Sa 16.07.2016
Nur eine echte Massenbewegung von ArbeitnehmerInnen, Gewerkschaften und allen unterdrückten Bevölkerungsteilen in der Türkei kann demokratische Rechte erkämpfen!
In der Nacht von 15. auf 16. Juli haben Teile des türkischen Militärs versucht, die AKP-Regierung durch einen Putsch zu entmachten. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wahrscheinlich mehr als 90 Menschen, bei Gefechten zwischen den Putschisten und der Polizei, Spezialeinheiten sowie DemonstrantInnen, ihr Leben verloren. Über Tausend Menschen wurden verletzt. Es gibt unzählige Verhaftungen. Nun gewinnt die AKP-Regierung Oberhand.
Das Militär steht für eine lange Tradition von Unterdrückung auch in der Türkei. Die Hoffnung, dass das Militär ein Bollwerk oder gar indirekter Bündnispartner für ein säkulares Regime in der Türkei wäre ist gefährlich. In Ägypten wurde die Muslimbruderschaft durch das Militär von der Regierungsmacht vertrieben. Das hat den islamischen Fundamentalismus aber nicht geschwächt. In Algerien hat ein ähnliches Vorgehen zu einem langen und blutigen Bürgerkrieg geführt. Der Kampf gegen den religiösen Fundamentalismus wird nicht mit den blutigen Bajonetten eines säkularen Militärs gewonnen werden – dafür braucht es die organisierte Kraft der ArbeiterInnenbewegung.
Egal ob AKP-Regierung oder Teile des türkischen Militärs: Beide stehen für die Einschränkung demokratischer Grundrechte, massive Unterdrückung der ArbeiterInnenbewegung und das militärische Vorgehen gegen die kurdische Bevölkerung.
Jede Aktion der Linken und der ArbeiterInnebewegung in Europa, die sich auf die Situation in der Türkei bezieht, muss daher eine Mobilisierung für demokratische Rechte, Gewerkschafts- und Versammlungsrechte und die Rechte aller unterdrückten Bevölkerungsgruppen in der Türkei haben.
Erdogan kündigt ein hartes Vorgehen gegen die Putschisten an. Diese Ankündigung ist eine gefährliche Drohung für die ArbeiterInnenbewegung und die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei.
Die AKP-Elite hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bereit ist, zum eigenen Machterhalt mit diktatorischen Mitteln gegen KritikerInnen vorzugehen, Gewerkschaften und soziale Proteste zu unterdrücken und einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung zu führen. Die AKP verfügt immer noch über eine große soziale und politische Basis im Land. Es scheint als würde der Widerstand gegen den Putschversuch vor allem von AnhängerInnen der AKP getragen. Erdogan ist es gelungen seine Macht und seinen Rückhalt in Teilen der Gesellschaft zu zeigen. Er konnte seine soziale Basis mobilisieren große Demonstrationen waren die Folge. Die Bilder von tausenden Menschen, die Panzer umstellen, dürfen nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass viele Menschen zu Hause geblieben sind. Nicht nur wegen der vollkommen berechtigten Angst vor Repression. Sondern auch weil sie weder eine AKP noch eine Militärregierung wollen. Hier gäbe es ein großes Potential für die Linke und die ArbeiterInnenbewegung.
Ein endgültiger Sieg der AKP-Regierung könnte von AKP-Kadern und Teilen der Polizei und des Geheimdienstes auch als Freibrief gesehen werden, auf alles los zu gehen was in Opposition zur AKP steht. Linke, GewerkschafterInnen und die kurdische Bewegung werden daher künftig einer besonderen Bedrohung ausgesetzt sein. Wer sich kritiklos auf die Seite des Erdogan-Regimes stellt ist dafür mitverantwortlich! Erdogan und Co. werden einen Sieg bis zum Letzten ausnutzen, um ihre diktatorische Macht zu festigen. Ein weiterer Abbau demokratischer Rechte in Richtung Polizeistaat ist zu befürchten. Aber egal ob die AKP-Regierung schnell komplett gewinnt oder es noch Gefechte mit Widerstandsnestern des Militärs gibt: Eine Mobilisierung für Demokratie, Frieden und ArbeitnehmerInnenrechte ist nötig!
