Mo 28.08.2017
Die sozialistische Stadträtin Kshama Sawant hat zusammen mit ihrer Ratskollegin Lisa Herbold eine Vorlage zur Besteuerung von Reichen in den Stadtrat eingebracht, die nun angenommen worden ist.
Als der Stadtrat der US-amerikanischen Metropole vergangene Woche die Verordnung zur Einführung einer Steuer für Reiche beschloss, wurde Seattle erneut ihrem Ruf als eine der progressivsten Metropolen der USA gerecht. Damit werden Einkommen über 250.000 Dollar (500.000 Dollar bei Verheirateten) nun mit 2,25 Prozent besteuert. Erwartet werden Mehreinnahmen in Höhe von 175 Millionen Dollar, mit denen in Wohnungsbau, Bildung, öffentlichen Nahverkehr und Dienstleistungen sowie andere drängende Bereiche investiert werden kann.
Mit einer korrekten Einschätzung darüber, welche Bedeutung die neue Reichen-Steuer von Seattle hat, schreibt die kalifornische Tageszeitung „Los Angeles Times“: Zwar „haben eine Reihe von Städten lokal geltende Einkommenssteuern eingeführt, aber keine andere Stadt hat ausschließlich Hochverdiener ins Visier genommen und nur wenige haben derart hohe Steuersätze festgelegt. In den USA kommt diese Maßnahme einer politischen Kriegserklärung gleich“. Kurz vor der Abstimmung im Stadtrat von Seattle hat der in Seattle lebende, ehemalige Vorstandsvorsitzende von „Microsoft“, der Milliardär Steve Ballmer, die Stadtverwaltung (deren Wahlkämpfe meist von Großkonzernen und reichen Einzelpersonen finanziert werden) gewarnt, dass eine Reichen-Steuer „die Löhne hier steigen und [Unternehmensvorstände] dazu veranlassen wird, über eine Verlagerung der Arbeitsplätze nachzudenken. Das wird ganz sicher passieren“.
Trotzdem hat der Stadtrat einstimmig für die Einführung der Reichen-Steuer votiert und ein Chor aus PolitikerInnen des Establishments der „Demokraten“ brach in Lobesgesängen aus. Bürgermeister Ed Murray erklärte dazu: „Unser Ziel ist es, unser regressives Steuersystem durch eine neue Formel aus Fairness zu ersetzen. Dabei stellen wir gleichzeitig sicher, dass Seattle gegen den Austeritätshaushalt von Präsident Trump bestehen kann, der die Ausgaben für Verkehr, bezahlbaren Wohnraum, Gesundheit und soziale Dienste reduzieren will“.
Als Aktivist der Organisation „Socialist Alternative“, die seit der „Occupy“-Bewegung für die Reichen-Steuer gekämpft hat und in den Jahren 2012, -13 und -15 Wahlkämpfe für Kshama Sawant sowie 2014 für Jess Spear geführt hat – wobei der Slogan „tax the rich!“ immer eine zentrale Forderung gewesen ist – empfinde ich dies als sehr begrüßenswerte Änderung der Tonlage. Viele der PolitikerInnen, die zum Establishment zu zählen sind und nun für die Reichen-Steuer gestimmt haben, haben zuvor gegen Vorlagen von Sawant gestimmt, die sie früher in den Stadtrat eingebracht hatte. Dies gilt zum Beispiel für den Vorschlag, den öffentlichen Nahverkehr durch eine progressive Unternehmenssteuer zu finanzieren. Auch die Sawant-Initiative zur Reduzierung der Stromkosten für die arbeitenden Menschen ist von ihnen abgelehnt worden. Man wollte nicht, dass Unternehmen wie „Boeing“ oder „NuCor Steel“ (relativ) mindestens so viel für Energie bezahlen müssen wie private Haushalte.
Als Teil der Bewegung sollten wir uns klar sein, wie es nun dazu kommen konnte. Wir haben diesen Erfolg nicht geschafft, weil das Establishment der „Demokraten“ in Seattle plötzlich zur Vernunft gekommen wäre. Auch nach jahrzehntelangen Haushaltskürzungen und einer regressiven Besteuerung scheren sie sich immer noch nicht um dadurch entstandene Schäden auf Seiten der arbeitenden Menschen und Dunkelhäutiger („people of color“).
