Fr 21.09.2012
Die Ankündigung des EZB-Präsidenten Mario Draghi, dass die Europäische Zentralbank nun dazu übergehen wird, unbegrenzt Staatsanleihen der Euromitgliedsländer aufzukaufen, um hoch verschuldete Regierungen wie die in Spanien oder Italien zu stützen, hat zu einer Welle der Euphorie geführt. Zudem machte sich Erleichterung breit, als das deutsche Bundesverfassungsgericht einen Antrag abwies, mit dem die Beteiligung Deutschlands am „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM), dem ständigen Hilfsfond, verhindert werden sollte. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Schritt der EZB jedoch nur um ein weiteres Provisorium, mit dem die Krise im besten Fall lediglich herausgezögert wird. Die Probleme der Eurozone, die ihren Ursprung in einander widerstrebenden nationalen Interessen und der Rivalität des kapitalistischen Führungspersonals haben, bleiben so ungelöst wie zuvor. Streiks in Griechenland und die dortigen Vorbereitungen auf einen 24-stündigen Generalstreik am 24. September sowie massive Demonstrationen in Portugal und Spanien am 15. September gehören zu den Signalen, die auf einen heißen Herbst hindeuten.
Von den führenden Köpfen der Eurozone wurde Mario Draghi als „Super-Mario“ gepriesen. Er sei der Retter der Eurozone. Ende Juli machte er die Zusage, dass die EZB „alles tun [wird], was nötig ist, um den Euro als stabile Währung zu erhalten“. Dazu gehört auch, dass die EZB die Staatsanleihen der ins Trudeln geratenen Regierungen aufkaufen wird, um deren Kosten für die Geldaufnahme zu senken. Vornehmlich betrifft dies Spanien und Italien. Diese Länder müssen mittlerweile mehr als sieben Prozent Zinsen für ihre Staatsanleihen berappen, ein Maß, das als „untragbar“ bezeichnet wird. Diese hohen Zinssätze sollen die Prämie dafür sein, die „Konvertibilitätsrisiken“ abzudecken. Im Finanzjargon steht dieser Begriff für ein mögliches Auseinanderbrechen der Eurozone.
Draghi hat mehrere Monate gebraucht, um ein Maßnahmenpaket auszuarbeiten und den Widerstand innerhalb der EZB dagegen zu überwinden. Vor allem die Vertreter aus Deutschland hatten sich zunächst gegen Draghis Vorschläge gestellt. Und dann musste der EZB-Chef auch noch die Zustimmung von Kanzlerin Merkel für sich gewinnen, die ihrerseits Angst vor Wahlniederlagen in Deutschland hat. Am Ende wurden Draghis Maßnahmen vom EZB-Vorstand angenommen, und nur Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, stimmte dagegen.
Laut Draghi verpflichtet sich die EZB nun, Regierungen wie denen in Spanien und Italien „unbegrenzte Unterstützung“ zukommen zu lassen. Unter anderen diese beiden Länder hatten in letzter Zeit große Schwierigkeiten, sich auf den Finanzmärkten mit Krediten zu versorgen. Dies war nur noch zu horrenden Zinssätzen möglich. In Wirklichkeit allerdings haben auch diese neuen Maßnahmen ihre Grenzen. Aufgrund eines Passus in der eigenen Verfassung ist es der EZB nicht gestattet, den einzelnen Ländern der Eurozone direkt die jeweiligen Staatsanleihen abzukaufen. Deshalb wird die Zentralbank spanische und italienische Staatsanleihen auf dem zweiten Anleihemarkt zeichnen. Darüber hinaus wird die EZB nur Anleihen mit kurzfristigen Laufzeiten von drei Jahren oder weniger erwerben.
Die nun beschlossenen Instrumente werden aber auch dadurch noch einmal eingeschränkt, dass die EZB darauf beharrt, nur diejenigen Regierungen zu unterstützen, die mit der Troika aus EZB, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) zusammenarbeiten. Das bedeutet, dass sie von Inspektoren dieser Institutionen besucht werden, und es die Troika ist, die die Bedingungen für rettende Maßnahmen festlegt.
