Sa 01.03.1997
Im politischen System Österreichs brechen die Dämme hin zur FPÖ. Nicht nur Klima kündigt das Ausgrenzungsende an. Nach Peter Sichrovsky hat sich mit Ex-Profil-Herausgeber Czernin der nächste prominente "liberale" Journalist in den Club der "kritischen" Haiderfreunde eingereiht. Sein Buch "Der Haidermacher" ist ein weiteres Indiz für die allmähliche "Hoffähigkeit" der “Haiders”.
Das Buch "Der Haider-Macher" (gemeint ist damit der Ex-Bundeskanzler) stellt eine prinzipiell richtige These auf. Nämlich, daß die Politik Vranitzkys, ebenso wie die Hilflosigkeit der meisten "linken" Haider-Kritiker die (Mit-) Verantwortung für den Aufstieg der FPÖ tragen. Ansonsten sind Czernins Analysen und Strategien blauäugig. Sie klammern eine Auseinandersetzung mit der FPÖ, ihrer Rolle und ihren Positionen ebenso aus, wie die gesamte soziale Frage. Arbeitslosigkeit ist nur ein Randthema, Begriffe wie (neue) Armut oder Wohnungsnot kommen gar nicht vor. Haiders Siege werden alleine als Reaktion auf Bürokratismus und die erstarrten politischen Strukturen der großen Koalition beschrieben.
Vranitzky, der Zauderer?
Vranitzkys Kanzlerschaft und Parteivorsitz ist unzweifelhaft mit dem Aufstieg der FPÖ verknüpft. Binnen eines Jahrzehnts haben die Freiheitlichen ihren WählerInnenanteil verfünffacht. Steckt hinter dieser Entwicklung die Reformunfähigkeit und Modernisierungsangst von Franz Vranitzky & Co? Czernin behauptet das (und mit ihm viele andere). Gleichzeitig erwähnt er - quasi nebenbei - daß sich die SPÖ unter Vranitzky in eine "nichtsozialistische Partei" gewandelt hat und daß in der verstaatlichten Industrie im selben Zeitraum 100.000 Arbeitsplätze verloren gingen. Beides sind nicht unbedingt Indizien einer Erstarrung.
Nimmt man noch den EU-Beitritt dazu, dann wird klar, daß es unter Vranitzky zu den größten Veränderungen im wirtschaftlichen und politischen Bereich in der Geschichte der zweiten Republik gekommen ist. Aber: All diese Veränderungen gingen auf Kosten der ArbeitnehmerInnen und sozial Schwachen. Vranitzky zauderte nicht, Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau, Umverteilung zugunsten der Reichen und Besitzenden und bis zu 1.5 Millionen Arme zu produzieren. Vranitzky zögerte nicht, die SPÖ zu einem einzigen Kanzlerwahlverein zu degradieren und dafür Mitgliederschwund und Sektionssterben hinzunehmen. Das war der Stoff, aus dem Haider seine Wahlsiege machte.
Große Koalition als Taktik
Das traditionell schwache österreichische Bürgertum traute sich - zu Recht - die Demontage des Wohlfahrtsstaates und die Zerschlagung der Verstaatlichten ohne die SPÖ nicht zu. Alleine der EU-Beitritt wäre ohne die Propaganda der SPÖ-Führung und die Gleichschaltung von Arbeiterkammer und Gewerkschaften in dieser Frage undurchführbar gewesen. Nur mit der SPÖ in der Regierung war es möglich den größten Sozialabbau in der Geschichte der Zweiten Republik als "sozial ausgewogenes Regierungsprogramm" zu verkaufen. Die Einbindung der SPÖ kostet natürlich Posten, Pfründe und hin und wieder auch ein gewisses Zugeständnis, da die Sozialdemokratie immer noch unter stärkerem Druck der Arbeiterklasse steht als andere Parteien. Hier setzt die Funktion der FPÖ ein.
Die FPÖ als bürgerlicher Rammbock
Die FPÖ vertritt in erster Linie den (wachsenden) Teil der Bourgeoisie, der für das Hinausdrängen der Sozialdemokratie aus dem politischen System eintritt. Wichtige Elemente der FPÖ-Strategie sind deshalb das Knacken von Kollektivverträgen und die völlige Zurückdrängung des Staatseinflußes aus der Wirtschaft. Das würde nicht nur eine radikale Umverteilung von unten nach oben bedeuten, sondern auch die Macht-säulen des ÖGB-Apparates zum Einsturz bringen. Schon jetzt spielt die FPÖ in diesem - und vielen anderen Bereichen - die Rolle des Rammbocks für die Unternehmer: Sie prescht vor, ortet die Lage und die Widerstände, die es gibt, und wenige Monate später taucht dann das eine oder andere als Regierungsvorlage auf (z.B. Ausländerpolitik).
Die FPÖ strebt die Auflösung der Sozialpartnerschaft und ihre Ersetzung durch eine offensive Unternehmerpolitik an. Die Auseinandersetzungen sollenmöglichst auf die betriebliche Ebene verlegt werden. Die wachsende Unterstützung von Unternehmern für diese Forderung zeigt, in welche eine Defensive SPÖ und ÖGB die Arbeiterbewegung inzwischen gebracht haben. Im diesem Sinne ist auch der „Anti-Privilegien-Feldzug" der FPÖ zu verstehen. Er bezieht sich fast ausschließlich auf sozialpartnerschaftliche Bereiche - also ein Feld in dem die FPÖ weder Einfluß besitzt, noch eine Perspektive für sich sieht.
FPÖ - Partei mit der modernsten Struktur?
