Russland: Tausende Verhaftungen nach zwei Tagen Protest

Wahlfälschung zeigt Verwundbarkeit von Putins Regime
Rob Jones, CWI-Russland

Am Dienstag den 6. Dezember waren russische Webseiten und Blogs voll mit Berichten über Mengen von Soldaten in Moskaus Straßen. Fotos von Konvois von weißen Bussen auf den Autobahnen tauchten auf. Diejenigen, die am Dienstag an den unerlaubten Protesten teilnahmen, wussten, dass es riskant werden würde. Trotzdem kamen tausende Jugendliche, um gegen die Art und Weise zu protestieren, mit der Premierminister Putin die Wahlen letzten Sonntag gefälscht hatte. Seine Partei, Vereinigtes Russland, hat jetzt nur noch eine Mehrheit von 13 Sitzen im Russischen Parlament, der Duma.

Das Regime war gut vorbereitet. Während des Wahltags, wurden bis zu 50.000 „pro-Kreml“ Jugendliche nach Moskau eingezogen, um alle Oppositions-Aktivititäten und Proteste zu bekämpfen. Diese Jugendlichen sind vor allem Studierende, denen eine kostenlose Übernachtung in einem Hotel in Moskau und einige Euro für den Tag gegeben wurde. Vielen von ihnen wurde gesagt, dass sie durch ihre Prüfungen fallen würden, wenn sie sich nicht an die Anweisungen halten. Am Dienstag Abend wurden 5000 von ihnen an dem Platz aufgereiht, den die Protestierenden benutzen wollten. Sie trommelten auf großen Pauken, schwangen russische Fahnen und riefen „Russland, Russland“. Die Oppositionellen nutzten das schnell für sich aus, in dem sie – während die „Naschisten“ zwischen ihren „Russland, Russland“ Sprechchören, Luft holten – dazwischen riefen „ohne Putin, ohne Putin!“.

Rund um die Naschisten waren Polizeieinheiten in voller Montur aufgebaut. Alle umliegenden Plätze wurden mit Bussen und Polizeiwägen abgesperrt. Nach Angaben des Innenministeriums, wurden 51.000 Polizisten in die Stadt verlegt, um „die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.“ Einheiten der Polizei bewegten sich die Straße entlang, schoben die Protestierenden aus ihrem Weg und verhafteten dabei Hunderte. Viele der über 300, die bei der ersten Demonstration am Montag verhaftet wurden, kamen Dienstag vor Gericht und wurden mit bis zu 15 Tagen Haft belegt. Dieses Schicksal wird viele am Mittwoch und an den folgenden Tagen erwarten.

Bedeutungsvoll ist, dass fast alle, die sich an den legalen Protesten am Montag und der unerlaubten Demonstration am Dienstag beteiligt hatten, Jugendliche waren. Viele von ihnen nahmen das erste Mal an einem Protest teil. Es kam keine verbreitete nationalistische Stimmung auf, was zeigt, das die extreme Rechte bisher noch nicht mobilisiert wurde. In St. Petersburg gab es eine weitere Demonstration, wo 200 Menschen verhaftet wurden und, was sehr wichtig ist, Berichte über eine weitere Demonstration in der südlichen Stadt Rostow. UnterstützerInnen des CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale) aus Russland nahmen mit Zeitungen und einem eigenen Flugblatt teil. Die Art und Weise, wie das Flugblatt heimlich verbreitet wurde, geschützt vor den Augen der Polizei, hat seine Bekanntheit vergrößert, genauso wie die Tatsache, dass niemand sonst politisches Material produziert und verteilt hatte.

Die Tatsache, dass ein großer Teil der AktivistInnen verhaftet wurde und dass es keine klare Strategie der InitiatorInnen der Demonstration gibt, macht fraglich, ob die Proteste sich fortsetzen und wachsen werden. RednerInnen am Dienstag sagten zum Beispiel, dass diese Wahl ja nur dazu da wäre die Kumpanen des Regimes zu wählen und dass man sich jetzt auf die Hauptwahl (die Präsidentschaftswahl im März 2012) vorbereiten müsse. Sie sagten nichts anderes, als dass der Proteste sich jetzt demobilisieren sollte. Aber die Jugendlichen in der Menge murmelten, dass jetzt die Zeit wäre zu handeln.

Allgemeine Unzufriedenheit

In den letzten Jahren hätten solche Jugendproteste nur eine kleine Hand voll Menschen angezogen und wäre von der Masse der Bevölkerung als Aktivität einiger „Marginalisierten“ gesehen worden. Der Unterschied jetzt ist, dass der Protest eine verallgemeinerte Unzufriedenheit in der Gesellschaft widerspiegelt, die während der Wahlkampagne zum Vorschein kam und jetzt ergänzt wird, durch das allgemeine Gefühl, dass Putin nicht unangreifbar ist. Tatsächlich hat Putin heute versprochen, dass „wenn“ er im März wiedergewählt wird, er die Regierung umbilden wird. Am Wahlabend wurde schon im größten Pro-Kreml Fernsehsender offen die Frage diskutiert, ob der König nicht schon ohne Kleider dastehen würde.

