Di 01.04.1997
In Zeiten einer stagnierenden Weltwirtschaft und sinkender Wachstumszahlen scheinen die asiatischen Tigerstaaten den Ausweg aus der Krise zu zeigen. Dem Aufstieg von Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur wird nun eine doppelte Funktion zugewiesen: Einerseits sollen sie als Beispiel dafür dienen, wie’s geht, andererseits wird gehofft, daß Südostasien den Karren der Weltwirtschaft aus dem Dreck zieht.
Die Staaten in Südostasien - begonnen mit Japan, gefolgt von den Tigerstaaten, weitergeführt von den Drachenstaaten (Malaysia, Thailand, Indonesien...) - haben sich innerhalb weniger Jahrzehnte von ihrer Position als wirtschaftliche Schlußlichtern an die Spitze der Weltwirtschaft katapultiert. Während in den 60er Jahren gerade 10 % des weltweiten BIP aus dem pazifischen Raum (inkl. Australien) kamen, lag der Anteil 1995 bereits bei 26 %. 1995 kamen 28 der 100 größten Industrie-Unternehmen aus diesem Raum, vor zwanzig Jahren waren es nur 10.
USA finanziert Wunder
Für diese Entwicklung gibt es handfeste Gründe: die Bewegungen der Arbeiter und Bauern, die Gefahr einer Revolution der Unterdrückten (wenn auch stalinistisch deformiert) stellten im Zusammenhang mit der Chinesischen Revolution von 1949 eine Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten dar. Der Korea- und der Vietnam-Krieg wurden von der USA aus Angst vor dieser Revolution geführt. Aus demselben Grund erzwangen die USA von den herrschenden Feudalherren eine Landreform - besser ein bißchen nachgeben, als die ganzen Staaten zu verlieren - war die Devise. Die Wirtschaft der südostasiatischen Staaten wurden durch milliardenschwere Wirtschaftshilfe und bevorzugte Behandlung durch die USA mitaufgebaut, um sie als Brückenkopf zu erhalten (noch immer sind rund 37.000 US-Soldaten in Südkorea stationiert).
Der starke Staat
Die Tigerstaaten stehen im Gegensatz zu den Behauptungen neoliberaler Ökonomen, die ein größtmögliches Zurückziehen des Staates fordern. In Singapur übt der Staat Kontrolle auf die Höhe der Löhne und die „Arbeitsdisziplin“ aus. Die Arbeitszeit wurde erhöht, Zuschläge gestrichen, der Arbeitsdruck stieg - kurz, die Arbeitskosten wurden möglichst niedrig gehalten. In Hong-kong schuf der Staat durch eine de facto-Zerschlagung der Gewerkschaften gute Ausgangsbedingungen für das Kapital. In Taiwan, einer „autoritären Entwicklungsdiktatur“, gab es Autonomie nur im Bereich der Wirtschaft. Die Opposition wurde behindert und gewerkschaftliche Tätigkeit unterbunden bzw. gelbe Gewerkschaften errichtet. Die südkoreanische Wirtschaft wurde mittels gigantischer staatlicher Subventionen und staatlicher 5-Jahres-Pläne in den Club der Industrienationen gebracht. Auch hier Gewerkschafts- und Streikverbote. Gemein ist allen Tigerstaaten die Bereitstellung von Infrastruktur durch den Staat sowie wirtschaftsfördernde Steuer- und Subventionspolitik und Investitionsanreize auf der einen und Repressionen gegen Arbeitskämpfe und Gewerkschaften auf der anderen Seite.
Erstarken der Arbeiterklasse
Die große Nachfrage nach Arbeitskräften ermöglichte es, starke Reallohnsteigerungen und Verbesserungen des Lebensstandards zu erkämpfen. Von Bewunderern der asiatischen Entwicklung wird immer wieder behauptet, in den Tigerstaaten gäbe es keine aktive Gewerkschaftsbewegung wegen des „Konfuzionismus“ mit seinen starren Traditionen und Hierarchien und der „harmonieorientierten Bevölkerung“. Tatsache ist allerdings, daß es seit dem Beginn der Industrialisierung in Südostasien gewerkschaftlichen Widerstand gibt und die Arbeiterklasse harte Kämpfe um ihre Rechte geführt hat. Diese an Zahl und Selbstbewußtsein erstarkte Arbeiterklasse wird zunehmend zum Problem für das Kapital. Ihre Forderungen können und wollen Unternehmer und Staat in Zeiten einer stagnierenden Weltwirtschaft nicht akzeptieren. Hinzu kommt noch die wegen der hohen Exportquote extreme Abhängigkeit vom Weltmarkt.
Wie in Europa wird auch hier das Argument „Globalisierung“ benützt, um den Arbeitsdruck zu erhöhen. Aufgrund der steigenden Lohnkosten lagern die Unternehmer zunehmend in die noch billigeren Drachenstaaten aus. Erstmals in diesem Jahrhundert wird Arbeitslosigkeit in Südostasien zum Problem und kann daher als Druckmittel eingesetzt werden. Die Streiks in Südkorea richteten sich gegen die Versuche des Staates, die Gewerkschaftsrechte noch weiter zu beschneiden und die Arbeitsbedingungen und Löhne zu verschlechtern. Die Normalität des krisenhaften Kapitalismus kehrt nun auch in diese Regionen der Ausnahmeentwicklung ein.