Do 26.04.2007
Viele SozialistInnen teilten in vergangenen Jahrzehnten - bis in die frühen 1990er Jahre - trotz diverser Meinungsverschiedenheiten eine grundsätzliche Haltung: die SPÖ kann und muss als Partei von hunderttausenden Arbeiterinnen und Arbeitern zum Kampf für soziale Rechte und gegen UnternehmerInnen-Angriffe genutzt werden. Das galt auch wenn dies aufgrund der Politik der SPÖ-Führung immer wieder beeinträchtigt wurde. Ist diese Haltung heute, nach den Erfahrungen zweier Großer Koalitonen und speziell der letzten Monate noch haltbar?
Das SPÖVP-Regierungsprogramm von 2007 ist neoliberal. Es beinhaltet weitere Privatisierung, Elitenbildung, Angriffe auf Lehrlinge, verstärkte Ausbeutung von Beschäftigten, Zwangsdienst für Arbeitslose, Schwächung der Gewerkschaften und die Fortsetzung rassistischer Politik. Viele Menschen sind auf die SPÖ sauer: Ein sogenannter "Umfaller" bei den Studiengebühren, "Nachgeben" bei der Abschaffung der Erbschaftssteuer. Bei näherer Betrachtung war diese Entwicklung bereits in den 1990er Jahren voll im Gang.
Große Koalitionen - einst und jetzt
Seit Ende der 70er Jahre wurden die ökonomischen Spielräume für Zugeständnisse an die ArbeiterInnen international, und damit auch in Österreich, enger. Dadurch erhielt auch das scheinbare Funktionieren der "Sozialpartnerschaft" einen ersten Knacks. Die damalige SPÖ-Politik konnte so nicht weitergehen. Der Nachkriegsaufschwung (der längste in der Geschichte des modernen Kapitalismus) war zu Ende; Schulden und strukturelle Arbeitslosigkeit wurden zur Dauererscheinung. Die negativen politischen Konsequenzen für die Sozialdemokratie wurden durch die Folgen des Zusammenbruchs des Stalinismus verstärkt. Er führte zu einer enormen Angriffs- und Propagandawelle von UnternehmerInnen und der bürgerlichen Politik. Die Zunahme des internationalen kapitalistischen Konkurrenzkampfes erzwang einen härteren Kurs gegen bisher erkämpfte soziale Standards. Die SPÖ stand vor einer Weggabelung: Konsequente Infragestellung des Kapitalismus und Orientierung auf den Bruch mit ihm oder Schwenk nach rechts und Übernahme neoliberaler Konzepte. Wie die Entscheidung ausfiel, ist heute jedem bekannt und war auf Grundlage der vorhergegangenen Entwicklung keine Überraschung. Dies hing nicht nur mit der Zunahme kapitalistischer Krisentendenzen und dem sich daraus ergebenden Druck der Konzernchefs zusammen. Es ist auch ein Ergebnis fortgesetzter Entleerung der SPÖ und der Vervollständigung einer abgehobenen und bürgerlichen Führung sowie ihrer Dominanz über die gesamte Partei.
In die Zeit der Großen Koalition 1986-99 fallen einige bedeutsame Beispiele für den Werdegang der SPÖ: Im Bereich der Steuerpolitik war es keineswegs nur der Druck der ÖVP, der den Weg wies. Die SPÖ besetzte damals wesentliche Ressorts. Unter SPÖ-Finanzminister Lacina wurden 1994 das Privatstiftungsrecht eingeführt und die Vermögenssteuer abgeschafft. Diese nette Geste an Reiche und Großindustrielle bringt im aktuellen Verkauf von Böhler der Investmentgruppe Fries rund 150 Millionen Euro Körperschaftssteuer-Ersparnis!
Mitglieder der jetzigen SLP haben von Beginn der 80er Jahre bis Mitte der 1990er in SPÖ und SJ gearbeitet. AktivistInnen wurden, weil wir für die Führung als kämpferische Opposition unangenehm wurden, 1992 und 1993 aus der SJ ausgeschlossen. Unser Ausschluss fiel zusammen mit dem Druck der SPÖ-Spitze Richtung EU-Beitritt und der damit verbundenen "Budgetkonsolidierung" auf Kosten von ArbeitnehmerInnen un Jugendlichen.