Im Nachgang der Wahl haben Putin und Medwedew versucht das Ergebnis schön zu reden, in dem sie darauf hinwiesen, dass im Zuge der globalen Krise überall in Europa Regierungen gefallen wären und in einigen Ländern auch mit ungewählten Regierungen ersetzt wurden. Wenn die russischen Parlamentswahlen wirklich demokratisch gewesen wären, wäre das Endergebnis für die Partei Vereinigtes Russland wirklich bemerkenswert gewesen. Aber diese Wahl war der größte bisherige Betrug, der im neuen kapitalistischen Russland organisiert wurde.

Das Regime spürte, dass sie damit durchkommen, in dem sie sich vorher um die internationalen Beobachter kümmern. Sie haben der OSZW Wahlbeobachtung Steine in den Weg gelegt und am Tag vor der Wahl den Kopf der USA-nahen Wahlbeobachtungsgruppe "Golos“ verhaftet. Die Regierung hieß jedoch Beobachter aus den GUS-Staaten und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit willkommen. Die meisten kamen aus Ländern mit noch undemokratischeren Systemen. Andere Internationale Beobachter erschienen, um den Russinnen und Russen zu versichern, dass die Wahlen wirklich frei und fair waren. Bei der Analyse am Wahlabend versicherte einer von ihnen aus Großbritannien den Zuschauern, dass er keine Verstöße gesehen hätte. Wie sich herausstellte, war dieser kurzsichtige Gentleman Nick Griffin, der Führer der rechtsextremen British National Party!

Das vollständige Ausmaß des Wahlbetrugs kann in diesem Artikel unmöglich behandelt werden. Ein paar extreme Beispiele müssen genügen. In der tschetschenischen Republik haben angeblich 99,5% der Bevölkerung für Vereinigtes Russland gestimmt, bei einer Wahlbeteiligung von 99,5%. In der Vergangenheit gab es in großen Städten wie Moskau keine Vorkommnisse von Fälschungen. Dieses Mal gibt es weitverbreitet Berichte von aufgefüllten Wahlurnen. Eine Wahlprognose, erstellt beim Verlassen des Wahlbüros, ergab, dass rund 30% der MoskauerInnen für Vereinigtes Russland gestimmt haben. Das offizielle Ergebnis ergab 49%. Die Praxis des „Karussells“ ist auch sehr verbreitet in der Stadt. Man sah Gruppen von Menschen, die bezahlt wurden in Bussen von Wahlbüro zu Wahlbüro zu fahren und bei jedem zu wählen. Einem Mitglied des CWI wurden fünf Euro angeboten, um sich daran zu beteiligen.

Aus anderen Gegenden wird berichtet, dass WahlbeobachterInnen von Oppositionsparteien, die an den Wahlbüros ankamen, herausfanden, dass Betrüger, in der Regel "Naschisten" ihren Platz eingenommen hatten. In der Stadt Astrachan, sieht es so aus, dass die Wahlurnen alle in extra Gebäude gebracht wurden, die durch Spezialeinheiten der Polizei oder Zivilpolizisten geschützt wurden. Es ist natürlich nicht bekannt, was genau hinter den Türen passiert ist, aber die Stimmergebnisse für die Partei Vereinigtes Russland waren unnatürlich hoch.

Trotzdem konnte Vereinigtes Russland seine Ergebnisse nicht über die 50% Grenze bringen. Es hat ein Drittel gegenüber früheren Wahlen verloren. Nimmt man dazu, dass die Wahlbeteiligung auch auf 60 % gefallen ist, stellt man fest, dass Vereinigtes Russland nur die Stimmen von 30% der Bevölkerung bekommen hat. Und das auch nur, wenn man die Drohungen, Bestechungen und Erpressungen im ganzen Land noch nicht berücksichtigt, mit der Menschen gezwungen wurden, für die herrschende Partei zu stimmen. Eine ganze Anzahl von Berichten stellt fest, dass Betriebsleiter von ihren Beschäftigten mit der Drohung ihren Job zu verlieren, verlangt haben, dass sie ihre Wahlzettel vorzeigen, um zu beweisen, dass sie richtig abgestimmt haben.

Die Wahrheit über Russland heute enthüllt

Jetzt ist die Wahrheit über das heutige Russland für alle sichtbar. Putin, der nach den katastrophalen Jahren der Jelzin-Periode die Macht übernommen hatte, erntete Zuspruch, als er das Land wieder „auf die Beine brachte.“ Er profitierte vom Ölboom von 2000 bis 2007, bevor die globale Krise das Land schwer getroffen hatte.

