Di 08.12.2015
Nach der Zurückweisung des Programms und der Regierung des rechts-konservativen Wahlbündnisses PàF im gerade erst neu gewählten Parlament, richten sich – nicht einmal zwei Monate nach der letzten Wahl – nun alle Augen auf Cavaco Silva, den ultra-konservativen Staatspräsidenten des Landes.
Wie erwartet hatte dieser mit der Ernennung von Passos Coelho, dem Chef des o.g. konservativen Wahlbündnisses, zum Premierminister die kürzeste Amtszeit einer Regierung eingeleitet, die es in der Geschichte Portugals nach der Diktatur je gegeben hat. Das neue Parlament, in dem die Linke ihre Zahl an Abgeordneten vergrößern konnte und die (rechnet man die ehemals sozialdemokratische PS mit hinzu) die Mehrzahl der Sitze gewonnen hat, hat bereits versichert, jeden Vorschlag von PàF zur Bildung einer möglichen neuen Regierung abzulehnen.
Diese Ereignisse haben – in Verbindung mit dem Zögern der Kapitalisten, eine Minderheitsregierung unter der Führung der „sozialistischen“ Partei (gemeint ist die PS) zuzulassen, die von der Linken unterstützt wird – zu einer Regierungskrise geführt, die in der kommenden Phase zum bestimmenden Moment werden wird.
Möglichkeiten und Gefahren einer Regierung unter der Führung der PS
Wie wir zu einem früheren Zeitpunkt bereits gesagt haben, hat die Linke aus „Kommunistischer Partei“ und dem „Linksblock“ nach den Wahlen vom 4. Oktober die PS vor die Frage gestellt: Wird sie die Rechts-Konservativen unterstützen und an der Macht halten, damit diese mit der brutalen Austeritätspolitik der Troika fortfahren können, oder wird sie in den offenen Dialog mit der Linken treten, um eine alternative Regierung zu bilden, die darauf abzielt, eben dieser Politik ein Ende zu bereiten? Diese Taktik kann – abhängig davon, wie sie angewendet wird – große Möglichkeiten eröffnen aber für all jene, die gegen die Austerität kämpfen, auch eine Reihe von Gefahren mit sich bringen.
Die linken Parteien haben zugestimmt, die Bildung einer von der PS geführten Regierung als Alternative zu PàF zu unterstützen. Gleichzeitig haben sie es jedoch abgelehnt, sich selbst an einer solchen Regierung zu beteiligen. Im Allgemeinen unterstützen wir diese Taktik. Es war an der Zeit, das bürgerliche Zwei-Parteien-System zu entlarven und die PS vor die Entscheidung zu stellen, auf welcher Seite sie steht. Einerseits war eine rechts-konservative Regierung nur mit ihrer Zustimmung möglich, andererseits hatte sie die Möglichkeit, eine „Anti-Austeritäts“-Regierung zu bilden – mit Unterstützung der parlamentarischen Linken.
Was die Frage der demokratischen Rechte für Angehörige der LGBT-Community angeht, hat diese Taktik bereits zu einigen wichtigen Erfolgen geführt. So wurde für gleichgeschlechtliche Partnerschaften das Recht durchgesetzt, Kinder adoptieren zu können. Darüber hinaus hat die Ablehnung der letzten Veränderungen bei den Abtreibungsparagraphen für tausende von Frauen im ganzen Land eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Frage der Beendigung der Austerität ist hingegen komplexer und birgt größere Gefahren, wenn man die bisherige Bilanz und die Geschichte der sogenannten „Sozialistischen Partei“ (PS) mit einbezieht.
Vertrauen in die PS oder Festhalten an PàF als Interimsregierung? – Die herrschende Klasse ist gespalten
Die Kapitalisten sind gespalten. Der konservativste Flügel um den Präsidenten fürchtet eine instabile Regierung unter der PS, die von der Unterstützung der Linken abhängig wäre. Eine solche Regierung wird ein Mindestmaß an Konzessionen gegenüber den arbeitenden Menschen und damit eine Aufweichung des TINA-Prinzips der neoliberalen Propaganda anstreben müssen (von engl.: „there is no alternative“; dt.: „Es gibt keine Alternative“). Und das im Kontext großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Dieser ultra-konservative Flügel greift zum Mittel der Panikmache und zu einer undemokratischen Kampagne gegen das, was sie einen „Putsch der Linken“ gegen PàF nennt. Letztere Kraft hat bei den Wahlen immerhin die meisten Stimmen bekommen. Damit wird bewusst ignoriert, dass Portugal ein parlamentarisches System hat, in dem wir die Abgeordneten wählen und nicht die Regierung, die vom Parlament bestimmt wird. Fakt ist, dass die politische Rechte weit davon entfernt war, die Mehrheit der Abgeordnetensitze zu erlangen.
