Mi 24.06.2009
“Wie hältst Du es mit dem Staat” – war von Beginn eine der Schlüsselfragen für und in der ArbeiterInnenbewegung. Für MarxistInnen resultiert die Existenz des Staates aus den Klassengegensätzen in der Gesellschaft. Der Staat als scheinbar über den Klassen stehender unabhängiger “Schlichter”, dient demnach in der Realität der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung und damit der jeweils herrschenden Klasse. Friedrich Engels schrieb, dass deshalb vor allem in der Krise – welche die Ordnung in Frage stellt – die Repression steige: Die öffentliche Gewalt “verstärkt sich aber in dem Maß wie die Klassengegensätze innerhalb des Staates sich verschärfen ...” Demzufolge kann der staatliche Repressionssapparat im Kapitalismus nicht einfach reformiert werden; er muss aufgelöst und durch demokratische Organe ersetzt werden, um eine neue Gesellschaftsordnung zu ermöglichen. Gleichzeitig stellt der Staat und seine jeweils konkrete “Verfassung” auch jenen Raum dar, in welchem sich wichtige Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung im Kapitalismus manifestieren: z.B. Wahlrecht, Arbeitsrecht und Sozialgesetzgebung, ja selbst Elemente betrieblicher Demokratie und Kontrolle über die festgeschriebenen gewerkschaftlichen Rechte und die Existenz verstaatlichter Unternehmen. Hier haben sich MarxistInnen auch stets bemüht, Angriffe auf diese Errungenschaften abzuwehren – z.B. im Kampf gegen die Einschränkung demokratischer Freiheiten oder die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen. Was auf den ersten Blick manchen vielleicht als Widerspruch erscheint, gehört in Wirklichkeit zusammen. Denn wir meinen, dass historische und aktuelle Beispiele zeigen: Nur wer bereit ist, den bürgerlichen Staat bzw. die bestehende Ordnung als solches in Frage zu stellen, wird im Kampf um demokratische und soziale Rechte und deren Verteidigung – v.a. in der Krise – nicht scheitern.
Erfahrungen der ArbeiterInnenbewegung
Die Politik der sozialdemokratischen Führung am Beginn des 20. Jahrhunderts war demgegenüber von einer grundsätzlich positiven Haltung gegenüber dem bürgerlichen Staat und vor allem seiner Reformierbarkeit geprägt. Der Staat wurde von einer bewaffneten Verteidigungsstruktur der kapitalistischen Verhältnisse zum Hauptinstrument der Veränderung umgedeutet. Für die Abwendung der Sozialdemokratie vom Marxismus war paradoxerweise das organisatorische Wachstum der Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg (mit-)verantwortlich gewesen: Vor dem Hintergrund eines massiven Wirtschaftsaufschwungs wurde Teile des inzwischen mächtigen Partei- und Gewerkschaftsapparats in die staatlichen Organe integriert. Nach 1918 führte etwa in Österreich und Deutschland die Sozialdemokratische Partei sogar den (bürgerlichen) Staat – und rettete ihn damit. Was allerdings “übersehen” wurde: Nicht der Staat und demokratische Wahlen, sondern der Druck und die Stärke sozialer bzw. revolutionärer Bewegungen – v.a. 1917/18–1920 – waren es gewesen, welche zu Errungenschaften geführt hatten. Da die bestehende Ordnung an sich nicht angetastet wurde, blieb das damals Erreichte nicht von Dauer. Die tiefe Krise des Kapitalismus in den 1920er Jahren engte die Spielräume für Zugeständnisse entscheidend ein; auf Widerstand gegen Kürzungen reagierte die Gegenseite zunehmend autoritär. Im austrofaschistischen Ständestaat wurden demokratische Freiheiten abgeschafft und der Weg zur Nazi-Diktatur geebnet. Diese Entwicklung konnte ihrerseits nur durch einen BürgerInnenkrieg gegen die organisierte ArbeiterInnenschaft ermöglicht werden, der im Februar 1934 von Militär, faschistischen Milizen und dem Polizeiapparat vollendet wurde. Die Sozialdemokratie stand dem planlos gegenüber. All der großartig aufgebaute staatliche Einfluss erwies sich als nutzlos. Der bürgerliche Staat hingegen bewies durchaus Wandlungskünste: und zwar durch das Abschütteln von sozialen und gewerkschaftlichen Rechten und des – aus Sicht der Bürgerlichen – ganzen parlamentarisch-demokratischen Beiwerks, das in Zeiten von (Gegen-)Revolution, Krise und Weltkrieg nicht brauchbar war.