Die Entwicklung der SPÖ, selbst getrieben von der Zuspitzung des Kapitalismus, hat seit den 80ern auf zwei Wegen die gesamte politische Bühne nach rechts gedrängt. Einmal durch die eigene Positionierung als Pro-EU-Kraft (= Sozialabbau) und "Schnürerin" von insgesamt vier Sparpaketen, zweitens als wesentliches Becken, aus dem Unzufriedenheit die FPÖ zuerst unter Haider und nun unter Strache nähren konnte bzw. kann. Die SPÖ war in den 1980ern und 1990ern neben der ÖVP DIE treibende Kraft neoliberaler Politik. Und selbst wenn man die Rechtfertigung der SPÖ-Führung glauben sollte, dass sie bloß Getriebene der ÖVP war, macht das die Sache nicht besser: dann liegt eine Partei vor, die unfähig ist, ihren Kurs selbst zu bestimmen.
Welchen Wert hat die SPÖ noch für ArbeiterInnen und Erwerbslose?
1999/2000 stellten insofern eine politische Wende dar, als die Mehrheit der kapitalistischen Elite mit der FPÖ eine neue Option austesten wollte und die SPÖ aufgrund des damals noch stärkeren Gewerkschaftseinflusses als nicht entsprechend beweglich einschätzte. Die SPÖ hat es in der Folgezeit unterlassen, echte Opposition zu sein. Sie hat der Protest- und Streik-Bewegung gegen den Pensionsraub 2003 nicht genützt und sie hat die EisenbahnerInnen im Stich gelassen. Sie hat kein anti-neoliberales Programm entwickelt und stattdessen sowohl im Sozialbereich als auch bei der Asylfrage den Kurs der Schüssel-Regierung voll mitgetragen. Das einzige, was von früheren Tagen blieb, waren Versprechungen im Wahlkampf und Hoffnungen. 2002 vergeigte Gusenbauer die erste Chance. Zu viele Menschen sahen zu Recht nicht den wesentlichen Unterschied zur ÖVP. Die weiteren bitteren Erfahrungen mit ÖVP und FPÖ/BZÖ überließen der SPÖ dann 2006 knapp das Kanzleramt. Doch was tat die SPÖ-Führung? Siehe oben.
Der Unterschied zwischen den Großen Koalitionen von 1986 bis 1999 und der nunmehrigen ist aus Sicht von ArbeiterInnen, MigrantInnen und Erwerbslosen schnell zusammengefasst: es ist schlimmer geworden! Gusenbauer knüpft nahtlos am schwarz-blau-orangen Kurs an. Was bedeutet dies für den Kampf um die Interessen von ArbeiterInnen, Jugendlichen und Erwerbslosen heute?
Hinzu kommen die internationalen Erfahrungen: Europaweit hat die Sozialdemokratie bewiesen, dass sie kein "kleineres Übel" gegenüber den traditionellen bürgerlichen Parteien ist. Im Gegenteil hat sie in Deutschland und Britannien aggressivste Politik im Interesse des Kapitalismus entwickelt. Es wurden Maßnahmen getroffen, die sich die starken konservativen Regierungen der 1980er und 1990er nicht zugetraut hätten. Sollte all das nicht ernsthaften linken AktivistInnen inner- und außerhalb der SPÖ zu denken geben?
Wo ist die Linke in der SPÖ?
