Mi 03.05.2006
Der Landesvorstand der WASG Berlin nimmt mit großem Bedauern die Beschlüsse des Bundesparteitags und die Art und Weise, wie sie zustande gekommen sind, zur Kenntnis. Leider ändern diese Beschlüsse nichts an der unsozialen Politik, die die Linkspartei.PDS (L.PDS) als Koalitionspartner der SPD im Berliner Senat betreibt. Am Tag vor dem Bundesparteitag waren über eintausend Beschäftigte der Charité gezwungen, gegen die Erpressungsstrategie („Lohnverzicht oder betriebsbedingte Kündigungen“) des Aufsichtsrats unter L.PDS-Senator Flierl zu streiken. Wir standen und stehen weiterhin an der Seite dieser Kolleginnen und Kollegen und an der Seite der 30.000 Ein-Euro-Jobber, der von Privatisierung ihrer Wohnung bedrohten MieterInnen, der von der Streichung der Lehrmittelfreiheit betroffenen SchülerInnen und Eltern, der von Lohnkürzungen betroffenen Beschäftigten. Eine Unterstützung des L.PDS-Wahlkampfes in Berlin, wie faktisch vom Bundesparteitag der WASG gefordert, kommt für uns nicht in Frage, solange die L.PDS Berlin keinen wirklichen und nachvollziehbaren Politikwechsel eingeleitet hat.
Die Beschlüsse des Bundesparteitags stehen nach unserer Auffassung im Widerspruch zum Gründungsprogramm der WASG. Dieses erklärt unmissverständlich, dass die WASG eine Regierungsbeteiligung nur unterstützt, wenn dies „zu einem Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen“ führt. Die WASG hat sich auf die Fahnen geschrieben gegen Sozialkürzungen, Privatisierungen und Stellenabbau zu kämpfen und nicht solche neoliberalen Maßnahmen zu verwalten. Die Politik der Berliner L.PDS steht dazu im Widerspruch.
Wir stehen hinter dem Programm der WASG und sind loyal zu den Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen in der Stadt Berlin und werden auch unter dem jetzt entstandenen Druck unsere Politik nicht ändern. Wir wiederholen: Die WASG Berlin steht für eine neue Linke. Diese hat jedoch nur eine Zukunft, wenn sie linke Politik betreibt und demokratisch aufgebaut ist.
Demokratie ist weder eine Einbahnstraße noch ist sie eine formale Angelegenheit. Formal waren die Beschlüsse des Bundesparteitags demokratisch. Tatsächlich sind sie unter erheblichem Druck und Erpressungsversuchen durch die Spitze der Bundestagsfraktion um Lafontaine, Maurer und Ernst zustande gekommen. Diese Form der innerparteilichen Entscheidungsfindung lehnen wir ab. Nicht der Berliner Landesverband und seine UnterstützerInnen haben eine Spaltung provozieren wollen, die Mehrheit des Bundesvorstands hat sich entschieden 40 Prozent der Mitgliedschaft zu ignorieren. Damit wird eine Praxis manifestiert, die von oben nach unten verläuft. Dem werden wir innerparteiliche Opposition entgegen setzen. Damit stehen wir nicht alleine. Die Stellungnahmen von Sabine Lösing, Joachim Bischoff und Björn Radke zu ihren Rücktritten aus dem Bundesvorstand haben gezeigt, dass die Ablehnung dieser undemokratischen Diskussions- und Entscheidungskultur bis in den Bundesvorstand hineinreicht. In einer breiten Sammlungsbewegung müssen Minderheiten zur Geltung kommen können.
Vor allem müssen Landesverbände über ihre Haltung bei Landtagswahlen selber entscheiden können. Wenn Oskar Lafontaine sagt, dass über den Eintritt in eine Landesregierung im Land entschieden wird, so muss das erst recht für die Frage der Beteiligung bei Landtagswahlen gelten.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass eine Mehrheit der Delegierten die Sorge hat, dass ein Wahlantritt der WASG Berlin den Parteibildungsprozess beschädigen könnte. Wir sehen aber keine Alternative zu einer solchen Kandidatur, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen. Vor allem aber ist die Kandidatur für uns ein Beitrag zur Klärung der politischen Grundlagen der neuen Partei - Politik des kleineren Übels oder konsequente Interessenvertretung der Benachteiligten in der Gesellschaft?
Der Landesvorstand fühlt sich in dieser Frage den demokratischen Voten der Berliner WASG-Mitgliedschaft verpflichtet. Wir werden aus diesem Grund für den 16.05.06 ein Sonder-Landesparteitag einberufen. Der Landesvorstand wird auf diesem Sonderparteitag zudem die Vertrauensfrage stellen.
Wir sind der Meinung: Wo Beschlüsse gegen das Programm und gegen grundlegende demokratische Prozesse verstoßen, wird Ungehorsam zur Pflicht!