Mo 18.03.2024
Rechtsruck? Widerstand!
Für das Superwahljahr 2024 wird global ein Rechtsruck vorausgesagt. In neun EU-Ländern, darunter Österreich, stehen rechtspopulistische und -extreme Parteien wie die FPÖ auf Platz 1 in Umfragen. In den USA droht die Rückkehr des stark radikalisierten Trump. In Russland dienen die Wahlen sowieso nur mehr der Festigung von Putins Regime.In Deutschland hält sich die AfD konstant über 20% und wird voraussichtlich bei den Landtagswahlen in einer Reihe von Bundesländern stärkste Kraft. Gleichzeitig driftet die gesamte etablierte politische Landschaft nach rechts. Vor allem die klassischen bürgerlich-konservativen Parteien - von den US-Republikanern über die britischen Tories und die deutsche CDU bis zur ÖVP - übernehmen nun offen die Rhetorik und Programmatik der Rechten. Das zeigt sich anschaulich im “Österreich-Plan” von Kanzler Nehammer, der den Kulturkampf der FPÖ komplett kopiert.Aber auch (ehemals) “linke” politische Kräfte richten ihre Fahnen nach dem rechten Wind. Während zurecht große Empörung über die Pläne zur “Remigration” auf dem faschistischen Treffen von Potsdam herrscht, konnte der deutsche Kanzler Scholz (SPD!) nur kurz davor auf dem Cover des Spiegel verkünden: “Wir müssen im großen Stil abschieben”. Auch SPÖ-Chef Babler, von dem sich viele einen konsequenten Antirassismus erhofften, steht offen zu “Verfahrenszentren” an den EU-Außengrenzen und akzeptierte den Ausschluss von SPÖ-Mitgliedern, die sich für die Rechte von Palästinenser*innen einsetzen. Gerade der Gaza-Krieg diente vielen Liberalen, wie NEOS und Grünen, dazu, ihr dünnes antirassistisches Jäckchen abzustreifen, im Namen “westlicher Werte” die Reihen bis zur FPÖ zu schließen und in die verallgemeinerte Propaganda gegen Migrant*innen und Muslime einzustimmen. Die ach-so-fortschrittliche EU lässt jeden Tag Geflüchtete an ihren Außengrenzen sterben und rollt damit den Rechtsextremen den Teppich aus. Nichts könnte das besser illustrieren als die Kandidatur des früheren Frontex-Chefs auf der Liste der französischen Rechtsextremen Le Pen.Woher kommt dieser Rechtsruck - und was können wir ihm entgegensetzen? Damit beschäftigt sich dieser Vorwärts-Schwerpunkt.
Wer vom Rechtsruck spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen
Liest man die gängigen Analysen zum Rechtsruck, bekommt man einfache Antworten: Die Menschen seien dumm, die Welt sei ihnen zu kompliziert - oder die Gruppen, gegen die sich der Hass richtet, seien selbst Schuld, weil sie diese Reaktion provoziert hätten. Dadurch werden die systemischen Wurzeln der aktuellen Entwicklungen - und Antworten darauf - verdeckt.
Krise des Kapitalismus als wirtschaftlicher Hintergrund
Die tiefe Krise, in der sich der Weltkapitalismus seit der Krise von 2008 befindet, bildet die Grundlage für die Verschiebungen in der Politik. Die Ära der neoliberalen Globalisierung ist zu Ende. Sie war gekennzeichnet durch eine Intensivierung des Welthandels und drückte sich durch internationale Freihandelsabkommen aus, mit denen nationale Märkte für internationale Konzerne auf Kosten der Arbeiter*innenklasse (durch Sozialabbau, Privatisierungen usw.) geöffnet wurden. Der Nationalstaat verlor an Bedeutung, stattdessen entstanden größere Machtblöcke wie die EU. Damit einher ging die Dominanz des globalen Finanzsektors, dessen Kollaps 2008 auch die Kehrtwende einläutete und Millionen Arbeiter*innen weltweit in Armut stürzte. Seither sehen wir einen Trend zur “Deglobalisierung”. Ohne wirkliches Wirtschaftswachstum und angesichts der Entzauberung der internationalen Finanzmärkte setzte in Wirtschaft und Politik ein Umdenken ein: Nun galt es, vor allem den eigenen “Wirtschaftsstandort” zu verteidigen - und der Nationalstaat erlebte als Instrument dafür ein Comeback. An die Stelle des Freihandels trat nun der Handelskrieg, wie Trump ihn gegen China anzettelte. Sein Slogan “America First” drückt den neuen kapitalistischen Zeitgeist aus und wird nicht zufällig überall auf der Welt kopiert: Brazil first, Russia first, China first usw. Bei Handelskriegen bleibt es nicht - im Ukrainekrieg und dem Säbelrasseln um Taiwan äußert sich die imperialistische Konkurrenz bereits militärisch.Die fortwährenden Krisen stellen die Grundlage für den Aufstieg des Rechtspopulismus dar. Er kann an der Wut über Unsicherheit, Krisen und soziale Verschlechterungen ansetzen, die Dauerkrisen einer scheinbar heilen Vergangenheit gegenüber stellen und dabei Feminismus, Migration und Co. die Schuld geben.
