So 14.02.2016
Der Handel auf den globalen Finanzmärkten begann 2016 mit einem Paukenschlag! Weltweit führte eine Wiederholung der chaotischen Kurseinbrüche an den Börsen in China, wie sie erst im vergangenen Sommer zu erleben waren, zu Panikverkäufen von Aktien, im Rohstoffhandel und bei der Währungsspekulation. Nach den ersten sechs Handelstagen in diesem Jahr hatten die Börsen von Shanghai und Shenzhen 15 Prozent an Wert verloren. Das ist ein Verlust von einer Billion US-Dollar. Aufgrund der Ängste, die die Ereignisse in China international ausgelöst haben, wurden weltweit vier Billionen US-Dollar an den Handelsplätzen vernichtet. Der größte Börsenplatz der Welt, die Wall Street in New York, büßte in der ersten Januarwoche 6,2 Prozent ein. Das ist der schlechteste Start, den es je gegeben hat.
Ist das so etwas wie ein Vorgeschmack auf das, was der Weltwirtschaft 2016 erst noch bevorsteht? Der Kapitalist George Soros zählt zu denen, die eine neue Finanzkrise, ähnlich der von 2008, prophezeien.
China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und die weltgrößte Handelsnation. Die heftige Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die dort vor zwei Jahren einsetzte, hat verschiedenen anderen Volkswirtschaften, die vom Rohstoffhandel mit China abhängen, bereits schwerwiegende Krisen beschert. Dies gilt zweifellos für Brasilien, wo es zur umfangreichsten Abwärtsbewegung seit den 1930er Jahren gekommen ist. Die Kapitalisten blicken auch aufgrund der Abwertung des Yuan mit zunehmender Sorgen auf China. Sie befürchten, dass die Währungsabwertung einen Währungskrieg auslösen könnte. Hinzu kommt der riesige und weiter zunehmende Schuldenberg Chinas.
Im letzten Sommer fiel der Aktienmarkt dort um den Rekordwert von 45 Prozent. Das Regime in China, das in den vorangegangenen Monaten noch den Boom an den Börsen gefeiert und behauptet hatte, alles unter Kontrolle zu haben, entpuppte sich plötzlich als vollkommen machtlos. Die von Peking ergriffenen Maßnahmen zur Beendigung des (darunter auch das Verbot des Verkaufs von vielen Aktienwerten zur selben Zeit) haben nun einen Boomerang-Effekt zur Folge. Als die Verkaufsfrist näherrückte, wollten besorgte Konzernvorstände um jeden Preis entsprechende Aktienanteile abstoßen, was am ersten Handelstag des Jahres eine Welle an Abverkäufen ausgelöst hat. Die Behörden haben die Verkaufsbestimmungen erneut verschärft. Wenn der Börsenmarkt in China nochmals drei Prozentpunkte verlieren sollte, dann wäre damit der niedrigste Stand vom August letzten Jahres unterschritten.
Auch wenn die Entwicklung an den Börsen nur sehr begrenzt einen Hinweis auf die Abläufe in der Realwirtschaft geben kann (und die Börsen in China werden – obgleich dies im Prinzip für alle Börsen gilt – gemeinhin als reine „Kasinos“ betrachtet), so lässt sich die aktuelle Panik auf den Finanzmärkten in der Tat auf sehr reale Probleme zurückführen. Die Weltwirtschaft hat gerade erst eine äußerst fragile Erholung seit der schweren Krise von 2008 hinter sich, wobei die Unwägbarkeiten noch extremere Ausmaße angenommen haben. Die Volkswirtschaft Chinas, die nun zum Epizentrum der weltweiten Instabilität geworden ist, erlebt einen wesentlich schärferen und noch komplizierteren Abschwung, als die politische Führung dort öffentlich zugeben will.
Währungskrieg?
Das akuteste Risiko für die Volkswirtschaft Chinas besteht darin, dass es zu verstärkter Kapitalflucht und einem weiteren Wertverfall des Yuan kommt. Da die Wirtschaft sich verlangsamt, hat die Volkswirtschaft Chinas einen hohen Preis für die Stützung seiner Währung gezahlt. Die Einführung einer Reihe von aufeinander folgenden Währungsmechanismen sollte den Yuan gegenüber dem US-Dollar stärken, was zu weiteren Lähmungserscheinungen für die Wirtschaft führt. Dies hat die Bemühungen Pekings zunichte gemacht, das Wachstum durch Zinssenkungen und die Zurverfügungstellung weiterer liquider Mittel für die Wirtschaft zu stimulieren. Es geht um Barmittel, die beinahe so schnell wieder weg sind, wie die Zentralbank sie bereitstellen kann. Die Behörden sind in einem Dilemma gefangen: Je mehr die Währung abgewertet wird, desto schneller flieht das Kapital in „sichere Gefilde“ nach Übersee. Die Bemühungen der Zentralbank, den Wert des Yuan zu halten, haben das Haus in rasantem Tempo dazu gezwungen, an die Reserven in Fremdwährungen zu gehen.
