Rot-Grün-Rot in Graz: Wo sind die Grenzen des neuen Regierungsprogramms?

Die Grazer KPÖ ist in einer schwierigen Lage - doch macht sie das Beste daraus?
Sarah Moayeri

“Die KPÖ, die Grünen und die SPÖ eröffnen in Graz ein neues Kapitel” - so ambitioniert beginnt das 17-seitige Regierungsprogramm das am 13. November beschlossen wurde. Die neue Grazer Koalition hat für viel Lärm gesorgt: Euphorie und Hoffnung unter Linken, antikommunistische Angriffe von rechts und von bürgerlichen Medien. Der historische Wahlerfolg der KPÖ in Graz hat gezeigt, welches Potential es für Linke und Sozialist*innen gibt. Doch das Regierungsprogramm der Koalition zeigt jetzt, dass wir es in der konkreten Sache auch leider mit viel Lärm um nichts zu tun haben. Das Programm kommt nicht einmal annähernd an das Wahlprogramm der KPÖ heran, geschweige denn an die objektiven Notwendigkeiten für die Stadt Graz. In manchen Punkten - z.B. Gehälter im Öffentlichen Dienst - bleibt es sogar hinter anderen Bundesländern zurück (wo die KPÖ nicht in der Regierung ist). Wir haben vor den Gefahren einer solchen Koalition gewarnt und dafür argumentiert, dass die KPÖ als stärkste Kraft durch eine Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse um die Durchsetzung ihres Programms kämpfen muss: Eine gemeinsame Stadtregierung mit pro kapitalistischen Parteien wie SPÖ und Grüne in der jetzigen Periode von wirtschaftlicher Krise kann die KPÖ jedoch schnell diskreditieren. Eine Koalition die in der kapitalistischen Logik verhaftet bleibt wird massiv unter (Spar)druck geraten und weit hinter dem zurückbleiben, was sich KPÖ-Wähler*innen möglicherweise erhofft haben. Während sich auf der Straße und auf der Ebene von betrieblichen Auseinandersetzungen viel tut, zuletzt haben tausende Elementarpädagog*innen für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert, läuft die KPÖ Gefahr, sich in Kompromissen und Pragmatismus zu verlieren und die Verankerung die sie sich in der Arbeiter*innenklasse aufgebaut hat, damit aufs Spiel zu setzen.

Die KPÖ befindet sich in einer sehr schwierigen Situation, wir verstehen die Schwierigkeit mit einem solchen Druck korrekt umzugehen. Aber das begrenzte Regierungsprogramm zeigt, dass ein Akzeptieren der Logik von Sachzwängen und eine Orientierung auf Verhandlungen mit bürgerlichen Parteien in eine Sackgasse führt. Es wäre jetzt wichtig, im Sinne der Transparenz öffentlich zu machen, an welchen Stellen es bei den Verhandlungen rund um das Programm bzw. Budget Auseinandersetzungen gab und gibt, wo durch Druck vom “Koalitionspartner Grazer Bevölkerung” (O-Ton Elke Kahr nach der Wahl) noch etwas rauszuholen ist und wie SPÖ und Grüne unter Zugzwang gebracht werden können.

Rücksicht auf Koalitionspartner und Akzeptanz der “Sachzwänge”

In dem Papier wird sehr deutlich, wie schnell die KPÖ ihre Ansprüche heruntergeschraubt hat, um die Koalition zustande zu bringen. Vieles was im Regierungsprogramm schön umschrieben wird, wird sich erst bei der Aufstellung des Budgets im Konkreten zeigen. Es ist bezeichnend, dass vier der neun Leitlinien ein “ausgeglichenes Budget” ansprechen. Statt der versprochenen großen Investitionen ist schon zu Beginn von “umsichtiger Vernunft” beim Budget die Rede. Investitionen in Wohnbau, Klimaschutz und Verkehr werden zwar angekündigt, aber was und wie viel genau bleibt unklar. Stattdessen erinnert das Programm trotz kleineren wichtigen Maßnahmen wie z.B. Bau von Gemeindewohnungen, Reduktion der Kinderbetreuungsbeiträge, Ausbau von Männerberatung gegen Gewalt, stark an klassisch grüne Symbolpolitik. Die drängenden Probleme wie Armut, Pflegenotstand, Wohnraum und Klima werden nicht einmal in dem Ausmaß angepackt, wie es der enge kommunale Rahmen erlauben würde. Keine zusätzlichen Stellen im öffentlichen Dienst, keine Arbeitszeitverkürzung, keine nennenswerten Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeitslosen. Das frühe Aufgeben eines der zentralen Projekte der KPÖ, die Rekommunalisierung der Holding Graz, steht symbolisch für diese weitgehende Anpassung an die Agenda von SPÖ und Grüne. Dort, wo es um Arbeit, Soziales und Armutsbekämpfung geht, setzt dieses Programm nicht auf grundlegende Verbesserungen, sondern auf stellvertreterisches “den Armen Helfen”. In Wirklichkeit ist das eine Kapitulation vor kapitalistischen Sachzwängen, ganz nach der Logik “mehr ist in diesem begrenzten Rahmen nicht möglich aber wir streben auch nicht an den Rahmen zu sprengen”.