Die linke, pro-kurdische Partei HDP, kämpferische Gewerkschaften ( DISK, KESK u.a.) und linke Organisationen müssen gemeinsam eine politische Verteidigung und wenn es sein muss auch eine reale Verteidigung organisieren. Diese Organisierung muss von demokratisch organisierten Komitees, in Regionen, Stadtteilen, Betrieben usw. ausgehen. Vor allem für Büros und Einrichtungen der linken, prokurdischen HDP, von linken Gruppen, von Gewerkschaften, kritischen und linken Zeitungen könnte es gefährlich werden. Besonders in Gebieten, wo viele KurdInnen und unterdrückte Minderheiten leben, kann es unter dem Deckmantel der "Putschistenjagt" zu Übergriffen durch erdogantreue Kräfte gegen Linke, KurdInnen und andere kommen.
Internationale Solidarität mit der Linken und der kurdischen Bewegung in der Türkei ist jetzt besonders wichtig.
Wir fordern den ÖGB auf, sich nicht den an den allgemeinen Solidaritätserklärungen der EU-Eliten mit der AKP Regierung zu beteiligen. Die AKP-Regierung ist eine gewerkschafts- und arbeiterInnenfeindliche Regierung! Viel richtiger wäre es, praktische Solidarität zu organisieren. Ein erster Schritt könnte eine Demonstration in Solidarität mit der Linken, der ArbeiterInnenbewegung und der kurdischen Bewegung sein. Wenn nötig muss der ÖGB und die Fachgewerkschaften bereit sein, schnell eine Solidaritätsdelegation in die Türkei zu schicken und den Kräften der ArbeiterInnenbewegung vor Ort bei zu stehen. Schon in den letzten Monaten ist es vermehrt zu Übergriffen von türkischen Rechten auf linke türkische und kurdische AktivistInnen in Österreich gekommen. Auch hier gilt es klar Seite zu beziehen.
Wichtig ist aber auch, einen Zugang zu den vielen TürkInnen zu finden, die Erdogan verteidigen, weil für sie die AKP Regierung für Fortschritt und sozialen Aufstieg steht. Es ist verständlich und richtig, sich gegen den Putsch zu stellen. Doch Erdogan ist ein Vertreter der türkischen Eliten und des türkischen Kapitals. Der Wirtschaftsaufschwung der Türkei nähert sich einem Ende und damit wachsen auch die sozialen Probleme. Erdogan wird den Putschversuch auch nutzen, um Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung anzugreifen und den neoliberalen Umbau mit z.B. Privatisierungen weiter voran zu treiben. Um den Kampf von ArbeiterInnen in der Türkei gegen diese Maßnahmen glaubwürdig unterstützen zu können muss der ÖGB auch ähnliche Maßnahmen hierzulande aktiv bekämpfen und sich auch für die vollen Rechte aller Beschäftigten – also auch der türkischen – einsetzen. Im gemeinsamen Kampf für soziale Rechte können türkische KollegInnen für den Kampf für eine demokratische, säkulare und auch sozialistische Türkei gewonnen werden.
In Österreich halten wir es für besonders wichtig den Aufbau einer neuen linken Partei anzugehen. Viele Menschen haben die Ereignisse gestern zutiefst verunsichert. Ohne linkes Angebot werden FPÖ und andere Rechtsextreme von dieser Unsicherheit profitieren. Daher sollten wir in den nächsten Tagen konkrete Fortschritte in der Aufbruchkampagne machen. ArbentnehmerInnen mit türkischen Background für eine kämpferische Kampagne anzusprechen muss dafür ein wichtiges Ziel sein.