Vier Jahre Bush – was nun?

In einem Interview sagte George Bush über sich selbst: “Ich bin ein Kriegspräsident”. Wir stimmen dieser Bilanz zu.
Philipp Fleischmann

Ohne Mehrheit und nur dank Manipulationen gewählt, schnellten Bushs Popularitätswerte erst nach den Anschlägen vom 11.September 2001 in die Höhe. Die größten terroristischen Anschläge der Geschichte haben – neben tausenden unschuldigen Opfern  –  politisch vor allem eines bewirkt: Eine Stärkung der Rechten, sowohl in den USA als auch in der arabischen Welt. Der sogenannte “Krieg gegen den Terrorismus” mit der massiven Repression gegenüber politischen GegnerInnen im Inneren der USA und den imperialistischen Feldzügen in der Außenpolitik, wäre ohne den 11.9.2001 in dieser Form wohl nicht denkbar gewesen.

Afghanistan

Bereits unter Präsident Clinton wurde 1995 vom Strategischen Kommando für Nuklearwaffen unter dem Titel “Grundlagen der Abschreckung nach dem zweiten Weltkrieg” eine neue Sicherheitsdoktrin verfasst. Darin heißt es u.a.: “Es schwächt uns wenn wir uns allzu rational und besonnen präsentieren … Die Tatsache, dass einige Angehörige der US-Regierung als potentiell ‚unkontrollierbar’ erscheinen, kann dazu dienen, bei den politischen Entscheidungsträgern eines Gegners Befürchtungen und Zweifel zu wecken oder zu verstärken.” Der Krieg in Afghanistan bot nicht nur Bush die Möglichkeit zu zeigen, wer der Herr auf der Welt ist. Im Windschatten des Feldzuges nützten auch andere westliche Regierungen den von ihm ausgerufenen “Krieg gegen den Terror” für ihre Zwecke. Putin verständigte sich darauf, dass auch der Krieg in Tschetschenien als Teil dessen gelten sollte, und unterstützte im Gegenzug gerne Bush. Und die rot/grüne Koalition in Deutschland setzte mit dem Entsenden von Truppen nach Afghanistan ein weiteres Zeichen, dass in Zukunft bei Kriegen auch mit Deutschland wieder zu rechnen ist. Die US-Truppen und ihre Verbündeten konnten das instabile Taliban-Regime zwar sehr schnell beseitigen, Terrorismus, Bürgerkrieg, Drogenhandel und Frauenunterdrückung stehen dort allerdings weiter auf der Tagesordnung. Das besetzte Land bleibt ein zerrissener Krisenherd mit einer machtlosen und durch nichts legitimierten Marionettenregierung an der Spitze.

Irak

Der Irak war von Beginn an das eigentliche außenpolitische Ziel der US-Administration – diesen Krieg wollten Bush und ein Teil der US-amerikanischen Führungselite offensichtlich um jeden Preis führen. Hintergrund für diese sehr riskante Strategie war die Verschärfung der Situation am Ölmarkt. Ein Öffnen des Zugangs zum irakischen Öl, so war die Hoffnung, konnte der US- und Weltwirtschaft neue Impulse versetzten, und das Kartell der ölproduzierenden Staaten, die OPEC, schwächen. Dieser Feldzug stieß allerdings nicht nur bei anderen imperialistischen Staaten auf Skepsis, die zum Teil andere strategische Interessen verfolgten. Trotz einer enormen Propagandaoffensive der US-Regierung und ihrer “Alliierten”  bildete sich die größte Anti-Kriegs-Bewegung die es unmittelbar vor dem Ausbruch eines Krieges jemals gegeben hatte. Am 15. Februar 2003, ca. ein Monat vor Kriegsbeginn, demonstrierten in allem fünf Erdteilen in mehreren hundert Städten Dutzende Millionen Menschen gegen den Krieg. Diese Proteste stellten jedoch nicht die Macht der Mächtigen in Frage, da sie weder eine konkrete Strategie verfolgten den Krieg tatsächlich zu verhindern – etwa durch Streiks – noch ein echte Alternativen zur imperialistischen Weltordnung anboten. Nicht zuletzt deshalb war es Bush trotz Massenprotesten möglich, den Irak anzugreifen. Ähnlich wie in Afghanistan war das allgemein verhasste Saddam-Regime schnell zu Fall gebracht. Vorschnell verkündete Bush im Mai 2003 jedoch “Mission erfüllt”: Seither vergeht kein Tag ohne Geiselnahmen, tote Soldaten, brutaler Gewalt der Besatzung und verzweifeltem Widerstand der Bevölkerung. Die IrakerInnen sind heute nach wie vor ohne demokratische Rechte, ausreichend Nahrung, Versorgung und Treibstoff (!). Der Krieg hat das Land selbst zu einem der Hauptzentren des Terrorismus weltweit verwandelt. Vor diesem Hintergrund wuchs auch die Ablehnung vieler AmerikanerInnen gegenüber dem Krieg im Irak. Umfragen aus dem Juni 2004 (New York Times/CBS) zeigen dass 60% der US-AmerikanerInnen meinen, dass es ein Fehler war, den Irak anzugreifen, und dass 40% für einen Abzug plädieren. Die “unumschränkte Supermacht” USA scheint durch diesen Feldzug, aber auch durch die Entwicklung der US-Wirtschaft, tatsächlich bereits an ihre Grenzen gestoßen zu sein.