Viele sehen die Boom-Jahre jetzt als verpasste Gelegenheit, in denen das Geld in die Taschen der Oligarchen verschwand. Dann die Ankündigung, ohne irgendwelche Rücksprache, dass Putin für weitere zwölf Jahre Präsident sein wird, was für viele als ein Rezept für eine neue Stagnations Periode nach Breschnew Art gesehen wurde. Putins Arroganz ließ ihn glauben, dass er unverwundbar sei. Was nach späterem besseren Wissen Putins „Ceauşescu-Moment“ werden sollte, stieg Putin nach einer Wrestling Partie auf die Bühne, um dem Gewinner zu gratulieren, als Geflüster um ihn herum ausbrauch. Seit dem ist die Zustimmung zu seiner Partei, die dann schon viel, in den Keller gegangen. Er ist gezwungen weitere Zugeständnisse zu machen und wird wahrscheinlich seine Umfragen weiter fallen sehen.

Die Kommunistische Partei wurde in den Parteien Zweiter, mit über 19,5%. Die KP ist keine linke Partei, die wirklich die Herrschaft der Oligarchen herausfordert. Sie wird immer mehr zu einer rechten nationalistischen Partei, die einige populistische Forderungen aufstellt, um ihre Unterstützung auszubauen. Sie hat ihre bisherigen Stimmen verdoppelt mit einer ganzen Schicht von Jugendlichen, die das erste Mal für sie gestimmt haben. Sie stimmten vor allem für sie, weil sie gegen das Putin-Regime sind und teilweise, weil sie sich durch die nationalistische Rhetorik der Partei angezogen fühlen.

Wenn die Proteste gegen die Wahlfälschung, vor allem mit der nächsten großen Demonstration, die für Samstag angesetzt ist, an Dynamik gewinnen, könnte Putins Sieg bei den Wahlen im März in Frage gestellt werden. Nicht zufällig trugen die "Naschisten" bei der letzten Pro-Kreml Kundgebung Anstecker mit der Aufschrift „Ich mag Medwedew“. Eventuell überlegen schon einige in der herrschenden Clique, Medwedew als Ersatzkandidaten aufzubauen, falls Putins Kandidatur riskanter wird.

Das CWI in Russland nimmt entschlossen an den Protesten teil. Die vor allem jungen Demonstranten müssen die breitere ArbeiterInnen klasse und die Armen erreichen und sich mit ihnen in den Betrieben, den Nachbarschaften usw. verbinden. Die organisierte Arbeiterklasse ist potentiell die stärkste Kraft für Wandel, wenn sie die Methoden des Massenkampfes, wie betrieblichen Aktionen und einem Generalstreik benutzt.

Den Protest weiter entwickeln heißt auch eine politische Alternative zu den Parteien der Oligarchen und der verschiedenen nationalistischen und populistischen Parteien aufzubauen. Das CWI steht für die Bildung einer neuen Arbeitermassenpartei, die kämpft für den Sturz der Oligarchen und des Kapitalismus und für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, um die jetzige Krise zu beenden und die Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung zu verbessern.

Das CWI fordert ein Ende der Polizeigewalt und für wirkliche Versammlungsfreiheit, das Recht zu demonstrieren, sich zu versammeln und zu streiken. Die "Wahlkommission" und die Zentralkommission sollten sofort aufgelöst werden. Wir fordern die Schaffung von regionalen, städtischen und Bezirksweiten Komitees von ArbeiterInnen und Armen, um frei und demokratische Wahlen zu organisieren und zu überwachen.

Alle Parteien, außer die Faschisten, sollten die Freiheit haben sich zu organisieren und ohne Hindernisse zu kandidieren. Die extrem großzügige finanzielle Unterstützung für die prokapitalistischen Parteien der Duma durch den Staat und die Konzerne muss aufhören. Alle Beschränkungen politische, soziale und gewerkschaftliche Organisation aufzubauen und zu Wahlen zu kandidieren müssen verschwinden.

RussInnen dürfen kein Vertrauen in die Ergebnisse der Parlamentswahlen und der Duma haben. Wir sagen, nieder mit der Regierung und für neue Wahlen für eine demokratische Verfassungsgebene Versammlung, in der alle Schichten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeteten – der übergroßen Mehrheit der Gesellschaft- repräsentiert werden und die entscheidet welche Formen und Regierungsstrukturen nötig sind, um am besten ihre Interesse zu verteidigen.

SozialistInnen fordern eine demokratische Arbeiterregierung mit sozialistischer Politik. Eine Arbeiterregierung würden Armut, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Niedriglohn beenden und massiv in vernünftige Wohnungen, Bildung und Gesundheit investieren. Dafür brauchen wir den enormen Reichtum des Landes, inklusive der Öl- und Gastindustrie in Öffentlichem Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der ArbeiterInnen. Das ist in scharfem Gegensatz zur diktatorischen bürokratischen Herrschaft des Stalinismus. Durch die Maßnahmen könnte der Lebensstandard umgestaltet werden und ein wirklich sozialistisches Russland wäre ein Leuchttum für arbeitende Menschen überall.

Dieser Artikel erschien am 7. Dezember auf der Webseite socialistworld.net

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