Trump ist weg: Sozialistische Analyse und nächste Schritte für den Widerstand

Stellungnahme von Socialist Alternative (Socialist Alternative ist die Schwesterorganisation der SAV in den USA)

Das Fest hat begonnen. Trump hat eindeutig verloren, und er wird Anfang nächsten Jahres aus dem Weißen Haus ausziehen. Millionen Menschen im ganzen Land und Hunderten Millionen in der ganzen Welt stoßen einen Seufzer der Erleichterung aus. Dennoch sollten wir erkennen, dass die Pandemie, der Klimawandel, die Wirtschaftskrise und der institutionelle Rassismus nicht verschwinden werden, nur weil Trump aus dem Amt scheidet. Biden selbst sagte, er wolle keine grundlegenden Veränderungen, und er werde den rechten Republikanern „über die Kluft hinweg“ die Hand reichen. Wir werden immer noch entschlossene Massenbewegungen brauchen, um Verbesserungen für die Arbeiter*innen zu erkämpfen, um gegen die extreme Rechte zu kämpfen und die katastrophale Herrschaft der Milliardärsklasse anzugreifen.

Natürlich behauptet Trump weiterhin, dass die Ergebnisse gefälscht sind und dass die Wahl manipuliert wurde. Wir können nicht ausschließen, dass Teile seiner Anhänger mobilisieren werden, um sich gegen sein Ausscheiden aus dem Amt zu wehren. Wenn Trump versucht, zu bleiben, sollte es Massenproteste geben, um ihn aus dem Amt zu vertreiben.

Aber es ist auch ziemlich klar, dass die herrschende Klasse kein weiteres Chaos will. Die Medien und sogar Teile des republikanischen Establishments haben sich Mühe gegeben, zu betonen, dass die kapitalistische Demokratie „funktioniert“. Sogar die Gerichte, von denen Trump gehofft hat, sie würden eingreifen, um die Auszählungen zu stoppen oder die Auszählung von Briefwahlzettel zu verweigern, haben sich bisher geweigert dies zu tun. Nachzählungen in mehreren Staaten werden das Ergebnis wahrscheinlich auch nicht ändern.

Wie konnte es so knapp werden?

Die Meinungsforscher und Experten irrten sich wieder einmal, und es gab keinen Biden-Kantersieg oder eine „blaue Welle“, die eine demokratische Mehrheit in den Senat spülte. Die Demokraten haben auch eine Reihe von Sitzen im Repräsentantenhaus verloren, und auch in den Bundesstaaten gibt es Verluste. Allerdings gab es mit der Wahl von Cori Bush und Jamaal Bowman einige fortschrittliche Siege im Repräsentantenhaus, die nun neben Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib und anderen in „The Squad“ [eine Gruppe linker Abgeordneter, Anmerkung der Übersetzer*innen] aufgenommen werden.

Im Vorfeld der Wahl wurde die Wähler*innenbehinderung, eine Spezialität der Republikaner, durch die Pandemie verschärft. Hinzu kam, dass das Electoral College [das Wahlkollegium, das den US-Präsidenten wählt, A.d.Ü.] (neben dem Obersten Gerichtshof) eine der undemokratischsten Institutionen in dem politischen System der USA ist, das die Herrschaft der Milliardärsklasse verschleiern soll. Die Wahlbehinderung hatte zwar Auswirkungen, aber eigentlich hat das ständige Gerede von Trump über Betrug und die Aushöhlung des Postdienstes die einfachen Leute nur noch mehr motiviert, wählen zu gehen. Dies führte zu der wirklich bemerkenswerten Wahlbeteiligung, dem höchsten Prozentsatz an registrierten Wählern seit 1908.

Die liberalen Experten gingen davon aus, dass diese massive Wahlbeteiligung die Demokraten stark begünstigen würde. Doch das Ergebnis war alles andere als entschieden. Tatsächlich hätte Trump leicht in einem Erdrutschsieg besiegt werden können, vor allem, wenn Bernie Sanders der Kandidat gewesen wäre. Trump hat eine der niedrigsten Zustimmungsraten aller amtierenden Präsidentschaftskandidaten, die es je gab, und die Demokraten führten eine schwache Kampagne gegen ihn mit einem schrecklich wenig inspirierenden Kandidaten, der bekannterweise Kapitalinteressen vertritt.

