Di 03.06.2008
Vorwärts: Fiebert ein eingefleischter Fußball-Fan aus London der Europameisterschaft entgegen, obwohl die sich die "Three-Lions" nicht qualifizieren konnten?
Da keine Mannschaft aus Britannien oder Irland für die Euro 2008 qualifiziert ist, ist auch weniger Enthusiasmus für das Turnier zu spüren. London ist jedoch eine der kosmopolitischsten Städte der Welt, in der viele Menschen aus allen qualifizierten Nationen leben, die die Pubs und Bars füllen und die Spiele mitverfolgen werden.
Vorwärts: Welche Erfahrungen mit der Europameisterschaft haben die Fans in England bei der Meisterschaft 1996 gemacht? Wie erging's den tausenden ArbeiterInnen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben?
Bei der Euro 1996 herrschte Karneval-Stimmung. Wenn England spielte, gab es Straßenfeste. Der Trafalgar Square im Zentrum Londons war gesteckt voll mit Fans, die auf Riesenleinwänden die Spiele sahen. Die Boulevard-Presse versuchte jedoch mit beleidigenden Artikeln gegen Spanien und Deutschland alte Ressentiments aus der britischen Militärgeschichte aufzuwärmen. Wir konnten zahlreiche Exemplare von "Reclaim the Game" vor den Stadien, in denen Spiele stattfanden, verkaufen.
Vorwärts: In der englischen Premier-League steckt das meiste Kapital im europäischen Fußball. Doch erst heuer drückt sich diese Dominanz auch in der Champions-League durch drei Klubs unter den letzten vier aus. Spielt Geld nun doch besseren Fußball?
Aus einem TV-Vertrag, der drei Jahre bis 2010 läuft, bezieht die Premier League £ 1,7 Milliarden (EUR 2,13 Mrd.), dazu kommen noch einmal £ 625 Millionen (EUR 781 Mill.) aus Auslands-TV-Rechten und weitere £ 400 Millionen (EUR 500 Mill.) für Internet- und Handy-Rechte. Die Premier-League wird in 600 Millionen Haushalte in 202 Ländern übertragen. Eine Milliarde Menschen verfolgten die Begegnung zwischen Arsenal und Manchester United in der Saison 2007/2008.
Geld und Erfolg hängen in allen europäischen Ligen zusammen. Die reichsten 20 Klubs dominieren den Fußball, in ihren jeweiligen Ligen und auch auf europäischer Ebene.
Die Premier League und andere europäische Top-Ligen kaufen seit einem Jahrzehnt die besten jungen Talente aus Afrika und Lateinamerika, sogar kommerzielle Rechte über Kinder werden gekauft. Das ist eine neue Form des Kolonialismus und der Fronarbeit.
Vorwärts: Was haben Fans und Spieler von den enormen Summen, die in ihren Sport investiert werden? Dein Klub, die Queens Park Rangers, hat eigene Erfahrungen mit dem großen Geld. Er wurde 2007 von Flavio Briatore und Bernie Ecclestone gekauft. Wie sind die Aussichten für die R's aus deiner Sicht?
Die giganischen Summen, die in den Fußball fließen, bringen dem normalen Fan nichts. Die Fans werden abgezockt; ein Match-Besuch mit PartnerIn und zwei Kindern kostet zwischen £ 100,– und £ 200 (EUR 125,– – 250,–). Ein Kinobesuch käme auf £ 40,– (EUR 50,–). Vor der Einführung der Premier League war ein Matchbesuch günstiger als Kino. Die hohen Ticketpreise verwehren der jungen Generation den Zugang zum Fußball. Nur rund 7% der Saisonkarten-BesitzerInnen sind zwischen 16 und 24 Jahre. Der durchschnittliche Saison-Ticket-Besitzer ist 44. Die Fans aus der ArbeiterInnenklasse wurden durch Besserverdiener ersetzt. Eine neue Untersuchung zeigt, dass 30% der Chelsea-Fans mehr als £ 50.000,– im Jahr verdienen. Im Durchschnitt verdienen BritInnen £ 25.000,– im Jahr.
Die Spielergehälter sind um 900% seit der Saison 1992/93, der ersten Premier League Saison, gestiegen. Im Durchschnitt verdienen Spieler derzeit £ 700.000,– (EUR 875.000,–) pro Jahr, die Top-Spieler bekommen allerdings mehr als £ 100.000,– (EUR 125.000,–) pro Woche. Allerdings endet für drei Viertel aller Spieler Ihre Karriere bereits mit 21 Jahren; zum alten Eisen geworfen, oftmals ohne andere Berufsausbildung.