Die Schlussfolgerungen der EntscheidungsträgerInnen in der SPÖ aus dem Wendejahr 2000 bedeuteten offensichtlich auch die Fortsetzung des Rechtsrucks und nicht eine "Rückbesinnung zu den alten Werten". Warum geschah das? Erstens, weil genau diese EntscheidungsträgerInnen praktisch nur mehr Empfindsamkeit für den Druck von UnternehmerInnen- und Kapitalseite zeigen. Und zweitens weil ein Gegengewicht in Form einer organisierten ArbeiterInnen-Opposition in der SPÖ fehlt und v.a. die Ansätze dafür auch strukturell zurückgegangen sind. Die historische Basis der Sozialdemokratie, auf die sich eine solche Opposition stützen müsste, existiert heute weniger denn je: Die Bindungen von und zur Gewerkschaft sind in den Augen der SPÖ eine Belastung, wenn es darum gehen würde, ArbeiterInnen-Interessen in die Politik einfließen zu lassen. Sie sind lediglich wichtig, um durch die Einbindung der ÖGB-Spitzen eine unabhängige Entwicklung kämpferischer Gewerkschaftsstrukturen zu blockieren. Das macht die SPÖ für die Kapitalseite interessant, aber als politische Alternative für ArbeiterInnen, Jugendliche, Linke und aktive GewerkschafterInnen zunehmend uninteressant.
Wohin führen Wut und Ohnmacht?
Die Rolle der Führungen von ÖGB und FSG ist verheerend: Sie haben im SPÖ-Bundesparteivorstand für das neoliberale Koalitionsübereinkommen mit der ÖVP gestimmt. Deren Interessenlage als SpitzenverdienerInnen ist jedoch nicht die der Arbeitenden und Erwerbslosen. Ist es vermessen, wenn man behauptet, dass die Verteidigung der Interessen von ArbeiterInnen und Erwerbslosen politische AktivistInnen heute sehr schnell in Konflikt mit Regierung und der Kanzlerpartei SPÖ bringt?
Niemand verschrottet ein Auto aufgrund eines kleinen Parkschadens. Doch das Fahrzeug SPÖ liegt aus der Sicht von Beschäftigten und Erwerbslosen mit Totalschaden in der Donau. Die ArbeiterInnenbewegung benötigt neue Perspektiven. Und die Grundlagen dazu sind vorhanden: Bereits nach der Nationalratswahl 2000 äußerten etwa 300.000 der NichtwählerInnen, sie hätten bewusst nicht gewählt, weil es keine Partei gibt, für die sie hätten stimmen können. Das ist ein Hinweis auf das Potential für eine echte neue ArbeiterInnen-Partei.
Auch in den Gewerkschaften und in der Arbeitswelt zeigt sich ein deutlicher Trend. So bekennt sich eine wachsende Zahl von BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen zu keiner Fraktion. Und vor allem auch in der FSG gibt es Ansätze und den Wunsch nach kämpferischer Opposition und einer echten Reform des ÖGB.
Selbst wenn ein neues Projekt anfänglich nur einige hundert AktivistInnen hätte, wäre dies eine ausgezeichnete Ausgangsposition für Wachstum und gesteigerten Einfluss in der politischen Landschaft der nächsten Jahre. Sie könnte sich Unterstützung von jenen erarbeiten, die dieses Vertrauen aufgrund langjähriger Erfahrungen den anderen Parteien zurecht verweigern. Das alles mit einer Orientierung auf Arbeitende, Jugendliche und Erwerbslose, sowie aktivem Eingreifen in Bewegungen.
Die Entwicklung einer solchen neuen Partei wird wohl einige Zeit benötigen und nicht geradlinig sein. Doch es wäre falsch, mit dem Hinweis auf die damit verbundenen Schwierigkeiten die ersten Schritte nicht zu setzen. Einer dieser ersten Schritte wäre, sich an dieser Diskussion über den Neuaufbau und die Ziele der ArbeiterInnenbewegung aktiv zu beteiligen. Aus Sicht von Aktiven in SPÖ, Jugendorganisationen und Gewerkschaft wäre ein positives Signal, die Kooperation mit der zunehmenden Zahl an SozialistInnen außerhalb der SPÖ zu verstärken. Die Einheit von Linken und SozialistInnen im Kampf, egal wo diese derzeit organisiert sind, wäre ein Bestandteil der nötigen politischen Erneuerung.