Mo 10.10.2011
Prostitution ist ein sehr polarisiertes Thema, zu dem jede/r eine Meinung hat. Auf der einen Seite stehen jene, die ein Verbot der Prostitution fordern und dies mit der Würde des Menschen (oder manche schlicht mit "Moral") begründen. Auf der anderen Seite jene, die sich mit dem Argument besserer Arbeitsbedingungen für eine Legalisierung der Prostitution einsetzen und Prostituierte nicht als Opfer, sondern als selbstbestimmte „Sexarbeiterinnen“ sehen. Prostitution ist mit vielen Klischees besetzt. Die meisten filmischen „Aufarbeitungen“ des Themas sind sensationsgeil und oberflächlich – die Hintergründe und Motive von Frauen bleiben im Dunkeln, ihr Aussehen und ihr Körper stehen im Vordergrund. Oft wird auch eine „Vorzeigehure“ interviewt, die sagt, „wie es wirklich ist“ und, wie gut ihr der Job gefällt. Manchmal werden Prostituierte auch pauschal als Opfer dargestellt.
Der Trailer und die Vermarktung von „Whores‘ Glory“ geht in eine ähnliche Richtung: Ausgewählte Szenen aus dem Film werden gezeigt, eine Stimme aus dem Off beschreibt Prostitution als einen leeren und flüchtigen Ort. Gleichzeitig dominiert ein sehr ästhetischer Blick auf die Prostituierten. Im Presseheft des Films werden Prostituierte in Mexiko als „strahlend schöne Göttinnen der Nacht“ bezeichnet – und Prostituierte dadurch einmal mehr über ihr Aussehen bewertet. Angesichts dieser Vermarktung war ich beim Kinobesuch in vielerlei Hinsicht doch positiv überrascht: Der Film legt keine verkitschte Interpretation des Themas vor, sondern beschränkt sich darauf, den Prostituierten selber eine Stimme zu geben. Der Alltag von Prostituierten wird gezeigt und viel Interviewmaterial verarbeitet.
Glawogger hat an drei Orten gefilmt: in Thailand, Indien/Bangladesch und Mexiko. In Thailand warten die Frauen in einem Großbordell hinter einem Schaufenster auf ihre Freier. Die Kunden werden in ihrer Auswahl beraten, gezahlt wird an der Kassa. Hat ein Kunde eine Frau ausgesucht, wird sie per Lautsprecher aufgerufen, um mit ihm aufs Zimmer zu gehen. Alles läuft hier sehr geschäftsmäßig ab. Die Frauen betrachten die Prostitution als einen normalen Job, der ihnen die Möglichkeit zur ökonomischen Unabhängigkeit von den Eltern gibt. Gleichzeitig wird ihre prekäre soziale Lage deutlich: Die Höhe des Verdienstes hängt von der Anzahl der Kunden ab, das Geld reicht oft nicht einmal für Fahrkarten. Die Frauen sind hier quasi Freiberuflerinnen. Ein Problem mit ihrem Job haben sie nicht, in ihrer Freizeit gehen sie ins Bordell für Frauen. Dort suchen sie sich den männlichen Prostituierten ihrer Wahl aus. Diese interessante Sequenz zeigt die Entfremdung von menschlichen und sexuellen Beziehungen, die mit Prostitution verbunden ist. Im Kapitalismus wird alles zur Ware. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, wenn eine thailändische Prostituierte sagt, dass sie für Sex immer Geld verlangen würde.
