Do 30.06.2016
In den lang ersehnten gemeinsamen Wahlantritt von Izquierda Unida (Vereinte Linke) und Podemos (Wir können) mit anderen Kräften wurden vor allem die Hoffnungen der Jugend auf Veränderung geweckt. Doch nach der Auszählung der Stimmen ist die allgemeine Ernüchterung groß, denn das Ziel, vor der sozialistischen Partei zweitstärkste Kraft im Land zu werden, wurde verfehlt. Nach gescheiterten Koalitionsgesprächen in den letzten Monaten und einer Neuwahl des Parlaments scheint der Status Quo im Staat fortzubestehen.
Die erste Mitteilung von der linken Wahlplattform Unidos Podemos (Gemeinsam können wir) auf Facebook war, dass die ersten Verlierer des Abends die Umfragen sind. Diese hatten das Wahlbündnis zuletzt mit nur drei Punkten Abstand auf Platz zwei gesehen. Nach dem steilen Aufstieg vor allem von Podemos war dies der erste größere Verlust auf der Wahlebene. Selbst deren Vorsitzender Pablo Iglesias qualifizierte das Ergebnis mit “nicht zufriedenstellend”. Vorher wurde der Eindruck erweckt, als ob es linear nur besser werden könnte und Iglesias wollte eigentlich schon nach den Wahlen am 20. Dezember 2015 im Präsidentenpalast sitzen.
Gemeinsam können wir! Aber was?
Vor allem angesichts der regionalen und inhaltlichen Zersplitterung der Linken war das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Wahlantritt bei vielen AktivistInnen groß. Die Regionalwahlen im letzten Jahr und die Ergebnisse vom Dezember haben auch den Parteiführungen gezeigt, dass sie gemeinsam nicht nur erfolgreicher sein können, sondern auch Gefahr laufen, ihren Einfluss zu verlieren, wie es bei Izquierda Unida der Fall war, die von elf auf zwei Parlamentsabgeordnete zurück gefallen war.
Eine gemeinsame Kandidatur wirft unmittelbar die Frage auf, welches Programm deren Grundlage ist. Formell wurde gesagt, dass alle Parteien ihr Wahlprogramm vom letzten Dezember beibehalten. Zur Abstimmung in den Organisationen wurden jedoch “50 Schritte, um Spanien zu verändern” vorgelegt. Dies war ein Forderungskatalog, der sich aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Parteien, einschließlich der grünen Equo-Partei, zusammensetzt und nicht über das bestehende bürgerliche System und die kapitalistische Wirtschaft hinaus geht. Lediglich einige Budgetänderungen und Reformen in der Gesetzgebung wurden vorgeschlagen, die zusammen genommen sicher eine Verbesserung, vor allem beim Mindestlohn, darstellen, aber dennoch nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Dieses Programm bietet den armen Massen im Land nicht den geringsten Ausweg. Vor allem für Izquierda Unida bedeutete es einen großen Schritt zurück, nachdem sich mit dem neuen Vorsitzenden Garzón linkere Positionen und kritischere Haltungen beispielsweise zur EU durchgesetzt hatten. Im Wahlprogramm vom letzten Dezember wird sie als Hindernis zur Durchsetzung sozialer Gleichheit und Entmilitarisierung gesehen. Die EU wird dort als Institution beschrieben, die Aufrüstung, Krieg und Ungleichheit festschreibt und im Interesse der Märkte voran treibt.
Das steht nur scheinbar im Widerspruch zu den Massenmobilisierungen während des Wahlkampfes, wo tausende und zehntausende Menschen an Kundgebungen von Unidos Podemos teilnahmen. Viele verbanden mit der Kandidatur eine große Hoffnung auf einen Wandel und ein Ende des korrupten und undemokratischen Systems, das nach dem Ende des Franco-Faschismus 1978 installiert wurde.
Dennoch drückte vor allem die Führung von Podemos der Plattform einen oberflächlichen und populistischen Stempel auf. Es wurde sehr emotional von “Sonnenaufgang eines Landes”, Liebe und Veränderung gesprochen, ohne deutlich zu machen, was auf welchem Wege erreicht werden soll. In Zeiten großer sozialer Unsicherheit und gesellschaftlicher Polarisierung ist das Potential für einen solchen Populismus und Reformismus schnell ausgeschöpft, da der Raum für Zugeständnisse seitens der Kapitalistenklasse gering ist und sie soziale Errungenschaft mit aller Macht zurück drängen, um ihre Profite zu retten Bei dieser Wahl gab es fast 10,5 Millionen NichtwählerInnen – eine Millionen mehr als noch im Dezember. Angesichts eines Stimmverlustes von nahezu 1,2 Millionen für Unidos Podemos, wird klar, dass vor viele linke WählerInnen zu Hause blieben. Doch es gab wahrscheinlich ebenso einen Stimmverlust auf der anderen Seite, denn eine Schicht von Podemos-WählerInnen setzten große Hoffnungen in das Potential einer in ihren Augen linken Koalition aus PSOE und Podemos/Izquierda Unida. Von diesem Standpunkt aus liegt das Lavieren der Führung der Parteien und das Scheitern der Gespräche vor allem bei den Pablo Iglesias, was zu Enttäuschung bei diesen Menschen geführt hat.