Wirtschaftslage

Das momentane Wachstum der US-Wirtschaft steht auf tönernen Füssen. Dieser “Aufschwung” baut, neben der – täglich riskanteren und teureren – Ausbeutung des Iraks, vor allem auf zwei Faktoren auf: Die Steuersenkung, die Bush durchgeführt und die zu 12% weniger Einnahmen im Staatshaushalt geführt hat, und das massive Ansteigen der öffentlichen und privaten Verschuldung. Symptomatisch für die ökonomische Lage ist die Talfahrt des Dollars: Seit dem höchsten Stand im Oktober 2000 hat der Dollar gegenüber dem Euro 35% an Wert verloren. Auch gegenüber anderen wichtigen Währungen ist er um ein Viertel abgesackt. Die kurzfristigen Vorteile für die US-Exportwirtschaft drohen nun durch die zunehmende Bremsung der Inlandsnachfrage – hervorgerufen u.a. durch die hohe Verschuldung  - zunichte gemacht zu werden. Der US-Binnenmarkt ist der größte Markt der Welt und bei weitem der wichtigste Absatzmarkt für US-Produkte. Ebenso gehen wichtige asiatische Staaten – also die wichtigsten “Hoffnungsmärkte” - dazu über ihre Währung mehr und mehr an den Dollar zu binden.

Gewerkschaftslage

Im gewerkschaftlichen Bereich ist die Ära Bush geprägt von einer Fortsetzung der Deregulierung und Flexibilisierung der vorangegangen Jahre. In den USA gibt es kein allgemeines Recht von ArbeitnehmerInnen auf Krankenversicherung. In einigen vor allem größeren Unternehmen haben sich die ArbeiterInnen jedoch eine vom Betrieb finanzierte Krankenversicherung erkämpft. Diese versuchen einige Unternehmen jetzt zu streichen. Angefangen hat damit der weltgrößte Einzelhandelskonzert Wal-Mart. Mittlerweile ziehen andere Supermarktketten mit dem Argument, sie müssten wettbewerbsfähig bleiben, nach. Im Herbst 2003 streikten zum Beispiel für mehrere Monate die Beschäftigten von Safeway im Süden Kaliforniens gegen eine solche Kürzung. Die Krankenversicherung kostet jährlich ca. 5.000$ pro Person. (Quelle: akin) Erfolgreich war im Sommer 2002 der Streik der Beschäftigten des Telekom-Konzerns Verizon. Durch eine Unternehmensumstrukturierung sollten neue Unternehmensbereiche “frei” von Gewerkschaftsmitgliedern gehalten werden. Durch einen zweiwöchigen Streik wurde das verhindert, außerdem eine 12%ige Lohn- und eine 14%ige Pensionsbeitragserhöhung erkämpft. (Quelle: LabourNet). Dies sind nur zwei Beispiele von den zahllosen Kämpfen in den USA, von denen selten die Kunde nach Österreich dringt.

Familienpolitik

Bush steht auch für ein reaktionäres Frauen- und Familienbild in der Gesellschaft. Als er in Texas Gouverneur war, führte er eine neue Sexualerziehungsleitlinie ein: “Abstinence Only”. Die Logik dahinter: Wer über verantwortliche Sexualität spricht, über Verhütung und Safer Sex, ermutigt die Jugend nur, es auszuprobieren. “Abstinenz bis zur Hochzeit ist die bestmögliche Antwort auf alle Probleme”, Aids wird nur in dem Sinne erwähnt, “dass es eine Konsequenz von Sex ist”, im Schulunterricht wird vor dem Gebrauch von Kondomen gewarnt. 2005 will Washington 268 Mio. $ für dieses Programm ausgeben. Seit Februar spricht sich Bush vermehrt für einen Zusatz zur US-Verfassung aus, der die Ehe von Homosexuellen explizit verbietet. (Quelle: Die Zeit, 9.9.04)