Ganz anders stellt sich die Situation in der „Stadt der Freude“, einem Prostituiertenghetto in Bangladesch dar. Hier herrschen Zwangsstrukturen und Kleingewerbestrukturen vor. Die Frauen werden hier von Frauen gekauft. Die „Bordellmutter“ – meist selbst eine ehemalige Prostituierte – mietet die Zimmer und kauft die Frauen an, um so von der Prostitution zu leben. Der Film arbeitet die ambivalente Rolle der „Bordellmütter“ heraus, die einerseits großen Druck auf „ihre“ Prostituierten ausüben, andererseits selber unter großem Druck stehen, die Miete zu bezahlen und selbst zu überleben. „Wenn ich keine Mädchen hätte, würden wir auf der Straße leben“ sagt die Besitzerin des Bordells im Interview. Wenn Glawogger diese Situation in einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ als „reines Matriarchat“ bezeichnet, da dort „kein Mann irgendetwas zu sagen“ habe, zeigt sich allerdings, dass der Regisseur selber wohl weniger vom Gefilmten versteht, als man glauben will… Fakt ist, dass auch die indische Gesellschaft eine patriarchale ist, und Prostitution von Frauen ein Ausdruck dieses Umstandes ist.
In den Interviews mit den indischen Frauen kommt ihre ausweglose Situation zum Ausdruck. Besonders bedrückend ist es, wenn eine Prostituierte im Interview in die Kamera fragt, warum das Leben für Frauen so schwer sei und warum es für Frauen keine anderen Jobs gäbe. Auch die nicht existente Absicherung im Alter ist hier ein Thema. Eine sehr bedrückende Situation ist auch, wie eine „Bordellmutter“ ein junges, verschüchtertes Mädchen, das sie gekauft hat, über ihre Arbeit als Prostituierte aufklärt. Später im Film wird dieses Mädchen auf die Straße gesetzt, weil sie nicht genug Freier bekommt. Die Aussagen von Glawogger in Interviews zur Situation in Bangladesch verwundern hier teilweise. In einem Interview mit der „Zeit“ sagte Glawogger, dass er das Verhältnis zwischen Frauen und Männern an keinem der drei Drehorte unerträglich empfand. Er muss zwar zugeben, dass gerade in Bangladesch viel Gewalt im Spiel ist. Trotzdem dominiert ein sexistischer, „männlicher“ Blick auf das Thema, wenn er sagt, dass der Mann in der indischen Gesellschaft keine Möglichkeit hat, seine Sexualität auszuleben. Dass dies für Frauen in noch größerem Maße gilt, kommt ihm dabei nicht in den Sinn. Die Umstände von mangelnden ökonomischen Perspektiven der Frauen und der Zwangscharakter, der gerade in Indien stark präsent ist, hält ihn nicht von folgender Aussage ab: „Es herrscht bei aller oberflächlich sichtbaren, auch politischen Gewalt und Gefängnishaftigkeit da drinnen ein ganz anderer Tonfall zwischen Mann und Frau, ein spielerischer, entspannter Ton. Die jungen Leute können sich dort etwas erlauben, was außerhalb undenkbar ist.“ Die Aussagen und Interviews mit den Prostituierten selber sprechen hier eine andere Sprache…
In der „Zone“, einem Rotlichtviertel in Nordmexiko herrschen mafiöse Zuhälterstrukturen vor. Die Frauen hier warten vor ihren Zimmern auf ihre Freier, die mit den Autos kommen und ihre Wahl treffen. Einige der interviewten Frauen sehen ihre Arbeit nicht als „normalen Job wie jeder andere auch“ und nehmen Drogen, um der Realität zu entkommen. Andere wiederum stellen fest, dass sie gerne Sex haben und es genießen, dafür bezahlt zu werden. Die Verachtung mancher Freier für die Prostituierten beantworten diese ihrerseits mit Verachtung für die Freier. Hier zeigt sich außerdem, dass jenseits der Stigmatisierung als Opfer gegenüber Freiern durchaus sehr bestimmt auftreten, um die Wahrung ihrer Würde und die Absteckung der eigenen Grenzen zu sichern. Eine Szene, die unter Absprache mit Prostituierter und Freier gefilmt wurde, zeigt, was passiert, wenn die Tür zugeht. Diese Szene spricht mehr als tausend Worte. Zuerst wird über das Geld verhandelt, das der Freier im Voraus bezahlen muss. Da er nur 200 Pesos hat, sagt sie, dass es für so wenig Geld schnell gehen müsse. Der Geschlechtsverkehr selber ist ein lustloser Akt, der in Wirklichkeit für den Mann entwürdigend anmutet: Da er nicht schnell genug einen hochkriegt, wird schnell noch eine andere Stellung ausprobiert. Als das auch nicht klappt, ist die Zeit um. Glawogger selber sagt über diese Szene, dass sie zeigt, „wie sich die Verhältnisse umdrehen, in der Sekunde wo die Tür geschlossen wird“. Der Umstand, dass der Sex bei der Prostituierten dann ganz anders abläuft, als in der Vorstellung vieler Männer, die hier nicht von der „geilen, billigen Schlampe“ verwöhnt werden, wie es ihnen gefällt, ist wohl auch eine Ursache für die Gewalttaten gegenüber Prostituierten.
