Do 22.11.2018
Am Abend des 18.11 haben die Verhandlungsteams der Metalltechnischen Industrie einen Kompromiss erzielt. Die Löhne und Gehälter für über 130.000 Beschäftigte steigen um 3 – 4,3%. 11. und 12. Tagesarbeitsstunde bzw. die 51. bis 60. Wochenarbeitsstunden werden mit 100% Überstundenzuschlägen abgegolten (gilt auch für Gleitzeit-Modelle), ausnahmsweise Sonn- und Feiertagsarbeit mit 150% (höchstens vier Sonn-/Feiertagsdienste pro Person im Jahr sind möglich). Bei Diensten über 10 Stunden am Tag wird eine bezahlte zehnminütige Pause vorgeschrieben. Und: Gleitzeit-Guthaben können nun auch in der Form von maximal sechs ganzen Tagen pro Jahr verbraucht werden. Dieser Abschluss ist ein Ergebnis von Warnstreiks in über 200 Betrieben des FMTI-Bereiches.
Die Gewerkschaften feiern ihn als Erfolg. Die Unternehmen sehen sich an die Schmerzgrenze gebracht, freuen sich aber, dass der Abschluss deutlich unter den Forderungen der Gewerkschaften liegt.
Ist der Abschluss ein Erfolg?
„Ich und andere KollegInnen haben unseren Betriebsräten, die im Verhandlungsteam sitzen, gesagt: 4% UND rahmenrechtliche Verbesserungen, das ist das mindeste, darunter dürfen sie nicht abschließen. Zuschläge ab der 50. Wochenstunde sind zwar für uns wichtig, vor allem auf Montage. Aber die Lohnerhöhungen sind viel zu wenig. 4,3% bekommt ja niemand in unserem Betrieb: Selbst Reinigungskräfte sind in der Lohngruppe B eingestuft. Laut Betriebsrat bedeutet der Abschluss für 90% meiner KollegInnen Lohnerhöhungen zwischen 3,5 und 3,8%“, erklärt ein Kollege der Automatisierungtechnik-Betriebes STIWA, der bei der SLP aktiv ist. Ähnlich sieht das Bilfinger Shared Services-Betriebsratsvorsitzender und SLP-Aktivist Gerhard Ziegler: „Die Stufen A, B und C gibt’s bei uns im Betrieb gar nicht. Niemand von den KollegInnen kommt auf 4% oder mehr“.
Wirklich spürbar sind die Erhöhungen für etwa 6.500 Lehrlinge: Die Lehrlingsentschädigung steigt zwischen 70 und 100 Euro. Einige FMTI-Lehrlinge, die bei einer SLP-Kundgebung am Taubenmarkt vorbeikommen, sind damit sehr zufrieden. Zurecht feiert der ÖGB diese Erhöhung. Auch zurecht werden sich aber viele Lehrlinge, die keine „echte“ Lehrstelle finden, fragen, warum sich der ÖGB für sie nicht einsetzt. Diesen Lehrlingen wurde die Unterstützung in den ersten beiden Lehrjahren halbiert, sie sollen mit nur noch €325,80/Monat über die Runden kommen – und werden von Praktikumsbetrieben als Gratis-Arbeitskräfte eingesetzt.
Durchschnittlich steigen die Löhne/Gehälter um 3,46%, netto sind das 2,8%. Bei einer prognostizierten Inflation von jeweils 2,2% für 2018 und 2019 bleibt da nicht mehr viel über. Und: Die Preise steigen vor Allem bei Gütern des täglichen Bedarfs: Wohnung, Wasser, Energie (2,8%), Mieten (3,4%), besonders Verkehr (5%) und Treibstoffe (15,8%) (Im Jahresvergleich Oktober 2017/18). Auf den ersten Blick schaut der Abschluss Ok aus – wenn man genauer hinschaut, ist dieser Lohnabschluss nicht viel mehr als eine Nulllohnrunde!