Seit letztem August ist der Yuan um sechs Prozent gegenüber dem US-Dollar gefallen. Davon entfallen zwei Prozent allein auf die ersten Wochen dieses Jahres. Viele KommentatorInnen sind davon überzeugt, dass der Yuan weiter abgewertet wird, weil sein derzeitiger Stand gegenüber dem steigenden Dollar nicht zu halten sein wird. Das Regime will eine schrittweise Abwertung erreichen, doch die Marktkräfte durchkreuzen derlei Pläne. Die globalen Finanzmärkte fürchten, dass das Regime in China unter Druck kommen könnte, eine umfassendere Abwertung durchzuführen oder sogar komplett die Kontrolle über die eigene Währung zu verlieren.
Ironischer Weise ist dies die Situation, nachdem der Yuan vom „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) im November letzten Jahres erst in den Club der „offiziellen Reservewährungen“ aufgenommen worden ist. Vor kurzem hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping noch feierlich erklärt, dass der Wert der Währung stabil bleiben würde.
Peking hat enorme Anstrengungen unternommen und Geld in die Hand genommen, um zu verhindern, dass der Verfall der Währung allzu stark ausfällt. Im Dezember kam es zum stärksten Abzug ausländischer Währungsreserven Chinas in einem Monat. Es ging um das Doppelte des bisherigen Höchstwertes und einen Gegenwert von 130 Milliarden Dollar bis 140 Milliarden Dollar. In erster Linie ist dies auf die Verteidigungsstrategie der Zentralbank in Bezug auf die eigene Währung zurückzuführen. Der Rest resultiert aus der Abschreibung von Anleihen, die nicht in Dollar gehandelt werden und sich im Besitz der Zentralbank befanden. Chinas Reserven in Fremdwährungen sind seit Mitte 2014 von vier Billionen Dollar auf 3,3 Billionen Dollar zusammengeschrumpft. Damit nähert sich dieser Wert immer mehr dem Minimum an, das vom IWF für China empfohlen wird und bei 2,6 Billionen liegt.
Einem Wertverlust beim Yuan wird unweigerlich eine Währungsabwertung auch in anderen Ländern folgen. Dies gilt vor allem für Asien, wo China für die meisten Volkswirtschaften der wichtigste Handelspartner ist. Währungen werden abgewertet, um einen Wettbewerbsverlust gegenüber China zu verhindern. Schwächere Währungen werden jedoch dazu führen, dass die Kosten für die Rückzahlung der Schulden in die Höhe gehen.
Schuldenberg
Das Regime in China ist sogar von WirtschaftswissenschaftlerInnen der westlichen Welt dafür gelobt worden, die Weltwirtschaftskrise von 2008/-09 durch massive öffentliche Investitionen abgefedert zu haben. Zu welchem Preis diese Politik betrieben worden ist, wird heute klar, da enorme Überkapazitäten zu verzeichnen sind und vor allem die Schuleden in rasantem Tempo zunehmen. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass die Gesamtschulden Chinas sich von 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2008 auf 250 Prozent im letzten Jahr gesteigert haben.
Damit zusammenhängend sind auch die Schulden in den meisten „Schwellenländern“ in die Höhe geschnellt. Ein wichtiger Faktor ist die Politik des „quantitative easing“ (Erhöhung der Geldmenge) durch die US-Notenbank „Federal Reserve“ und andere Zentralbanken wie etwa in Japan, Großbritannien und der EU. Einige der tausenden von Milliarden an Dollar, die von diesen Zentralbanken ausgehändigt worden sind, haben sich in Ländern wie Südkorea, Indonesien, Indien u.ä. zu Schulden entwickelt. Es liegen Schätzungen darüber vor, dass Unternehmen, Städte und Provinzen in China, Brasilien, Mexiko und weiteren Ländern Verbindlichkeiten in Form von ausgegebenen Anleihen angehäuft haben, die den Staatsschulden dieser Länder entsprechen.
Als die „Fed“ im Dezember zum ersten Mal seit neun Jahren den US-Leitzins angehoben hat, führte dies zu weltweiten Kapitalströmen zurück in die Vereinigten Staaten. Dies hat sowohl mit Blick auf die Währungen als auch auf die Schulden ganz enorme Auswirkungen. Das ist auch der Grund dafür, weshalb die „Fed“ nicht schon früher so gehandelt hat. Dieses Mal hat die minimale Anhebung des US-amerikanischen Leitzinses bereits negative Folgen gehabt.
Kurseinbrüche auf dem Rohstoffmarkt
Das verlangsamte Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft war der wesentliche Faktor, der hinter dem drastischen Verfall der Rohstoffpreise steht. Von den 46 Rohstoffen, die von der „Weltbank“ beobachtet werden, liegt der Preis von 42 von ihnen nun auf dem niedrigsten Stand seit den frühen 1980er Jahren. Trotz der Tatsache, dass die Spannungen im Nahen Osten weiter zunehmen, gehen die Ölpreise weiter in den Keller. In der ersten Januarwoche begann der Handel bei 32 Dollar pro Barrel. Die meisten AnalystInnen senken ihre Prognosen für die Ölpreise 2016 ab. „Morgan Stanley“ geht von 20 Dollar pro Barrel aus. Sinkende Einnahmen aus dem Ölgeschäft haben viele Ölförderländer in die Rezession gestürzt und von Saudi-Arabien bis Venezuela zu politischen Unruhen geführt.