Es war die stärker werdende Macht unserer sozialen Bewegungen, die zu diesem großen Erfolg geführt hat. Das Establishment mag am Ende zwar mit „ja“ gestimmt haben, aber nicht weil sie wirklich hinter der Reichen-Steuer stehen. Bürgermeister Murray und zum Establishment zählende Ratsmitglieder wie Tim Burgess und Lorena Gonzalez haben dafür gestimmt, weil wir über mehrere Jahre eine mächtige Bewegung aufgebaut haben, die ihren permanent aufrecht erhaltenen Widerstand politisch untragbar hat werden lassen. Im Laufe unserer Wahlkämpfe haben die Mitglieder von „Socialist Alternative“ mit hunderttausenden WählerInnen gesprochen – an der Haustür oder über Telefon. Wir haben Dutzende Veranstaltungen und Kundgebungen durchgeführt und von den „einfachen“ Leuten Spenden in der rekordverdächtigen Höhe von einer halben Million Dollar sammeln können. Unsere entschlossene und unmissverständliche Forderung dabei lautete: „tax the rich!“ (dt.: „Besteuert die Reichen!“). Dieses Motto war eine Säule unseres Wahlkampfs von 2015. Dabei haben wir allen, mit denen wir sprechen konnten, klar gemacht, dass wir die Großkonzerne und die wohlhabende Elite zur Kasse bitten wollen, um den öffentlichen Bedarf zu finanzieren.
Als Sawant erst in den Stadtrat von Seattle gewählt worden ist, arbeitete sie direkt mit AktivistInnen der Gewerkschaft „Transit Riders Union“ zusammen. Es ging dabei um die Idee, eine regressive Verkaufssteuer abzuschaffen und stattdessen eine Unternehmenssteuer einzuführen, mit der die Bus-Flotte von Seattle finanziert werden sollte. Zusätzlich sollten die gewerblichen Parkgebühren angehoben werden. Diese Abstimmung haben wir verloren. Doch in den letzten Monaten stand die „Transit Riders Union“ mit ihrer Vorsitzenden Katie Wilson und zusammen mit dem von John Burbank geführten „Economic Opportunity Institute“ an der Spitze der „Trump Proof Seattle Coalition“. Dieses Bündnis, dem auch „Socialist Alternative“ und Kshama Sawant angehört haben, spielte im diesjährigen Kampf zur Durchsetzung der Reichen-Steuer eine führende Rolle.
Unsere Bewegung hat Klima-AktivistInnen, AnwältInnen aus den Bereichen Verkehr und Wohnrecht, KämpferInnen für bezahlbaren Wohnraum, SozialistInnen, RentnerInnen, LehrerInnen und Gewerkschaften in einem Bündnis zusammengebracht, das zu regelmäßigen Treffen zusammengekommen ist. Dort haben wir über Gesetzgebungsverfahren diskutiert und entschieden und eine Kampagne aufgebaut, um die Ziele zu erreichen. Das Bündnis hat in allen Stadtbezirken öffentliche Veranstaltungen organisiert, Stadtratsmitglieder dazu eingeladen und sie gezwungen, unter dem wachsamen Auge der EinwohnerInnen Position zu beziehen. Im Wahlkreis von Kshama Sawant haben sie und das „Trump Proof Seattle“-Bündnis eine Veranstaltung durchgeführt, bei der es ob des großen Andrangs nur Stehplätze gab. Die Menschen, die daran teilnahmen, setzten sich lauthals dafür ein, den Reichtum zu besteuern. Um dieses Ziel durchzusetzen waren sie bereit, die nötigen Opfer zu bringen.