Und diese Bedingungen werden „streng und effektiv“ sein, so Draghi. Für die betroffenen Regierungen birgt dies einen ganzen Berg an politischen Schwierigkeiten. In Spanien hatte Premierminister Mariano Rajoy bereits Hilfe durch das Programm der „Europäischen Finanzstabilitätsfazilität“ (EFSF) erhalten, um die spanischen Banken zu stützen, ohne die strengen Bedingungen zu akzeptieren (obwohl dieser gewährte Spielraum von einigen anderen Regierungen der Eurozone kritisiert worden war). Im Moment ist er dabei, alle Vorschläge in den Wind zu schlagen, wonach seine Regierung auch Geld aus dem ESM beantragen sollte. Der ESM wurde eingerichtet, um den EFSF abzulösen und ist nun – nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland – darauf angelegt, von Grund auf Unterstützung zu leisten.
Strenge Bedingungen werden unausweichlich zu weiteren Kürzungsprogrammen führen, die unter dem Begriff der Austerität firmieren. Spanien und Italien befinden sich bereits in der Rezession (die gesamte Eurozone stagniert) und neuerliche Austeritätsprogramme könnten für einige der Volkswirtschaften einen weiteren Absturz bedeuten. Das würde wiederum dazu führen, dass die Staatseinnahmen zurück gehen und die Haushaltsdefizite (trotz Ausgabenkürzungen) zunehmen.
Draghis Versprechen, angeschlagenen Regierungen „unbegrenzte Unterstützung“ zukommen lassen zu wollen, führte rasch zu sinkenden Zinssätzen auf Staatsanleihen. So fielen die Zinsen auf spanische Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit beispielsweise von 7,6 Prozent auf 5,7 Prozent (was trotzdem ein Vielfaches von dem ist, was der deutsche Staat für seine Anleihen zahlen muss: z.Zt. steht auf zehnjährige deutsche Staatsanleihen ein Zinssatz von 1,5 Prozent). Und dennoch ist das neuerliche EZB-Paket alles andere als eine dauerhafte Lösung. Hierbei handelt es sich wieder einmal um eine kurzfristige und provisorische Maßnahme. Das Wirtschaftsblatt „Financial Times“ beschrieb die Vorlagen als „ein waghalsiges Spiel“ ohne Erfolgsgarantie.
Protest in Spanien am 15. September 2012
Draghis Maßnahmen werden in Verbindung mit dem neuen und dauerhaften Rettungsfonds ESM stehen, der mit einem Grundkapital in Höhe von 500 Milliarden Euro ausgestattet sein wird. Das Gros der Kapitalstöcke aus dem Vorgängermechanismus EFSF wurde bereits dafür eingesetzt, um Griechenland, Portugal und Irland zu retten, und um die Rekapitalisierung der spanischen Banken zu finanzieren. Am Ende sind noch rund 120 Milliarden davon übrig. Außerdem wird es für die EZB weiterhin schwierig – wenn nicht gar unmöglich – sein, als „letzter noch vorhandener Kreditgeber“ zu agieren. Damit wäre sie wie die US-Notenbank „Fed“ und die Bank of England dann keine reine Zentralbank mehr. Die EZB ist nicht in der Lage, Regierungen durch direkte Anleihenkäufe zu stützen. Gleichzeitig wird die EZB ziemlich sicher auch durch das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts in ihrem Vorgehen eingeschränkt bleiben. Die Richter hatten in ihrer Urteilsbegründung nämlich den Einwand erhoben, dass Kreditnehmer nur unter Berücksichtigung der eigenen Kapitaldecke an Geld kommen sollten, um Regierungen der Eurozone zu unterstützten. Jedes durch den ESM aufgelegte Rettungspaket wird – wie schon beim ESFS der Fall – durch die eigenen Kapitalien finanziert werden müssen. Das wird immer neue Kürzungsprogramme hervorrufen, um die Grundfesten des ESM nicht zu erschüttern.
