8M POLEN: Die Welle der Bewegung ebbt ab, bereiten wir uns auf die nächste vor!

von Tiphaine Soyez, ROSA Polska

Im Herbst 2020 wurde Polen von einer Massenbewegung gegen die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung bei Missbildungen erschüttert. Angesichts des Widerstands entschied sich die konservative Regierung zu warten, bis die Bewegung abebbt. Im Januar, zweieinhalb Monate nach einer Demonstration mit 100.000 Teilnehmer*innen in Warschau, trat die Entscheidung schließlich in Kraft.

Innerhalb weniger Stunden, und trotz der eisigen Kälte, wurden in den großen Städten Demonstrationen organisiert. Aber sie waren nicht der Beginn einer neuen Welle.

Das Phänomen von spontanen Demonstrationen in kleinen Provinzstädten und Arbeiter*innenvierteln, das im Herbst zu beobachten war, hat sich aber nicht wiederholt.

Die Stimmung ist aber auch nicht die einer endgültigen Niederlage. Es gibt sicherlich eine gewisse Demoralisierung unter einigen der Aktivist*innen, aber der Hauptgrund, warum die Bewegung nicht wieder aufgeflammt ist, ist, dass sie nicht weiß, wie es weitergehen soll.

Anstatt die eigenen Truppen aufzurütteln und zu mobilisieren, wenden sich die Anführer*innen der Bewegung (OSK) immer weiter vom Kampf ab.

Während sie skandieren "Wir werden nicht in den Untergrund gehen", promoten sie eine Organisation - Abtreibung ohne Grenzen -, welche einzelnen Schwangeren die eigentlich gesetzlich verbotene Abtreibung verschaffen kann. Diese temporäre Lösung wird zwar Leben retten - und in ihren Anfängen bot die ROSA Irland mit den "Abortion Buses" und dem "Abortion Train" auch illegale Mittel zur Abtreibung an. Aber das war Teil einer in den Arbeiter*innenvierteln verwurzelten Kampagne, die Legalisierung der Abtreibung zu erkämpfen, und auf diese Weise konnte das irische Referendum im Jahr 2018 gewonnen werden.

Im Gegensatz dazu schlagen die OSK-Führer*innen die extralegale Abtreibung als Übergangslösung vor, während sie auf Wahlerfolge von Abtreibungsbefürworter*innen warten. Sie nähern sich Karrierepolitiker*innen und Parlamentarier*innen an und ignorieren die Bedürfnisse und Hoffnungen der Basis.

Ein "Bürgerprojekt" wurde ins Leben gerufen - eine Petition für einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Abtreibung, der im Parlament diskutiert werden soll. Aber dies wurde bereits in der Vergangenheit versucht und das Parlament hat den Text damals abgelehnt, ohne ihn überhaupt zu lesen. Um solch ein Gesetz zu verabschieden, müsste die Petition nicht nur die nötige Anzahl Unterstützer*innen finden, sondern auch durch eine Bewegung unterstützt werden, die Druck auf die Parlamentarier*innen ausübt.

Mangels richtiger Führung hat die Bewegung jetzt also den Rückwärtsgang eingelegt und ihre Energie ist verpufft. Aber sie könnte jederzeit neu ausbrechen, zum Beispiel wenn sich wegen der Politik der sexistischen, konservativen Politiker*innen eine Tragödie ereignet.

 

Das Abtreibungsverbot und die "Gewissensklausel" (die Tatsache, dass Ärzt*innen sich auch in gesetzlich vorgesehenen Fällen weigern können Abtreibungen durchzuführen) haben dramatische Folgen. Frauen sind gestorben oder erlitten dauerhafte Schäden, weil Ärzt*innen sie über ihre Schwangerschaft belogen haben, um sie von einer Abtreibung abzuhalten. Andere sind durch ungeplante Schwangerschaften in schrecklich prekären Verhältnisse gekommen und sehen ihre Lebenspläne ruiniert. "Hölle für Frauen" ist einer der beliebtesten Slogans der Bewegung, und auch "Die PiS hat Blut an den Händen" ist zu hören.

Die Hölle für LGBTQI+.

Polen ist auch für LGBTQI+ Menschen die Hölle. Etwa ein Viertel des Landes wurde von lokalen Politiker*innen zur "LGBT-Ideologie freien Zone" erklärt. Homophobie wird offiziell gefördert und homophobe Angriffe sind an der Tagesordnung. In diesem Sommer wurden LGBTQI+-Aktivist*innen von der Polizei schikaniert, während die reaktionär-katholische Organisation Ordo Iuris ungestraft eine abscheuliche, homophobe Kampagne durchführte.

Ordo Iuris stand bereits 2016 hinter dem Gesetzesentwurf zum Abtreibungsverbot. Im Februar 2021 griffen sie erneut an, mit einem Projekt, das "Ja zur Familie, nein zum Gender!" heißt. Deren Ziel ist Polens Austritt aus der Istanbul-Konvention, einer Konvention des Europarates gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt.

Stattdessen schlägt Ordo Iuris einen Text vor, der das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe bekräftigt, "exzessive staatliche Eingriffe" in die Familie verbietet und die Rolle der Frau als Mutter im Haushalt fördert. All das, während sie das Schreckgespenst "Gender" an die Wand malen und homophoben Unfug propagieren.

Ihre Thesen wären nur lächerlich, wenn die polnische Regierung nicht unter dem Einfluss dieser Lobby stehen würde - und wenn diese Lobby nicht über enorme finanzielle Mittel verfügen würde, um ihr Gift zu versprühen. Sozialistische Feminist*innen müssen aber nicht nur gegen diese Angriffe kämpfen, sondern auch gegen LGBTQI+-Phobie in der Linken (wo Transphobie mit der "TERF"-Ideologie hineingebracht wird) eintreten.

Bereiten wir uns auf die nächste Phase des Kampfes vor

Auch wenn die Bewegung für den Moment eine Pause einlegt, könnte ein Drama, das durch die Anti-Choice-Politik ausgelöst wird, oder eine x-te PiS-Provokation, die Bewegung wiederbeleben.

Letzten Herbst haben wir durch unsere ROSA Polska Kampagne gesagt, dass ein Generalstreik möglich bzw. notwendig sei, um das Recht auf kostenlose Abtreibung auf Nachfrage zu erkämpfen. Um diesen Generalstreik aufzubauen, riefen wir zur Bildung von demokratischen Streikkomitees auf, die die Bewegung von unten organisieren und ihr eine echte Führung geben sollten.

Zurzeit ist die Atmosphäre in der polnischen Arbeiter*innenklasse nicht mehr geeignet für einen Generalstreik mit dem Recht auf Abtreibung als zentrale Forderung. Der Moment, in dem eine Bewegung einen Rückzieher macht, kann frustrierend und demoralisierend sein. Aber eine Analyse des Kampfes, die fortlaufend diskutiert und aktualisiert wird, macht es möglich, diesen Bewusstseinsstand zu überwinden und diese ruhigere Periode zu nutzen, um sich auf den nächsten Aufschwung der Bewegung vorzubereiten. Deshalb organisiert ROSA Polska am 13. März ein öffentliches Treffen, um all diejenigen einzuladen, die unsere feministisch-sozialistische Vision teilen, um mit uns für den Aufbau eines Arbeiter*innenflügels der Abtreibungsrechtsbewegung zu kämpfen.