Interessant an dem Film sind auch die Interviews mit den Freiern. Die Aussagen der Freier zeigen – wen wundert‘s – deren patriarchales Frauenbild: Sie gehen ins Bordell, um hier eine Frau zu kriegen, die alles macht, was sie wollen. Manche Freier wollen nur reden, die meisten aber nach dem Arbeitsalltag entspannen. Interessant ist, dass die Freier die Familie als lustlosen Ort sehen. Erfüllte Sexualität und Ehe werden als Gegensatz gesehen. Der Gang zur Prostituierten bietet die einzige Möglichkeit zur Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche. Diese Aussagen sind nicht wirklich verwunderlich und trotzdem schizophren. Ehe und Familie haben traditionell eine ökonomische Funktion: In einer Gesellschaft, deren Basis das Privateigentum ist, sichert die Familie durch Nachkommenschaft dessen Weitervererbung. Durch die private Mehrarbeit von Frauen in Form von Hausarbeit und Pflege im Krankheitsfall ermöglicht die Familie die Reproduktion des (männlichen) Arbeiters. Einfach gesagt: Die Familie ist der Ort, an dem der Arbeiter mit Essen, Kleidung, etc. versorgt und gesund gepflegt wird, damit er am Arbeitsplatz „funktionieren“ kann. Hinzu kommt die Funktion der Erziehung von Kindern – ebenfalls eine mehrheitlich von Frauen ausgeführte Arbeit, von der die Gesellschaft profitiert. Die Funktion der Familie ist also nicht die Erfüllung sexueller Wünsche – ein Umstand, der in den Interviews mit den Freiern zum Ausdruck kommt. Die Prostitution ist so in einer patriarchalen Gesellschaft in Wirklichkeit ein Faktor zur Stabilisierung von Ehe und Familie: Der Freier geht zur Prostituierten und verzichtet auf den „Seitensprung“.
Insgesamt zeigt Glawoggers Film eine Situation, die zwischen der Prostituierten als Opfer und der Vorstellung von der selbstbestimmten „Sexarbeiterin“ liegt. Je nachdem, wie die jeweiligen Rahmenbedingungen und individuellen Lebenslagen sind, nehmen die Prostituierten ihre Arbeit unterschiedlich wahr und sind mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. In einer sozial prekären Lage befinden sich aber alle gezeigten Frauen. Und auch ein patriarchales Bild der Frauenbild der Freier ist in allen drei Ländern präsent. Glawoggers Film zeigt, wie im Kapitalismus alles zur Ware wird – auch sexuelle und menschliche Beziehungen. Und wie Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft davon betroffen sind. Auch wenn die Vermarktung des Filmes etwas abschreckend wirkt und die Aussagen des Regisseurs teilweise fragwürdig sind, ist es jedenfalls eine Stärke des Films, dass Prostituierte selber zu Wort kommen. Positiv ist außerdem, dass der Film keine sensationsgeile Darstellung der Frauen nach dem Motto „je mehr nackte Haut, desto besser“ vornimmt und auch deren Hintergrund und Arbeitsbedingungen aufzeigt.