Do 12.10.2017
Nach den Nationalratswahlen am 15.10.2017 droht eine schwarz-blaue Regierung. Viele haben zu Recht Angst davor und es wird Proteste geben. Auch wenn derzeit keine Wiederholung der Widerstandsbewegung von 2000 zu erwarten ist weil man sich an die FPÖ und ihren Rassismus schon „gewöhnt“ hat, so ist es doch wichtig, die Lehren daraus zu ziehen um Proteste gegen eine mögliche kommende Regierung möglichst effektiv zu machen. Denn auch eine Koalition aus SPÖ und FPÖ ist möglich, deren Maßnahmen Angriffe auf die Rechte von ArbeiterInnen und MigrantInnen beinhalten würden und daher massiven Widerstand brauchen.
Am 3. Oktober 1999 ging die SPÖ bei den Nationalratswahlen als stärkste Partei hervor, die FPÖ erreichte Platz zwei und mit nur wenigen hundert Stimmen dahinter die ÖVP unter Wolfgang Schüssel. Anfangs wurden Verhandlungen über eine SPÖ-ÖVP-Regierung geführt, doch offensichtlich verhandelte die ÖVP parallel und geheim auch bereits mit der FPÖ. Als die Verhandlungen für die „Große Koalition“ dann scheiterten, einigten sich ÖVP und FPÖ rasch auf eine Regierung.
Seitdem die Gefahr einer Regierungsbeteiligung in der Luft lag, formierte sich Widerstand dagegen. Am 12. November 1999 gab es eine Großkundgebung von SOS-Mitmensch und der „Demokratischen Offensive“ - beides Organisationen die in einem Nahverhältnis zu v.a. SPÖ aber auch Grünen stehen. Die Vorgängerorganisation der SLP, die Sozialistische Offensive Vorwärts SOV, begann bereits unmittelbar nach der Wahl mit wöchentlichen „Montagskundgebungen“. Wir stellten von Anfang an klar, dass eine Regierungsbeteiligung der FPÖ aus zwei Gründen gefährlich ist: wegen ihres Rassismus und wegen des beschleunigten neoliberalen Umbaus. Ab Ende Oktober mobilisierten wir für einen Schulstreik im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung.
Eine Massenbewegung beginnt
Als die FPÖ-ÖVP-Koalition fix war, überschlugen sich die Ereignisse. Am 1. Februar kam es zur Besetzung der ÖVP-Zentrale. Darauf folgten tägliche Proteste. Bei der Angelobung am 4. Februar war der Ballhausplatz schon am Vormittag, vor der Angelobung, voller Menschen aus allen Schichten. Bauern brachten Obst (nicht zum Essen), ein Mann im Anzug einen Sack mit Eiern (auch nicht zum Essen), unzählige Menschen allen Alters waren mit Tafeln und Protestschildern gekommen. Die neue Regierung konnte die wenigen Meter vom Bundeskanzleramt zur Hofburg zur Angelobung beim Bundespräsidenten nur durch einen unterirdischen Gang zurück legen. Es folgte an diesem Tag eine bzw. mehrere Demonstrationen durch die Wiener Innenstadt. U.a. wurde für einige Zeit das Sozialministerium besetzt – als Protest dagegen, dass dieses Ministerium an die FPÖ ging. Es folgten für mehrere Wochen tägliche Demonstration von zehntausenden. Am 12.2. fand beim Karl-Marx-Hof in Wien im Zuge der Proteste auch das wahrscheinlich größte Gedenken an die Ereignisse vom Februar 1934 der Geschichte statt.
Anlässlich einer Sonntag-Abend-TV Debatte die kurzfristig vom Stephansplatz in die ORF-Zentrale am Küniglberg verlegt worden war zogen tausende im Laufschritt durch Wien und waren noch während der Sendung vor dem ORF – so laut, dass man es auch in der Sendung hörte. Am 18.2. fand der größte politische Schulstreik der Geschichte statt. Die SLP hatte diesen initiiert, andere Organisationen hatten sich ebenfalls beteiligt. 15.000 SchülerInnen folgten dem Aufruf, gegen die schwarz-blaue Regierung zu streiken. (Andere Linke hatten in dieser Zeit Unterschriften gesammelt in denen die ÖVP aufgefordert wurde, doch keine Koalition mit der FPÖ zu machen). Am 19.2. waren 300.000 Menschen in Sternmärschen auf der Straße. Ab dann wurden die Demonstration wöchentlich am Donnerstag abgehalten. Die „Donnerstagsdemos“ gab es über ein Jahr lang – in den ersten Monaten waren es wöchentlich tausende, danach immer noch hunderte, die jede Woche marschierten. „Wir gehen, bis ihr geht“ war das Motto. Eine ganze Generation wurde durch die Proteste politisiert, 20% aller WienerInnen unter 30 hatten an der „Widerstandsbewegung“ teilgenommen. Die Bewegung war großartig und einzigartig und für alle die dabei waren ein wichtiger Teil ihres (politischen) Lebens. Doch sie war nicht erfolgreich. Es ist wichtig zu analysieren warum – denn das nächste Mal wollen wir gewinnen!
