Offen gefragt

Ein paar Anregungen zum Nachdenken über den Umgang mit der Silvesternacht von Köln
Georg Kümmel, Köln

Die Debatte nach der Silvesternacht in Köln ist, vorsichtig gesagt, sehr verwirrend. Eine allgemeine Hysterie scheint das Land ergriffen zu haben. Was tun? Beginnen wir damit, den politischen AkteurInnen in der Debatte öffentlich einige Fragen zu stellen:

Kultur oder Religion

Die Männer, die die Frauen sexuell belästigt, ihnen Gewalt angetan und beraubt haben, müssen ein sehr rückständiges Frauenbild haben. Das soll, hören wir, mit ihrem Kulturkreis und ihrer Religion zu tun zu haben. Frage: In Deutschland werden jährlich über 7000 Fälle von Vergewaltigungen und schwerer sexueller Nötigung angezeigt. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Die meisten Fälle von körperlicher und/oder sexueller Gewalt wird durch Beziehungspartnerinnen und Beziehungspartner begangen und sie kommt in allen Bildungs- und Sozialschichten vor. Frage: Lassen sich diese (mehrheitlich deutschen) Männer, wenn sie „ihre“ Frau verprügeln oder vergewaltigen, mehr von den Werten der westlichen Kultur der Aufklärung leiten oder eher von den Leitbildern unserer christlich-abendländischen Religion?

Deutsch aussehend

Eine unbekannte, nach einschlägigen Schätzungen aber sehr hohe Zahl deutscher Männer reist regelmäßig als so genannte Sextouristen nach Thailand, Kambodscha, auf die Philippinen und in weitere sehr arme Länder. Viele gehen dort gezielt zu Kinderprostituierten und missbrauchen sie. Frage: Sollte man den Regierungen dieser Länder nicht dringend vorschlagen, ein Einreiseverbot für deutsche Männer zu verhängen? Oder zumindest eine Obergrenze festzulegen? Oder sollten sie sicherheitshalber allen nordeuropäischen Männnern die Einreise verweigern? Oder würde es ausreichen, für alle „nordeuropäisch aussehenden“ Männer die Grenzen dicht zu machen. Oder nur für „deutsch aussehende“ Männer?

Leitkultur

Die Flüchtlinge sollen sich, so wird gefordert, die deutsche Leitkultur zu eigen machen, eventuell sogar entsprechende Erklärungen unterschreiben. Frage: Reicht es, wenn sie die öffentliche Bordellwerbung akzeptieren („100 Girls erwarten dich…“) oder müssen sie auch Werbung für Flatrate-Sex-Bordelle als völlig normal verinnerlichen?

Das größte Bordell in Köln (11 Stockwerke) trägt den Namen „Pascha“. Auf http://www.duden.de lesen wir zur Bedeutung des Wortes „Pascha“: „1. (früher) Titel hoher orientalischer Offiziere und Beamter 2. (abwertend) Mann, der Frauen als dem Mann untergeordnet ansieht und sich von ihnen gern bedienen, verwöhnen lässt.“ Frage: Passt das „Pascha“ eher zu unserer modernen westlichen Tradition und Frauenbild oder entspricht es doch mehr dem alten orientalischen?

Schutz

Zu denen, die die Frauen schützen wollen, gehört auch Horst Seehofer. 1997 lag im Bundestag ein Gesetzentwurf vor, mit dem Vergewaltigung in der Ehe erstmals als Straftatbestand anerkannt werden sollte. Horst Seehofer stimmte dagegen. Frage: Wollte Seehofer auch damals schon die Frauen schützen oder was wollte er?

Abschiebung

Die Abschiebung „krimineller Ausländer“ wird in der öffenltichen Debatte von so gut wie niemandem mehr in Frage gestellt. Trotzdem ein, zwei Fragen: Wäre es nicht konsequent, auch alle Länder, in denen deutsche Staatsbürger leben, aufzufordern, kriminelle Deutsche nach Deutschland abzuschieben? Immerhin leben allein in Europa 1,14 Millionen Deutsche ständig im Ausland. Weltweit sind das noch einige mehr. Darunter dürfte auch der ein oder andere sein, der eine Straftat begangen hat. Und fällt eigentlich niemandem mehr auf, dass die Forderung „Kriminelle Ausländer abschieben“ zuerst von rechten, rassistischen und faschistischen Parteien auf ihre Plakate geschrieben wurde? Warum wohl?

Türkei

Die Türkei ist Deutschlands Nato-Partner. Sie soll gerade helfen, die europäischen Außengrenzen zu schützen. Zugegeben, nicht vor einem bewaffneten Angriff anderer Mächte sondern vor  Flüchtlingen mit Plastiktüten. Frage: Ist es wirklich eine gute Idee sich „fest an die Seite der türkischen Regierung“ zu stellen? Muss der NATO-Partner zum Schutz der europäischen Außengrenzen wirklich so viele kurdische Dörfer und Städte beschießen oder würde es schon ausreichen, wenn der NATO-Partner aufhören würde, Deals mit dem IS zu machen?

Saudi Arabien

Saudi Arabien ist ein ganz besonderes Land. Frauen haben ihr Leben lang einen Vormund (Vater, Bruder, Ehemann) und auch sonst wenig Rechte. Es gibt aus dem Land auch besonders viel finanzielle Unterstützung für den IS, außerdem werden besonders viele Menschen hingerichtet, vorzugsweise geköpft. Doch Saudi Arabien ist drittgrößter Empfänger deutscher Rüstungsexporte (nach Großbritannien und Israel). Frage: Hofft man mit deutschen (westlichen) Waffen auch westliche Werte ins Land zu bringen? Oder gilt Saudi Arabien der deutschen Regierung als bereits ausreichend „verwestlicht“. Immerhin finden die Enthauptungen sehr transparent, in der Regel nämlich auf öffentlichen Plätzen, statt und die Opfer werden oft anschließend noch gekreuzigt.

Wem nützt es?

Inmitten der allgemeinen Hysterie wollen wir es wagen, noch ein paar weitere Fragen zu stellen. Kann es sein, dass hier etwas instrumentalisiert wird? Dass es gar nicht  um den Schutz von Frauen geht? Ja, von Beginn der Debatte nie darum ging? Kann es sein, dass die Regierung, ursprünglich dachte: so zweihundert- oder dreihunderttausend Flüchtlinge aufnehmen, das wäre gut für den (Billig-) Arbeitsmarkt und gut für das angekratzte Image nach dem Griechenland-Bashing? Könnte es sein, dass die Regierungsvertreter in den Flüchtlingen, die dann in viel größerer Zahl kamen und kommen, keine Menschen sehen, denen man unbedingt helfen muss, sondern ein innenpolitisches Problem? Kann es sein, dass ihnen die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht geradezu wie gerufen kamen, um ganz unchristliche Maßnahmen gegen Flüchtlinge umzusetzen und die öffentliche Meinung darauf vorzubereiten?

 

Zum Schluss: Wenn einige oder alle Fragen sehr zynisch klingen, dann war das nicht die Absicht des Fragestellers sondern widerspiegelt leider nur eine ganz reale Politik, die in diesem Land betrieben wird.