Krise des Establishments als politischer Hintergrund
Auf der politischen Ebene bereitete die etablierte Politik selbst den Boden für den Rechtsruck. Rechte Politik wurde in den letzten Jahrzehnten im liberalen oder sozialdemokratischen Mäntelchen normalisiert - der Abbau des Sozialstaats, genauso wie die Aushöhlung des Asylrechts, wurde in den 1990ern von der SPÖ vorangetrieben. Gleichzeitig schuf der alltägliche rechtsstaatliche Rassismus - kein Wahlrecht, Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt usw. - erst jene verarmten und entrechteten migrantischen Bevölkerungsschichten, die das bevorzugte Ziel rechter Hetze sind. Andererseits haben Teile des politischen Establishments in den letzten Jahrzehnten fortschrittliche Ideen vereinnahmt. Doch die verschiedenen Formen des bürgerlichen Feminismus haben dabei versagt, die materielle Situation von Frauen und queeren Personen substantiell zu verbessern; der staatstragende Antirassismus hatte höchstens schöne Worte übrig, aber nicht gleiche Rechte und Investitionen in Jobs und Wohnungen für alle, die hier leben und leben wollen; die Klimakrise wurde nur mit hohlen Phrasen bekämpft, während man ihre Kosten auf die breite Bevölkerung statt auf die Profiteure von Umweltzerstörung ablud. Das alles erleichterte den Rechten ihre verlogene Darstellung von diesen zentralen Kämpfen für unsere Klasse als Eliten-Themen. Das politische und mediale Establishment zieht nach, indem sie nun auch offen antifeministisch und ausländerfeindlich auftreten. Eine wichtige Lehre ist also, dass unsere Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und für Klimagerechtigkeit kein Vertrauen in dieses Establishment haben dürfen.
Rechte Pseudo-Antworten
Die Rechten machen diffuse Versprechungen von einem Systemwandel - obwohl sie gleichzeitig die größten Verteidiger des Profitsystems sind (z.B. spricht sich die FPÖ gegen Vermögenssteuern aus). Deswegen richten sie ihre Propaganda gegen “die Politiker”, aber nicht gegen die Bosse. Deswegen beschwören sie die Illusion eines abgeschotteten nationalen Kapitalismus ohne Krisen. Damit sprechen die Rechten vor allem kleinbürgerliche Mittelschichten an - jene, die sich sowohl von oben (von der Politik oder großen Konzernen) als auch von unten (von rebellischen Arbeiter*innen, Arbeitslosen, Flüchtlingen etc.) bedroht fühlen. Breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse soll diese Politik schmackhaft gemacht werden, indem ihnen vermittelt wird, auch sie wären in derselben Position. Deswegen propagieren die Rechten die angeblich gemeinsamen Interessen von Unternehmer*innen und Beschäftigten und wettern gegen den “Klassenkampf”. Gerade wegen mangelnder gewerkschaftlicher und politischer Kampftraditionen und angesichts fehlender Erfahrungen mit erfolgreichen Arbeitskämpfen trifft diese Ideologie auch unter Arbeiter*innen auf fruchtbaren Boden. Wer nicht das Vertrauen hat, durch betriebliche und politische Organisierung für die eigenen Interessen kämpfen zu können, kann sich Verbesserungen nur auf zwei Wegen erhoffen: nach oben buckeln und nach unten treten. Deswegen führen die Rechten auch Kulturkämpfe, in denen sie jenen, die ohnehin schon unten sind, einreden, sie hätten ganz anderes zu verlieren: ihre Männlichkeit, ihre kulturelle Identität, ihre “traditionellen Werte” usw. würden von Transpersonen, Flüchtlingen oder Klimaaktivist*innen gefährdet werden. In der Hetze gegen diese Gruppen und ihre Anliegen bieten die Rechten die Möglichkeit, doch noch nach unten zu treten und gleichzeitig einen Pseudo-Protest gegen die (angeblich linken) Eliten auszudrücken - ohne dass sich an deren Macht oder der eigenen Ohnmacht etwas ändern würde.