In einer FoxNews-Umfrage sagten 72% der Wähler, dass sie ein staatliches Gesundheitsprogramm befürworten. In Florida, wo Trump gewann, stimmten 61% der Menschen in einem Referendum für einen landesweiten Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde. Das zeigt, dass ein klarer Appell an die Wähler*Innen aus der Arbeiter*innenklasse, den Bernie Sanders hätte machen können, Trump wahrscheinlich überwältigend besiegt hätte

Trump hat die COVID-19-Pandemie – die Hunderttausende amerikanische Todesopfer forderte – sträflich falsch gehandhabt, Massenarbeitslosigkeit und ein weiteres Abgleiten in die Armut für Millionen von Amerikanern ignoriert – und dennoch taten die Demokraten alles, was sie konnten, um den möglichen Sieg in eine Niederlage zu verwandeln.

Sie stellten einen peinlichen Kandidaten auf, der von der Öffentlichkeit ferngehalten wurde, machten keine Basisarbeit für ihre Kampagne in den wichtigsten Swing-States, weigerten sich, eine wahnsinnig populäre Forderung wie Medicare for All und die Besteuerung der Reichen zu übernehmen, und führten keine Kampagne zur Massenregistrierung von Wähler*innen durch, um Millionen neuer Wähler*innen zu gewinnen, die Trump verachten. Doch die großen Versäumnisse der Demokraten waren keine Irrtümer, sondern lagen an ihrem grundlegenden Charakters als unternehmerfreundliche Partei, die von milliardenschweren Geldgebern kontrolliert wird.

Umfragen zeigen, dass die Wähler, die die Pandemie als Schlüsselthema betrachteten, mit 82% für Biden gestimmt haben, während diejenigen, die die Wirtschaft als Schlüsselthema betrachteten, mit einem ebenso großen Vorsprung für Trump gestimmt haben. Was diese Zahlen widerspiegeln, ist, dass die Demokratische Partei bei dieser Wahl den arbeitenden Menschen, oder sogar großen Teilen der Mittelschicht, die große Angst vor der Zukunft haben oder bereits mit Schulden, Arbeitsplatzverlust usw. zu kämpfen haben, buchstäblich nichts zu sagen hatte. Für viele wirkte Trumps Botschaft der „offenen Wirtschaft“. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass er ohne die Pandemie und seinen verantwortungslosen Umgang mit ihr – oder wenn er etwas geschickter gewesen wäre – Biden leicht besiegt hätte.

Die Demokraten lehnen fortschrittliche Politik ab

In den letzten Tagen der Kampagne stellte Biden klar, dass er Fracking niemals verbieten, die Finanzierung der Polizei niemals kürzen und eine weitere rechte Ergänzung des Obersten Gerichts akzeptieren würde. Er sagte (erneut!), dass die Polizei Verdächtigen „ins Bein“ schießen sollten, um rassistische Polizeimorde zu verhindern, und er weigerte sich Medicare for All zu unterstützen, als die Pandemie ihren Höhepunkt hatte. Es ist keine Überraschung, dass eine Axios-Umfrage ergab, dass über 58% der demokratischen Wähler ihre Stimme „gegen Trump“ statt „für Biden“ abgeben wollten.

All dies ließ Trump Raum, sich selbst als „Außenseiter“ zu präsentieren, obwohl er im Weißen Haus saß! Trump kritisierte Biden „von Links“ für sein rassistisches Kriminalgesetz von 1994 sowie seine Unterstützung für anhaltende Kriege und unternehmerfreundliche Handelsgeschäfte. Dies wurde mit einem bösartigen Cocktail aus Trumps Rassismus, Sexismus, Autoritarismus, Appellen an die extreme Rechte, Verschwörungstheorien und seiner „Recht und Ordnung“-Rhetorik kombiniert, der bei einem Teil der konservativen weißen Wähler durchaus Anklang findet.

In seiner Erklärung vor den Medien am 4. November ging Trump so weit zu sagen: „Die Demokraten sind die Partei der großen Geldgeber, der großen Medien, der großen Technologie, wie es scheint. Und die Republikaner sind die Partei des amerikanischen Arbeiters geworden, genau das ist passiert.“ Natürlich ist es für einen Milliardär, der sein Kabinett mit anderen Superreichen besetzt hat, absurd so etwas zu sagen. Tatsächlich haben die Wähler, die weniger als 100.000 Dollar im Jahr verdienen, mit großem Abstand für Biden statt Trump gestimmt. Aber die Tatsache, dass eine solche Behauptung überhaupt funktioniert, sagt uns alles, was wir über das demokratische Establishment wissen müssen.