Der Gerichtsentscheid in Deutschland
Am 12. September wies das deutsche Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf einstweilige Verfügung ab, mit dem die Bundesregierung daran gehindert werden sollte, den ESM zu ratifizieren. Die Klage war von rund 37.000 BürgerInnen eingereicht worden und wurde laut Umfragen von 53 Prozent der Deutschen unterstützt. Wäre es zu einem Veto vonseiten der Justiz gekommen, dann hätte das zu einer unermesslichen Krise der Eurozone geführt und die jüngsten Maßnahmen der EZB sämtlich zunichte gemacht.
Die Richter am deutschen Verfassungsgerichtshof
Das Bundesverfassungsgericht kam allerdings zu einem Urteil, das an einige Bedingungen geknüpft ist. So wurde festgelegt, dass der deutsche Anteil am ESM die Marke von momentan 190 Milliarden Euro (etwa ein Drittel des ESM-Gesamtvolumens) nicht übersteigen darf. Zudem ist es der deutschen Regierung nicht gestattet, weitere Zusagen zu machen, wenn sie vorher nicht die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat dazu bekommen hat. In der Urteilsbegründung wird außerdem die Frage nach der zukünftigen Rolle des ESM aufgeworfen. So bleibt offen, ob es verfassungsgemäß sei, wenn die deutsche Regierung den ESM dabei unterstützt, auf Grundlage seines 500 Milliarden Euro schweren Kapitalstocks Kredite aufzunehmen, um von den betroffenen Ländern der Eurozone direkt Staatsanleihen zu kaufen. Letztendlich warnt das Gericht die deutsche Regierung davor, irgendeine nicht weiter definierte Verpflichtung einzugehen, um verschuldete Regierungen zu stützen.
Diese rechtlichen Einwände zeigen, dass auch Merkels Erfolg in dieser Frage nur ein vorläufiger sein kann. Vom Bundesverfassungsgericht wurde eine einstweilige Verfügung also abgelehnt, der gesamte Fall soll in den kommenden Monaten aber noch sorgfältig geprüft werden. Während es unwahrscheinlich ist, dass das Gericht ein umfassendes Veto gegen den ESM einlegt, kann es durchaus sein, dass die Bundesrichter nach Auslegung der deutschen Gesetzeslage weitere Einschränkungen verordnen. Das könnte die Rolle des ESM weiter beschneiden. Viele führende Köpfe der Eurozone wie auch Teile der Konzernoberen hoffen, dass der ESM zumindest teilweise in der Lage sein wird, die Rolle des „letzten noch vorhandenen Kreditgebers“ zu übernehmen. Sie wünschen sich eine Quelle, aus der ins Wanken geratene Regierungen Kapital erhalten, damit ihre Schulden von mehreren Schultern getragen werden.
Von Teilen der eigenen Partei Angela Merkels wie auch von der rechtskonservativen Wirtschaftspresse wird diese Idee allerdings erbittert bekämpft. Diese betrachten es als unnötige Bürde für den deutschen Kapitalismus und als möglichen Dammbruch auf dem Weg in die Hyper-Inflation. Angesichts dieser Widerstände muss Merkel äußerst behutsam vorgehen. Sie muss in dem Maße eingreifen, dass ein Zusammenbruch der Eurozone verhindert wird, darf dabei aber nicht so weit gehen, dass die grundlegenden Probleme wirklich gelöst werden. George Soros, ein vehementer Verfechter des Euro, forderte Merkel jüngst heraus: „Führen Sie oder gehen Sie!“. Damit meinte er, dass Merkel zur fiskalpolitischen Integration der Eurozone stehen solle oder eben nicht, um damit dann andere ans Ruder zu lassen. Ein Austritt Deutschlands würde das Ende oder wenigstens den Anfang vom Ende des Euro bedeuten.
Annäherung oder Auseinanderbrechen?
Der Euro wurde eingeführt, weil man die Annäherung der EU-Staaten beschleunigen wollte. Dies sollte durch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes ohne Grenzen für das Finanzsystem geschehen. Stattdessen ist der Euro zu einem Krisenherd geworden und eher der Grund für ein Auseinanderdriften und Desintegration als für weitere Annäherung.