Auch als unsere Bewegung in Fahrt kam und konzernfreundliche PolitikerInnen schon damit begannen, auf den fahrenden „tax-the-rich“-Zug mit aufzuspringen, sind wir äußerst kritisch geblieben. Obwohl viele schon davon sprachen, dass unser Ziel einfacher zu erreichen wäre, wenn wir mit dem Establishment zusammenarbeiten würden, haben wir allen Verlockungen widerstanden und sind bei der Methode Klassenkampf geblieben. Unsere Bewegung verteidigte ihre unbeugsame politische Unabhängigkeit und unsere Basis an Aktiven lehnte es geflissentlich ab, den VertreterInnen des Polit-Establishments Glauben zu schenken. Die Mitglieder unseres Bündnisses überhäuften die Büros der Stadtverordneten mit Emails und Telefonanrufen und sorgten bei entsprechenden Diskussionsveranstaltungen und Abstimmungen für volle Säle. Sie forderten die Unterstützung des Stadtrats und warnten die StadträtInnen davor, sich nicht gegen diese Vorlage zu stellen bzw. zu versuchen, den Entwurf noch abzuschwächen. Diese Vorgehensweise sorgte tatsächlich dafür, dass der konservative Flügel des Stadtrats zurückgedrängt werden konnte, der skandalöser Weise noch eine tendenziöse „Meinungsumfrage“ auf den Weg gebracht hatte, um herauszubekommen, ob es möglich wäre, die Verfügung zur Reichen-Steuer noch zu ersetzen durch eine Vorlage über eine stark regressive „flat tax“.
Dieses Beispiel nun, bei dem eine klar abgesteckte und sehr mutige Forderung vorgebracht und eine Bewegung aufgebaut wurde, die unabhängig vom Establishment der Stadt Seattle agiert und sich allein auf unsere eigene Stärke gründet, ist dieses Mal fast schon organisch entstanden. Dass es so kam, war nicht besonders überraschend. Auf dieselbe Art und Weise sind wir mit unserer Bewegung in Seattle vorgegangen, um den Mindestlohn von 15 Dollar durchzusetzen, eine 400-prozentige Preissteigerung für einkommensschwache MieterInnen abzuwehren, den „Columbus Day“ durch den „Indigenous People’s Day“ zu ersetzen, den Vorschlag für ein 160 Millionen teures Polizeirevier zurückzuweisen, 29 Millionen Dollar an öffentlichen Geldern für bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und dem Bankhaus „Wells Fargo“ in einem Akt der Solidarität mit der Bewegung gegen die „Dakota Access“-Ölpipeline drei Milliarden Dollar abzuknöpfen. All diese Beispiele stammen aus den vergangenen paar Jahren.
Dabei sind die Reichen-Steuer und die anderen bahnbrechenden Erfolge in Seattle nicht im luftleeren Raum entstanden. Als die Wirtschaft zusammengebrochen ist und die Banken ihre Rettungspakete erhalten haben, begannen die „einfachen Leute“ damit, nach einer Möglichkeit zu suchen, wie sie die Angriffe auf die Lebensstandards abwehren und Schritte zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einleiten können. Die „Occupy“-Bewegung hat gezeigt, wie weit verbreitet und heftig die Wut war. Bernie Sanders hat gezeigt, dass viele Millionen Menschen bereit waren, zu Veranstaltungen eines „demokratischen Sozialisten“ zu kommen und sich an dessen Wahlkampf zu beteiligen, der ohne Spendengelder von den Konzernen ausgekommen ist, diese sogar abgelehnt hat. Die Forderungen lauteten: 15 Dollar Mindestlohn, kostenlose Hochschulbildung und eine politische Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre.
Der Wahlsieg von Donald Trump hat die Dynamik noch weiter verstärkt. In den Monaten nach seiner Wahl sind Millionen von US-AmerikanerInnen auf die Straße gegangen, um die Grundrechte von EinwanderInnen, Frauen, Mitgliedern der LGBTQ-Community, Muslima und Moslems, Gewerkschaften und Beschäftigten zu verteidigen. Die „einfachen Leute“ zieht es in Aktionsgruppen wie „Trump Proof Seattle“ oder die „Neighborhood Action Councils“. Sozialistische Organisationen wie die „Democratic Socialists of America“ oder „Socialist Alternative“ erleben, wie ihre Mitgliederzahlen rapide ansteigen.