Die Führung der Demokratischen Partei hat in der Vorwahl härter und effektiver gegen Bernie gekämpft als bei den Parlamentswahlen gegen Trump. Dennoch werden die liberalen Experten versuchen, die Schuld auf die Menschen zu schieben, die nicht gewählt haben (vor allem People Of Color), die Unabhängige gewählt haben, auf rassistische Ideen in der weißen Arbeiter*innenklasse (was ein echter Faktor ist, auf den wir weiter unten eingehen werden) oder darauf, dass Demokraten mit der „radikalen Linken“ assoziiert werden. Stattdessen muss die Führung der Demokratischen Partei in den Spiegel schauen, um zu sehen, wer Trump die Möglichkeit gegeben hat zu versuchen, diese Wahl zu manipulieren. Außerdem hätte Sanders selbst nicht vor Biden kapitulieren dürfen, und er hätte seine frühere Kritik an der Demokratischen Partei nicht selbst zensieren dürfen. Dies half dabei, Trump Spielraum zu geben, um als Kandidat gegen das Establishment aufzutreten.

Das Schuldspiel

Liberale Experten und einige Aktivist*innen sagen, dass Trumps Stimmenzuwachs ab 2016 nur auf den Rassismus in der weißen Arbeiter*innenklasse zurückzuführen ist. Natürlich sind die USA eine zutiefst rassistische Gesellschaft, und die extreme Rechte ist gewachsen und wird weiterhin eine Bedrohung darstellen, gegen die Sozialist*innen und die Arbeiter*innenbewegung kämpfen müssen.

Dies allein erklärt jedoch nicht die Stimmengewinne, die Trump bei dieser Wahl erzielt hat, und es wäre ein sehr schwerer Fehler, seine Wähler*innen einfach als einen Block rassistischer, weißer Wähler*innen abzustempeln. Tatsächlich war der einzige Teil der Bevölkerung, in dem seine prozentuale Unterstützung abnahm, unter den weißen Wählern ohne Hochschulbildung. Das ändert nichts an der Tatsache, dass zwei Drittel dieser demografischen Gruppe Trump unterstützen, aber es zeigt, dass sie weit davon entfernt ist, ein einheitlicher Block zu sein.

Trumps Unterstützung wuchs unter den schwarzen und lateinamerikanischen Wähler*innen, die lange Zeit als garantiert demokratische Blöcke galten. Tatsächlich gewann er unter People of Color die meisten Stimmen aller republikanischen Präsidentschaftskandidaten seit 60 Jahren! Es gibt eine Reihe von Faktoren, die hier reinspielen, aber ein wichtiger Grund, warum ein Teil der schwarzen und lateinamerikanischen Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse Trump gewählt hat, ist wiederum die Wirtschaft und das völlige Versagen der Demokraten, die Krise anzusprechen, mit der die arbeitenden Menschen gerade jetzt konfrontiert sind.

Aus der Sicht kapitalistischer Organe wie der New York Times ist es von Vorteil, diese Wahl auf ethnische Zugehörigkeit zu reduzieren, weil sie das Vertrauen der Bevölkerung in das Potenzial für eine multiethnisch Arbeiter*innenklassensolidarität untergräbt und von den Versäumnissen der Demokraten ablenkt. Obwohl sie dies nicht offen sagen, sind sie aktiv gegen die Entstehung einer multiethnisch Massenbewegung um die Arbeiter*innenklasse herum, die die Herrschaft der von ihnen verteidigten Milliardärsklasse in Angriff nehmen würde. Die Konkurrenz zwischen zwei Parteien ist ein Deckmantel für die Verteidigung der kapitalistischen Herrschaft.

Auch hier lässt sich nicht leugnen, dass Trump in den Teilen der amerikanischen Gesellschaft mit den rückständigsten Ideen zu ‚race‘ [im Sinne von Ethnien, A.d.Ü.] davon profitierte, dass er die Rhetorik von „Recht und Ordnung“ nutzte.

Die Notwendigkeit einer echten Einheit der Arbeiter*innenklasse im Angesicht des Rassismus ist von kritischer Bedeutung. Aber die Frage, wie wir diese Einheit in einer so extrem polarisierten Gesellschaft tatsächlich erreichen, ist komplex. Wir glauben, dass dies auf der Grundlage eines Kampfprogramms möglich ist, das sowohl Forderungen enthält, die das Leben der arbeitenden Menschen als Ganzes verbessern, zusammen mit einer klaren Bekenntnis zur Befreiung der Schwarzen und zu den Rechten der Einwanderer.