Eine Wahl ohne klare Alternative
Das Stimmergebnis für die linke Liste bleibt mit über fünf Millionen dennoch beachtlich und zeigt, welche Hoffnung Teile der Jugend und ArbeiterInnenklasse in einen Bruch mit dem bisherigen Zweiparteienregime und einem Ende der Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit setzen. Anderthalb Jahre fast ununterbrochener Wahlkampf haben die Kräfte erschöpft und den Protest von der Straße in die Hinterzimmer getrieben. Wahltaktische Überlegungen diktierten die Diskussionen und nicht der reale Kampf. Trotz eines enormen Kraftaktes der BasisaktivistInnen, schien die Mühe umsonst zu sein, denn nichts hat sich geändert. Und umso größer ist die Enttäuschung nun und viele Aktive ziehen sich zurück.
Zu lange hat Pablo Iglesias das Spiel der etablierten Politik mitgemacht, als er im letzten Jahr dem König seine Aufwartung machte und mit der Führung der Sozialistischen Partei für eine Regierungskoalition kokettierte. In Bezug auf die Europäische Union ist nicht garantiert, dass eine korrekte ablehnende Haltung der EU als Instrument vor allem der deutschen und französischen Bourgeoisie automatisch zu einem höheren Wahlergebnis geführt hätte. Dennoch machte Iglesias mit Blick auf Griechenland klar, dass er genauso wie Tsipras handeln würde und an dem kapitalistischen Konstrukt der EU festhält. Den Ausgang des Referendums in Großbritannien betitelte Unidos Podemos als “Niederlage für alle.” Dem wurde ein solidarisches Europa entgegen gesetzt, das vor allem auf Reform der EU-Organe abzielt. In der Haltung der Podemos-Führung wird deutlich, dass die EU als neutrales Gefäß angesehen wird, das sie mit einem fortschrittlichen Inhalt füllen wollen, statt eine radikale Alternative aufzuzeigen.
Dies hatte vor allem zur Folge, dass jene, für die die EU-Austeritätspolitik nichts anderes als zunehmendes Elend bedeutet, sich von Unidos Podemos abwendeten. Andere, die befürchten, dass ein Zerfall der EU noch schlechtere Lebensbedingungen bedeuten könnte, fanden sich jedoch in den unklaren Aussagen auch nicht wieder. Drei Tage nach dem Brexit, der die wirtschaftliche und politische Landschaft Europas erschütterte und der darauf folgenden Schmutz- und Angstkampagne in der offiziellen Presse, wäre es nötig gewesen, eine absolut eindeutige Haltung zu beziehen und den Menschen eine sozialistische Alternative zur jetzigen EU aufzuzeigen.
Von den bürgerlichen Medien hofiert, konnten sich jedoch PSOE und PP als stabilisierende und pro-europäische Kräfte darstellen. Diese Form der Angstkampagne schlägt schnell bei Vielen an, denn seit dem Ende des Faschismus werden sie von den Herrschenden damit bedroht, dass erneut Zustände wie in den 1930ern herrschen werden, wenn das jetzige System zerbricht. Selbst achtzig Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges ist das ein nicht unbedeutender Faktor.
Die Ergebnisse der Wahl
Unidos Podemos war in der Gesamtauswertung der Wahlverlierer mit den meisten eingebüßten Stimmen. Dennoch haben auch die liberalkonservativen Ciudadanos (BürgerInnen) knapp 430.000 und PSOE 175.000 Stimmen verloren. Mit einem Plus von 573.000 Wählerstimmen (auf 7,9 Millionen) steht die regierende Volkspartei klar als Gewinnerin dar. Sie dürfte vor allem davon profitiert haben, dass die Ciudadanos sich nach der letzten Wahl als reines Anhängsel der Partido Popular (PP) präsentiert hat und WählerInnen dann wieder zurück zum Original wechselten. Die PP wurde vor allem in den Regionen gestärkt, wo sie seit jeher die Mehrheit oder zumindest ein sehr hohes Ergebnis erzielte. Ein Novum ist, dass sie selbst in Andalusien die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinte, während die Region seit den 1970ern fast durchgängig von der Sozialistischen Partei beherrscht wurde.
