Di 28.07.2009
In seinem Einleitungsreferat zum Workshop „Das Übergangsprogramm und seine Bedeutung für heute“ bei der diesjährigen CWI Summer School hob Niall Mulholland vom Internationalen Sekretariat des CWI hervor, dass das Übergangsprogramm in einer Phase verfasst wurde, in der eine Wirtschaftskrise herrschte und ein imperialistischer Krieg drohte. Viele dieser Umstände gelten heute genauso wie 1938, als das Programm als zentrales Dokument anlässlich der Gründungskonferenz der Vierten Internationale geschrieben wurde - die Degenerierung der stalinistischen Kommunistischen Internationale hatte soeben Fuß gefasst.
Hauptaufgabe des Übergangsprogramms ist es, aus den Erfahrungen der Arbeiterklasse die Einsicht in die Notwendigkeit abzuleiten, den Kampf um den Sozialismus führen zu müssen. Reformen können durch massenhaften Kampf der ArbeiterInnen erreicht werden. Aber im Übergangsprogramm wird darüber hinaus auch dargestellt, wie Reformen dauerhaft bewirkt werden können, um grundsätzlichen Wandel für eine sozialistische Gesellschaft erreichen zu können.
Marx und Engels formulierten 1848 im Kommunistischen Manifest Forderungen für die sich entwickelnde Arbeiterbewegung in Europa. Das stand im Kontrast zu Methode und Programm, welche die sozialdemokratischen Parteien Ende des 19. Jahrhunderts annahmen. Das deutsche sozialdemokratische Erfurter Programm wurde beschlossen, als der Kapitalismus einen generellen Aufschwung erlebte, der wiederum großen Einfluss auf die Perspektivensetzung der sozialdemokratischen Führer hatte. Dieses „Maximalprogramm“ basierte auf der Annahme, dass der Sozialismus in der Zukunft schrittweise eingeführt werden würde - irgendwann, in nicht bestimmter Zukunft. Gleichzeitig rief das Erfurter Programm zu Minimal-Reformen innerhalb der Grenzen des kapitalistischen Systems auf.
Allerdings wurde mit der Entwicklung des Imperialismus und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Notwendigkeit für die ArbeiterInnen, mittels eines Übergangsprogramms die tiefe kapitalistische Krise zu beenden, immer dringender. Die Bolschewiki entwickelten Forderungen, zu denen auch die ausschlaggebenden Aprilthesen Lenins von 1917 zählen, die die Arbeiterklasse zur Übernahme der Macht in Russland aufriefen. Der Sieg der sozialistischen Oktoberrevolution führte zum Aufbau der Kommunistischen Internationale und deren Programm an Forderungen für die internationale Arbeiterklasse. Die sich anschließende stalinistische Degenerierung der Russischen Revolution jedoch (vor allem wegen ihrer isolierten Stellung und aufgrund des Fehlschlagens anderer internationalistischer Revolutionen) führte dazu, dass die Kommunistische Internationale sich von einem Übergangsprogramm mit dem Ziel der sozialistischen Veränderung abwandte.
In den 1930er Jahren stellte Trotzki dann "Tagesforderungen" für die aktuellen Interessenskämpfe der Arbeiterklasse (sie betrafen bspw. Aspekte der Betriebsarbeit und die sozialen Verhältnisse), "demokratische Forderungen" und "Übergangsforderungen" auf, die die Notwendigkeit zur Veränderung der Gesellschaft forcierten. Diese Forderungen sind miteinander verkettet. Abhängig vom jeweigligen Zeitpunkt tritt die ein oder andere davon verstärkt in den Vordergrund, was von den Umständen abhängt und den Kämpfen und den Bedürfnissen der Arbeiterklasse.
