Sozialwirtschafts (SWÖ)-Abschluss 2020: Ein Verrat mit Folgen

Hinter dem Rücken und auf dem Rücken der Beschäftigten des Sozialbereichs - das ist der faule Deal der Gewerkschaftsbürokratie!
Eine Stellungnahme der SLP-Bundesleitung vom 1.4.2020

Wut. Das ist das Gefühl Vieler, die wieder und wieder gestreikt haben, die den kämpferischen Reden der Gewerkschaftsbürokrat*innen zugehört haben, die viel riskiert haben, weil sie öffentlich und auch für die Arbeitgeber*innen deutlich sichtbar demonstriert haben. Unendlich viel Kraft hat es Betriebsrät*innen und Streikkomitees gekostet unter den Kolleg*innen zu mobilisieren und den Ablauf der Proteste sinnvoll zu gestalten. Viel “Neuland” gab es zu erkunden, denn drei Streikrunden in einem KV Konflikt und vor allem öffentliche Streikaktionen sind in Österreich extrem selten. Sogar nach Verhängung der ersten Corona-Maßnahmen gab es noch selbst organisierten Protest. Und alles das für diesen Abschluss?

Das gleiche Angebot (2020: +2,7%, 2021: Inflation +0,6%, 2022: 1h Arbeitszeitverkürzung) hatten die Arbeitgeber*innen schon früher gemacht und es wurde als Verhöhnung abgelehnt. Warum sollte es jetzt weniger eine Verhöhnung sein? Alles was jetzt mehr dazu kommt sind 500€ Einmalzahlung als “Corona-Prämie”. Die Gewerkschaft tut so als sei angesichts von Corona nicht mehr möglich gewesen und ist sich nicht zu dumm das Ergebnis als Erfolg zu feiern. +2,7% bei Löhnen und Gehältern in der Branche, die 19% (!!) unter dem Durchschnitt liegen sind der erste Schlag ins Gesicht. Laut Statistik Austria lag die Inflation im Februar im Vergleich zum Vorjahr bei 2,2%. Also satte 0,5% Lohnerhöhung. Nächstes Jahr dann gerade mal 0,6%, also wieder so gut wie nichts. 2022 sollen alle dann ganz auf eine Lohnerhöhung verzichten, um 1h Arbeitszeitverkürzung zu bekommen. Die Teilzeitbeschäftigten bekommen dann zwar etwas mehr, aber gleichzeitig müssen auch sie dann intensiver arbeiten: Wie soll es bei einer Stunde Arbeitszeitverkürzung einen Personalausgleich geben?? Gerade in dieser Branche gibt es viele Standorte, die weniger als 10 Beschäftigte haben. Soll dann ein extra-Arbeitsplatz für die paar Stunden geschaffen werden? In Wirklichkeit wird es den nicht geben, sondern die gleiche Arbeit in weniger Zeit verlangt werden - und das in der Branche mit Rekord-Burn-Out Raten. Zu allem Überfluss gibt es auch noch Verschlechterungen bei den Mehrstundenzuschlägen...

Viel, viel mehr wäre möglich gewesen!

Die Wochen vor Einführung der Corona-Maßnahmen haben eine historische Streikbewegung gesehen. Es hat auch in den letzten Jahren Streiks mit mehr Beschäftigten gegeben, aber so viel Beteiligung in Form von Demonstrationen, kreativen Aktionen und Opferbereitschaft so Vieler hat so keine*r der Beteiligten bisher erlebt. Extrem wichtig war auch die KV-übergreifende Solidarität von SWÖ, Caritas und BABE (Erwachsenenbildung). Dabei hat sich wieder gezeigt: Der Gesundheits- und Sozialbereich ist der, mit der besten Basisorganisierung in Österreich. Die diversen formellen und informellen Netzwerke von Betriebsrät*innen und kämpferischen Kolleg*innen waren es, die diese Bewegung ins Laufen gebracht und gehalten haben.
Gleichzeitig war die Solidarität aus anderen Branchen und der ganzen Bevölkerung deutlich spürbar. Wer auf den Demos war oder bei einer der Infotisch- oder Flyeraktionen dabei war, wird bestätigen: Die Reaktionen von Passant*innen waren überwältigend positiv. Das ist in einer Branche, die im Wesentlichen von öffentlichen Geldern abhängig ist, besonders wichtig.