Widersprüche des Rechtsrucks
In der kapitalistischen Dauerkrise überschneiden sich die wirtschaftspolitischen Interessen des Kapitals immer mehr mit zentralen Angelpunkten rechter Ideologie - autoritärerer Staat, Kürzungspolitik, Ablenkung durch Rassismus und Queerfeindlichkeit. Gleichzeitig gibt es (noch) einen wichtigen Widerspruch zwischen den bürgerlichen Parteien, die die Interessen der großen Kapitalfraktionen vertreten, und den meisten ganz Rechten: FPÖ & Co haben sich als pseudo-soziale Opposition aufgebaut. Die EU-Feindlichkeit der FPÖ macht sie z.B. für Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung zu einem Problem - denn die wichtigsten Verbindungen der österreichischen Konzerne liegen im “Westen”.Die Widersprüchlichkeit spitzt sich zu, wenn der Rechtspopulismus in die Regierung kommt - in der Praxis setzt er die aggressivste kapitalistische Politik auch gegen die eigene Basis, bereichert sich selbst (Stichwort Ibiza) und muss durch noch intensivere Hetze davon ablenken. Gleichzeitig zwingen genau die rechten Angriffe immer mehr Menschen in Opposition zu ihnen: vor allem in den Schichten, die direkt angegriffen werden - Migrant*innen, Frauen und queere Personen, Arbeitslose und kämpferische Gewerkschafter*innen, aber auch unter breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse (z.B. rund um den 12-Stundentag) wächst dann das Bewusstsein um die Notwendigkeit, Widerstand zu leisten. Diesen Widerstand zu organisieren und mit einer programmatischen Perspektive auszustatten, die das Problem (den Rechtsruck) an seiner Wurzel (dem Kapitalismus) packt - darin besteht die dringlichste Aufgabe unserer Zeit.
Marx aktuell: Kritik der "Volksfront"
“Alle zusammen gegen Rechts” - dieser Anspruch klingt zunächst absolut logisch. Geht es nicht darum, alle, die z.B. gegen die FPÖ sind, unter einen Hut zu bringen?Eine wichtige Lehre ist hier die der “Volksfront”: Darunter verstand man vor allem in den 1930er Jahren das Bündnis sozialistischer bzw. kommunistischer Arbeiter*innen-Organisationen mit bürgerlichen “Parteien der Mitte” gegen den Faschismus. Die Volksfront scheiterte katastrophal: Als in Spanien 1936 der Putsch des faschistischen Generals Franco einen Bürger*innenkrieg vom Zaun brach, merkten die Massen schnell, dass man die Faschist*innen nur effektiv bekämpfen konnte, indem man ihnen den kapitalistischen Nährboden entzog: So wurden Betriebe und Ländereien enteignet und gemeinschaftlich verwaltet. Doch das oberste Ziel der bürgerlichen “Republikaner” war nicht der Kampf gegen Rechts, sondern die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems. Die Arbeiter*innenorganisationen ordneten sich komplett den Bürgerlichen unter, die Stalin-treue Kommunistische Partei gab das Land den Großgrundbesitzer*innen zurück und ließ antifaschistische Revolutionär*innen im Namen der Volksfront ermorden. Das brach nicht nur der Revolution, sondern auch dem Kampf gegen Franco das Genick. Die Bürgerlichen zogen die Niederlage gegen den Faschismus der sozialen Revolution vor. Die Lehre daraus ist, dass pro-kapitalistische Kräfte im Zweifel immer den Kampf gegen Rechts verraten, um ihr eigenes System nicht zu gefährden.Aber sind dann breite Bewegungen gegen Rechts nicht unmöglich? Keineswegs. Um gegen Rechts zu kämpfen, muss man nicht Marxist*in sein - aber man kann nicht kapitalistische Interessen über die Notwendigkeiten dieses Kampfes stellen. Das tun aber die Führungen aller etablierten Parteien - auch SPÖ und Grüne, die damit den Rechten den Boden bereiten. Was von Marxist*innen historisch als “Einheitsfront” bezeichnet wurde, meint dagegen eine echte Breite: Eine gemeinsame Bewegung für die Interessen derer, die unterschiedlich von rechter und unsozialer Politik betroffen sind - Beschäftigte, Frauen, Migrant*innen, queere Menschen u.a. - ist die beste Waffe gegen Rechts.
