Do 24.03.2016
Die massenhafte Unterstützung für die „politische Revolution“, die der linke Kandidat Bernie Sanders ausgerufen hat, hat die Vorwahlen der Demokraten zu einer regelrechten Kampfarena werden lassen, nicht – wie erwartet – zur problemlosen Krönungszeremonie für Hillary Clinton. Bei jeder Gelegenheit hat es Sanders vermocht, die Umfragen Lügen zu strafen und den Vorsprung von Clinton in den Schlüssel-Staaten wettzumachen. Manchmal hat er gewonnen und manchmal so knappe Ergebnisse eingefahren, dass sie für allerlei Aufregung gesorgt haben.
Sanders Sieg in Michigan war ein beeindruckender Schlag gegen die arbeitnehmerfeindliche und umweltschädliche Wirtschaftspolitik von Clinton. Denn er hat die Vorwahlen in diesem Bundesstaat geradezu zu einem Referendum über die Handelsabkommen NAFTA und TPP werden lassen. Das Handelsabkommen NAFTA, das von der Administration unter Bill Clinton durchgesetzt worden ist, hat den Mittleren Westen vom „manufacturing belt“ („Produktionsgürtel“) zum „rust belt“ („Rostgürtel“) degradiert. Dazu war keine der beiden großen Parteien zuvor in der Lage gewesen.
Bei den Vorwahlen vom 15. März hat sich erneut die Dynamik gezeigt, die Sanders ausgelöst hat. Hatte er anfangs noch einen Rückstand von uneinholbar scheinenden dreißig Prozentpunkten auf Clinton, so konnte er in den Bundesstaaten Missouri und Illinois fast noch gewinnen. In Chicago erhielt Sanders ein ganz bedeutendes Maß an Unterstützung von den „einfachen Leuten“, die von Rahm Emanuel, dem dortigen Bürgermeister des viel zitierten „einen Prozent der Bevölkerung“ und Freund von Clinton, die Nase voll haben. Dieser hat Polizeimorde zu vertuschen versucht und gleichzeitig Angriffe auf das öffentliche Bildungswesen und die Renten von ArbeiterInnen durchgeführt.
Bedauerlicherweise hat das jedoch nicht ausgereicht, weshalb Sanders mit einem großen Rückstand an Delegierten aus dieser Wahlnacht hervorgegangen ist. Der Grund dafür sind ein deutlicher Misserfolg gegen Clinton in Florida (wo es eine große Anzahl an Delegierten zu holen gab) wie auch die zweistelligen Niederlagen in Ohio und North Carolina. Zwar stehen noch etliche Bundesstaaten aus, in denen Delegierte zu holen sind. Dennoch wird immer klarer, dass Sanders mit seinem links ausgerichteten Wahlkampf ziemlich sicher unterliegen wird, wenn er sich nicht aus dem eng gestrickten Rahmen der prokapitalistischen Demokratischen Partei befreien und anlässlich der Präsidentschaftswahlen einen unabhängigen Wahlkampf führen wird. Ein solcher Wahlkampf wäre ein enormer Schritt in Richtung des Aufbaus einer politischen Alternative für die arbeitenden Menschen und gegen die Demokraten wie auch die Republikaner, bei denen es sich um Parteien der großen Konzerne handelt.
Die „politische Revolution“ fortführen
Ab dem jetzigen Zeitpunkt ist klar, dass Sanders weiterkämpft um zu gewinnen. Seit dem „Super Tuesday“ hat er seine Attacken auf Clinton ausgeweitet. In den Bundesstaaten, in denen die Vorwahlen noch bevorstehen, warten Millionen von Menschen darauf, endlich auch Sanders unterstützen zu können, der gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre antritt. Schließlich identifizieren wir uns mit ganzem Herzen mit diesem Ziel.
