbar ist. Es ist notwendig die Aufhebung der Notstandsgesetzgebung als Zeichen der Schwäche des Regimes zu sehen, und jetzt die Chance zu nützen um die revolutionäre Bewegung weiter zu entwickeln.
Seit dem 26. März rufen oppositionelle Gruppen zur Organisierung eines Generalstreiks auf. Das kann ein entscheidender nächster Schritt in der Entwicklung der revolutionären Bewegung sein. Die tunesische und ägyptische Revolution haben gezeigt, dass die ausschlaggebende qualitative Veränderung der Bewegung die Offensive der ArbeiterInnenklasse in der Form von Massenstreiks war. Die aktuellen Stellungnahmen der syrischen Gewerkschaftsführung sind ein Schlag ins Gesicht der kämpfenden Massen und zeigen die Degenerierung der Gewerkschaftsbürokratie. Es wird von einer „ausländischen Macht“ gesprochen, die die Einheit Syriens gefährden würde. Die Menschen sollten auf die „Weisheit“ der syrischen Führung vertrauen. Trotz dieser entlarvenden Statements gilt es einen Kampf um die Gewerkschaften zu führen. Gerade die ArbeiterInnen der Erdöl- und Erdgasindustrie haben potenziell eine immense wirtschaftliche und politische Macht, die in die Waagschale geworfen den Untergang des Regimes bedeuten kann. Und schon in der Vergangenheit, etwa beim Streik der ÖlarbeiterInnen 2003 ist es gelungen die regimetreue Gewerkschaft in den Kampf zu zwingen.
Was heute in Syrien dringend benötigt wird, ist eine revolutionären sozialistischen Massenpartei. Die Kommunistische Partei Syriens hat sich bis jetzt (27.03.) zu den Ereignissen noch nicht einmal geäußert. Das ist in sich auch konsequent, schließlich ist die stalinistische KP ja auch Mitglied in der von der Baath-Partei geführten „Nationalen Fortschrittsfront“ und damit ein Teil des Regimes. Für die Weiterentwicklung der revolutionären Bewegung ist die Gründung einer unabhängigen revolutionären, sozialistischen, multiethnischen Partei der ArbeiterInnen, Arbeitslosen, der städtischen und ländlichen Armut und der Jugend notwendig.
Die kapitalistische Diktatur in Syrien hat den Massen nichts anderes als Unterdrückung und Armut zu bieten. Eine echte Verbesserung der Lebenssituation der Menschen kann nicht durch einzelne kleine politische Reformen oder vereinzelte Subventionen von Grundnahrungsmitteln erreicht werden. Solange die Diktatur der Baath-Partei besteht und der Reichtum des Landes einer verschwindenden Minderheit von syrischen KapitalistInnen und internationalen Konzernen gehört kann es keine echte Freiheit und soziale Gerechtigkeit für die Massen geben. Darum sind ein grundlegender Bruch mit dem Kapitalismus und der Aufbau einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft die einzige Antwort, die die syrischen Massen heute auf Armut und Unterdrückung geben können.
- Nein zum Sektierertum! Einheit aller ArbeiterInnen, Jugendlichen und Armen unabhängig von ethnischem oder religiösem Hintergrund!
- (Rück-)verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der Bodenschätze unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch Beschäftigte und Bevölkerung!
- Aufbau von demokratischen Komitees der Massen in den Stadtteilen und Betrieben zur Verteidigung gegen die Angriffe des Regimes und zur Neuorganisierung der Gesellschaft!
- Für eine revolutionäre verfassungsgebende Volksversammlung! Für eine Regierung der ArbeiterInnen und armen BäuerInnen mit sozialistischem Programm.
- Für den Aufbau einer revolutionären, sozialistischen, multiethnischen Massenpartei von ArbeiterInnen, Arbeitslosen und Jugendlichen!
- Bruch mit dem Kapitalismus! Für den Aufbau einer demokratischen, sozialistische Gesellschaft!