Ein anderer Flügel, bei dem es sich allem Anschein nach um die Mehrheit unter den Konservativen handelt, akzeptiert eine Regierung unter Führung der PS. Schließlich handelt es sich bei der PS allgemein gesprochen um eine Partei der herrschenden Elite, der man zutraut, die Linke unter Kontrolle zu halten und der kapitalistischen Agenda zumindest in ihren wesentlichen Aspekten zu folgen. Zumindest für den Zeitraum einiger Monate (bis Neuwahlen möglich werden) wird dies unter einem neuen konservativen Präsidenten aller Wahrscheinlichkeit nach so kommen.
Die einflussreichsten Kapitalisten befürworten dieses zuletzt beschriebene Szenario. Wie nach ihrem letzten Treffen mit dem Präsidenten klar wurde, gehören auch die Bankiers zu diesem Kreis. Warum das so ist, ist nicht schwer zu verstehen.
Diese Option wird auch aufgrund einiger Fehler, die die Führungen der linken Parteien begangen haben, erleichtert. Der schwerwiegendste dieser Fehler der Linken bestand nicht allein darin, der Bildung der Regierung zuzustimmen, sondern diese für eine weitere 4-jährige Legislaturperiode im Amt zu belassen. Dies hat die nötige politische Unabhängigkeit der Linken und der Arbeiterklasse ausgehöhlt und konnte so zum Pflock am Bein des „Linksblocks“ und der „Kommunistischen Partei Portugals“ (PCP) werden.
Die wesentlichen Zugeständnisse, auf die sich die Linke und die PS verständigt haben, gelten für vier Jahre, über die gesamte Legislaturperiode hinweg. Dies bedeutet, dass die Linke unter Druck stehen wird, die sozialen Spannungen in Zaum zu halten, um nicht „das Abkommen zu brechen“, und auf den Tag zu warten, an dem die Vereinbarung erfüllt ist. Gleichzeitig werden die Kapitalisten ihre Kampagne für das, was sie „Realpolitik“ nennen, intensivieren, um die wichtigsten Zugeständnisse so lange wie möglich nach hinten zu verschieben. Dabei werden alle Widersprüche innerhalb der PS sowie im Verhältnis der PS zur Linken ausgenutzt. So hoffen sie, aus der Frustration und der Angst der Massen Kapital schlagen zu können.
Die Aufrechterhaltung einer Interimsregierung wird nur von einer Minderheit befürwortet, weil dies die Linke dazu zwingen würde, sich zu radikalisieren, sich von den Auflagen der o.g. Vereinbarung loszulösen und wieder auf die Straße zu gehen. Durch die neue Zusammensetzung des Parlaments und eine PS in der Opposition (die unter Druck steht, den Forderungen der ArbeiterInnen zu entsprechen) würde die politische Rechte sich nur noch mehr von den Massen entfernen. Die Notwendigkeit einer Regierung der Linken würde noch stärker zu Tage treten.
Und dennoch sollte uns die Tatsache, dass alle einflussreichen Arbeitgeber und Bankiers sich dazu entschlossen haben, der PS zu vertrauen, dazu veranlassen, noch einmal über die Art und Weise nachzudenken, wie diese Übereinkunft zustande gekommen ist. Was bedeutet dies für den Kampf zur Beendigung der Austerität?
Die „Sozialistische Partei“ muss dazu gebracht werden, in direkte Gespräche mit den ArbeiterInnen auf der Straße und in den Betrieben einzutreten
Deshalb stimmen wir nicht mit der Art und Weise überein, wie dieser Dialog zustande gebracht worden ist. Die übergroße Mehrheit der Arbeiterklasse ist bei diesem Prozess außen vor gelassen worden – auch der gewerkschaftlich organisierte Teil der arbeitenden Bevölkerung. Es ist zu keiner größeren Mobilisierung der abhängig Beschäftigten gekommen, die Verhandlungen sind hinter verschlossenen Türen abgelaufen. Die KollegInnen aus den Betrieben haben davon eigentlich nur über die kapitalistisch geprägten Medien erfahren, die ansonsten vollgestopft sind mit brutaler Panikmache und der o.g. Kampagne gegen die Linke.