Es ist allerdings auch an der Zeit, die Lage einer nüchternen Betrachtung zu unterziehen und die richtigen Schlussfolgerungen aus den bisherigen Erfahrungen abzuleiten. Wir müssen den Weg ebnen, um mit der Demokratischen Partei zu brechen. Sanders sollte sich bereit erklären, die „politische Revolution“ – wenn nötig als unabhängiger Kandidat – bis zu den Präsidentschaftswahlen im November durchzuziehen. UnterstützerInnen von Sanders brauchen eine Debatte darüber, wie sichergestellt werden kann, dass sie nicht von den Beschränkungen der Wall Street, die die Demokratische Partei dominiert, eingeengt bleiben.
Bevor Sanders letztes Jahr seinen Wahlkampf offiziell angekündigt hatte, haben wir von Socialist Alternative ihn dazu aufgefordert, als unabhängiger Kandidat anzutreten. Während er der Meinung war, dass er über den Weg der Vorwahlen bei den Demokraten mehr bewirken könne, haben wir die These vertreten, dass es sich bei der Demokratischen Partei um feindliches Terrain handelt, wenn es um einen arbeitnehmerfreundlichen und konzernfeindlichen Wahlkampf gehen soll. Die inhärenten Hürden bestehen unter anderem aus den undemokratischen Methoden und Strukturen, die die Parteiführung der Demokraten dem ganzen Prozess der Vorwahlen auferlegt hat, aus der Macht des Geldes, das von der Wall Street kommt, den etablierten Medien wie auch aus dem eher konservativen Charakter der kleinen Minderheit von WählerInnen, die sich überhaupt an den Vorwahlen beteiligt. Das bedeutet, dass es wesentlich härter für Sanders ist, die Demokratische Partei einzunehmen als damit zu beginnen, eine neue politische Partei aufzubauen.
Wenn er sich an den Vorwahlen der Demokraten beteiligt, so haben wir eingewendet, würde Sanders einen grundlegenden Fehler begehen. Damit würde er sich selbst von der großen Mehrheit der Menschen abschneiden, der sich am Prozess der Vorwahlen gar nicht erst beteiligt oder der politischen Debatte bis zu den eigentlichen Wahlen im November überhaupt keine Aufmerksamkeit schenkt. Ferner würde er auf diese Weise nur Illusionen in die Demokratische Partei schüren, diese könne tatsächlich als Mittel für eine „politische Revolution“ dienen.
Trotz dieser Meinungsverschiedenheiten mit Sanders, die wir zu jedem Anlass offen vorgetragen haben, sind wir von Socialist Alternative nicht auf Distanz gegangen, sondern haben entschieden, zusammen mit Sanders und seinen AnhängerInnen die gewählte Strategie der Kandidatur bei den Vorwahlen der Demokraten auszutesten. Zusammen mit engagierten AnhängerInnen von Sanders sind wir daran gegangen, Unterstützung für seinen arbeitnehmerfreundlichen und konzernfeindlichen, links ausgerichteten Wahlkampf zu mobilisieren. Wir haben mit aller Energie mitgeholfen, Kundgebungen, Veranstaltungen und Protestmärsche zu organisieren, um für eine politische Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre zu werben.
Was Sanders Versuch angeht, als „Demokrat“ ins Rennen zu gehen, ist es nun allerdings an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Es ist wahr, dass der Wahlkampf von Sanders Millionen Menschen in eine Diskussion darüber hineingezogen hat, was Sozialismus ist. Wenn Sanders aber die Ergebnisse der Vorwahlen akzeptiert und am Ende zur Wahl von Hillary Clinton aufruft, statt als unabhängiger Kandidat selbst anzutreten, dann wird sein Wahlkampf als Transmissionsriemen für Clinton und dieselbe alte konzernfreundliche Politik der Demokratischen Partei enden, die ja so viele der jetzigen AnhängerInnen von Sanders erst von den Demokraten hat entfremden lassen.