Während einige der 1938 im Übergangsprogramm formulierten Forderungen heute nicht mehr die Relevanz besitzen bzw. aktualisiert oder ersetzt wurden, behalten etliche von Trotzkis Forderungen auch heute noch ihre Gültigkeit - vor allem vor dem Hintergrund der momentanen ökonomischen Krise. Einige dieser Forderungen beinhalten den Aufruf nach „Offenlegung der Geschäftsbücher“ der Unternehmen, die Arbeitsplätze abbauen und Kürzungen durchführen und rufen zur Vergesellschaftung der Industrieunternehmen unter demokratischer Arbeiterkontrolle und ihrer Geschäftsführung auf. Dieses Programm muss einer kontinuierlichen Überprüfung unterzogen und falls erforderlich angepasst werden, indem das heute vorherrschende Bewusstsein und die modernen Verhältnisse sowie die Schlüsselaspekte, denen sich die arbeitenden Menschen gegenüber sehen, mit einbezogen werden. Einige Aspekte, die 1938 nicht berücksichtigt wurden oder in jener historischen Periode nur in Teilen zu erwarten waren, werden von SozialistInnen heute energisch aufgegriffen; so die ökologische Krise, die Atomindustrie und Rechte verschiedener Minderheiten.
Der Konflikt bei Lindsey: Das Übergangsprogramm in der Praxis
In der sehr guten Workshop-Debatte zeichneten GenossInnen aus unterschiedlichen Ländern Beispiele nach, wie Sektionen des CWI Übergangsforderungen einsetzen, um auf die Wirtschaftskrise zu reagieren und in real stattfindenden Kämpfen der Arbeiterklasse einzugreifen. Alistair Tice aus Großbritannien sprach über die herausgehobene Rolle, die die Socialist Party beim Streik beim Bau der Ölraffinerie Lindsey gespielt hat. Die Socialist Party half dabei, dem Slogan „British jobs for British Workers“ („Britische Arbeit für britische Arbeiter“; Ergänzung des Übersetzers) Forderungen nach tariflichen Arbeitsplätzen und demokratischer gewerkschaftlicher Kontrolle über die Kontrakte der LeiharbeiterInnen entgegenzusetzen. Virginie aus Frankreich sprach über den jüngsten Generalstreik in Guadeloupe und die Forderungen, die vom CWI eingebracht wurden, um diese motivierende Bewegung der Arbeiterklasse aufgreifen zu helfen.
Andere RednerInnen führten aus, wie wichtig die Übergangsmethode ist. Nikolaj aus Schweden erklärte die Art der Forderungen, die hinsichtlich der ökologischen Krise vorangebracht werden. So etwa die Forderung nach kostenlosem Nahverkehr und der Nutzung erneuerbarer Energien. Rob Jones aus Russland sprach darüber, wie CWI-Mitglieder beim Kampf gegen den Krieg zwischen Russland und Georgien im vergangen Jahr eine sozialistische Alternative einbrachten.
In seiner Zusammenfassung der Debatte sagte Alec Thraves aus Großbritannien, dass das Übergangsprogramm von 1938 ein exzellentes Dokument ist, das alle SozialistInnen studieren sollten und das eine generelle Anleitung zur Aktion ist. Die Kernaufgabe des CWI besteht darin, in der Diskussion mit den Menschen der Arbeiterklasse auf die Übergangsmethode zurückzugreifen. Dazu gehört, dass wir die Analyse vorantreiben wie auch Ideen und Forderungen, die als Brücke zwischen dem Bewusstsein der Arbeiterklasse und der Notwendigkeit einer sozialistischen Gesellschaft dient. Jene ultralinken und sektiererischen Linken, die für den Sozialismus eintreten, indem sie abstrakte Forderungen mit ultimativem Charakter aufstellen, sprengen nur diese besagte Brücke! Demgegenüber möchte das CWI das Gehör der Arbeiterklasse finden, um so viele Menschen wie möglich mit sozialistischen Ideen und Ansätzen für das konkrete Handeln zu erreichen. Das belegte die hervorragende Debatte während dieses Workshops.