Trotz des absoluten Stimmverlustes bleiben die Kräfte von Unidos Podemos in gleicher Stärke mit 71 Abgeordneten im Parlament vertreten, was auf die insgesamt gesunkene Wahlbeteiligung zurückzuführen ist. Vor allem dort, wo sie im Dezember erfolgreich waren, konnten sie die relative Mehrheit (Katalonien) halten oder sogar erringen, wie erstmalig im Baskenland. Auch in Galicien erhielten sie Stimmzuwachs. Insgesamt führten die Ergebnisse in den genannten Regionen der nationalen Minderheiten dazu, das schwächere Abschneiden in anderen Landesteilen bezüglich der Anzahl der MandatsträgerInnen auszugleichen. Die hohe Zustimmungsrate in den Gebieten rührt vor allem daher, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung PSOE und PP als Trägerinnen der korrupten kastilischen Zentralregierung sehen und daher ihre Stimmen linken oder regionalistischen Listen geben.
Insgesamt scheint die einzige Möglichkeit ein Zusammengehen zwischen PSOE und PP zu sein. Durch den Abgeordnetenzuwachs haben die Konservativen zwar noch keine absolute Mehrheit, doch gemeinsam mit der PSOE im Gegensatz zu den Wahlen im Dezember eine sichere parlamentarische Grundlage. Zwar könnten die SozialistInnen versuchen, ihre Gesicht zu wahren, indem sie keiner PP-geführten Regierung beitreten. Sie könnten jedoch gemeinsam mit den Stimmen der Ciudadanos die Wahl eines konservativen Präsidenten und eine konservative Regierung im Parlament unterstützen. Neuwahlen scheinen zum jetzigen Zeitpunkt auf Grund der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Lage im Land und international unwahrscheinlich.
Undemokratisches Wahlsystem
Im spanischen Wahlsystem, werden Parteien mit hohen oder mehrheitlichen Ergebnissen bevorzugt. Das Stimmverhältnis entspricht daher nicht der Repräsentation und erklärt auch den überdurchschnittlichen Zuwachs an Abgeordneten für die PP. Für einen Sitz im Parlament musste sie durchschnittlich nur 58.000 Stimmen erlangen, PSOE schon 64.000 und Unidos Podemos 71.000. Das bedeutet, dass die Sitzverteilung in keiner Weise das relative Stimmergebnis wiedergibt. PSOE erhielt zwar nur 400.000 Stimmen mehr als Unidos Podemos, aber bekam 14 Sitze mehr. Im Stimmverhältnis stünden der PP beispielweise lediglich 114 statt 137 Sitze zu.
So kann schon ein geringer Stimmunterschied in den jeweiligen Wahlkreisen entscheidend für die Sitzverteilung sein. Die Regierung hat es bereits vor den letzten Wahlen so gut wie unmöglich gemacht, per Briefwahl die Stimme abzugeben, wenn sich die Person im Ausland befindet. Die zu erbringenden Nachweise und Zeiträume für die Zusendung des Wahlscheines sind so organisiert, dass Viele die Wahlunterlagen nicht rechtzeitig bekommen. Viele verzichten auch auf ihre Stimme, da sie sich als im Ausland lebend registrieren müssten, was zum Verlust ihrer spanischen Krankenversicherung führen würde. So gibt es nur etwa zwei Millionen registrierte WählerInnen im Ausland, während insgesamt viel mehr SpanierInnen im Exil leben.
Da vor allem junge Leute in den letzten Jahren das Land verließen, die in der Tendenz eher links wählen, ist das ein ganz legaler Weg, um das Ergebnis zu beeinflussen. Innherhalb der Kreise von Unidos Podemos werden Zweifel an der Stimmauszählung laut, es wird von Wahlbetrug gesprochen. Der “Pucherazo”, also das Mehrfachzählen oder Kaufen von Stimmen hat bei den spanischen Herrschenden wie in anderen Ländern eine lange Tradition und ist daher niemals auszuschließen. Dennoch ist eine Beschränkung darauf als Erklärungsansatz für das schlechte Wahlergebnis eine Ablenkung von der eigenen politischen Verantwortung. Wie die Schwesterorganisation der SAV im spanischen Staat, Socialismo Revolucionario (Revolutionärer Sozialismus), schrieb, wäre eine wirkliche Einheitsfront der Linken mit einem sozialistischen Programm nötig, um den Kapitalismus abzuschaffen, um einen “spanischen Tsipras” (Pablo Iglesias) zu verhindern und eine ArbeiterInnenregierung ins Amt zu bringen.