Eine sozialistische Alternative zum Rechtsruck
Der Eindruck eines allgemeinen Rechtsrucks trügt - tatsächlich sehen wir eine Polarisierung: Dem Erstarken der Rechten steht auch ein Anstieg an sozialen Bewegungen gegenüber. Vor wenigen Jahren war “Streik” für viele in Österreich ein Fremdwort - nun gibt es jedes Jahr Streiks, bei denen Zehntausende ihre ersten Erfahrungen im Kampf um die eigenen Interessen machen. Dabei sehen sie auch, auf wessen Seite die Rechten in diesen Kämpfen stehen. Vor allem in Sektoren, welche die kapitalistische Vielfachkrise am stärksten spüren, also z.B. im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, drückt sich das steigende Selbstbewusstsein in Basisinitiativen und immer mehr kämpferischen Betriebsrät*innen aus. Bis vor kurzem sprach fast niemand über Femizide - nun ist Gewalt gegen Frauen aufgrund einer neuen feministischen Welle ein breites gesellschaftliches Thema. Dazu kommt die massive Politisierung der LGBTQI+-Community - durch die Angriffe von Rechts wächst das Bedürfnis, aktiv für die eigenen Rechte einzustehen. So werden die radikalen Wurzeln der “Prides” und des 8. März wiederentdeckt. Außerdem sahen wir in letzter Zeit nicht nur die Massendemonstration tausender migrantischer Jugendlicher im Zuge von “Black Lives Matter” gegen Polizeigewalt - auch die Bewegungen zur Unterstützung der “Frau-Leben-Freiheit”-Bewegung im Iran und gegen das Massaker in Gaza werden von Migrant*innen geführt, die damit auch gegen den Rassismus hierzulande kämpfen. Diese Entwicklungen zeigen zwar eine Politisierung nach links, aber diese äußert sich erst begrenzt in langfristigen Bewegungen oder im Aufbau von Organisationen.
Kampf gegen jede Ausbeutung und Unterdrückung
Die Stärke der Rechten ist die Schwäche der Linken, diese Prozesse zusammenzuführen und zu organisieren. Die anfängliche Begeisterung für Babler und die lokalen Erfolge der KPÖ haben eine Idee von dem Potential konsequenter linker Politik gegeben - gleichzeitig zeigen sich hier entscheidende Schwächen ihrer reformistischen Strategien: Babler schreckt vor den Konsequenzen seines eigenen Programms zurück, denn dieses ließe sich nur durch die Konfrontation mit Bossen & Bürgerlichen durch Massenmobillisierungen und politische Streiks durchsetzen. Stattdessen setzt er auf Versöhnung mit den rechtesten Teilen der SPÖ wie Doskozil, der mit der FPÖ koalieren will. Die KPÖ präsentiert sich immer mehr als Single-Issue-Partei zum Thema Wohnen und vermeidet vor allem das “heikle” Thema Migration - im Wahlprogramm des “Modellbeispiels” KPÖ Salzburg fehlt jegliche antirassistische Forderung, Antifaschismus kommt nur als Denkmalpflege vor. Es ist ein fataler Irrglaube, zu glauben, man könne die FPÖ dadurch zurückdrängen, indem man einfach ein besseres allgemeines Sozialprogramm aufstellt und zu Fragen von Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie usw. schweigt. Die Rechten trennen nicht zwischen “sozialen” und “kulturellen” Fragen, sie führen den Klassenkampf von oben auch als Kulturkampf - deswegen muss der Widerstand von unten auch einer gegen jegliche Form von spezifischer Unterdrückung sein.Eine Stärkung von Babler und KPÖ auf der Wahlebene ist darum bei Weitem nicht genug, um den Rechtsruck aufzuhalten. Ihre Botschaft “Wählt uns, wir machen das schon für euch” ist ein Problem, weil eine solche Stellvertreterpolitik die Notwendigkeit von Selbstorganisierung und Mobilisierung in Betrieben, Bildungseinrichtungen, Nachbarschaften und auf den Straßen leugnet. Genau das ist jedoch notwendig, um die vorhandenen Kämpfe zusammenzuführen und zu stärken sowie Strukturen und Organisationen aufzubauen, die konsequent für das kämpfen, was notwendig ist: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich; Milliarden für Bildung, Wohnen, Gesundheit und Soziales statt für Aufrüstung und Geschenke an Superreiche, Banken und Konzerne; Bleiberecht und gleiche Rechte für alle, die hier leben und leben wollen; demokratische Kontrolle über die Polizei; legale, kostenlose Schwangerschaftsabbrüche und geschlechtsangleichende Behandlungen sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit; Enteignung der Profiteure von Teuerung und Klimazerstörung und echte Demokratie in Arbeit und Alltag - das sind nur einige Eckpunkte einer revolutionären sozialistischen Alternative zum kapitalistischen Chaos, die wir den Pseudo-Antworten der Rechten entgegensetzen müssen.