So 11.09.2016
„Erstens kommt es schlimmer und zweitens als man denkt“ – mit dieser alten Redewendung kann der Ausgang der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September 2016 zusammen gefasst werden. Es war klar, dass die AfD wieder ein starkes Ergebnis einfahren würde, aber dass sie vor der CDU zweitstärkste Kraft wird, war schlimmer als gedacht. Es war auch klar, dass DIE LINKE Stimmen verlieren würde, aber dass sie auf 13,2 Prozent (106.259 Stimmen) einbrechen würde, war schlimmer als gedacht.
Trotzdem ist an dem Wahlergebnis nicht alles eine Katastrophe. Zum einen hat die NPD den Einzug in den Landtag deutlich verfehlt. Auch wenn das rechts-nationalistische und rassistische Lager im Schweriner Parlament angesichts von 20,8 Prozent für die AfD gestärkt ist, erschwert der Rauswurf aus dem letzten Landesparlament, in dem sie vertreten waren, der NPD für die Zukunft ihr faschistisches Tun. Zum anderen haben es knapp vierzig Prozent der Wahlberechtigten vorgezogen gar nicht an die Urnen zu gehen, obwohl sie mit NPD und AfD ein durchaus „überzeugendes“ rechtsradikales Angebot hatten. Diese Menschen sehen sich offensichtlich von keiner der Parteien vertreten. Gut, dass sie sich nicht durch AfD und NPD vertreten sehen. Kein Wunder, dass sie sich nicht durch den neoliberalen Einheitsbrei von SPDCDUFDPGRÜNE vertreten sehen. Traurig, aber auch kein Wunder, dass sie sich auch nicht vom Landesverband der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern unter ihrem Spitzenkandidaten Helmut Holter repräsentiert fühlen. Das spricht nicht dafür, dass diese Menschen nicht durch linke Politik erreicht werden können. Es sprich eher dafür, dass Holters LINKE nicht mehr als links wahrgenommen wird – auch kein Wunder.
Für die arbeitende Bevölkerung und sie sozial Benachteiligten wird die Wahl jedenfalls negative Folgen haben. Nicht nur weil die AfD sich auf hohem Niveau stabilisiert und ihren Rassismus weiter verbreiten kann. Sie kann auch ihr neoliberales und arbeiterfeindliches Programm verbreiten. So hat die AfD-Vorsitzende Frauke Petry erst kürzlich eine längere Lebensarbeitszeit und Rentenkürzungen gefordert. Die AfD wird versuchen die Politik der bürgerlichen Parteien nach rechts zu treiben und vieles spricht dafür, dass ihr das gelingen wird. Im Fall der CSU ist das mehr als deutlich. Aber auch CDU und SPD werden trotz aller anders klingenden Rhetorik in Fragen der Flüchtlingspolitik und der inneren Sicherheit weiter nach rechts gehen. Gleichzeitig spielt die SPD das Spiel, das wir seit Jahren von ihr kennen: vor Wahlen wird links geblinkt, danach rechts abgebogen. Umso wichtiger, dass DIE LINKE als unmissverständliche Interessenvertretung der arbeitenden Bevölkerung agiert, sich vom Establishment in Form und Inhalt der Politik klar absetzt, soziale Verbesserungen im Kampf gegen die kleine Minderheit der Reichen und Superreichen durchsetzt und gleichzeitig keine Abstriche bei internationalistischen und humanistischen Positionen in der Flüchtlingspolitik macht. Wie es nicht funktioniert, zeigt DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern.
DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern hat seit ihrem Eintritt in die Landesregierung 1998 158.040 Stimmen verloren. Die Wahl vom 4.9. ist da nur ein trauriger Höhepunkt einer über Jahre verlaufenden Entwicklung. Bei jedem Fußballverein führt eine Niederlagen- oder gar Abstiegsserie zu Veränderungen. Nicht so bei der LINKEN im Nordosten: mit derselben Politik und dem selben Personal wurde sehenden Auges in die nächste Niederlage marschiert. Und nach der schallenden Ohrfeige vom Wahlsonntag wird immer noch kein Kurswechsel eingeleitet, sondern verkündet, man wolle nun zusammen mit der SPD die Landesregierung bilden. Ist das politische Blindheit, Ignoranz, der Wunsch auf dem Ministersessel zu sitzen so groß oder von allem etwas? In jedem Fall aber Ausdruck eines politischen Konzepts, das zum Dogma geworden ist und nicht mehr hinterfragt wird. Genau das ist aber nötig.
Es sollte hinterfragt werden, ob die Bilanz der Regierungsbeteiligung so positiv ist, wie die Führung der Partei behauptet und weshalb die Menschen im Land das dann nicht verstehen. Tatsächlich wurde die PDS in den zwei Legislaturperioden in der Landesregierung zur Erfüllungsgehilfin einer neoliberal verorteten Sozialdemokratie und konnte in den wirklich wichtigen Politikfeldern kein linken Inhalte durchsetzen. Ergebnis: DIE LINKE wird als eine Partei unter vielen, als etabliert und angepasst, betrachtet.
