Sa 30.08.2014
Ein Beispiel, weil es gerade aktuell ist: Über viele Jahrzehnte hat Bosnien und Herzegowina nun schon mit Korruption, politischen Versorgerposten als Resultat des Dayton-Vertrages, ökonomischem Leerlauf und vor sich herwütender Privatisierung von ehemaligen Staatsbetrieben zu kämpfen. Diese Problemfelder führten im Februar diesen Jahres zum Ausbruch einer gewaltigen Ladung Aggression gegen den Staat und seine Inkompetenz. Die Auswirkungen dieser Ereignisse hatte der bürgerliche Magen noch immer nicht ganz verdaut, als eine Flut über den Balkan hereinbrach, deren Schäden laut Schätzungen bis zu zwei Milliarden Euro betragen sollen.
Auch wenn man nichts Positives an einer Katastrophe solchen Ausmaßes sehen kann, so ist sie doch nicht für alle von Nachteil. Heißt es bei einer Fußball-Weltmeisterschaft: Unsere Nationalität gegen ihre – ignorieren wir die Klassengegensätze, so werden auch solche Katastrophen genutzt, um den nationalen Schulterschluss zu propagieren: „Wir“, die BosnierInnen und HerzegowinerInnen, müssen gemeinsam gegen diese (für Klerikale aller Fraktionen noch: von Gott) auferlegte Prüfung bestehen. Es gibt keine Klassen mehr, es gibt keine ökonomischen Differenzen, vergessen sind die sozialen und wirtschaftlichen Probleme; da existiert nur noch eine Nation.
Näher betrachtet sind diese Floskeln natürlich totaler Unfug: Katastrophen egal welchen Ausmaßes und egal welcher Art betreffen die unterschiedlichen Klassen naturgemäß vollkommen verschieden. Doch die Propagierung des nationalen Schulterschlusses hat mehrere systemerhaltende Effekte zugleich: Erstens kann das Image von Armee und Politik bei Katastropheneinsätzen poliert werden. Zweitens gilt es einen gemeinsamen Feind zu besiegen, was drittens dazu führt, dass mögliche politische Änderungswünsche bis hin zu Revolutionen das Wasser abgegraben werden kann. Und Fakt ist: Naturkatastrophen können schnell zu politischen Krisen führen, als Beispiel dafür sei Nicaragua 1972 herangezogen. Die Inkompetenz der herrschenden Somoza-Diktatur nach Erdbeben und Tsunami heizte die Revolution an, die letztlich zu ihrem Sturz führte.
Das Unvermögen der Herrschenden wurde auch bei der Ressourcenvergabe am Balkan sichtbar. Das Hochwasser hat eine Welle der Solidarität in der ex-jugoslawischen Emigration hervorgerufen. Massenweise wurden Pakete abgeliefert, doch die politischen Parteien sahen sich nicht imstande, die Abgabe zu kontrollieren und zu überwachen. So führte das auch in BiH zu Hamstern und Weiterverkauf der Waren durch einzelne Personen, die Profit daraus schlagen wollten. Doch mehr noch: Durch das Herumschwimmen von Landminen im Hochwasser, eine massive Gefährdung der Bevölkerung, erkannten viele Leute das von der etablierten Politik über Jahrzehnte betriebene wahnwitzige Ignorieren einer dringend nötigen Entminung. Oder in Sri Lanka 2004 beispielsweise das Versagen der Regierung, für ein Tsunami-Frühwarnsystem zu sorgen. Doch was ist die Lösung? Wie können demokratische Strukturen aufgebaut werden, die effektiver funktionieren? Ganz einfach: Es muss eine von den Betroffenen erbaute, demokratische Hilfsstruktur her, die jedeN ungeachtet von Religion, Ethnie oder Ähnlichem miteinbezieht. Hilfsbedürftige dürfen nicht wie Bittsteller dastehen, die dem kapitalistischen Staat oder reichen SpenderInnen für die inexistente Großzügigkeit auch noch danken müssen.
Ein Exempel dafür ist eben jenes oben erwähnte Sri Lanka, welches mit dem Tsunami vor fast genau zehn Jahren eine schreckliche Katastrophe erlebte. Dort war es ob der diskriminierenden Regierung, welche die unterdrückten TamilInnen nicht unterstützen wollte und sich zeitgleich an den Hilfen bereicherte, unbedingt nötig, eine selbstverwaltete Hilfe aufzubauen. Die Schwesterorganisation der SLP in Sri Lanka, USP (United Socialist Party), half sofort an Ort und Stelle, demokratische Komitees aufzubauen, die die Verteilung der Hilfsgüter regelten. So konnten auch die vom CWI mithilfe von Spendenaufrufen und internationaler Solidarität aus der ArbeiterInnenklasse organisierten Spenden für Sri Lanka effektiv helfen. Solche demokratischen Strukturen sind auch die politische Antwort auf die berechtigte Wut über die Unfähigkeit der Herrschenden. Denn sie legen die Basis für eine demokratische, nicht an Profiten orientierte und nicht nach Ethnien gespaltene Gesellschaft für die Zeit nach der Katastrophe. Denn es reicht nicht, nur die Auswüchse während der Zeit von Naturkatastrophen zu bekämpfen. Nur ein politisches und ökonomisches System, das sich an den Interessen aller orientiert, kann – wie der Fall Sri Lanka zeigt – die Folgen von Katastrophen abwenden oder wenigstens lindern. Denn Naturkatastrophen werden leider immer wieder passieren – Kapitalismus aber ist hausgemacht.