Der massive multiethnische Aufstand in diesem Sommer und die breite Unterstützung für den Aufstand in der Gesellschaft im Gefolge des Polizeimordes an George Floyd haben genau das Potenzial für einen gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und wirtschaftliche Ungleichheit aufgezeigt. Aber der Mangel an Führung, Organisation und einer klaren Strategie gab der herrschenden Klasse die Gelegenheit, Themen wie die Forderung nach „defund the police“ [der Polizei die Finanzierung entziehen, A.d.Ü.] zu verdrehen. Es gab Trump und der extremen Rechten auch eine Gelegenheit, um zurückzuschlagen und die Ängste der Menschen vor der Ausbreitung des Chaos auszunutzen. Die Vergeltungsaktionen gegen den Aufstand (vor allem in ländlichen Gebieten) sind real, sollten aber nicht überbewertet werden.

Wie wird eine Präsidentschaft von Biden aussehen?

Es ist klar, dass eine Biden/Harris-Regierung keines der Probleme lösen wird, mit denen die arbeitenden Menschen konfrontiert sind. Es ist vorhersehbar, dass sie sich hinter der potentiellen republikanischen Kontrolle des Senats verstecken werden, als Ausrede dafür, warum Veränderungen nicht durchgesetzt werden können. Sogar während des Wahlkampfes, als die Demokraten versuchten, die Kontrolle über den Senat zu gewinnen, sagte Biden, dass er „mit den Republikanern zusammenarbeiten“ werde, die immerwährende Entschuldigung für die Zustimmung zu massiven Angriffen auf die Interessen der Werktätigen. Es ist wahrscheinlicher, dass wir reiche Republikaner in Bidens Kabinett sehen werden, als Bernie Sanders.

Von Anfang an wird dies eine schwache Regierung sein, die die katastrophale Pandemie und die wirtschaftliche Verwüstung bewältigen muss. Die Federal Reserve und kapitalistische Ökonomen sind sich fast komplett einig, dass es viel mehr finanzielle Anreize geben muss, um einen noch größeren Einbruch zu verhindern. Aber während die Aufstockung der Arbeitslosenunterstützung um 600 Dollar dringend wieder eingeführt werden muss, ist es nicht dasselbe wie die dauerhaften Veränderungen, die wir brauchen, wie den Green New Deal und Medicare for All. Leider ist die demokratische Führung sehr deutlich, dass sie gegen diese beiden Programme ist, die bei den einfachen Menschen überwältigend beliebt sind.

Ein endgültiger Sieg

Wir müssen dringend eine Massenbewegung aufbauen, die für einen Konjunkturplan für die Werktätigen, einen sozialistischen Green New Deal, eine gemeinschaftliche Kontrolle der Polizei, Medicare for All und vieles mehr kämpft. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die von den Unternehmen kontrollierten Demokraten die Situation grundlegend ändern, und Biden hat immer wieder gesagt, dass er die Politik, die wir so verzweifelt brauchen, nicht umsetzen wird.

Biden wird während einer der tiefsten Krisen in der Geschichte des US-Kapitalismus regieren. Er wird versuchen, den Interessen der Milliardärsklasse zu dienen, so wie er es während seiner gesamten politischen Karriere getan hat. Dies wird Millionen dazu veranlassen, nach einer Alternative zur Führung der Demokratischen Partei und zur Mainstream-Politik im Allgemeinen zu suchen.

In diesem Rahmen könnte die extreme Rechte unter einer Biden-Präsidentschaft noch stärker wachsen. Um rechtsextreme Rassisten wirksam bekämpfen zu können, brauchen wir ein Programm, das die arbeitenden Menschen zum Handeln mobilisieren kann. Wir können unsere Forderungen nicht auf das beschränken, was für die Führung der Demokratischen Partei und ihre milliardenschweren Unterstützer akzeptabel ist. Stattdessen müssen wir für die Bedürfnisse von Milliarden von Menschen weltweit und nicht für die der Milliardäre kämpfen. Diese Art des Kampfes wird unweigerlich mit dem kapitalistischen System selbst in Konflikt geraten.

Diese Wahl zeigt, dass die Demokraten die extreme Rechte nicht entscheidend besiegen können. Socialist Alternative meint, dass wir eine neue Partei brauchen, die sich auf die Arbeiterklasse stützt. Wir setzen uns dafür ein, dass diese neue Partei dafür steht, den Reichtum der Spitzenkonzerne zu verstaatlichen und sie unter demokratische Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung zu stellen. Trump ist das Symptom. Der Kapitalismus ist die Krankheit. Der Sozialismus ist das Heilmittel.

 

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