Fr 16.08.2013
Drei Tage lang bereiste Nihat Candan Österreich. Nihat ist Aktivist der türkischen Schwesterorgaistaion der SLP, Sosyalist Alternatif, und ist aktiv am Aufstand gegen die Erdogan-Regierung beteiligt. In drei Veranstaltungen, in Salzburg, Linz und Wien berichtete er über die Hintergründe und den bisherigen Verlauf der Kämpfe. Denn diese Kämpfe sind noch nicht vorbei: Der neue Sloagan der Bewegung, der überall präsent ist lautet „Das war erst der Anfang, der Kampf geht weiter!“. Die Entschlossenheit, mit der Millionen Menschen in der Türkei gegen die Regierung aufgestanden sind, beeindruckte noch in Nihats Berichten. Über Wochen widerstanden sie den Angriffen auf die von ihnen besetzten Plätze und ihre Demonstartionen. In Ankara, wo Nihat lebt, fiel die Repression besonders brutal aus. Dennoch oder auch deswegen war der Kampf aber oft umso politischer. Hintergrund der Proteste ist nämlich nicht nur die immer autoritärere Regierungsform, sondern auch und besonders die soziale Frage. Nihat erzählte davon, wie immer mehr Menschen ihre alltäglichen Ausgaben über Kredite finanzieren müssen, weil die Löhne dafür nicht mehr reichen. Obwohl viele bis zu 52h/Woche arbeiten reicht das Geld nicht für die steigenden Mieten oder die öffentlichen Verkehrsmittel. Das Ergebnis sind ca. 150 Mrd.$ an privaten Schulden. Die enorme Prekarisierung der Bevölkerung ist der eigentliche Hintergrund des Aufschwungs in der Türkei. Dabei fängt auch dieser an zu bröckeln. Für 2013 wurden die Erwartungen an das Wachstum bereits gesenkt.
Gigantische Prestige Bau-Projekte bestimmen Erdogans Politikstil. Gegen riesige Wasserkraftwerke, die ganze Regionen überschwemmen regt sich aber auch wachsender Widerstand. Solche Proteste finde seit der Besetzung des Taksim-Platzes in Istanbul und der Landesweiten Protestbewegung enormen Zulauf. Nihat meinte, selbst Demos wo „nur“ Zehntausende mitmachen fühlten sich an wie Hundertausende, so groß ist der Enthusiasmus und der neue Mut der Menschen. Die Arroganz, die Erdogan gegen solche Bewegungen zeigt wird von immer mehr Menschen als Schwäche gedeutet und befeuert die Proteste weiter.
Ausführlich wurde auch die Rolle der kurdischen Bevölkerung und ihre Rolle in den Protesten diskutiert. Ohne hier auf jedes Detail eingehen zu können berichtete Nihat davon, dass viele kurdische, auch sozialistische, Organisationen ihre Anhängerinnen nicht voll mobilisierten. Sie glauben in Erdogan wenigstens einen Gesprächspartner gefunden zu haben, das ist mehr als die früheren, kemalistischen Regierungen ihnen jemals anboten.
Aber das zeigt nur umso deutlicher: Es braucht eine politische Alternative abseits von AKP und kemalistischer CHP. ArbeiterInnen, Jugendliche und PensionistInnen brauchen eine eigene, unabhängige Partei, die ein sozialistisches Programm gegen die Armut und gegen Erdogan aufstellt. Sie muss versuchen, die vielen Linken im Land zusammen zu bringen, ein echtes Einheitsfront-Angebot gegen die Regierung und gegen Kapitalismus.
Denn wenn die Krise auch in der Türkei massenhaft Arbeitsplätze und damit Lebensgrundlagen vernichtet wird der Kamp nur umso heftiger ausfallen, und zwar sowohl von Seiten der Regierung als auch von Seiten der Oppositionsbewegung. Ohne eine eigene, große Partei würde die Türkei in ein ähnliches Chaos verfallen können wie Ägypten, Tunesien oder sogar Syrien.
Trotz der enormen Hitze stießen Nihats Vorträge auf reges Interesse. Vor allem wurden viele Fragen gestellt, aber auch weiter interessante Aspekte in den Diskussionen angesprochen. Ein Zeichen dafür, wie spannend die Abende verliefen sind vielleicht die mehreren hundert Euro, die für die politische Arbeit von Sosyalist Alternatif gesammelt wurden.
Wer die Veranstaltungen verpasst hat sollte sich erstens ärgern und zweitens wenigestens die vielen weiteren Termine der SLP-Sommerdebatten zu verschiedensten Themen und interessanten Gästen nutzen!
Spenden für die Arbeit von SozialistInnen in der Türkei bitte an:
PSK 8812.733 (Blz 60.000) - Verwendungszweck: Türkei