Wohnraum

“1.000 neue Gemeindewohnungen”, damit ist die KPÖ in den Wahlkampf gezogen, das war einer ihrer zentralen Programmpunkte. Steigende Mieten und mangelnder Wohnraum sind ein zunehmendes Problem in der Stadt. Vergangenes Jahr sind die Mietpreise um 20% gestiegen. Leerstand und Spekulation waren zentrale Themen im Wahlkampf. Doch von der von der KPÖ versprochenen Mietpreisdeckelung ist im Koalitionspapier nichts mehr zu lesen. Neue Gemeindewohnung werden zwar angekündigt, doch wie viele in welchem Zeitraum und zu welchem Preis bleibt unklar. Die Rede ist von “Maßnahmen zur Leerstandsmobilisierung für die Schaffung von Wohnraum”, ein gutes Vorhaben, aber notwendig und möglich wäre die sofortige Beschlagnahmung von aus Spekulationsgründen leerstehenden Flächen bzw. Wohnungen und insbesondere der Stopp vom Ausbreiten von Immobilienkonzernen in der Stadt. Unklar bleibt auch, wie hoch die “Stärkung der Wohnungslosenhilfe” ausfallen wird. Es wäre auf kommunaler Ebene möglich, sich bewusst mieter*innenfeindlichen Gesetzen zu widersetzen, Zwangsräumungen zu stoppen, zu verhindern, dass Mieter*innen im kommenden Winter mit den steigenden Preisen Strom und Gas abgestellt wird usw.

Gesundheit und Pflege

Besonders dürftig fällt das Regierungsprogramm bei einer der in der Corona-Krise drängendsten Bereiche, Gesundheit und Pflege, aus. Die Kolleg*innen in den verschiedenen Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich waren schon vor Corona am Limit, seit ein paar Wochen spitzt sich die Situation weiter zu. Immer mehr Kolleg*innen verlassen aufgrund der Arbeitsbedingungen den Beruf, aber es regt sich auch zunehmend Widerstand. Auch hier hat die KPÖ viele weitgehende Maßnahmen angekündigt: Mehr Personal und Anhebung des Personalschlüssels, deutliche Aufstockung der Ausbildungsplätze, umgehende Auszahlung der Corona-Bonuszahlungen...Davon ist im Regierungsprogramm nichts mehr zu finden. Stattdessen ein allgemeines “Verbesserung der Arbeitsbedingungen in städtischen Pflegeeinrichtungen”. Keine Maßnahmen Richtung Personalaufstockung, Lohnerhöhungen oder Ähnlichem bei den städtischen Pflegeeinrichtungen. Maßnahmen wie die kostenlose Pflegegeldberatung, die Einrichtung einer Gesundheitsdrehscheibe (wie auch immer das genau ausschauen wird) oder die Ausweitung der sozialpsychatrischen Hilfe im Alter sind schön und gut, aber nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts des drastischen Pflegenotstands. Auch dort wo die Stadt nicht direkt verantwortlich ist, müsste sie den Druck auf die Landesregierung durch Mobilisierung und Organisierung der Kolleg*innen erhöhen um die Situation in den Spitälern usw. sofort zu verbessern. Die von der KPÖ angeführte Pflegeinitiative ist ein wichtiger Ansatzpunkt dafür und muss dafür genutzt werden, eine offensive Kampagne im Gesundheits- und Sozialbereich zu organisieren. Praktisch kann es aber auch zu einer Situation kommen wo KPÖler*innen in der Initiative am Pragmatismus von KPÖler*innen in der Regierung scheitern.

