Fr 26.08.2011
Inspiriert durch die Aufstände in anderen arabischen Ländern rollt seit März eine Protestwelle durch Syrien. Massendemonstrationen in Homs, Hama und unzähligen anderen Städten und Dörfern erschüttern die Herrschaft von Al-Assads Baath-Partei. Das Regime reagiert mit blutiger Unterdrückung. Nach Angaben von Oppositionellen wurden bis Ende Juni bis zu 1.600 Menschen getötet.
Armut und Unterdrückung führen zu Aufständen
Vor dem Hintergrund fallender Öleinnahmen setzte das Regime in den letzten Jahren auf Privatisierungen und Deregulierungen. In Industriestädten wie Homs und Dayr Az-Zawr wurden Tausende entlassen. Die Subventionen von Grundnahrungsmitteln wurden gekürzt. Löhne stagnierten oder fielen, während die Inflation stieg. Banken-, Telekom- und Bausektor wurden liberalisiert. Die Öl- und Gasindustrie ist teilweise privatisiert oder wird als Joint-Ventures mit Multis geführt. Eine kleine Schicht um den Präsidenten-Clan konnte sich maßlos bereichern.
15 verschiedene Geheim- und Sicherheitsdienste sollen die Bevölkerung im Zaum halten. Folter war und ist Normalität. In der Vergangenheit gab es zwar Unterdrückung, aber zumindest eine gewisse soziale Sicherheit – die Politik der letzten Jahre bedeutete für die Masse der Bevölkerung einen dramatischen Einbruch im Lebensstandard, während die Unterdrückung aufrecht blieb. Ein Pulverfass, das nur darauf wartete, zu explodieren.
Ethnisches und religiöses Sektierertum
Al-Assad wirft der Bewegung vor, das Land entlang ethnischer und religiöser Linien zu spalten und es in den Bürgerkrieg zu treiben. Tatsächlich hat das Regime selbst von Beginn an religiöse Spaltung und ethnische Unterdrückung forciert. Die Mehrheit der SyrerInnen sind sunnitische AraberInnen (ca. 74%). Dazu kommen noch weitere religiöse und ethnische Gruppen (ChristInnen, AssyrerInnen, KurdInnen, etc.). Die zentralen Machtpositionen sind in einer Teile-und-Herrsche-Strategie fast ausschließlich von AlevitInnen besetzt (ein Ableger des schiitischen Islam).
Bis jetzt zeigt die Bewegung bemerkenswerte Widerstandskraft gegenüber religiösem Sektierertum. Die Moslembruderschaft spielt eine untergeordnete Rolle. In den lokalen Koordinationskomitees der AktivistInnen sind Menschen aller ethnischen und religiösen Gruppen vertreten.
Der Bürgerkrieg wird vom Regime selbst geführt. Die Belagerungen von Dara’a, Jisr Al-Shoghur und anderen Städten haben Hunderten das Leben gekostet. Ganze Dörfer werden „gesäubert“ und die Ernte verbrannt. Viele Soldaten, die sich dem Befehl auf friedliche DemonstrantInnen zu schießen widersetzten, wurden hingerichtet.
„Keine Zugeständnisse - keine Verhandlungen!“ (Demospruch)
Trotz der Brutalität ist dem Regime bewusst, dass es Zugeständnisse machen muss. So wurde schon zu Beginn der Proteste formal der seit 1963 geltende Ausnahmezustand aufgehoben. Zahlreichen KurdInnen, die bis jetzt ohne Staatsbürgerschaft im Land lebten, wurde diese versprochen. Das Regime versucht auch Teile der Opposition zu integrieren, um die Bewegung so zu spalten. All das hat nicht zum Ende der Proteste geführt. Die Massen haben ihre Forderungen weiterentwickelt - das Regime muss fallen. Bis jetzt hat Al-Assad in Teilen der Bevölkerung, vor allem in den wirtschaftlich besser gestellten Städten Damaskus und Aleppo (wo auch der Großteil der Staatsbürokratie konzentriert ist) noch eine gewisse Unterstützung. In den ArbeiterInnen- und Elendsvierteln am Stadtrand von Damaskus kommt es allerdings schon seit März zu Massendemonstrationen gegen das Regime. Das Regime selbst ist auch nicht homogen, die Möglichkeit einer Spaltung der Herrschenden ist immanent und könnte Al-Assad das Rückgrat brechen.
Entscheidend ist es jetzt, die Bewegungen und die lokalen Komitees zu vernetzen und so eine organisatorische Gegenmacht zum Regime aufzubauen, die die Bewegung weiterentwickeln kann. Ethnische und religiöse Spaltung kann und muss überwunden werden, damit die Revolution erfolgreich ist.
Es ist noch nicht absehbar, ob die Revolution erfolgreich sein wird. Klar ist aber, dass sich das Regime, selbst wenn es ihm gelingt die aktuelle Bewegung niederzuschlagen, nicht auf Dauer Bestand haben wird. Al-Assads kapitalistische Diktatur hat den Massen nichts anzubieten außer Armut und barbarische Unterdrückung – letztlich kann eine geeinte Massenbewegung der ArbeiterInnen, Jugendlichen und Armen das Schicksal des Regimes besiegeln.