Chinas aktuelle Wachstumsrate wird von einer zunehmenden Anzahl an ÖkonomInnen bei rund vier Prozent gesehen und nicht bei den 6,5 Prozent jährlich, die laut Xi Jinping bis 2020 nötig wären. Li Wei, Sprecher des einflussreichen und regierungsnahen chinesischen „Zentrums für Entwicklungsforschung“, sagte in einer Rede vom Wochenende, dass er meint, 6,5 Prozent werden nur schwer zu erreichen sein. In einem Leitartikel der offiziellen Nachrichtenagentur „Xinhua“ wird davor gewarnt, dass 2016 wie „ein schweres Jahr“ aussieht, das „zwangsläufig Schmerzen“ mit sich bringen wird.
„Xinhua“ zitiert eine namentlich nicht genannte Person aus höheren Kreisen, die davor warnt, dass nach dem Abschwung „eine L-förmig Wachstumsphase wahrscheinlicher sein wird“ als „eine V-förmige“. Das heißte, dass es keine reale Erholung gibt. Weiterhin ist kein Ende des Abschwungs in Sicht.
Die Wirtschaftspolitik von Staatspräsident Xi
Chinas Schuldenlast – vor allem in der Privatwirtschaft und auf der Ebene der Regionalregierungen – frisst aktuell fast alle neuen Kredite in der Wirtschaft auf, nur um diese am Laufen zu halten. Aus diesem Grund wird China immer mehr zu einer größeren und noch instabileren Version von Japan, in dem Sinne, dass große Teile der chinesischen Wirtschaft nun „leblos“ geworden sind und nur noch weitere Schulden produzieren anstatt profitable Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. Dies erklärt auch den Drang der vermögenden Elite, das eigene Kapital wegzuschaffen. Die Ratingagentur „Fitch“ meint, dass die Kapitalflucht aus China seit dem zweiten Quartal 2014 ein atemberaubendes Niveau von einer Billion Dollar erreicht hat.
Xi Jinping versucht eine neoliberale ökonomische Umgestaltung zur Aufrechterhaltung der Profite und des „Vertrauens“ durch Schließung der „Zombie-Unternehmen“ und weiterer Beschneidung des Anteils am BIP, der an die Arbeiterklasse geht. Staatliche Medien berichten, dass dieses Jahr 3,5 Millionen Arbeitsplätze in der Schwerindustrie gestrichen werden. Gleichzeitig spricht das Regime davon, eine auf der Kaufkraft der VerbraucherInnen aufbauenden Wirtschaft schaffen zu wollen. Das soll der neue Wachstumsmotor sein. Dies basiert jedoch hauptsächlich auf den wohlhabenden Teilen der Mittelschicht und nicht auf der Masse der Bevölkerung, deren Löhne nicht für den „VerbraucherInnen-Ansatz“ herhalten können.
Das Veränderungsprogramm von Xi bleibt dennoch stecken, weil diese neoliberalen Heilmittel den ökonomischen Abschwung – natürlich – kurzfristig verschlimmern werden, was sogar die Gefahr mit sich bringt, die Wirtschaft in eine voll ausgewachsene Rezession zu treiben. Während die liberalen Teile der staatlich kontrollierten chinesischen Medien die Regierung dazu drängen, in den sauren Apfel zu beißen und die „Schmerzen“ auf wirtschaftlicher Ebene zuzulassen, bleibt diese weiterhin zögerlich und das mit triftigem Grund. Diese Entwicklung könnte nicht nur zu massiven sozialen Unruhen führen. Es geht auch um einen Prozess, über den das Regime die Kontrolle verlieren könnte.
Es gibt bereits eindeutige Zeichen für einen Kontrollverlust, was ein weiterer Faktor dafür ist, dass die globalen Märkte die Fassung verlieren. Wir konnten dies beobachten, als es letzten Sommer zu einigen Fehlentscheidungen kam: eine verpfuschte Währungsabwertung und eine Politik zur Rettung der Märkte mit zahlreichen Aussetzern. Nun erleben wir dasselbe, da es – nach nur vier Tagen – um die Entscheidung geht, die „Schutzschalter“ wieder abzuschrauben, die die Märkte vor kurzem noch beständiger machen sollten.
Auch wenn es noch zu früh ist zu sagen, ob sich die Vorhersage von Soros hinsichtlich einer neuen kurzfristigen Finanzkrise bewahrheiten wird oder nicht, so haben die Risiken in den ersten Wochen des neuen Jahres 2016 zweifellos zugenommen. Politiker und Kapitalisten haben keine Antwort auf die Krisen des Kapitalismus und diese Feststellung trifft auch auf die Diktatur in Peking zu.