So 18.02.2007
Die vergangenen niederländischen Parlamentswahlen vom November 2006 brachten der Sozialistischen Partei, die in der ArbeiterInnenklasse breite Unterstützung für ihr anti-neoliberales Programm und ihre Anti-Kriegshaltung gewann, große Stimmenzuwächse. Die Wahlergebnisse erschütterten das Establishment in den Niederlanden, von der europäischen Linken und vielen ArbeiterInnen in Europa wurden sie jedoch wärmstens begrüßt.
Nach monatelangen Verhandlungen in Hinterzimmern wurde Mitte Februar 2007 schließlich eine neue Koalitionsregierung unter der Führung von Premierminister Jan Peter Balkenende, Vorsitzender der Christdemokraten (CDA), gebildet. Balkenende wird mit einer Koalition aus Arbeitspartei (PvdA) und der kleinen Christlichen Union (CU) regieren. Nach den Wahlen blieb die CDA mit 41 Sitzen die stärkste parlamentarische Kraft, die PvdA erlangte 33 und die CU kam auf 6 Sitze. Die neue Koalition stellt somit 80 der insgesamt 150 Parlamentsabgeordneten.
Die Wahlen brachten sämtlichen etablierten Parteien Stimmenverluste und Einbußen bei der Sitzverteilung. Jenseits der Rechts-Links-Grenze wurden die Stimmen neu aufgeteilt. Wie die SP, so konnte auch die extreme Rechte, die Anti-Migranten Partei für Freiheit (PVV) und die Christliche Union Zugewinne verzeichnen. Indikator für die Sprunghaftigkeit bei Wahlen und die Radikalisierung der WählerInnen mag auch der von der Partei für die Tiere gewonnene eine Sitz sein.
Es ist allerdings die Stimmabgabe für die oppositionelle Sozialistische Partei, die die größte Aufmerksamkeit auf sich zog. Die SP verdoppelte die Anzahl ihrer Abgeordneten in den Kommunalvertretungen und verdreifachte beinahe die Anzahl ihrer Sitze in der gesetzgebenden Versammlung des niederländischen Parlaments auf 25 (das entspricht 16,3% der abgegebenen Stimmen). Damit ist die SP nun drittstärkste Partei sowohl was ihre Abgeordneten- als auch ihre Mitgliederzahl angeht (gegenwärtig knapp über 50.000). In den kommenden Jahren ist es möglich, dass sie die niederländische sozialdemokratische Arbeitspartei (PvdA) als zweitstärkste politische Kraft nach den Christdemokraten (CDA) ablöst. Doch wie kam es zu diesem Erfolg und welche Aussichten hat die SP?
Die niederländische Sozialistische Partei wurde 1972 als Ergebnis der Spaltung der Kommunistischen Partei gegründet. Die SP machte sich den Maoismus zu eigen. In den frühen 1990ern legte sie den „Marxismus-Leninismus“ ab (in realiter war dies schon Jahre zuvor geschehen) und entwarf einen „breiten Appell“. Seit den 1970er Jahren baute die SP lokale Aktiven-Netzwerke auf. Auf der Linken wurde Platz frei, als die PvdA, die traditionelle Partei der ArbeiterInnenklasse, nach rechts rückte und in den 1990ern Teil der neoliberalen Koalition einer „lila Regierung“ wurde. Die aktive Opposition der SP gegen Kürzungen und die zunehmende soziale Ungleichheit führte zu Wahlerfolgen sowohl bei regionalen als auch Parlamentswahlen.
Die größten Erfolge erzielte die SP während der sozialen, politischen und industriellen Wirren der letzten Jahre in den Niederlanden. Vor dem Hintergrund einschneidender Sparmaßnahmen, zunehmender Arbeitslosigkeit, verlangsamten Wirtschaftswachstums und eines anwachsenden Haushaltsdefizits gewann die SP bei den Parlamentswahlen 2002 beinahe 600.000 Stimmen hinzu. Die spektakulärsten Erfolge erzielte jedoch die vollkommen neu gegründete, rechte und populistische „Liste Pim Fortuyn“.
Gewerkschaftliche Proteste
Weil sie die großen Gewerkschaftsdemonstrationen und Proteste gegen die Regierungspolitik 2004 unterstützte sowie 2005 eine Nein-Kampagne zum Referendum über die EU-Verfassung fuhr (die NiederländerInnen stimmten zu zwei Drittel mit Nein), wurde die SP rasch als an der Spitze des anti-neoliberalen Kampfes stehend angesehen. Seinen Niederschlag fand dies in der Verdopplung der Abgeordnetensitze bei den Kommunalwahlen 2006 und der Verdreifachung der Repräsentantensitze im Parlament.