Corona hat es zwar erstmal fast unmöglich gemacht den Protest in gewohnter Form auf die Straße zu tragen, aber die Solidarität wurde noch größer. Die Hochachtung und Dankbarkeit gegenüber all denen, die jetzt in der Behindertenbetreuung, in der Hausaufgabenhilfe, in den Pensionist*innenheimen, in der Asylarbeit und an so vielen anderen entscheidenden Orten den Betrieb unter extrem schweren und gefährlichen Bedingungen am Laufen halten ist mit Händen zu greifen. Viele Leute klatschen Abends von Balkonen und Fenstern für die Beschäftigten - ein echtes Zeichen von Dankbarkeit und Solidarität (im Gegensatz zu den geheuchelten und leeren Lobpreisungen durch die Regierung, die es in der Hand hätte, auf einen Schlag die Arbeits- und Einkommensbedingungen der “Held*innen” zu verbessern). Und da soll nicht mehr möglich gewesen sein als dieser Abschluss?
Nein, das ist eine Ausrede der Gewerkschaft. Sonst hätten sie den Abschluss auch nicht in so einer Nacht- und Nebelaktion durchgeboxt. Übrigens ist es den Kolleg*innen in der Erwachsenenbildung (BABE-KV) ganz ähnlich ergangen. (https://www.slp.at/artikel/babe-kv-unternehmen-nutzen-corona-krise-f%C3%BCr-deal-gegen-besch%C3%A4ftigte-9962).

Die Streiks, die ja eigentlich für den 24.und 25.03. angekündigt waren, wurden abgesagt weil es hieß, dass die SWÖ-Verhandlungen bis auf Weiteres wegen Corona ausgesetzt wären. Daran haben sich auch alle gehalten, obwohl die Vorbereitungen bereits liefen. Offensichtlich wurde aber doch weiter verhandelt, wir wurden schlicht belogen!
Und das gleich drei Jahre im Voraus. Das Argument der Abschluss sei ein Erfolg, weil Verhandlungen in den nächsten Jahren unter Kriegsähnlichen- bzw. Weltwirtschaftskrisen-Bedingungen und damit schwierigeren Bedingungen stattfinden werden, ist beispielhaft für die Haltung der Gewerkschaft. Was schwierige Bedingungen sind, hängt vor allem vom Kräfteverhältnis ab. Unter schwierigen Bedingungen wurde schon ganz andere Erfolge erkämpft, wie Wahlrecht, Verbot von Kinderarbeit oder überhaupt das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung. Wer so argumentiert wie die Gewerkschaft das tut, verschweigt wie stark eine organisierte und konsequente Streikbewegung sein kann - auch unter schwierigen Rahmenbedingungen
Warum hat die Gewerkschaft die Bewegung so hinter das Licht geführt? Um es deutlich zu sagen: Die FSG-(“Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter*innen, SPÖ in der Gewerkschaft)-Bürokratie ist dankbar für diesen Vorwand einen Abschluss herbei zu führen. Die Bewegung fing an, ihr über den Kopf zu wachsen. Unter normalen Umständen wäre es nicht mehr möglich gewesen so einen Abschluss vorzulegen ohne zu riskieren, dass sich die kämpferische Stimmung an der Basis auch gegen die Gewerkschaftsführung richtet. Aber die Gewerkschaftsbürokratie legt gerade jetzt mehr Wert darauf, sich so staatstragend wie ein Ministerium zu präsentieren, statt wirklich die Interessen ihrer Mitglieder durchzukämpfen. Das ist heute noch deutlicher als eh schon.

Organisieren!