Sanders sollte nicht zulassen, dass die politische Revolution bereits beim Wahlparteitag der Demokraten im Juli zu Grabe getragen wird. Millionen von Menschen haben seine Forderungen nach einem 15-Dollar-Mindestlohn, kostenloser Hochschulbildung und einer für alle geltenden Gesundheitsversorgung begeistert. Diese Energie muss genutzt werden, um bis November und darüber hinaus weiter eine Bewegung aufzubauen. Die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre wird nicht zu stellen sein, wenn man dafür nur die Zeit der Vorwahlen nutzt und wieder endet, sobald diese vorbei sind. Die aufkommende Bewegung für eine politische Revolution muss Sanders dazu drängen, als unabhängiger Kandidat bis zu den eigentlichen Wahlen im November weiterhin anzutreten oder einen Plan B zur Unterstützung der verbleibenden, stärksten linken Herausforderin, der konzernfeindlichen Jill Stein von der Grünen Partei, zu schmieden.
Viele Leute konzentrieren sich sehr stark darauf, die Republikaner bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu schlagen und sind besorgt, dass ein unabhängiger Wahlkampf von Bernie Sanders die Wahl zu Gunsten von Donald Trump ausgehen lassen könnte. Fest steht hingegen, dass es 40 bis 45 Bundesstaaten gibt, in denen der Kandidat der Demokraten oder der der Republikaner eindeutig gewinnen wird. Es gibt dort also absolut keinen Grund, weshalb Sanders dort nicht auch bis in den November hinein Wahlkampf machen sollte. Bernie Sanders und seine AnhängerInnen könnten überlegen, ob er in der kleineren Anzahl an sogenannten „swing states“ (Bundesstaaten, die nicht eindeutig von einem der beiden Kandidaten gewonnen werden; Anm. d. Übers.) nicht auf dem Wahlzettel erscheinen soll, um diese Sorgen zu zerstreuen. Ein ermutigendes Ergebnis eines Wahlkampfes würde den Boden für viele weitere unabhängige und konzernfeindliche Kandidaturen in der näheren Zukunft bereiten.
Eine Partei der „99 Prozent“
Die arbeitenden Menschen müssen nicht nur eine Massenbewegung aufbauen, die für ihre eigenen Interessen eintritt. Sie müssen sich auch ein politisches Werkzeug schaffen, um es mit den Milliardären aufnehmen zu können. Wir brauchen unsere eigene politische Partei. Die Demokraten werden streng von oben nach unten von Politikern kontrolliert, die von den Großkonzernen finanziert werden und die ihnen verpflichtet sind. Arbeitende Menschen und junge Leute sind davon, dass Sanders es ablehnt, Wahlkampfspenden von Unternehmen anzunehmen, äußerst begeistert. Das zeigt ganz klar, dass sein Wahlkampf auf der Arbeit an der Basis gründet und dass er die Kontrolle ablehnt, die die Wall Street auf die Politik ausübt. Es reicht aber nicht aus, nur einen Kandidaten zu haben, der in einem Wahlkampf, der auf den Kräften an der Basis aufbaut, das Geld von den Konzernen ablehnt. Wir brauchen eine neue politische Partei der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“, mit wirklich demokratischen Strukturen, die offen und umfassend jegliche Gelder von Unternehmen sowie deren Versuch der Einflussnahme zurückweist.
Wir müssen es hinbekommen, dass die Revolte gegen die Wall Street, von einer Wahlkampagne eines Bernie Sanders zu einer organisierten Bewegung mit Millionen Beteiligten wird, die in jedem Bundesstaat und in jeder Stadt mit eigenen KandidatInnen antritt.
Bernie Sanders sollte zu einer landesweiten Konferenz seiner AnhängerInnen und der linken Kräfte aufrufen, um einen Diskussionsprozess in Gang zu bringen und damit zu beginnen, von einer arbeitnehmerfreundlichen und konzernfeindlichen Plattform aus Pläne für unabhängige Kandidaturen zu schmieden. Diese Konferenz sollte den Prozess des Aufbaus einer Partei der 99 Prozent in den Vereinigten Staaten einleiten.