Die Wahlen

Trotzdem dieser verheerenden Bilanz scheint Bush durchaus das Rennen gegen John Kerry bei den Präsidentschaftswahlen machen zu können. “Jeder statt Bush” – dieser nur scheinbar logische Slogan, ist für das Groß der amerikanischen ArbeiterInnenklasse zu recht kein ausreichender Grund sich für Kerry mobilisieren zu lassen. Traditionell werden die USA von zwei bürgerlichen Parteien regiert, die sich um die Interessen des “Big Business” bemühen: In den meisten Bereichen ist die “republikanische” Ära Bush tatsächlich eine Fortsetzung der “demokratischen” Vorgängers Clinton. Der Republikaner Bush Vater griff den Irak 1991 an, der Demokrat Clinton Jugoslawien, der Republikaner Bush Sohn den Irak. Bush versprach in seinem ersten Wahlkampf weniger kriegerische Auslandsinterventionen zu machen als sein demokratischer Vorgänger, und sich auf die “Heimatverteidigung” zu konzentrieren. Kerry versucht sich jetzt als Irak-Kriegs-Kritiker zu profilieren. Er hat aber selbst für diesen Krieg gestimmt, genauso wie für den Krieg in Afghanistan sowie für die Einschränkungen der Bürgerrechte durch den Patriot Act, der erlaubt, dass hunderte Personen seit mehreren Jahren inhaftiert sind, ohne dass sie eines Vergehens beschuldigt sind. Als Lösungsstrategie für den Irak schlägt Kerry vor, mehr US-Truppen hinzuschicken, und mehr Soldaten von befreundeten Staaten anzufordern (um die Staatskassen zu schonen). Die Schwesterpartei der SLP unterstützt deshalb 2004 den unabhängigen Kandidaten Ralph Nader (siehe Kasten).

Notwendigkeit für ArbeiterInnenpartei

Bereits Naders Kampagne 2000 schaffte AktivistInnen auf gesamtnationaler Ebene zu vereinen, und neue Schichten anzusprechen. Socialist Alternative, die US-Amerikanische Sektion des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale, unterstützte bereits damals seine Kandidatur. Sie bietet den Ansatzpunkt zur Durchbrechung des 2-Parteiensystems und eine Alternative zur Herrschaft der Banken und Konzerne. Socialist Alternative ist aktiv in der Kampagne für Nader, in manchen Bereichen sogar führend. Trotzdem reicht Naders Programm nicht aus. Es ist nötig, der Kapitalismuskritik auch eine Alternative beizustellen. Der Kapitalismus ist die Wurzel der ökonomischen und sozialen Probleme, die sich in Bushs Amtsführung ausdrücken. Die Alternative ist eine demokratisch geplante Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Werktätigen ausrichtet, nicht an den Profiten der Konzerne, sprich eine sozialistische Gesellschaft. Dazu ist es nötig, die Kampagne auf die ArbeiterInnenklasse auszurichten, die einzige Kraft in der Gesellschaft, die substantielle Veränderungen herbeiführen kann.
Eine Basis dafür ist da – das hat nicht zuletzt jene halbe Million Menschen gezeigt, die am 29. August in New York gegen die Republikanische Convention protestiert haben.
Nach den letzten Wahlen hat Nader leider die Chance dazu nicht genutzt, sondern sich in Einzelkampagnen verstiegen. Während Socialist Alternative seine Kandidatur aktiv unterstützt, versucht sie auch AktivistInnen von diesem weitergehenden Programm zu überzeugen.

Wahlperspektiven

Wenn das Rennen zwischen Bush und Kerry eng bleibt, wird sich die demokratische Offensive gegen Nader verstärken und er viele Stimmen verlieren. Gleichzeitig könnte Kerry dazu gezwungen werden, populistischere Rhetorik anzuwenden. Mit einer ähnlichen Strategie schafften es die Demokraten im Jahr 2000 Naders Stimmanteil von den prognostizierten 6% auf 2,7% zu drücken. Die politische Situation gibt Naders Kampagne durch den Irak-Krieg und die wirtschaftliche Instabilität heuer besondere Bedeutung, die wegen der undemokratischen Wahlbedingungen weit über seinen Stimmenanteil hinausgeht. Schon allein die Aufmerksamkeit, die Medien und Demokraten einem Kandidaten geben, den sie als überflüssig bezeichnen, zeigt, wie gefährlich er werden kann, erreicht er nur einmal den Status eines akzeptierten Herausforderers.
Das zeigt, welche Krise das korrupte Zwei-Parteien-System zur Zeit durchmacht, und die Chancen, die die momentanen Spannungen in der Gesellschaft zur Vorbereitung für eine neue Massenpartei bietet, als politische Vertretung für ArbeiterInnen und als Kampfinstrument für die Kämpfe der ArbeiterInnen, Minderheiten, Frauen und anderer unterdrückter Schichten, die das System bekämpfen. Dafür werden signifikante Bewegungen der ArbeiterInnenklasse nötig sein, Bewegungen die in den nächsten Jahren entstehen werden. In diesem Zusammenhang verstärkt die Kampagne von Nader das Bewusstsein dafür, dass alle, die fortschrittliche Veränderungen wollen, sich von der demokratischen Partei lösen müssen. Sie hilft den Boden für zukünftige unabhängige Anti-Kriegs, linke und Gewerkschaftsbewegungen zu bereiten, die Grundlage für die Bildung einer ArbeiterInnenpartei.

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