Zeitsprung in die Gegenwart
SP-Ministerin Schmied sprach angesichts des vor einigen Wochen drohenden LehrerInnenstreiks offen und unverschämt etwas aus, was die grundsätzliche Handlungsfreiheit von Gewerkschaften in Frage stellt. Sie zog nämlich öffentlich in Erwägung streikende LehrerInnen zu entlassen. Neben dem Wandel der SPÖ zu einer offen bürgerlichen Partei, zeigte dieses Statement die allgemeine Nervosität der herrschenden Kreise angesichts drohender Arbeitskämpfe und sozialer Bewegungen. So bezeichnete auch ÖVP-Klubobmann Kopf die Demonstration des ÖGB im Mai gegen Nulllohnrunden als “Aufwiegeln” (Presse, 19.5.09). Das vielleicht Bemerkenswerteste an dieser Aussage ist, dass sie fällt, obwohl Streiks noch nicht unmittelbar im Raum stehen. Tragisch ist: Die Gewerkschaften sind ideogisch überhaupt nicht gerüstet für die kommenden, im Vergleich zur relativ friedlichen Nachkriegsordnung und der “Sozialpartnerschaft”, offenbar wieder härteren Zeiten.
ÖGB: Fatales Selbstverständnis als staatliche Ordnungsmacht
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hat sich – im Gegensatz zu den Gewerkschaften der Zwischenkriegszeit – von Beginn an als integraler Bestandteil des Staates betrachtet. Das Selbstverständnis als “staatliche Ordnungsmacht” wird besonders brisant anlässlich der Zunahme polizeilicher Übergriffe, die AsylwerberInnen und MigrantInnen sowie soziale und antikapitalistische Proteste treffen und noch treffen werden. So kann man beim ÖGB zum Thema Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei eine Meldung vom 9.4.09 finden, in der die Forderung des Generalsekretärs von Amnesty International nach einem eigenen PolizistInnenstrafrecht vehement bekämpft wird: Das käme “einer Diskriminierung der Kolleginnen und Kollegen gleich”, so der Polizeigewerkschafter. Es ist vom ÖGB an keiner Stelle eine andere Haltung, etwa in Form einer offenen Debatte, transportiert worden. Wir meinen: PolizistInnen sind in diesen Fragen sicher keine normalen ArbeitnehmerInnen. Ihr Job ist die Sicherung der herrschenden Ordnung – die Verfolgung von z.B. polizeilichen Übergriffen liegt deshalb um ureignenen Interesse aller die an dieser Ordnung etwas ändern möchten. Letztlich könnten in nicht allzu ferner Zukunft Polizisten den Befehl erhalten, ein Gewerkschaftsbüro zu stürmen, weil sich dort – ein nicht ungewöhnlicher Vorwand – Terroristen aufhalten sollen.
Internationale Entwicklung
Die weltweite Krise des Kapitalismus und seiner Einrichtungen führt zu einer Zunahme von Konflikten. Während die Mehrheit immer mehr arbeitet, dabei aber immer weniger zum Leben übrig hat, wird Besitz und Reichtum der Profiteure des Kapitalismus von staatlicher Seite mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Daher beschäftigen sich kapitalistische PolitikerInnen und StrategInnen mit der Verschärfung staatlicher Repression; sei es in Form von Gesetzen, der Ausweitung von Polizeibefugnissen oder Überlegungen zum Verbot von Streiks. Schon 2001 ermutigte der EU-Rat die Regierungen zu einer verstärkten Gleichsetzung von ungeliebten politischen Aktivitäten mit “Terrorismus”. Dem folgte Blau-Schwarz und eine Parlamentsmehrheit (inkl. SPÖ) mit einer Überarbeitung des Strafgesetzbuches 2002. Ab diesem Zeitpunkt gibt es den § 278 ff. StGB in seiner heutigen Form. Der ursprüngliche § 278a (gekoppelt mit § 165 gegen Geldwäsche) geht auf das Jahr 1993 zurück. Mit den geltenden Formulierungen in den 278ern kann fast jede Form von zivilem Ungehorsam als Terrorismus ausgelegt werden. Ein besonders krasses Beispiel für die Ausnutzung angeblicher “Anti-Terror”-Gesetze gegen Beschäftigte war die Verhaftung von 200 streikenden LehrerInnen wegen “un-patriotischem Verhalten” in New Jersey, USA in Folge des “Patriot Act” nach dem 11. September 2001.