Sogar wenn ein Milliardär einen Verein übernimmt – und bei den Queens Park Rangers haben wir sogar zwei davon – bleiben die Fans am Ende übrig. Die Eintrittspreise für die nächste Saison steigen bei uns zwischen 30 und 50%. Im Bereich des Breitensports wurden 1.500 Schulsportplätze während der neoliberalen Regentschaften von Thatcher und Blair an Immobilienhaie und Supermarktketten mit großem Profit verkauft.
Vorwärts: Exorbitante Eintrittspreise, die Abschaffung der Stehtribünen und die Unterordnung unter Investoreninteressen führen zu einer Entfremdung zwischen Fans und ihren Klubs. Gibt es in Britannien Fan-Initiativen, die sich gegen diese Entwicklungen stellen?
In der Saison 2002/2003 wurde Wimbledon FC von London ins 50 km entfernte Städtchen Milton Keynes verlegt und firmiert nun unter dem Namen MK Dons. Die Fans gründeten daraufhin den AFC Wimbledon, der nun in den unteren Ligen durchmarschiert und regelmäßig mehr als 3.000 Besucher anzieht. Der FC United of Manchester entstand in Opposition gegen die Übernahme von Manchester United durch einen amerikanischen Konzern. Auch dort kommen sehr viele Menschen, die vom Kommerzfußball genug haben, zu den Spielen. Dieser Trend gewinnt an Fahrt. Ein ähnlicher Schritt wurde ja auch bei euch in Österreich von den Fans der Salzburger Austria gesetzt, als ihr Verein vom neuen Eigenümer Red Bull einfach umbenannt und neu eingefärbt wurde.
Vorwärts: Fußballfans im Allgemeinen, im Besonderen aber die britischen, sind gefürchtet, weil sie angeblich gewalttätig sind. Wie siehst du das Problem der Gewalt in und um die Stadien?
Gewalt ist im britischen Fußball mittlerweile eine vernachlässigbare Größe. Die miserablen Bedingungen, unter denen viele Burschen in Britannien leben müssen – Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnungen, niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten führten traurigerweise dazu, dass eine kleine Minderheit, Kämpfe mit rivalisierenden Fangruppen als einzige Form der Unterhaltung ansieht. Diese Energie und diese Wut wäre besser gegen die Bosse, die sie bei der Arbeit ausbeuten und auch ihre Vereine führen, gerichtet.
Vorwärts: In vielen Kurven werden rassistische Schmährufe skandiert. Wie beurteilst du das Problem Rassismus unter Fußballfans?
Offener Rassismus ist im englischen Fußball heutzutage sehr selten, da die Mehrheit der Spieler Schwarze sind oder aus anderen Ländern kommen. Sie werden als Helden verehrt. Nichtsdestotrotz sind nur zwei schwarze Manager in den insgesamt 92 Profivereinen Englands zu finden. Nur rund 2% der Match-BesucherInnen sind schwarz, dies ist Ergebnis des widerwärtigen Rassismus', der im britischen Fußball vor 20 Jahren noch exisiterte.
Wir fordern in diesem Zusammenhang, die Unterbindung von Verteilaktionen von rassistischem und faschistischem Propagandamaterial in und vor den Stadien. Zuschauer, die dauernd rassistische Gesänge und Parolen grölen, sollen aus den Fankurven entfernt werden. Spieler sollten in die Schulen gehen und dort gegen Rassismus auftreten und schwarze, asiatische und weiße Jugendliche ermuntern, gemeinsam zu den Spielen zu kommen – natürlich unterstützt durch die Verteilung günstiger oder kostenloser Eintrittskarten.
Vorwärts: Wie sollte Fußball deiner Meinung nach organisiert werden? Wie siehst du die Zukunft des Fußball?
Die Fans sollten nicht bloße Besucher der Spiele sein, sondern ihre Vereine selbst führen. Pay-TV sollte vergesellschaftet werden, um den Sport günstig in die Wohnzimmer der Menschen in aller Welt zu bringen. Die Vereine wären offen für Fans unterschiedlicher Begabung, hätten Mannschaften für unterschiedliche Altersklassen und Begabung, Frauenmannschaften und Mannschaften für behinderte und nicht behinderte SpielerInnen. All diese Mannschaften könnten sich in unterschiedlichen Ligen untereinander messen. Es würde sich alles um Zusammenarbeit und Beteiligung drehen.
Profispieler erhielten einen Facharbeiterlohn, der nach der Wertigkeit der Liga differenziert würde. Die Profitgier wäre Vergangenheit und die Fans könnten Topspiele für einen symbolischen Eintrittspreis besuchen. Der Kampf um das Spiel zurück zu gewinnen, ist eng verbunden mit dem Kampf, die Gesellschaft von der kapitalistischen Ausbeutung zu befreien und eine sozialistische Gesellschaft, die auf internationaler Solidarität beruht, zu errichten.