Gerade weil wir alle Corona-bedingt in der Isolation sitzen ist es angesichts dieses Abschlusses sehr nachvollziehbar, wenn viele jetzt resignieren. So viel riskiert und dann so schändlich verraten! Das macht nicht nur wütend, sondern frustriert auch. Manch eine*r mag darüber nachdenken, jetzt aus GPA-djp oder VIDA auszutreten. Aber wir rufen dazu auf das Gegenteil zu tun! Wer noch kein Gewerkschaftsmitglied ist sollte jetzt eines werden. Wer es ist, sollte es bleiben. Aber nicht einfach nur so: Organisiert euch! Wer austritt, tut denen, die solche Abschlüsse verkaufen wollen nur einen Gefallen. Es ist höchste Zeit die Wut zu kanalisieren und den Druck innerhalb der Gewerkschaften zu erhöhen! Wir müssen über Massen-E-Mails, Facebook-Shitstorms, Anrufe und vieles, vieles mehr eine Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis verlangen. Wenn die Gewerkschaft so stolz auf ihren Abschluss ist, dann sollte sie den ja auch gegenüber den Mitglieder vertreten.
Und uns ist egal was der Abschluss sagt: Auf jeden Fall müssen wir nächstes Jahr wieder “verhandeln” und eine ordentliche Lohn- und Gehaltserhöhung UND eine Arbeitszeitverkürzung auf mindestens 35 h erkämpfen! Wir können uns diesen Abschluss nicht leisten, gerade angesichts der Corona-Krise. Wir müssen befürchten, dass die Milliarden-Rettungspakete zu Sparpaketen in allen öffentlichen Haushalten werden. Der Sozial- und Gesundheitsbereich ist fast schon “traditionell” ein Angriffsziel solcher Maßnahmen. Wir können gerade angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen in der Branche nicht auf Offensiv-Forderungen verzichten.

Was tun?

Die SLP unterstützt die Basisinitiative “Sozial Aber Nicht Blöd”, die Betriebsrät*innen und kämpferische Kolleg*innen vernetzt und zwar inzwischen in Wien, der Steiermark und mit ersten Schritten in Oberösterreich. Ohne Initiativen wie diese, aber auch viele Andere wie “Resilienz” in Innsbruck, “Freiraum” und “KNAST” in Wien, “Sozialhackler*innen” in Graz… wäre die Streikbewegung so nie entstanden. In der Basisorganisierung liegt der Schlüssel nicht nur für erfolgreiche KV-Verhandlungen, sondern auch für das Erkämpfen von gewerkschaftlicher Demokratie.
Ähnliche Ansätze finden sich auch in anderen Bereichen wie dem KAV Wien, also den Wiener Spitälern, mit “Gleicher Lohn Für Gleiche Arbeit”. Wir müssen uns auf einen schweren Kampf um Einsparmaßnahmen rund um die Wirtschaftskrise einstellen und vorbereiten. Jetzt ist die Zeit Bündnisse zu schmieden und so bald wie eben möglich eine gemeinsame Demonstration zur Ausfinanzierung des Gesundheits- und Sozialbereichs zu organisieren. Das darf aber nur der Auftakt für einer entschlossenen Kampagne mit Streiks und Allem sein, das eben notwendig ist um erfolgreich zu sein. Wo Milliarden über Nacht locker gemacht werden können um nicht nur kleine Geschäfte sondern auch Milliardenschwere Konzerne und Banken zu retten, müssen ein paar Milliarden mehr für Gesundheit und Soziales  möglich sein! Wir können ja schonmal damit anfangen Abends Lärm zu machen mit Töpfen und Allem was uns einfällt, statt zu klatschen. Statt Jubel braucht es jetzt Protest um die Corona-Held*innen zu unterstützen.

Wir geben den SWÖ-Abschluss 2020 noch nicht auf und kämpfen hier für eine Urabstimmung. Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz, die “Schwester-KVS” haben noch nicht abgeschlossen und wir sollten verhindern, dass weiter verhandelt wird so lange wir Corona-bedingt bei Kampfmaßnahmen eingeschränkt sind. Werde jetzt dafür aktiv, mit Initiativen wie “Sozial Aber Nicht Blöd” und werde Mitglied bei der SLP!


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