Als der Euro eingeführt wurde, lagen die Kosten der Mitgliedsländer der Eurozone für die Kreditaufnahme auf mehr oder minder gleichem Niveau. 2009 musste die griechische Regierung nur rund zwei Prozentpunkte mehr aufbringen als die deutsche Regierung. Heute liegt der Unterschied bei mehr als 20 Prozentpunkten. Eine der Ursachen für die heutigen Probleme liegen darin begründet, dass es zur Kreditaufnahme zu geringfügigen Zinssätzen kam. Billige Kredite wurden genutzt, um wie in Spanien und Irland für einen Bauboom zu sorgen. Und in Griechenland wurde damit die Steigerung der öffentlichen Ausgaben finanziert, unter Beibehaltung des kaputten Steuersystems. Das führte dazu, dass nicht genügend Geld reinkam, mit dem man die Ausgaben auf Dauer hätte finanzieren können. Unter dem Strich stand das starke Auseinanderdriften von Staaten, die Kredite vergaben (eine dominante Rolle hatte Deutschland, der stärkste Staat der Eurozone, dabei inne), und Staaten, die die Rolle des Kreditnehmers spielten.
Während der Aufschwungphase bis 2007/08 war die Globalisierung im Banken-Sektor des Kapitalismus am ausgeprägtesten fortgeschritten. Heute haben sich die Finanzhäuser, was das angeht, wieder hinter die jeweiligen Landesgrenzen zurückgezogen. Auf dem Interbanken-Markt ist es so beispielsweise zu einem gravierenden Rückgang der grenzübergreifenden Kreditvergabe gekommen (von 60 Prozent auf 40 Prozent des gesamten Kreditvolumens). Dies sorgte für eine ernste Kreditklemme, wodurch die meisten Volkswirtschaften der Eurozone in die Rezession gestürzt wurden. Obendrein trugen die Kürzungsmaßnahmen ihren Teil dazu bei.
Private Kapitalströme wurden ersetzt durch das Geld von der EZB – in welcher Form auch immer. Banken in Griechenland und anderen Ländern waren daher gezwungen, unter der Ägide des Programms „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA; dt.: „Liquiditätshilfe im Notfall“) sich an die jeweilige nationale Zentralbank zu wenden. Viele kauften daraufhin Anleihen des eigenen Staates, um die Kapitalflüsse am Laufen zu halten. Mittels ELA sind die jeweiligen Zentralbanken in der Lage, bei der EZB um Kredit zu bitten. Dabei handelt es sich in der Tat um eine EZB-Finanzierung von Staatsschulden durch die Hintertür. Geschätzt wird, dass die spanischen Banken von EZB-Krediten im Volumen von 400 Milliarden Euro profitieren konnten. 360 Milliarden gingen an Finanzhäuser in Italien. Das Netto-Gesamtvolumen aller privaten und staatlichen Finanzströme aus Deutschland in andere Länder der Eurozone (vor allem im Süden) liegt bei rund 700 Milliarden Euro.
Statt die Einigung der Eurozone zu beschleunigen, hat die Nutzung einer gemeinsamen Währung namens Euro die finanzpolitische Zersplitterung in Wirklichkeit erweitert, die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede größer werden lassen und zu wachsender Opposition gegen die EU und die Eurozone geführt. Merkel und andere SpitzenpolitikerInnen aus den Kreditgeber-Ländern haben der Idee eines umfangreicheren Finanztransfers in Richtung der schwächeren Länder der „Peripherie“ lautstark widersprochen. Zwar finden diese Geldtransfers bereits in enormem Umfang statt, doch „Lombard Street Research“ (eine Agentur für Prognosen und Unternehmensberatung in makroökonomischen Fragen; Anm. d. Ürbs.) schätzt, dass für die Haushalte von Spanien, Griechenland, Portugal und Italien Geldspritzen nötig sind, die sich in den nächsten Jahren bis 2015 auf wenigstens 1,25 Billionen Euro belaufen werden, und diese Summe im schlimmsten Fall noch auf 2,4 Billionen Euro ansteigen kann.
In der Öffentlichkeit behaupten führende Politiker der Eurozone, dass die EU sich weiter auf dem Weg hin zu einer „noch engeren Vereinigung“ befindet. Der Euro sei demnach „nicht rückgängig“ zu machen und man würde bis ans Äußerste gehen, um ihn zu verteidigen. Aber die anhaltende ökonomische Krise gibt der Opposition in den jeweiligen Bevölkerungen Auftrieb, entflammt nationalistische Tendenzen und stärkt – wie zum Beispiel in Katalonien – die separatistischen Bewegungen.