Czernin erklärt den Erfolg der FPÖ zu einem Gutteil mit deren Wendigkeit und schlankem Parteiapparat - im Gegensatz zur SPÖ. Tatsächlich hätte eine rechte Partei, die ihr Auftreten nicht ständig verändert, wahrscheinlich keine Chance. Gleichzeitig kann das nur eine Partei tun, die über eine schwache gesellschaftliche Verankerung verfügt. Die ÖVP ist zu einem solchen Auftreten nicht fähig, weil auf ihr nicht nur direkt die Zerrissenheit der österreichischen Bourgeoisie, sondern auch völlig auseinanderstrebende Bevölkerungsgruppen lasten.
Die FPÖ hat weniger Mitglieder als die SPÖ ehrenamtliche Funktionäre, aber inzwischen fast genauso viele Wähler. Ist das nicht eine Bestätigung der These, daß die SPÖ eben eine "überholte Partei" sei. Die entscheidende Frage ist aber: Wer stützt sich schon auf die Mitglieder und FunktionärInnen der SPÖ? Und wenn, welche Politik verkaufen und vertreten sie? Die Politik einer Regierung und Parteiführung, wo jede/r sieht und spürt, daß sie nicht für die Bevölkerungsmehrheit da ist. Mobilisierung und Verankerung sind entscheidende Elemente bei der Umsetzung von politischen und sozialen Verbesserungen.
Wenn Czernin als Lösung für die SPÖ Tony Blair`s Parteireform der britischen Labour-Party vorschlägt, dann sollte man das nicht übersehen. Blair wird vielleicht die nächsten Wahlen gewinnen. Aber er pfeift nicht nur auf Mobilisierung und Verankerung in der Arbeiterklasse. Er kündigt ebenso an, die Politik der Tories in Bereichen wie Privatisierung und Anti-Gewerkschaftsgesetzen fortzuführen.
Zwischen Protestpartei und Integration
Es stimmt, daß inzwischen der einzige Existenzgrund für die große Koalition die FPÖ ist. Aber in erster Linie deshalb, weil die jetzige Regierungsform für die Bourgeoisie nach wie vor als die stabilste Variante erscheint, um in "Ruhe und Ordnung" Kürzungspolitik durchzuführen. Die FPÖ ist zwar äußerst erfolgreich in das politische Vakuum eingedrungen, welches SPÖ und ÖVP hinterlassen - aber, ohne es auszufüllen. Sie hat gerade erst begonnen so etwas wie eine StammwählerInnenschaft aufzubauen und damit berechenbarer zu werden. Je stärker der Aderlaß der Koalitionsparteien ist, desto stärker wird zunächst das spezifische Gewicht der FPÖ wachsen.
Die weitere Integration der FPÖ wird wahrscheinlich nicht offen, durch eine blau-schwarze Koalition, ablaufen. Zu groß ist hier noch die Gefahr einer heftigen Gegenwehr. Instabilität und wechselnde Mehrheiten werden das prägende Element sein. Formen, bei denen die FPÖ "Experten" in Minderheitsregierungen entsendet, können ebenso wie Parteispaltungen dazugehören. Von letzteren ist die FPÖ übrigens am allerwenigsten ausgenommen. Gerade eine Regierungsbeteiligung, bei der Haider zwangsläufig einzelne Teile der Partei vor den Kopf stoßen muß, würden solche (z.B. beim äußersten rechten oder beim Arbeitnehmer-Flügel) provozieren.
Die Alternative zur "Dritten Republik" ist nicht die "Zweite"
Czernin schreibt gegen die Zweite Republik und fordert in Wirklichkeit die Dritte. Soziale Rechte und Wohlfahrtsstaat sind für ihn nur Makulatur, Versatzstücke aus dem verhaßten Proporzsystem. Haiders Meinung in diesem Bereich ist auch Czernins eigene: Österreich habe die höchsten Lohnnebenkosten, zu viele Beamte, zuviel Staat und Frühpensionisten. Statt den Leistungsgedanken zu entwickeln, dümple der Wohlfahrtsstaat vor sich hin, der Staat sei doch kein Selbstbedienungsladen, statt Aktienmärkten gebe es geschützte Werkstätten. Czernin versteht sich als Haidergegner - obwohl er ihn auf über 200 Seiten gerade zweimal kritisiert. Aber er "beruhigt", so schlimm wäre Haider an der Regierung nun auch nicht. Einspruch Herr Czernin! Sie haben zwar wahrscheinlich recht: Haider muß nicht bekämpft werden, weil er vielleicht ein verkappter Nazi ist. Aber Haider muß deshalb bekämpft werden, weil, er für die schnellstmögliche Durchführung einer Politik steht, die Sie selbst fordern.
Und dieser Kampf muß verbunden werden mit der Frage von Rassismus. Ausländerfeinlichkeit bleibt nämlich ein Hauptmittel, um uns zu spalten und an gemeinsamen Widerstand zu hindern.
Es stimmt, das was Czernin als "Linke" bezeichnet, hat versagt. In dem mit den Sozialabbauern und Ausländerfeinden der österreichischen Bundesregierung "Lichtermeere" organisiert wurden, hat man sich Illusionen hingegeben und solche erzeugt. Wir haben daraus gelernt: Es geht darum, unsere sozialen Rechte gegen die Angriffe von Regierung und Haider (und Czernin) zu verteidigen. In "Der Haidermacher" wird mehr "direkte Demokratie" gefordert. Über konkrete Vorschläge zur politischen Be-tätigung, über Fragen der Teilnahme an Entscheidungsabläufen in relevanten Bereichen wie der Wirtschaft, findet sich allerdings kein Wort. Man fühlt sich fatal an ein anderes Buch erinnert: “Die Freiheit die ich meine”. Die meinen wir aber nicht.