Viele KollegInnen können mit diesem Abschluss leben. Auch, weil das Ergebnis auf den ersten Blick und im Vergleich mit den Abschlüssen der letzten Jahre nicht so schlecht aussieht. Euphorisch ist abgesehen von der Gewerkschaftsführung kaum jemand: „Im Nachhinein war niemand überrascht über den Abschluss. Alle haben damit gerechnet, dass es wie immer einen faulen Kompromiss gibt. Wir verdienen im Vergleich mit anderen Branchen gut. Für uns ist so ein Abschluss ja nicht existenzbedrohend und wird im Moment noch geschluckt. Fast alle sagen, der Abschluss ist viel zu schlecht. Trotzdem war ich einer der wenigen, die sich beim Betriebsrat gemeldet und den Abschluss kritisiert haben. Das ist auch eine Folge der Praxis der letzten Jahre. Wir sind den faulen Kompromiss gewohnt“, sagt der Kollege von STIWA.
Ausgleich für den 12-Stunden-Tag?
Und auch im Rahmenrecht haben die Gewerkschaften ihre Forderungen fallen gelassen: Selbstbestimmte Freizeitblöcke; Rechtsanspruch auf die 4-Tage-Woche; 75% Zuschläge für die 10. Tagesarbeitsstunde; Wahlfreiheit, ob Überstunden ausbezahlt oder als Freizeit abgegolten werden; Verkürzung der Normalarbeitszeit bei besonders belastenden Tätigkeiten; 6. Urlaubswoche – nichts davon wurde durchgesetzt. Auf der anderen Seite wurde das flexible Zeitmodell, das „zur Überbrückung der Wirtschaftskrise“ aus verhandelt wurde, jetzt unbefristet in den Kollektivvertrag übernommen. Der angekündigte Ausgleich für den 12-Stunden-Tag über die KV-Runden passiert hier nicht. Ein gemeinsamer, branchenübergreifender Kampf gegen 12/60 wurde mit diesem Kompromiss aufgegeben, bevor er beginnen konnte. Alle weiteren Branchen werden es jetzt besonders schwer haben, diesen Kampf ohne die stark organisierten und oft maßgebenden MetallerInnen zu führen.
Für die vielen Frauen, die in der Branche arbeiten, bedeutet das Zulassen der 11. und 12. Arbeitsstunde (wenn auch mit hohem Zuschlag), dass die Lohnschere noch weiter auseinander geht. Denn Frauen können wegen der oft auf ihnen lastenden Pflege von Angehörigen, Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit wesentlich seltener die 111te und 12te Stunde machen. Das heißt, sie haben auch nicht die Möglichkeit, diese Zuschläge zu bekommen. Und was noch nicht wichtiger ist: Wenn so der 12 Stundentag legalisiert wird, werden sich Unternehmer wohl auch bei der Anstellung genau aus diesen Gründen eher für Männer entscheiden. Das heißt: Frauen werden aus dieser – für Frauen eher gut bezahlten – Branche weiter verdrängt.
Warum dieser Abschluss?
Die Gewerkschaft freut sich über den besten Abschluss seit sieben Jahren. Das heißt, der Abschluss ist der beste – seit den letzten Warnstreiks. Dass die FMTI ihr Angebot nachgebessert hat, zeigt, dass Streiks ein wirksames Mittel sind, um die Interessen von Beschäftigten durchzusetzen. Es war Richtig, den Weg Richtung Klassenkampf einzuschlagen. Auch wenn der Streik sehr von oben herab organisiert wurde. Viele Betriebsratsvorsitzende (!) wussten am 11. November noch nicht, ob sie laut Plan der Gewerkschaft am 12., 13. oder 14. November Streiks organisieren sollen. Trotzdem gab es eine enorme Kampfbereitschaft:
„Am Warnstreik 2011 beteiligten sich zwischen 80 und 90 FMTI-Betriebe. 2018 waren es über 240, dreimal so viele! Das zeigt einmal mehr, dass sich Beschäftigte eine gewerkschaftliche Reaktion auf die Angriffe von Unternehmen und Regierung erwarten und jedes Angebot dafür wahrgenommen wird. Unser Gewerkschaftssekretär war selbst überrascht von der große Streikbeteiligung“
„Bei uns im Betrieb, bei Bilfinger Shared Services Linz, haben fast alle Beschäftigten an der Betriebs- & Streikversammlung teilgenommen. Manche waren auf Urlaub oder krank oder betreuen Projekte außerhalb von Linz. Sonst waren fast alle da. Und die Belegschaft hat nach einer ausführlichen Diskussion mit riesiger Mehrheit für einen Warnstreik gestimmt. Besonders motivierend war für mich und Ralf Kraus, den Betriebsratsvorsitzenden der MCE, mit der wir eine gemeinsame Betriebsversammlung organisiert haben, und unsere KollegInnen die Solidarität von Menschen aus anderen Bereichen, die wir zur Versammlung eingeladen haben: Thomas Erlach, Betriebsratsvorsitzender von EXIT-sozial, der über die Bewegungen im Sozialbereich geredet hat; AktivistInnen der SLP aus dem Gesundheitsbereich, die von ihrer Solidaritätskampagne berichtet haben; und natürlich die schriftlichen Solidaritätserklärungen von BetriebsrätInnen anderer Branchen“, erklärt Gerhard Ziegler.