Die verschiedenen Ebenen des Widerstandes
Auf offizieller Ebene verhängte die EU Sanktionen gegen Österreich. Eine Maßnahme die verlogen war und der Regierung sogar nutzte. Staaten, die selbst rassistische und neoliberale Politik machten verhängten „Sanktionen“ - die nebenbei ohnehin Augenauswiescherei waren. Wenige Monate nach Beginn der Sanktionen schickte die EU einen „Weisenrat“ - einige abgehalfterte EU-Politiker kamen nach Wien, trafen ein paar NGO-VertreterInnen, schauten im Vorbeigehen, ob eh keine RegimekritikerInnen am Ring gefoltert werden und erklärten die Sanktionen für beendet. Die österreichische Regierung konnte sich als „Opfer“ darstellen was ihr durchaus Unterstützung im Land brachte.
Auch die (parlamentarische) Opposition sowie ihr nahestehende Organisationen war mehr oder weniger aktiv. Ihre Hauptargumentation lag auf der Forderung nach „Neuwahlen“. Für sie hatten sich die WählerInnen einfach geirrt und sollten in einer Neuwahl die Chance bekommen, ihren Fehler zu korrigieren. Bei den nächsten Nationalratswahlen 2002, die wegen des Bruchs der FPÖ in FPÖ und BZÖ notwendig geworden waren verlor zwar die FPÖ, dafür gewann die ÖVP stark und die Regierung wurde – nun als ÖVP-BZÖ-Regierung – fortgesetzt. Warum sollte man auch für die SPÖ stimmen? Sie war kein Teil der Widerstandsbewegung (auch wenn natürlich Mitglieder der SPÖ in dieser aktiv waren) und als Regierungsprogramm übernahmen FPÖ&ÖVP in weiten Teilen jenen Pakt, den die ÖVP mit der SPÖ bereits verhandelt hatte. Was einerseits zeigt, wie weit die SPÖ bereit war zu gehen und andererseits dazu führte, dass diese die Koalition inhaltlich schwer kritisieren konnte. Tatsächlich stimmte die SPÖ auch in der Opposition zahlreichen Verschärfungen im Fremdenrecht zu, die von der blau-schwarzen Regierung beschlossen wurden.
Die zögerliche Haltung der SPÖ spiegelte sich nur zum Teil in den Gewerkschaften wieder. Da die SPÖ nicht mehr in der Regierung war viel das innergewerkschaftliche Argument „wir können ja nicht gegen unsere Partei streiken“ weg. Tatsächlich gab es kämpferischere Töne und auch Taten. Der aktuelle AK-Chef Rudolf Kaske, damals Chef der Gewerkschaft HGPD meinte anlässlich der geplanten Angriffe der Regierung: „"Unsere Gewerkschaft ist gerüstet. Wenn einmal dieses Arbeitslosenheer marschiert, dann brennt die Republik." Die Wiener AK organisierte eine Demonstration und es gab einen Warnstreik der LehrerInnen. Der ÖGB mobilisierte zu zwei Aktionstagen mit der legendären „Hageldemo“ (bei der trotz massivem Regen und faustgroßen Hagelkörnern 200.000 Menschen demonstrierten) bzw. einem de facto Generalstreik (auch wenn sie den Begriff stets zurückwiesen anstatt ihn stolz einzusetzen) gegen die Pensionsreform.
Die EisenbahnerInnen legten das Land für mehrere Tage gegen die geplante Zerschlagung der ÖBB und Verschlechterungen im Dienstrecht lahm. All das spiegelte den Druck aus der Basis wieder – doch es fehlte der Gewerkschaft die Perspektive (und wie sich später herausstellen sollte auch das Geld, da die ÖGB-Führung den Streikfond bei riskanten Karibikabenteuern verspekuliert hatte). Die Gewerkschaftsführung hatte keine Idee, was geschehen sollte, wenn die Kämpfe tatsächlich erfolgreich wären – denn das hätte den Sturz der Regierung bedeutet. Und dann? Die Gewerkschaftsspitzen wussten genau, dass die SPÖ viele der Maßnahmen genauso durchführen würden, da sie den kapitalistischen Notwendigkeiten entsprachen (was sich ja auch darin zeigt, dass die SPÖ nachdem sie wieder an der Regierung war so gut wie alle Maßnahmen von ÖVP und FPÖ einfach beließen). Und bei denen geht es halt um Profite und nicht um Sozialstaat und die Rechte von ArbeiterInnen.