Der Erfolg von Kshama Sawant, die in Seattle als Sozialistin in den neunköpfigen Stadtrat gewählt wurde, zeigt, dass es sich bei dem Wahlkampf von Bernie Sanders nicht um ein einmaliges Phänomen handelt. Das Interesse am Sozialismus ist riesig und nimmt weiter zu. Vor allem junge Leute suchen nach einer Alternative zum gescheiterten System des Kapitalismus. Sawant war in der Lage, trotz des erbitterten Widerstands des Establishments der Demokraten in der Stadt auch die Wiederwahl zu schaffen, weil sie organisierte Kräfte von Socialist Alternative an ihrer Seite hatte. Socialist Alternative war auch maßgeblich daran beteiligt, zusammen mit Kshama Sawant die Bewegung „15 Now!“ (für den 15-Dollar-Mindestlohn; Erg. d. Übers.) zu gründen und die Bewegung aufzubauen, die den Mindestlohn in Höhe von 15 Dollar in Seattle durchgesetzt hat. Dieser Sieg hat geholfen, ähnliche Erfolge auch in einer Reihe anderer wichtiger Städte auf den Weg zu bringen. Das alles ist Teil der Plattform, die Sanders im Wahlkampf um die US-amerikanische Präsidentschaft unterstützt.
Der Kampf gegen die politische Rechte
Der 15. März brachte auch starke Zugewinne für Donald Trump, dessen Nominierung durch die Republikaner immer wahrscheinlicher wird. Wenn Bernie Sanders nicht bis zum November kandidiert, dann wird das Feld für Trump offen sein, die massiv vorhandene Wut auf das Establishment zu nutzen. Dies kann nachhaltigen Schaden anrichten, da viele Menschen, die für Sanders hätten gewonnen werden können, von der Politik von Clinton, die ganz im Zeichen des Establishments steht, abgeschreckt werden. Sie könnten stattdessen zu Trump mit seinen rechten, ausländer- und arbeitnehmerfeindlichen Parolen überlaufen.
Die konzernfreundliche Politik von Clinton und der Demokratischen Partei hat geholfen, den Boden zu bereiten, auf dem zuerst die „Tea Party“ und nun der Wahlkampf von Donald Trump stark werden konnten. Seit Einsetzen der Großen Rezession ist der durch und durch konzernfreundliche Charakter sowohl des Partei-Establishments der Demokraten wie auch der Republikaner vollkommen klar geworden. Das Ganze begann mit den Rettungspaketen für die Wall Street, die beide Parteien einvernehmlich geschnürt haben, und wurde mit den Angriffen auf das öffentliche Bildungswesen und den öffentlichen Dienst weiter fortgesetzt. Diese Politik hat verstärkt zu massiver ökonomischer Ungleichheit geführt. Es ist unerlässlich, dass die Menschen, die wütend auf das Establishment sind, im November die Möglichkeit haben, jemandem die Stimme geben zu können, der ihre Interessen und nicht die der Wall Street vertritt.
Die kraftvollen Proteste anlässlich der Wahlkampfveranstaltungen von Trump wie etwa in Chicago, die unter anderen auch von AnhängerInnen von Bernie Sanders sowie AktivistInnen der Bewegung „Black Lives Matter“ durchgeführt worden sind, zeigen, wie stark die Stimmung in Richtung Kampf gegen die Rechte geht. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Energie in der Demoralisierung verpufft, zu der es bei vielen kommen wird, wenn Sanders seinen Wahlkampf beendet, indem er letztlich seine Unterstützung Hillary Clinton zuteil werden lässt.
Zu künftigen Auftritten von Trump sollten massive, friedliche Proteste organisiert werden, die als Mittel zum Aufbau der Bewegung gegen die Klasse der Milliardäre genutzt werden müssen. Überaus begrüßenswert ist, dass die Gewerkschaftsvorsitzenden von der SEIU (öffentlicher Dienst), der NARAL (Pflegepersonal), Umweltgruppen und viele weitere zu derartigen Protesten aufrufen.
Am 13. April organisieren #MillionStudentMarch und #Movement4Bernie einen landesweiten Aktionstag gegen die Gefahr von rechts. Damit werden wir die politische Revolution in Gang halten und die Basis für die Art von Massenbewegung bzw. politischen Initiativen legen, die die Dominanz der Milliardärsklasse und das kapitalistische System wirklich herauszufordern imstande sind.