So 01.02.1998
So Marie-Antoinette 1789 zu einem ihrer Minister, der auf ihre Frage, warum das Volk auf den Straßen revoltiere, antwortete, das Volk hätte kein Brot. Nun - sollen sie doch Kuchen essen! Französische Arbeitslosenorganisationen machten dieses geflügelte Wort wahr, stürmten als Zeichen des sozialen Protests zahlreiche Nobelrestaurants und setzten damit die Regierung Jospins unter Druck.
Beständig nährt das bürgerliche Lager das Gerücht, Arbeitslose seien Sozialschmarotzer mit mangelndem Arbeitswillen, und Jobs gäbe es genug, man müsse nur wollen. Daß Arbeitslose mit einem Hungerlohn knapp an der Armutsgrenze abgespeist werden und es viel weniger ausgeschriebene Stellen als Arbeitssuchende gibt, bleibt freilich lieber unerwähnt.
Arbeitslosigkeit = Armut
In Frankreich ist die Situation noch dramatischer als in Österreich. In den Pariser Satellitenstädten liegt die Jugendarbeitslosigkeit teilweise über 30 %, und die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist höher denn je (1.1 Millionen von insgesamt 3.1 Millionen Arbeitslosen). Die Regierung gesteht den Arbeitslosen, den Chômeurs, 2.000 bis maximal 3.000 FF (ca. 4.000-6.000 ATS) monatlich zu.
Seit Ende 1997 gibt es massive Proteste der Arbeitslosen. Nach dem Beispiel ihrer streikenden KollegInnen, die letztes Jahr mit ihren mutigen Arbeitskämpfen europaweites Aufsehen erregten, machen nun die Chômeurs Druck auf die Regierung.
Waren die LKW-Fahrer und Renault-ArbeiterInnen schon 1997 aufgefallen, da sie nicht nur gegen geplante Kürzungen im Rahmen der Maastricht-Kriterien und gegen Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen demonstrierten, sondern vor allem für Lohnerhöhungen und generelle Verbesserungen, so treffen die Arbeitslosenproteste die Regierung nun gänzlich unvorbereitet. Wer hätte schließlich gedacht, daß Menschen, die um ihr letztes Druckmittel, ihre Arbeitskraft, gebracht worden sind, für ihre Rechte kämpfen würden?
Jospin unter Druck
Die Vorschußlorbeeren für Jospins Regierung sind endgültig aufgebraucht. Die Arbeitslosen belagern inzwischen schon wochenlang über 30 französische Arbeitsämter, zehntausende nehmen an Demonstrationen teil, es wurden öffentliche Gebäude besetzt und der Kontakt zu den StudentInnen aufgenommen. Die Unterstützung in der Bevölkerung und damit der Druck auf Jospin ist groß (80 %) - so groß, daß er 3-4 Milliarden Francs zusätzlicher Mittel und eine Arbeitsplatzinitiative versprechen mußte. Doch dies ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und entspricht in keinster Weise den (notwendigen) Forderungen der Arbeitslosenverbände, die eine sofortige Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 4.500 FF (ca. 9.000 ATS) anstreben, was etwa 70 Milliarden Francs kosten würde. Jospin ist in einer schwierigen Situation - einerseits will er die Maastricht Kriterien erfüllen (und das heißt, die Staatsausgaben niedrig halten), andererseits will er in der Regierung bleiben (und da kann er die Proteste nicht völlig ignorieren).
Auch die großen Gewerkschaften haben sich bis jetzt noch keine Lorbeeren verdient: Lediglich die KPF-nahe CGT und die kleine linke SUD unterstützen die Bewegung.
GenossInnen aus der französischen Sektion des CWI arbeiten vor allem in und mit der Arbeitslosensektion der CGT und mobilisieren die StudentInnen zu den Protesten. Gemeinsames Material wurde mit der Organisation „Commune“/UIT erstellt. Während des landesweiten LehrerInnenstreiks wurde einer unserer Genossen von der Arbeitslosensektion der CGT als Redner delegiert.
Ein kräftiges Lebenszeichen der (französischen) ArbeiterInnen, das zeigt, daß Widerstand, wenn er organisiert ist, selbst in einer derartig schweren Situation erfolgreich sein kann!