Klima

“Die Klimakrise ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit.” schreibt die Koalition in ihrem Papier. Es ist klar, dass die notwendigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel nicht in einer Stadt umgesetzt werden können. Und doch wären wichtige Schritte auf kommunaler Ebene möglich (und sind es gerade bei der Verkehrspolitik auch!), um ein Beispiel zu setzen - insbesondere die Überführung der in Graz und Umgebung ansässigen Industrie in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung als erster Schritt wenn beispielsweise Betriebsschließungen oder Entlassungen drohen. Doch das Regierungsprogramm setzt lieber auf individuelle Verantwortung als auf große Veränderung. Schaffung von mehr Radwegen, sicheren Fußwegen, ein Fahrrad für jedes Grazer Kind in allen Ehren - aber das täuscht über das hinweg was eigentlich notwendig wäre: Gratis Öffis, massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs usw. Indem die Koalition auf “Re-Use-Shops”, Flohmärkte und “breite Bewusstseinsbildung” beim Thema Klimaschutz setzt und nicht einmal erwähnt, wer die wahren Umweltsünder sind, macht sie deutlich dass sie nicht bereit ist es mit den lokalen Verantwortlichen für CO2 Ausstoß und Umweltzerstörung (Andritz, Magna Steyr usw.) aufzunehmen.

Finanzierung und Budget

Unklar ist, wie das Budget der Koalition genau aussehen wird. Aus dem Regierungsprogramm gehen jedenfalls weder ein bedarfsgerechter Haushalt noch Maßnahmen hervor, wie die geplanten Investitionen durch neue Einnahmen finanziert werden können. “Gemeinden nicht aushungern” heißt es im KPÖ Programm. Die Koalition muss darum kämpfen, mehr Geld vom Bund zu erhalten. Es ist nicht so, dass kaum etwas möglich wäre auf Gemeinde/Stadtleben. Die Stadt Graz hat jährlich ein Budget von über 1 Mrd. Euro und bei der Gemeindeabgabe von Unternehmen ist in den meisten Städten noch viel Luft nach oben. Die notwendigen Investitionen in Gemeindewohnungen, Klimaschutzmaßnahmen und Soziales kosten Geld  - die KPÖ kann jetzt durch radikale und konkrete Finanzierungsforderungen an den Bund eine Kampagne dafür aufbauen. Wenn Bund und Land sich weigern, das Geld zur Verfügung zu stellen - was sie tun werden - braucht es einen Kampf von unten darum durch Mobilisierungen, Proteste etc., um den Druck so weit wie möglich zu erhöhen. Es ist klar: Verhandlungen mit Bundes- und Landesregierung werden dafür nichts bringen, der Aufbau von Widerstand ist dafür der einzige Weg. Und auch auf kommunaler Ebene gibt es Möglichkeiten zur stärkeren Besteuerung von zum Beispiel Unternehmen. 

Ein gutes Beispiel, wie auf kommunaler Ebene sehr weitgehende Maßnahmen erkämpft werden können, ist die Arbeit der Schwesterorganisation der SLP in Seattle mit der sozialistischen Stadträte Kshama Sawant, die aktuell von einer rechten Abwahlkampagne betroffen ist (https://www.slp.at/artikel/alle-augen-auf-seattle-kshama-sawant-stellt-s...). Von Anfang an hat sie die Sachzwänge des Kapitalismus nicht akzeptiert und ihren Sitz dafür genutzt, Bewegungen und Kämpfe der Arbeiter*innenklasse zu unterstützen, zu organisieren und anzuführen. So konnten sie durch Druck von unten gegen den Widerstand der Reichen und Konzerne in der Stadt einen 15 Dollar Mindestlohn, eine Unternehmenssteuer (Amazon Tax) und andere Verbesserungen durchsetzen.
Der Ausgangspunkt einer linken Stadtregierung müsste das sein, was notwendig ist, auch wenn das bedeutet in Konflikt mit Bund und Länder zu geraten. So wie es der Liverpooler Stadtrat in den 80er Jahren getan hat, braucht es dafür allerdings eine Mobilisierung und Organisierung der Arbeiter*innenklasse statt Verhandlungen hinter verschlossenen Türen mit Koalitionspartnern, die ein anderes Programm und andere Interessen vertreten. 

Kommunistische Bürgermeisterin - zu welchem Preis?