Beim EU-Gipfeltreffen im Juni legten die PolitikerInnen der Eurozone großspurig ihre Pläne auf den Tisch, mit denen man zu noch größerer Einheit kommen wollte. Gleichzeitig machten sie – wie üblich – nur in sehr eng gestecktem Rahmen Fortschritte, was das Lösen der momentanen Krise angeht. Abgesehen davon würde ein weiteres Streben nach größerer Einheit – vor allem die Errichtung einer Fiskalunion, die die entscheidende Kontrolle über die Haushalte der Mitgliedsstaaten hätte – langwierige Verhandlungen voraussetzen und die Zustimmung einer Mehrheit der Regierungen der EU bzw. Eurozone voraussetzen. In einigen Ländern müssten Referenden durchgeführt werden, um neue Abkommen zu bewilligen. Wegen divergierender, individueller nationaler Interessen und der massiven Opposition aus der Bevölkerung gegenüber einer weiteren Integration wäre das ein utopisches Projekt.
Sofort nachdem Draghi angekündigt hatte, die EZB würde nun dazu übergehen, in „unbegrenztem“ Maße Staatsanleihen der Länder der Eurozone aufzukaufen und als das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgericht gerade erst gesprochen war, rief EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die EU dazu auf, sich hin zu einer „Föderation von Nationalstaaten“ zu entwickeln. Das Problem mit der „Aufteilung der Souveränität“ zwischen den Nationalstaaten wurde jedoch sehr deutlich, als die ersten Reaktionen auf Barrosos Statements folgten, der immerhin eine EU-Banken-Union ins Spiel gebracht hatte. Dies würde nämlich bedeuten, dass die EZB die Macht zugeschrieben bekäme, über mehr als 6.000 Banken in Europa die Aufsicht und Weisungsbefugnis zu bekommen. Merkel reagierte, indem sie sagte, dass Deutschland lediglich befürworten würde, wenn für die Großbanken eine gemeinsame europäische Aufsicht eingeführt wird. Demnach akzeptiere man aber nicht die Ausweitung auch auf kleine und mittelgroße Bankhäuser. Die britische Regierung ruft auf der anderen Seite dazu auf, dass alle Banken – egal mit welchem Geschäftsvolumen – einbezogen werden müssen – allerdings nur die der Eurozone (womit die brit. Bankhäuser ausgenommen wären; Anm. d. Übers.)!
Sich zuspitzende Krise in Spanien
Für Rajoy in Spanien bedeutet das Angebot der EZB ein wahres Dilemma. Die Zentralbank wird nur dann spanische Staatsanleihen zeichnen, wenn die Regierung um ein Hilfspaket bittet. Das würde aber bedeuten, dass strenge Bedingungen auferlegt werden, Inspektionen durch die Troika oder nur durch den IWF folgen und neue Austeritätsmaßnahmen (sprich: Kürzungen) vorangetrieben werden.
Seit dem erdrutschartigen Wahlsieg der konservativen „Partido Popular“ (PP) sind die Umfragewerte für die Regierung ins Bodenlose gesunken. Gegen Rajoys letztes Kürzungspaket, das einen Umfang von 65 Milliarden Euro hatte und auch Steuererhöhungen beinhaltet, ist es zu einer ganzen Welle von Massendemonstrationen und Streiks gekommen. Zu allem Übel hat Rajoy auch noch mit immer energischer vorgebrachten Forderungen nach mehr Autonomie für die halb-autonomen Regionen in Spanien, vor allem aus Katalonien, zu tun. Gleichzeitig werden von dieser Seite zusätzliche Rettungsprogramme für die klammen Kassen der Regionalregierungen beansprucht. Die Rede ist von zehn bis 18 Milliarden Euro, die man sich von der Zentralregierung in Madrid verspricht. Am vehementesten werden diese Forderungen in Katalonien vorgebracht. Dort ist es am 11. September zu einer riesigen Demonstration mit bis zu zwei Millionen TeilnehmerInnen gekommen. Eine Forderung lautete: „Für die Steuerhoheit“ als Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Die national-katalanischen PolitikerInnen wollen einen neuen Staat in Europa bilden, aber die Bewegung für eine Abspaltung von Spanien wird zweifellos eine Krise für die spanische herrschende Klasse provozieren.
