Di 09.06.2009
“Es hat mich wirklich beeindruckt, dass sie selber mitgemacht haben, die SAV-Wahlkampfschilder aufzuhängen, Frau Lehnert”, sagte ein städtischer Angestellter auf der offiziellen Wahlparty der Stadt Rostock zur wieder in die Bürgerschaft gewählten SAV-Abgeordneten Christine Lehnert und gratulierte ihr. Dies drückt wohl den Unterschied von Christine Lehnert zu anderen Abgeordneten aus. Sie ist als Reiseverkehrskauffrau eine Abgeordnete aus der Arbeiterklasse und macht Politik mit und für die Arbeiterklasse - ohne abgehoben oder privilegiert zu sein.
von Sascha Stanicic
Die Wiederwahl ist eine Bestätigung von fünf Jahren konsequenter sozialistischer Oppositionspolitik in der Bürgerschaft und vor allem auf der Straße, bei sozialen Protesten und Bewegungen. Vor fünf Jahren war die SAV zum ersten Mal angetreten und auf Anhieb mit 2,5 Prozent und 4.000 Stimmen (jedeR Rostocker WählerIn hat drei Stimmen zu vergeben) in die Bürgerschaft gewählt. Der Rückgang auf 3.400 Stimmen und 1,6 Prozent wirkt auf den ersten Blick, wie eine Schwächung der SAV. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass aufgrund der gestiegenen Wahlbeteiligung die absolute Stimmenzahl nur um wenige hundert Stimmen gesunken ist.
Dies hat seinen Grund vor allem in schwierigeren Ausgangsbedingungen als 2004. Für eine marxistische - und noch dazu kleine - Organisation sind Parlamentswahlen ein schwereres Feld, als für die etablierten bürgerlichen Parteien. Parlamentswahlen sind ein Feld weitgehender politischer Passivität und Vereinzelung. MarxistInnen stehen für Aktivität und gemeinsamen Kampf und können in Bewegungen und Formen direkter Demokratie leichter Unterstützung mobilisieren, als bei Parlamentswahlen.
2004 fand die Wahl vor dem Hintergrund von zwei Bewegungen statt, die es der SAV leichter machten - selbst als kleine und relativ neue Kraft - Menschen davon zu überzeugen, sie zu wählen: der Massenproteste gegen Agenda 2010 und Hartz IV und der Bewegung für die Bildung einer neuen Partei durch die Gründung der WASG, die aber zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht als Partei konstituiert war und nicht antrat. Diese Stimmung für die Bildung einer neuen politischen Kraft half der SAV 2004. In Mecklenburg-Vorpommern und Rostock war die PDS durch ihre jahrelange Regierungsbeteiligung in Stadt und Land in den Augen vieler ArbeiterInnen und Jugendlicher diskreditiert.
Alle diese Faktoren bestanden in diesem Jahr nicht. Die kapitalistische Krise lässt zwar Wut und Ablehnung gegenüber dem System entstehen, diese hat sich aber noch nicht in sozialen Widerstand und deutliche positive Unterstützung für ein alternatives sozialistisches Gesellschaftsmodell nieder geschlagen. Und die Bildung der Partei DIE LINKE hat bei einer Schicht von Menschen, die von der PDS enttäuscht waren, die Hoffnung aufkommen lassen, dass die neue Partei einen anderen Weg einschlägt und den politischen Raum links von der Partei DIE LINKE, anders als es bei der früheren PDS war, eingeschränkt. Die SAV, deren Mitglieder bundesweit in der LINKEn sind und sie aktiv zu einer starken sozialistischen Partei aufbauen wollen, hatte auch in Rostock ein Angebot an die örtliche LINKE gemacht, über eine Kandidatur von SAV-Mitgliedern auf der Liste der LINKEn und einen damit verbundenen Eintritt in DIE LINKE zu sprechen, was von der Partei aber nicht aufgegriffen wurde.
Hinzu kam in Rostock, dass einige neue kommunale Wählergruppen zur Wahl standen und sich Proteststimmen unter diesen verteilen konnten. Umso wichtiger ist es, dass diesmal unter den Stimmen für die SAV sicher deutlich weniger Proteststimmen waren als 2004 und man davon ausgehen kann, dass der Großteil der WählerInnen ihre Stimme(n) bewusst der SAV gegeben haben.
Darauf lässt die sehr positive Resonanz im Wahlkampf, der offensichtlich gestiegene Bekanntheitsgrad und auch die deutlich besser besuchte SAV-Wahlparty schließen.
Für Christine Lehnert und die SAV Rostock bedeutet der Wiedereinzug in die Bürgerschaft, dass weiterhin die Möglichkeit besteht die Bühne des Kommunalparlaments für das zu nutzen, was ohnehin im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht: Unterstützung und Organisierung von Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung, Sozialabbau und Privatisierungen und Propagierung einer sozialistischen Antwort auf die kapitalistische Krise.
Und da gibt es genug zu tun: erst in der letzten Woche wurden Entlassungen bei der Rostocker Stadtentsorgung angekündigt und kündigten die Werften Insolvenz an. Christine Lehnert wird dies schon bei der nächsten Bürgerschaftssitzung am kommenden Mittwoch thematisieren und den Erhalt aller Arbeitsplätze, die Unterstützung von Widerstand der Belegschaften und die demokratische Verstaatlichung der Werften fordern. Dann steht am 17. Juni der Bildungsstreik auch in Rostock an, der von der SAV aktiv mitgetragen wird. Dann werden sicher schon einige der Menschen, die die SAV im Wahlkampf kennen gelernt haben, als neue und aktive Mitglieder mit dabei sein.