Es sollte hinterfragt werden, ob man durch eine permanente Betonung des Wunsches dieses Desaster in einer Koalition mit SPD und Grünen wiederholen zu wollen, irgendeinen der Menschen erreichen kann, die sich von den etablierten Parteien und Institutionen entfremdet fühlen und das Vertrauen – zurecht – verloren haben. Das Gerede davon, dass „der Wähler und die Wählerin“ erwarte, dass DIE LINKE mit SPD und Grünen regieren wolle und man sich mit einer klaren Oppositionshaltung isoliere, kann angesichts des AfD-Wahlerfolgs auf Basis einer eindeutigen Aussage, in der Opposition bleiben zu wollen, niemand mehr ernst meinen.
Es sollte hinterfragt werden, ob Lokalpatriotismus, wie er die Plakatkampagne im Wahlkampf mit Sprüchen wie „Aus Liebe zu M-V“ oder „Heimat ist dort, wo Familie ist“ dominierte, irgendetwas mit linker Politik zu tun hat oder eher eine Anbiederung an bürgerliche Selbstinszenierung, die bei den Wählerinnen und Wählern im Zweifel dazu führt, dass sie die Original-(Lokal-)Patrioten wählen. Ganz abgesehen davon, dass die Partei damit bei der NPD und ihrem Slogan „Aus Liebe zur Heimat“ abkupferte, was die Nazis auch trefflich ausschlachteten (siehe Bild).
Und es sollte hinterfragt werden, ob in Zeiten der zunehmenden Empörung und Wut über soziale Ungerechtigkeit, Bankenmacht und Abgehobenheit von PolitikerInnen, das Plakat welches die Begriffe „Wut“, „Liebe“ und „Hass“ in Form eines Stimmzettels abbildete und das Kreuzchen bei „Liebe“ gemacht wurde, wirklich der Stimmung derjenigen Menschen entspricht, für die und mit denen DIE LINKE Politik machen sollte. Hätte sich die Parteiführung da nicht besser an Bertolt Brecht erinnern sollen, der in seinem Gedicht „Lob des Revolutionärs“ nicht schrieb „wo er sich zu Tisch setzt, setzt sich die Liebe zu Tisch “, sondern „wo er sich zu Tisch setzt, setzt sich die Unzufriedenheit zu Tisch“.
Das Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern ist eine (nicht die erste) Warnung. Der von den Ostverbänden der LINKEN, dem forum demokratischer sozialismus (FDS) und anderen im kapitalistischen Staat „angekommenen“ Kräften eingeschlagene Kurs wird die Partei vielleicht in die eine oder andere Regierung, politisch aber in die Bedeutungslosigkeit führen. Dass der Bundesvorsitzende Bernd Riexinger das nicht mal deutlich ausspricht, sondern sich nach dem Wahldesaster offen für eine Koalition mit der SPD zeigt(natürlich nur wenn die Bedingungen stimmen, aber bitte … wer geht eine Koalition ein, wenn das nicht der Fall ist? Entscheidend ist doch, dass nun propagiert wird, mit der Sellering-Gabriel-SPD könnten die Bedingungen stimmen!), macht die ganze Sache nicht besser. Denn das wird auch dazu genutzt werden, den Druck in der Partei zu erhöhen, um eine Koalition mit SPD und Grünen auf Bundesebene möglich zu machen. Die Parteilinke muss darum kämpfen, dass die Fokussierung auf Parlamente und Regierungsbeteiligung durch ein eindeutiges Primat der gesellschaftlichen, also außerparlamentarischen, Kämpfe und Bewegungen abgelöst wird und die Parlamentsarbeit nicht als Selbstzweck verstanden wird, sondern Mittel zur Unterstützung von Gegenwehr und Selbstorganisation von ArbeiterInnen, Jugendlichen und sozial Benachteiligten.
Ansonsten wird sich Angela Merkels Drohung aus ihrer Bundestagsrede vom 8.9.2016 bewahrheiten und „Deutschland bleibt Deutschland“. Ein Land mit zunehmender sozialer Spaltung, unsicheren Arbeitsverhältnissen, Niedriglöhnen, Horrormieten, Altersarmut, Bildungsdiskriminierung, Umweltzerstörung, wachsendem, auch staatlichem, Rassismus und Rechtspopulismus, Nazi-Gewalt und, und, und. DIE LINKE wird nicht gebraucht, um diese Verhältnisse zu verwalten oder durch minimale Veränderungen zu versüßen, sondern um sie über den Haufen zu werfen und andere, sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und demokratische Verhältnisse zu erkämpfen.