Barcelona am 11. September 2012
Rajoy steht vor den Regionalwahlen in Galizien und dem Baskenland und mag versuchen, irgendeine Entscheidung über Finanzhilfen der EZB auf die Zeit danach zu verschieben. Unterdessen rutscht die Wirtschaft weiter in die Rezession. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 25 Prozent. In der ersten Jahreshälfte 2012 wurden rund 220 Milliarden Euro aus Spanien abgezogen. Das ist so viel wie ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Selbst mit den Hilfsmitteln aus dem EFSF für die Banken (bis zu 100 Milliarden Euro) ist nicht ausgeschlossen, dass die spanische Regierung in den bevorstehenden Monaten in Finanzierungsschwierigkeiten kommt.
Die Wahrheit ist, dass einer Unterstützung zwar grundsätzlich zugestimmt wurde, mehrere Regierungen der Eurozone (darunter auch Deutschland) jetzt aber Einwände erhoben haben. Diese Unterstützung, so sagen sie, muss Bestandteil bei der Etablierung einer EU-Banken-Union sein – aber genau dieser Punkt birgt bereits Konfliktstoff. Wie so oft in der Eurozone werden die Alarmglocken geschlagen und die Rettungsboote zu Wasser gelassen, noch bevor das Schiff den Hafen überhaupt verlassen hat.
Hunderttausende gingen am 15. September 2012 in Portugal auf die Straße
In Portugal gingen am 15. September unterdessen hunderttausende von DemonstrantInnen auf die Straße. Das war der größte Antikürzungsprotest, den das Land bisher gesehen hat. Zu dieser Aufwallung an Widerstand war es aufgrund eines Gesetzesantrags gekommen, der eine Erhöhung der Sozialbeiträge vorsieht – gleichzeitig soll der Arbeitgeberanteil übrigens um exakt dieselbe Summe verringert werden.
Vorbereitung auf ein Ausscheiden Griechenlands
Vor kurzem hat Merkel eine „Charmeoffensive“ gestartet, um zu versuchen die Beziehungen zu Griechenland zu reparieren. Zu diesem Zweck wurde einer ihrer Staatssekretäre, Hans-Joachim Fuchtel, als Unterhändler entsandt. Seine Botschaft lautete, dass die deutsche Regierung die Notsituation der griechischen Bevölkerung nachempfinden könne. Darüber hinaus wurde der griechische Premierminister Antonis Samaras nach Berlin eingeladen, wo Merkel behauptete, dass sie Griechenland weiterhin als Teil der Euro-Gemeinschaft sehen wolle: „Wir werden alles nötige tun, um das Problem in Griechenland zu lösen“. Zur selben Zeit meinte allerdings der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, dass ein Austritt Griechenlands „für den Euro kein Problem darstellen würde“, weil es hinlängliche Maßnahmen gäbe, auf die man zurückgreifen kann, um eine Ansteckung und Ausweitung auf schwächere Volkswirtschaften der Eurozone zu verhindern (vgl.: „International Herald Tribune“, 25. August 2012). hinzu kommt, dass auch keine Lockerung zu verzeichnen ist, was die deutsche Forderung nach weiteren, schwerwiegenden Austeritätsmaßnahmen angeht (gegenwärtig fordert die Troika weitere Kürzungen im Umfang von 13,5 Milliarden Euro als Preis für das „Rettungspaket“ in Höhe von 173 Milliarden Euro).
Wie man es auch dreht und wendet: die griechische Bevölkerung wird von der Propaganda der deutschen Regierung in jedem Fall an der Nase herumgeführt. Als Fuchtel in Griechenland landete, wurde er mit Schildern und Sprüchen konfrontiert wie: „Fuchtel, geh´ nach Hause – keine Unterwerfung“. Ein Passant meinte: „Ich sehe nicht, wo hier der Unterschied zur Besetzung durch die Nazis besteht und zum Lakaien, der griechischen Regierung“ (vgl.: „International Herald Tribune“, 10. September 2012).