Der Kollege von STIWA sagt zum Streik:
„Die Streikbereitschaft war enorm. Die Teilnahme an Betriebsversammlungen und Streiks extrem hoch. Bei den Warnstreiks waren mehr als drei Viertel der Belegschaft an den Streiks beteiligt, das sind so gut wie alle „normalen“ Beschäftigten. Im Werk in Gampern gingen die Warnstreiks über den Schichtwechsel (14.00 Uhr), von 13.00-15.00 Uhr. KollegInnen sind früher in die Arbeit gekommen und länger geblieben, um beim ganzen Streik anwesend zu sein. Eine Kollegin ist sogar extra gekommen, obwohl sie eigentlich frei gehabt hätte. Über 1.000 KollegInnen bei den Betriebsversammlungen haben einstimmig den Warnstreik beschlossen. Über 1.100 bei den Streikversammlungen haben einstimmig einen Vollstreik über acht Stunden für die nächste Woche beschlossen, sollten die Unternehmen nicht nachgeben. Die KollegInnen haben zwar gesagt: ‚Das wird wohl fad, acht Stunden herum sitzen, aber das müssen wir machen, da müssen wir durch‘. Bei der Firma Hawle in Vöcklabruck hat das Unternehmen den Beschäftigten angeboten, 0,5% auf das Angebot der Gewerkschaften drauf zulegen, wenn sie nicht mit streiken – trotzdem wurde gestreikt“.
Ein Linzer Metallindustrie-Lehrling aus dem Bereich Fahrzeugtechnik (hier wurde nicht mit gestreikt) erzählt: „Ich und die KollegInnen haben in den Pausen über den Streik diskutiert und gehofft, dass die KollegInnen aus dem FMTI-Bereich die 5% erreichen. Bei uns wurde ja leider nicht gestreikt, aber ich bin mit drei Kollegen auf der Donnerstagsdemo gewesen, um gegen die Angriffe auf Kollektivverträge und für einen ordentlichen Abschluss Flagge zu zeigen“. Und: Die Wiener Donnerstagsdemo legte ihre Route bewusst so, dass sie an der Bundeswirtschaftskammer vorbeizog, wo gerade verhandelt wurde. Dabei zeigten Tausende ihre Solidarität mit den MetallerInnen und ihren Streiks.
Schon die Warnstreiks haben Wirkung gezeigt, die Beschäftigten waren bereit, weiterzukämpfen und es gab viel Solidarität. Noch dazu waren die Gewerkschaften in einer sehr günstigen Verhandlungsposition. Die Auftragsbücher sind voll, es gibt einen FacharbeiterInnenmangel, jede Stunde Streik bedeutet, dass den Unternehmen Profite entgehen. Aussagen von Vertretern der Industrieellenvereinigung, dass man die Streiks aussitzen werde, sind vor diesem Hintergrund kaum ernstzunehmen. Die Unternehmen hätten durch weitere Streiks schnell gezwungen werden können, ihr Angebot noch einmal nachzubessern. Aber: Das hätte auch bedeutet, dass die Gewerkschaften eine ernsthafte Konfrontation hätten eingehen müssen. Und das wollen sie offenbar weiterhin nicht.
Mit sozialpartnerschaftlichen Grüßen?