Angesichts dieses enorm schwachen Regierungsprogramms müssen wir die Frage stellen, zu welchem Preis die KPÖ denn nun diese Regierung anführt. Eine “kommunistische Bürgermeisterin” ist kein Selbstzweck. Die Grazer Stadtregierung wird angesichts der Wirtschaftskrise gezwungen sein zukünftig den Mangel zu verwalten oder sogar Kürzungen und Sparmaßnahmen umzusetzen. Zahlreiche internationale und historische Beispiele zeigen die enormen Gefahren solcher Koalitionen für Linke, wenn sie die Übernahme einer Gemeinderegierung/Stadtregierung nicht dafür nutzen, tatsächlich ein radikales Programm im Interesse der Arbeiter*innenklasse durchzusetzen und sich damit mit kapitalistischen Sachzwängen anzulegen. Gerade in der jetzigen Krise des Kapitalismus sind die Spielräume für Verbesserungen innerhalb dieses Systems sehr gering, Linke die sich auf die Verwaltung dieser Missstände einlassen, werden sich nicht nur innerhalb der Arbeiter*innenklasse diskreditieren sondern v.a. nicht machen, was nötig wäre. Die KPÖ ist offensichtlich schnell in eine Situation gekommen, in der sie aufgrund von Pragmatismus und Druck ihr eigenes Programm in der Praxis über Bord wirft. Kurzzeitig werden die kleineren positiven Maßnahmen die im Regierungsprogramm stehen und das ehrliche Image, dass sich die KPÖ (zurecht) aufgebaut hat die Unterstützung aus der Bevölkerung beibehalten können, aber früher oder später wird die KPÖ mit einem solchen Zugang vielleicht sogar als “Partei wie jede andere” gesehen werden. Dadurch steigt auch die Gefahr einer Opposition von rechts: Die Enttäuschung über die Regierungspraxis der KPÖ kann Menschen leichter in die Hände von FPÖ und Co treiben, die versuchen werden sich als sozial zu inszenieren und die Regierung wo es nur geht anzugreifen.  Die Entwicklung der Partei DIE LINKE in Deutschland mit massiven Stimmverlusten bei der letzten Wahl ist ein Beispiel dafür, welche Gefahren mit der Anbiederung ans Establishment und die Orientierung auf Regierungsbeteiligungen einhergehen.

KPÖ zwischen Bewegung und Regierung

Das bedeutet nicht, dass die KPÖ darauf verzichten sollte für unmittelbare Verbesserungen im hier und jetzt zu kämpfen. Sie hätte noch jetzt einige Möglichkeiten dafür, die dieses Programm längst nicht auszuschöpfen versucht: Städtische Betriebe könnten mit Personalaufstockung und höheren Löhnen ein Vorzeigebeispiel werden und private Unternehmen so unter Druck bringen. Die KPÖ könnte zum Beispiel eine Kampagne zur Rekommunalisierung der Holding Graz organisieren und generell einen Kampf für mehr kommunales, öffentliches Eigentum führen. Die Bündnispartner*innen müssten dabei stets die Beschäftigten, die Arbeiter*innenklasse, die sozial Schwachen sein - die Koalitions”partner” hingegen sind eine Zweckehe, mehr nicht. Die KPÖ muss den Kampf um konkrete Verbesserungen mit dem Kampf um eine grundlegende Systemalternative verbinden. Aber die Frage ist, kann sie das als Anführerin einer solchen Koalition wirklich besser als zuvor? Um notwendige Verbesserungen durchzusetzen, kommt es in erster Linie auf den Druck von unten an. Es ist gut und wichtig dass die KPÖ eine Initiative von Beschäftigten aus dem Gesundheitsbereich aufbaut oder die Proteste der Elementarpädagog*innen unterstützt. Daran muss sie weiterhin festhalten und diese Kolleg*innen und die Arbeiter*innenklasse wie Elke Kahr selbst gesagt hat als ihre zentralen Koalitionspartner sehen. Es braucht eine Diskussion mit diesen Kolleg*innen und Initiativen darüber, was tatsächlich in ihrem Interesse notwendig wäre und wie sie das Regierungsprogramm einschätzen. Die KPÖ müsste jetzt in Initiativen und Bewegungen und in ihrer Mitgliedschaft das Regierungsprogramm offen zur Diskussion stellen und sich die Frage gefallen lassen, ob es das wert war. Sie müsste eine Aktivist*innenkonferenz einberufen, um auf der Basis demokratisch mit Aktivist*innen und Kolleg*innen zu entscheiden, wie es mit der Koalition weitergehen soll. Wenn man sich das Regierungsprogramm ehrlich anschaut, wird es in Widerspruch zu dem geraten, was die Kolleg*innen, die jetzt in Bewegung treten, fordern (konkret zB mehr Personal in der Elementarpädagogik - auch hier könnte die Stadtregierung sofort Maßnahmen ergreifen) bzw. was in anderen Bereichen notwendig wäre. Als SLP werden wir jede positive Maßnahme der Stadtregierung unterstützen, aber insbesondere auf den Aufbau von Widerstand in den Nachbarschaften, Spitälern, Betrieben verbunden mit dem Kampf um eine grundlegende sozialistische Alternative setzen, damit die Arbeiter*innenklasse die Koalition vor sich her treiben kann