Viele dieser neuen AktivistInnen bringen Fragen mit. Sie wollen wissen, ob und wie man Donald Trump stoppen und angesichts der permanenten Angriffe selbst zu Erfolgen kommen kann. Kämpfen wir gegen Trump und werden wir Veränderungen erwirken, wenn wir uns damit zufrieden geben, was für das Partei-Establishment der „Demokraten“ und die Konzerne akzeptabel ist? Oder bauen wir Bewegungen auf, die für mutige Forderungen kämpfen und bereit sind, eine radikale Taktik anzuwenden – einschließlich des Mittels, das wir „zivilen Ungehorsam“ nennen?
Die Erfolge, die in Seattle erreicht worden sind (vom 15 Dollar Mindestlohn bis hin jetzt zur Reichen-Steuer) liefern den AktivistInnen eindeutige Antworten auf die o.g. Fragen. Wenn man eine entschlossene Bewegung aufbaut und parallel dazu – wie in unserem Fall mit Kshama Sawant von „Socialist Alternative“ – eine Stimme im Stadtrat hat, dann ist das eine machtvolle Kombination. Wir arbeiten zwar solidarisch mit ganz unterschiedlichen Kräften zusammen (so zum Beispiel auch mit „Demokraten“, die einstimmig für unsere Vorlage zur Einführung einer Reichen-Steuer stimmen). Aber dennoch schenken wir konzernfreundlichen PolitikerInnen kein Vertrauen oder beschränken unsere Forderungen auf das Maß, das sie oder die KonzernvertreterInnen zu akzeptieren bereit wären. Angesichts der Tatsache, dass eine große Zahl an Menschen aktiv wird, sich Aktionsgruppen und/oder sozialistischen Organisationen anschließt, hat das „Modell Seattle“ das Potential, im ganzen Land Schule zu machen – wenn die korrekte Strategie und Taktik angewendet wird.
Auch in Seattle ist der Kampf um die Reichen-Steuer noch längst nicht zu Ende. Die rechtslastige „Freedom Foundation“ hat bereits Klage eingereicht, weil sie meint, diese Steuer verstoße gegen ein Gesetz des Bundesstaates Washington, wonach es Städten nicht erlaubt ist, Nettogewinne zu besteuern. In einer Pressekonferenz, bei der sie von „tax the rich“-Plakaten umgeben war, rief Susan Hutchison, die Sprecherin der „Republican Party“ im Bundesstaat Washington, zu „zivilem Ungehorsam“ auf und dazu, „energischen Widerstand gegen die Steuer zu leisten“. Joseph Henchman, Geschäftsführer der „Tax Foundation“, beschwerte sich: „Wenn es nur um dieses Gesetz gehen würde, dann wäre es nicht lange haltbar. Meine Sorge ist aber, dass die Richter andere Überlegungen in ihre Entscheidung mit einbeziehen werden“. Da liegt Henchman ganz richtig. Schließlich entgeht den Gerichten nicht, welche Macht und welchen Druck soziale Bewegungen aufbauen können. Das hat sich in der Geschichte der USA ein ums andere Mal gezeigt. Vor kurzem erst war dieser Umstand wohl auch ausschlaggebend als das erfolgreiche Urteil des Obersten Gerichtshofs zur gleichgeschlechtlichen Ehe erreicht wurde. Unsere Bewegung in Seattle ist zweifelsohne bereit, den Kampf auch vor Gericht auszufechten, um ihn gleichzeitig zurück auf die Straße zu bringen.
Unterdessen ruhen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren aus. Wir leiten die Energie, mit der die Reichen-Steuer errungen wurde, in eine entschlossene Kampagne für bezahlbaren Wohnraum und eine Mietobergrenze. Zu diesem Zweck ziehen wir in der ganzen Stadt von Tür zu Tür. Wegen der ansehnlichen Bilanz, die wir vorzuweisen haben, läuten bei der Immobilien-Lobby und in den Reihen des Polit-Establishments von Seattle schon die Alarmglocken.
Dieser Artikel erschien zuerst im linken US-amerikanischen Magazin Counterpunch.