Di 08.12.2015
Die AKP hat sich mit einer Kampagne von Terror und Unterdrückung von der Niederlage der Juni-Wahlen erholen können. Dennoch steht die Türkei vor unsicheren Entwicklungen.
Die AKP hat ihren Stimmenanteil auf 49,5 Prozent steigern können und kann nun eine Alleinregierung bilden. Verloren hat vor allem die rechts-nationalistische MHP, der linken HDP gelang der Wiedereinzug in das Parlament. Ein Beispiel für die nationalistisch-aufgeheizte Stimmung im Land ist, dass viele WählerInnen nationalistischer Parteien zur AKP wechselten, da sie sich von ihr besser vertreten fühlten. Die AKP konnte die Wahlen vor allem aufgrund ihrer Terrorkampagne gewinnen. Mehr als 500 Menschen wurden zwischen den beiden Wahlterminen getötet. Sicher gab es auch Wahlfälschungen, doch der Sieg der AKP kann damit allein nicht erklärt werden. Auch in den kurdischen Provinzen konnte die AKP zulegen. Sie gewann Stimmen von anderen islamistischen Parteien, wie der Huda-Par. Aber vor allem sank hier die Wahlbeteiligung, gleichzeitig wurden HDP-WählerInnen an der Wahlteilnahme gehindert.
Was bedeutet der AKP-Sieg?
Der Sieg von AKP und Erdoğan ist ein Pyrrhus-Sieg, der unter großen Kosten gewonnen wurde und in der Zukunft noch mehr kosten wird. Die kriminelle Bilanz von AKP und Erdogan ist massiv, es gibt keinen anderen Ausweg mehr, als die Unterdrückung weiter zu verstärken. Sicherlich galt diese bisher vor allem linken und kurdischen AktivistInnen. Aber nach und nach wird die AKP alle Teile der Gesellschaft ins Visier nehmen, die ihre Stimme gegen die soziale Krise im Land erheben. Gleichzeitig werden sie versuchen, den Krieg in Kurdistan auszuweiten. Das gilt um so mehr als die kurdischen Kräfte der PYD in Rojava zuletzt Erfolge erzielen konnten. Gleichzeitig spielen unterschiedliche Interessen der USA, die mit der PYD zusammenarbeiten, eine Rolle. Die Türkei will eine Ausweitung der Erfolge in Rojava um jeden Preis verhindern, während die USA auf die PYD als Bodentruppen setzen.
Ist die HDP gescheitert?
Als die HDP bei den Kommunalwahlen 2014 nur zwei Prozent der Stimmen in den westlichen Provinzen holte (gegenüber vier bis fünf Prozent in Kurdistan) haben viele linke Gruppen vom Ende der HDP gesprochen. Aber als die HPD dann zehn Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen im gleichen Jahr holte, wurde das Potential für eine linke Massenkraft in der Türkei deutlich. Die Entscheidung der HDP bei den Parlamentswahlen mit einer Parteienliste statt mit Einzelkandidaten anzutreten hielten viele angesichts der Zehn-Prozenthürde für ein Risiko. Doch das Ergebnis von 13,1 Prozent war dann sensationell und löste viel Begeisterung aus. Aber hätte die HDP schon im Juni nur die 10,8 Prozent der jetzigen Wahl geholt, wäre auch das ein wichtiger Sieg gewesen. Denn schon vor den Juni-Wahlen war die HDP Opfer massiver Repression: Büros wurden in die Luft gesprengt und Kundgebungen angegriffen. Gleichzeitig hatte die HDP-Führung nach dem Anschlag von Ankara alle Kundgebungen abgesagt. Damit machte sie in einer kritischen Phase ihre Stimme nicht hörbar. Generalstreik und Massendemonstrationen nach dem Anschlag zeigten aber die andere Seite der Medaille. Das Ergebnis der HDP ist vor allem vor diesem Hintergrund zu betrachten. Das Überspringen der Zehn-Prozenthürde ist daher beachtenswert. Die HDP hat immer noch gegenüber der Präsidentschaftswahl eine Million Stimmen hinzu gewonnen. Sie hat ihre Unterstützung im Westen der Türkei konsolidieren können.
Neue Möglichkeiten
Am Wahlabend waren viele enttäuscht über das Wahlergebnis. So mancher sprach davon, das Land verlassen zu wollen. Viele Linke haben das Ergebnis als Niederlage gesehen.
Doch vor allem ist wichtig, dass es seit dem Beginn der Gezi-Proteste 2013 in Bezug auf Wahlergebnisse und Anti-Regierungsstimmung eine Linksverschiebung in der türkischen Gesellschaft gegeben hat. Sicherlich hat Erdoğan in den letzten Jahren seine Macht ausbauen können, doch gleichzeitig hat die türkische Linke wichtige Erfahrungen gesammelt und Schlussfolgerungen gezogen.
Der Erfolg der HDP hat bestätigt, dass es vor allem das Fehlen einer Organisation war, die die Bewegung bisher bremste. Doch ihr Einfluss bleibt wegen ihrer Nähe zur PKK begrenzt. Es kommt daher darauf an, weitere gesellschaftliche Kräfte in den Prozess des Aufbaus einer neuen Partei der Massen einzubeziehen. Die linken Gewerkschaften sollten gemeinsam mit HDP und BHH einen Massenkongress organisieren, der Arbeiter und Jugendliche einbezieht. Ausgehend von diesem Kongress sollten Kampagnen gegen den Krieg und für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns begonnen werden. Die Zukunft des Klassenkampfs wird davon abhängen, ob es der der türkischen Linken gelingt, eine gemeinsame Kraft aufzubauen.