Während Merkel verkündet, dass Griechenland Teil des Euro bleiben wird, so sind die Chefs der großen Konzerne davon weit weniger überzeugt. Viele Unternehmen haben bereits detaillierte Pläne für den Eventualfall eines möglichen Austritts ausgearbeitet. „Die Bank of America - Merrill Lynch hat für den Fall, dass man in Griechenland nicht mehr an Geld kommt, bereits geprüft, wie man ganze LKW mit Bargeld beladen muss, um sie über die griechische Grenze zu bringen, damit deren Mandanten vor Ort weiterhin ihre Beschäftigten und Zulieferer bezahlen können“ (Nelson Schwartz: „Planning For Greece’s Euro Exit, Just In Case“, in: „International Herald Tribune“, 4. September 2012). Einige Unternehmen haben ihre Computersysteme schon umprogrammiert, damit sie kein Problem mit einer neuen griechischen Währung haben werden. JP Morgan Chase „hat für eine Handvoll von Konzerngiganten bereits neue Konten eingerichtet, die für eine neue Drachma in Griechenland vorbereitet sind, oder welche Währung dem Euro in anderen Ländern auch immer nachfolgen wird“.
Multinationale Unternehmen und ihre Berater versuchen derweil auszuarbeiten, was im Falle verlängerter Feiertage (während denen die Banken für einige Zeit geschlossen bleiben könnten) und nach einer möglichen Einführung von Kapital-Kontrollen, die die Kapitalströme ins und aus dem Land beschränken würden, zu tun ist. Ein Vorstandmitglied der Bank of America - Merrill Lynch sagte: „Momentan […] orientiert sich die Planung für den Eventualfall auf drei Haupt-Szenarien: den Austritt eines einzelnen Landes, den Austritt einer Reihe von Ländern und ein Aufbrechen der gesamten Eurozone“. Im selben Artikel wird auch berichtet, dass die Zentralbanken ebenso wie das deutsche Finanzministerium Pläne für den etwaigen Austritt Griechenland schmieden – allerdings unter strengster Geheimhaltung.
Sogar ohne weitere Generalstreiks, Massendemonstrationen und andere Formen des Massenprotests würde das neoliberale Programm der Troika für Griechenland nicht funktionieren. Die bisherigen Austeritätsmaßnahmen (sprich: Kürzungen) haben in der Wirtschaft bereits einen tiefen Abschwung bewirkt, und weitere wilde „Einsparungen“ werden die Auflösung der griechischen Gesellschaft nur beschleunigen. Das Ausmaß an Schuldenrückzahlungen, das dem Land aufgezwungen wird, wird sich als unhaltbar erweisen. Tatsächlich wird der Widerstand der griechischen Arbeiterklasse weitergehen. Während die führenden Politiker der Koalitionsregierung am 11. September wieder einmal ein Kürzungspaket anfertigten (diesmal in Höhe von 11,5 Milliarden Euro), kam es zu einem Streik im öffentlichen Dienst, an dem sich LehrerInnen, Krankenhausärzte und Beschäftigte der Provinzregierungen beteiligten. Darüber hinaus gibt es Pläne für einen 24-stündigen Generalstreik am 24. September.
Dass Griechenland aus dem Euro ausscheiden wird, ist unausweichlich. Zweifel gibt es nur darüber, in welchem Zeitraum dies geschehen wird. Obwohl das Land lediglich für zwei Prozent des BIP der gesamten Eurozone verantwortlich zeichnet, wird ein Austritt Griechenlands mit großer Wahrscheinlichkeit eine weitere Zersplitterung der Eurozone anfachen. Der Finanzinvestor George Soros erkennt an, dass die Krise der Eurozone die EU (und, das können wir festhalten, die gesamte Weltwirtschaft) in Gefahr bringt: „Wenn [der Euro] auseinanderbricht, wird Europa schlimmer dran sein als vor Einführung des Euro“ („Financial Times“, 10. September 2012).