Katzian, Wimmer & Co laufen einer SozialpartnerInnenschaft nach, die längst von den Unternehmen und ihrer Regierung aufgekündigt wurde. Nach dem Motto „Lieber ein schwacher Abschluss, der gerade noch so gut ist, dass wir bei den Beschäftigten nicht völlig das Gesicht verlieren, als ein echter Klassenkampf, der das Klima zwischen den ‚SozialpartnerInnen‘ beschädigt“ wurde dieser Abschluss erzielt.
Das wirft aber, auch wenn viele FMTI-Beschäftigten mit dem Abschluss leben können, eine ganze Reihe Probleme für die Gewerkschaftsbewegung auf.
Erstens wurde die Bewegung gegen den 12-Stunden-Tag damit zum dritten Mal und wohl endgültig begraben: Zuerst keine Streiks nach der Demo, dann keine Kampagne nach dem Sommer – jetzt auch kein Kampf über die KV-Runden. Die einzige Schlussfolgerung, die man hier ziehen kann, ist: Die Gewerkschaftsführung hat nicht einmal ansatzweise eine Strategie, wie die großen Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten zurückgeschlagen werden können.
Zweitens haben die VerhandlerInnen im FMTI bewiesen, dass sie nicht fähig und willens sind, einen ernsthaften Kampf zu führen, um ihre eigenen Forderungen durchzusetzen. Das ist fatal, weil das auch die Unternehmen in der Metallindustrie (die mittlerweile die KV-Verhandlungen als solche in Frage stellen) und in anderen Branchen (die mittlerweile sagen, dass sie sich nicht mehr wie früher am Abschluss der Metallindustrie orientieren wollen) und die Regierung (die mit der Zerschlagung der Sozialversicherungen schon den nächsten Generalangriff auf unsere Rechte plant) sehen. Die neuerliche Weigerung der Gewerkschaften, für ihre Forderungen zu kämpfen und eine echte Führung zu sein, bringt Unternehmen und Regierung nur noch weiter in die Offensive.
Dazu kommt, dass eine so gute Verhandlungsposition mit vollen Auftragsbüchern und FacharbeiterInnenmangel und einer kämpferische Stimmung bei den KollegInnen keine Selbstverständlichkeit ist: Der Mini-Aufschwung der Wirtschaft neigt sich dem Ende zu. Die Unternehmen bereiten sich mit ihren Angriffen auf unsere Rechte auf schwierigere Zeiten vor. Bei den nächsten Verhandlungen kann es sein, dass die Auftragsbücher im Metallbereich nicht mehr so voll sind oder sogar Beschäftigte gekündigt werden. Dann wird es viel schwieriger sein, Verbesserungen zu erkämpfen, als es dieses Mal gewesen wäre. Wie soll eine Gewerkschaftsführung, die die Logik des Kapitalismus voll akzeptiert und sich an der SozialpartnerInnenschaft fest klammert, unsere Interessen in einer solchen Situation vertreten, wenn sie schon heute nicht dazu fähig ist, sich durchzusetzen?!
Für ernsthafte betriebliche AktivistInnen, BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen bedeutet das: Wir müssen besser heute als morgen eine eigene, klassenkämpferische, demokratische Gewerkschafts-Strategie entwickeln und einen politischen Kampf um den Kurs und die Führung der Gewerkschaften beginnen.
Die SLP setzt Initiativen in diese Richtung, wie die Plattformen „ÖGB aufrütteln“, in der sich betriebliche AktivistInnen für einen kämpferischen und demokratischen Gewerkschaftskurs organisieren oder „Sozial, aber nicht blöd“, die eine wichtige Rolle dabei spielt, KollegInnen aus dem Sozialbereich zu mobilisieren. Wir waren auch aktiv rund um die Warnstreiks der Metallindustrie – einen Bericht zu unseren Aktivitäten findest du hier:
https://www.slp.at/artikel/solidarit%C3%A4t-mit-den-streiks-im-metallbereich-1-9238
Wenn du auch der Meinung bist, dass wir einen kämpferischen und demokratischen ÖGB brauchen, der seine Forderungen durchsetzen kann, dann melde dich bei uns und werde aktiv!