Österreich 1999–2009
Staatliche Repression setzte in Österreich bereits in den 1990ern ein; v.a. massiv im Zusammenhang mit rassistischer Hetze und neuen Gesetzen gegen MigrantInnen und AsylwerberInnen. Ein besonderes Beispiel stellt hier die “Operation Spring” im Mai 1999 dar. Wenige Wochen nach dem Tod des nigerianischen Asylwerbers Marcus Omofuma (als Folge polizeilicher Folter bei der Abschiebung) kam es zu einer riesigen Polizeiaktion. Diese umfasste mit dem “Großen Lauschangriff” auch neue Befugnisse. Eine Lawine von Prozessen gegen zig Personen folgte. Doch jeglicher Versuch einer Verurteilung nach §278a StGB (“nigerianische Drogenmafia”) scheiterte. Allerdings wurden viele Menschen nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt, obwohl meist nichts Konkretes bewiesen werden konnte. Oftmals enthielt die Begründung Formulierungen wie “eine unbestimmte Menge einer unbestimmten Substanz, die an unbekannten Orten unbekannten Menschen verkauft wurde”. Es ist kein Zufall, dass unter den Verhafteten und später Verurteilten Menschen waren, die aktiv an den Protestkundgebungen nach der Ermordung Marcus Omofumas mitgearbeitet haben. Diese Anfänge politischer Organisierung von MigrantInnen sollten im Keim erstickt werden. Die geballte Einschüchterung verfehlte ihre Wirkung leider nicht. Übrigens: Der Lauschangriff ist seitdem fixer Bestandteil der Strafprozessordnung. Der Kampf um den “Terror- und Mafiaparagraphen” 278 ist seit über einem Jahr vermehrt im Blick der Öffentlichkeit. Zehn TierschützerInnen wurden und werden von Polizei und Behörden wie Mafiosi behandelt und den Berichten der Betroffenen nach auch gefoltert. Der im April erschienene Abschlussbericht enthält offensichtlich noch immer keine konkreten Beweise gegen die AktivistInnen. Deshalb stützen sich die Behörden bis heute auf die unfassbare und schwammige Anklage der “kriminellen Organisation”.
Ausblick
Die für viele Menschen aus heiterem Himmel erfolgte Polizeibrutalität gegen die diesjährige 1. Mai-Kundgebung in Linz scheint wie eine Art “Trainingslauf” für bevorstehende Proteste gewesen zu sein. Was alles könnte im Bereich der ehemaligen verstaatlichten Schwerindustrie passieren? Bei Siemens, wo mit Entlassungen gedroht wird? Bei der Austrian-Fluglinie, Post, ORF, ÖBB? Im Bildungs- und Gesundheitsbereich? Was geschieht wenn ArbeitnehmerInnen auch bei uns Betriebe besetzten, wie in vielen anderen Ländern? Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die staatliche Repression gegen große ArbeiterInnenkämpfe wesentlich weniger auszurichten vermag, als gegen kleine und finanzschwache Gruppen. Dies wird jedoch an Bedingungen geknüpft sein:
a) Aufbau breiter gesellschaftliche und gewerkschaftliche Solidarität
b) Ein klares Verständnis für die Rolle des bürgerlichen Staates zur Verteidigung
kapitalistischer Verhältnisse sowie
c) Eine politische Entsprechung und Fortsetzung dieser Kämpfe in Form einer multi-ethnischen ArbeiterInnen-Partei
Die GPA-DJP hat angesichts der Demonstration vom 13.Mai 2009 ein interessantes Infoblatt zu demokratischen Rechten der ArbeitnehmerInnen herausgegeben. In diesem heißt es: “ Die Teilnahme an einer ordnungsgemäß gemeldeten Demonstration ist kein Entlassungsgrund. Die Teilnahme an einer verfassungsrechtlich zulässigen Aktion stellt keine Pflichtwidrigkeit der einzelnen ArbeitnehmerInnen dar. Es wird auch die Arbeit nicht unbefugt verlassen, wenn die TeilnehmerInnen unmittelbar vom Zweck der Demonstration betroffen sind.” Wir meinen: Um das hier angenommene Recht auf Streiks und Demonstrationen während der Arbeitszeit werden wir in Hinkunft kämpfen müssen. Vor allem wenn es die Gewerkschaft ernst meint und tatsächlich mehr als ihre FunktionärInnen und BetriebsrätInnen mobilisiert – wie das leider (noch) nicht am 13.5.2009 geschehen ist. Und: Das letztlich entscheidende Kräfteverhältnis bildet sich in der Folge nicht im Gerichtsaal, sondern in den Fabriken, Dienststellen, Schulen, Unis und auf der Strasse.
Unsere Forderungen zum “Terrorparagraphen” 278 und der wachsenden Repression
(ganze Resolution auf www.slp.at)
- Weg mit dem §278 und jenen Gesetzen die der Überwachung und Kriminalisierung von Linken und GewerkschafterInnen dienen
- Schluss mit Überwachungsmaßnahmen am Arbeitsplatz, in Schulen und auf öffentlichen Plätzen – das schafft keine Sicherheit
- Freilassung aller inhaftierten TierrechtsaktivistInnen und Niederlegung der Prozesse
- Aufklärung aller Vorfälle am 1. Mai in Linz durch eine unabhängige Untersuchungskommission mit VertreterInnen der OrganisatorInnen der Demonstration am 1. Mai sowie unter Einbeziehung von GewerkschaftsvertreterInnen
- Keine Weiterleitung der Daten von Verhafteten bei politischen Aktivitäten an Arbeitgeber/AMS/Schule/Uni. Keine Diskriminierung der Betroffenen am Arbeitsplatz, auf der Uni, in der Schule oder am Arbeitsamt
- Die Gewerkschaften sind gefordert, sich gegen die zunehmende Überwachung und Repression zu stellen – den die ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen sind die Hauptziele dieser Politik.