Das bedeutet, dass die Linke die Arbeiterklasse in eine prekäre Position gebracht hat. Sie wurde auf den Posten des Beobachters gezwungen, auf dem sie mit reaktionärer Propaganda geradezu bombardiert worden ist. Die Verhandlungen sollten öffentlich geführt werden und unter Beteiligung der Arbeiterklasse stattfinden. Auf diese Weise wären wir in der Lage, der PS direkt zu vermitteln, was wir von einer linken Regierung erwarten.
In diesem Sinne haben wir die Mobilisierung für den 28. November durch den größten Gewerkschaftsbund CGTP begrüßt und mit Begeisterung daran teilgenommen. Damit ist der Präsident aufgefordert worden, eine Regierung unter Führung der PS zu empfehlen. Wir sollten jedoch mehr als nur das tun: Wir sollten eine aufrichtige Kampagne zur Umsetzung konkreter Maßnahmen führen.
Die Arbeiterklasse muss ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt werden
Die Aufgaben sind riesig, aber wir haben nun – wenn man die jetzige Situation mit den vergangenen Jahren oder gar Jahrzehnten vergleicht – die besten Voraussetzungen für den Kampf. Diese Möglichkeiten sollten wir nicht ungenutzt lassen. Egal, welche Regierung am Ende dabei herauskommt – wir haben jetzt ein Parlament, das viel stärker unter dem Druck der Arbeiter-Kämpfe steht als vorher.
Zuallererst sollten wir, der organisierte Teil der Arbeiterklasse, Branche für Branche und koordiniert auf die Straße gehen, um vom neuen Parlament konkrete Maßnahmen zur Rücknahme der bisherigen Kürzungen und Privatisierungen zu fordern, die Wiederherstellung aller (unterdessen reduzierter) Arbeitnehmerrechte, einen Entlassungsstopp und die Beendigung prekaärer Beschäftigungsverhältnisse.
Kämpfen für eine linke Regierung, die zu 100 Prozent gegen die Austerität ist
In der bevorstehenden Phase wird es zu starker politischer Instabilität und sozialen Kämpfen kommen. Wenn wir im Parlament eine Stimme haben, dann kann das der Arbeiterklasse die Zuversicht verleihen, um zum Mittel des massenhaften Widerstands zurückzukehren und echte Veränderungen einzufordern. In dieser Aufruhr-Situation wird die PS unweigerlich im Zentrum des Interesses stehen. Die Arbeiterklasse wird sie sehr aufmerksam beobachten und wichtige Schlüsse aus ihrem Verhalten ziehen.
Zentral wird die Frage sein, welche Regierung und welche Parteien wirklich für die Interessen der ArbeiterInnen stehen, und was eine linke Regierung überhaupt ist? Wie kann man zu einer linken Regierung kommen? Ist die EU ein Verbündeter oder der Feind der Arbeiterklasse in Portugal? Wie sieht die Antwort auf diese Frage auf europäischer Ebene aus? Wie schon im Falle Griechenlands wird die Troika nicht tatenlos zusehen und erlauben, dass die Antiausteritätspolitik, wie von der Linken gefordert, auch umgesetzt wird. Wer diese Politik verteidigen will, muss mit den Regeln der EU und des Kapitalismus brechen.
All diese Fragen müssen durch die Bildung einer Einheitsfront der arbeitenden Menschen in den Vordergrund gebracht werden. Dies muss über gemeinsame Kämpfe für ganz konkrete Forderungen geschehen. Es sollte beispielsweise um den Anstieg des Mindestlohns gehen, um bezahlbaren Wohnraum und den Kampf gegen die Erwerbslosigkeit. Durch solche sozialen Kämpfe wird die Masse der Arbeiterklasse zu dem Schluss kommen, dass sie ihre eigene Regierung braucht, eine Regierung, die zu 100 Prozent gegen die Austerität ist und die Willens ist, den Kampf zu Ende zu führen. Das heißt, dass die Diktatur der Märkte überwunden und für eine sozialistische Alternative gekämpft wird.