Die Tatsache, dass es keine ArbeiterInnenpartei gab rächte sich bitter. Die SLP war seit längerem für den Aufbau einer solchen neuen linken Kraft eingetreten. Doch viele Linke argumentierten, man müsse nun SPÖ bzw. Grün unterstützen. Und v.a. fehlte großen Teilen der Linken eine Strategie um den Kampf zu gewinnen. Die SLP war damals Teil des „Aktionskomitees gegen Blau-Schwarz“ dass die Koordination der Proteste übernommen hatte und in dem Einzelpersonen sowie VertreterInnen verschiedener linker Organisationen wöchentlich zusammen kamen. Die SLP setzte sich für eine stärkere Organisierung und Planung der Proteste und Aktionen und v.a. für eine Orientierung auf die Organisationen und Methoden der ArbeiterInnenklassse ein. Doch wir waren in der Minderheit. Die Mehrheit sah in der Unorganisiertheit der Bewegung einen Vorteil und wollte keine konkreten nächsten Schritte vorschlagen. Die Vertreterin der KPÖ im Aktionskomitee kritisierte uns dafür, dass wir immer wieder die Notwendigkeit betonten in die Richtung von Streiks zu gehen. Insgesamt fehlte jenen, die real die Führung der Bewegung darstellten die Vorstellung und das Vertrauen, dass „normale Menschen“, also die ArbeiterInnenklasse die Kraft ist, um eine solche Regierung zum Fall zu bringen. Viele die länger aktiv sind kennen den Zugang von großen Teilen der Linken, Proteste v.a. als Möglichkeit zu sehen, Unmut auszudrücken aber ohne das wirkliche Ziel den Kampf auch zu gewinnen.
Die SLP, die am Höhepunkt der Bewegung im Februar 2000 als Nachfolgeorganisation der SOV gegründet worden war, spielte eine zentrale Rolle in der Widerstandsbewegung. Ohne uns hätten es den Schulstreik von 15.000 wütenden Jugendlichen nicht gegeben. Wir argumentierten für die Orientierung auf Klassenkämpfe und Gewerkschaften. Wir arbeiteten über viele Monate im Aktionskomitee gegen Blau-Schwarz und forderten immer und immer wieder soziale Schwerpunkte ein. Wir traten für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei mit sozialistischen Programm ein und unterstützen seither jeden konkreten Schritt in diese Richtung.
Und heute?
Die Angriffe durch die kommende Regierung werden kommen – und zwar egal, wie diese sich zusammensetzt. Und es wird Proteste auf unterschiedlichen Ebenen geben. Aus dem Bildungsbereich, wenn die Schritte Richtung Kaputt sparen einerseits und Elitebildung andererseits intensiviert werden. Aus dem Gesundheitsbereich, wenn die Arbeitssituation sich weiter verschlechtert und bei den Leistungen gestrichen wird. Aus den Betrieben, wenn die Arbeitszeit flexibilisiert wird. Von Frauen, wenn der ohnehin beschränkte Zugang zu Abtreibung weiter erschwert wird. Und aus noch vielen anderen „Ecken“. Diese Proteste müssen zusammen geführt werden. Organisieren wir demokratische Komitees und Aktionsgruppen in allen Bereichen. Sie brauchen offensive Forderungen die sich letztlich um die Geldfrage drehen: also darum wie das Geld der Reichen erkämpft werden kann damit alle Menschen in Österreich in Würde leben können. Und sie müssen organisiert werden. Vernetzung ist gut, aber ein Schritt zu wenig. Dass es bei dieser Wahl (und auch schon den letzten) keine starke linke Kraft gibt ermöglicht es der extremen Rechten und Listen, die bestenfalls skurril, eher gefährlich, sind, sich als „Alternative“ aufzuspielen. Wir brauchen endlich, endlich eine linke Organisation, eine Partei die dem Unmut auf der Wahlebene ausdrücken kann und die v.a. Menschen die sich wehren wollen eine echte Alternative bietet. Wir wollen keine Regierung des kleineren Übels. Doskozil steht wie Kurz und Strache für rassistische Politik und auch der Manager Kern steht für Angriffe auf die Rechte von ArbeiterInnen und will z.B. die Arbeitszeit flexibilisieren und den 12-Stunden-Tag einführen.
Wir können uns keine Regierung leisten, die unser Geld an die Reichen verschiebt. Wir brauchen eine Regierung von ArbeiterInnenparteien, die sich nicht an Sachzwängen sondern an den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt orientiert. Kein leichtes Ziel, aber ein Notwendiges! Werde mit uns gemeinsam aktiv. Wenn wir uns nicht wehren und aktiv werden, wird uns in den nächsten Jahren eine Lawine von Angriffe überrollen. Werde deshalb mit uns aktiv und Teil des Widerstandes.