Sa 17.11.2018
„Schließt die Beweisführung die Möglichkeit aus, dass sie sich von dem Angeklagten angezogen fühlte und offen war, jemanden zu treffen und mit jemandem zusammen zu sein? Man muss sich ansehen, wie sie gekleidet war. Sie trug einen String mit einer Spitzenfront.“
Diese Äußerungen von Verteidigerin Elizabeth O’Connell in einem Vergewaltigungsprozess in Cork haben auf der gesamten irischen Insel und international Empörung ausgelöst. Die Bemerkungen, die ohne jeden Einwand des Richters über eine 17-jährige junge Frau gemacht wurden, waren ein klares Beispiel für die Verwendung von „Victim Blaming“ (Schuldzuweisung an ein Opfer von sexuellen Übergriffen) und Vergewaltigungsmythen in öffentlichen Gerichtsverfahren. Dies geschieht in einer Situation, in der die Mehrheit der Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe nicht gemeldet werden, und nur zehn Prozent der Meldungen mit einer Verurteilung enden.
Unter dem Hashtag #ThisIsNotConsent haben Frauen Fotos ihrer Unterwäsche veröffentlicht. Am Mittwoch, den 14. November, fanden sehr kurzfristig und während der Arbeitszeit wütende Proteste in Städten in ganz Irland statt. In Cork marschierten 500 Personen zum Gerichtsgebäude, wo die Äußerungen gemacht wurden, viele hinterließen Unterwäsche auf den Stufen und Geländern des Gebäudes. 500 protestierten auch im Zentrum Dublins, 250 in Belfast, 50 in Limerick und 40 in Galway. Die meisten dieser Proteste wurden auf Initiative von ROSA – der sozialistisch-feministischen Bewegung, in der die Sozialistische Partei ein zentraler Bestandteil ist – aufgerufen.
Diese Explosion der Wut spiegelt die Tatsache wider, dass Frauen und Jugendliche zunehmend nicht mehr bereit sind, „Victim Blaming“ und Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu akzeptieren. Im März/April dieses Jahres gingen Tausende auf die Straße, nachdem Ulster-Rugbyspieler in einem Vergewaltigungsprozess in Belfast freigesprochen worden waren, bei dem ähnliche Methoden zur Schuldzuweisung an das Opfer angewandt wurden. Sehr viele Menschen wurden in der Referendumskampagne aktiv, um die Aufhebung des Verbotes von Schwangertschaftsabbrüchen durchzusetzen.
Vor zwei Wochen haben Google-Mitarbeiter*innen in Dublin im Rahmen einer globalen Aktion gegen sexuelle Belästigung die Arbeit niedergelegt. Das letztgenannte Beispiel zeigt das Potenzial für Arbeitnehmer*innen, sich an ihren Arbeitsplätzen gegen sämtliche Erscheinungsformen von Sexismus zu organisieren. Dieses Thema muss auch von der Gewerkschaftsbewegung ernsthaft aufgegriffen werden.
String im Dáil
Ruth Coppinger, Abgeordnete von Solidarity und Mitglied der Sozialistischen Partei, brachte diese Stimmung in den Dáil (Parlament), als sie Leo Varadkar, den Premierminister, befragte. Sie forderte von der Regierung Maßnahmen gegen „Victim Blaming“ vor Gericht, indem sie einen String während ihrer Rede im Dáil hochhielt. Dies ist wahrscheinlich eine Premiere in der Geschichte des Dáil, und die Kameras schwenkten schnell weg von dem "provozierenden Gegenstand". Doch wie Ruth betonte, wenn so etwas im Parlament unangebracht sein sollte, ist es umso unangebrachter, dass Unterwäsche vor Gericht als Beweis gegen eine Frau verwendet wird.
Ruths mutiger Auftritt hat zusammen mit den Protesten, die stattgefunden haben, große Aufmerksamkeit in den irischen Medien geweckt. Bedeutend ist, dass es auch in Medien in so unterschiedlichen Ländern wie Neuseeland, Australien, Indien, der Türkei, Kanada, den USA (einschließlich der New York Times, Newsweek und CNN) und in vielen Ländern Europas Beachtung gefunden hat. Auch deutsche Medien berichteten.
Streiks am Internationalen Frauentag
Es besteht Potenzial für eine neue Bewegung gegen „Victim Blaming“ und sexuelle Gewalt. ROSA ruft zu Massenprotesten und Streiks am Internationalen Frauentag 2019 auf und lässt sich dabei vom spanischen Beispiel inspirieren, wo ein „feministischer Streik“ in diesem Jahr Millionen von Menschen aus der Arbeit und auf die Straße brachte.
Diese Bewegung muss unbedingt Veränderungen fordern und erkämpfen, wie zum Beispiel die verpflichtende Ausbildung von Richtern und Geschworenen in Fällen von sexueller Gewalt und die Aufklärung über Konsens (Zustimmung) an Schulen. Der Fall in Cork ist jedoch kein isoliertes Beispiel. „Victim Blaming“ und Frauenfeindlichkeit, durchziehen das Justizsystem, den Staat und die Gesellschaft solange das kapitalistische System existiert, dass auf Sexismus und Ungleichheit aufgebaut ist.
Wir müssen eine Bewegung von Frauen, Jugendlichen, LGBTQ und allen Teilen der Arbeiter*innenklasse aufbauen. Mit einen antikapitalistischen und sozialistischen Feminismus, der dieses System und all die Ungerechtigkeiten, die es aufrecht erhalten, bekämpft.