Nachdem dann die Wahllokale geschlossen waren, verbrachten führende SP-Mitglieder Wochen damit, Abkommen über eine „Linke Koalition“ mit den etablierten Parteien zu erreichen. Viele SP-WählerInnen und -UnterstützerInnen, die die jahrelang anhaltenden sozialen Kürzungen beendet wissen wollten, hofften, dass die SP die Einschnitte beenden oder zumindest abfedern könne, wenn sie mit den etablierten Parteien zusammen an die Macht kommen würde.
Offensief, die Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in den Niederlanden, die in der SP mitarbeitet, ist nicht prinzipell gegen Koalitionsregierungen, argumentiert aber dafür, dass die SP nur mit eindeutig gegen Kürzungen und Neoliberalismus stehenden Parteien in Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung eintritt. Die zwei Großparteien, mit denen die SP Diskussionen begann – mit PvdA und CDA – halten hingegen den Rekord, was einschneidende Kürzungen angeht und sie machen den Anschein, mit dieser Politik fortfahren zu wollen.
Die CDA wies die Avancen der SP-Führung zurück und eine neue rechts-konservative Koalition wurde gebildet, einschließlich der sozialdemokratischen PvdA. Offensief ruft die SP zu einem kämpferischen nächsten Wahlkampf mit sozialistischer Ausrichtung auf, mit dem Ziel einer sozialistischen Mehrheitsregierung.
Die neue rechts-konservative Regierung wird wahrscheinlich instabil und schwach sein. Die Aussichten für die SP, weitere Zugewinne auf Kosten der PvdA zu verbuchen, bedeutet für die PvdA-Führung umgekehrt, dass sie bei ihrer Regierungstätigkeit kontinuierlich über ihren Tellerrand blicken muss.
Zweifelsohne unter dem Druck der PvdA präsentiert sich die neue Koalition selbst als „Mitte-Links-Bündnis“ statt – wie ihre Vorgängerregierung – als „Rechts-Liberale-Koalition“. Die Drei-Parteien Koalition stimmte nach einer vierjährigen Rechts-Regierung, die das soziale Netz aufgeschlitzt und einen Hardliner-Kurs in der Asylpolitik eingeschlagen hat, einer „Verschiebung zurück zur Mitte“ zu. Premierminister Jan Peter Balkenende kündigte an, dass die „Koalition der Mitte“ eine Amnestie für Tausende „illegaler“ MigrantInnen erlassen, klimaschädliche Abgase verringern und die liberale niederländische Drogen- und Sterbehilfepolitik unangetastet lassen wird. Die neue Regierung versprach darüber hinaus zusätzliche 7 Millionen Euro für Gesundheitsversorgung, Bildung und die „Wiederbelebung“ der Stadtgebiete. Balkenende versichert, die Kriminalitätsrate um ein Viertel zu senken.
Was dem „Reformpaket“ der drei regierenden Parteien zu Grunde liegt, ist ihre tiefe Sorge um die großen Zuwächse der SP, potentielle weitere Erfolge für die Linke und eine sich ausweitende politische Polarisierung der Gesellschaft. Die etablierten Parteien blicken mit Bestürzung auf die zunehmende Radikalisierung der niederländischen ArbeiterInnen, der Jugendlichen und ihre überwältigende Opposition gegenüber Kürzungen, Neoliberalismus und Imperialismus.
Allerdings wird die CDA-/PvdA-/CU-Koalition substantiell mit ihrer neoliberalen Politik fortfahren. Die versprochenen Extragelder für Soziales werden die fundamentalen Veränderungen in den Sozialsystemen nicht aufwiegen, die jahrelang Einschnitte und Unterfinanzierung erleiden mussten. Und zur selben Zeit verspricht die Regierung die „Reform der“ (d.h. „Angriffe auf die“!) Rentensysteme und Arbeitsunfähigkeitsversicherung.
Während die neue Regierung sagt, dass sie als Zugeständnis an die rechte Christliche Union einige Sozialgesetze unbehelligt lassen will, wird davon berichtet, dass die Koalition „mehr investieren“ will in den Bereichen „Beratungsangebote für abtreibungswillige Frauen“, sowie „Anordnung einer Überdenkungsfrist vor der Abtreibung, um der schwangeren Frau den Widerruf ihrer Entscheidung zu ermöglichen.“
Die Balkenende-Administration verpflichtet sich ebenfalls, wie bei der Besetzung des westlichen Afghanistan weiterhin Truppen für „internationale Friedensmissionen“ zur Verfügung zu stellen und mit der Entwicklung des von den USA geführten Joint Strike Fighter Programms fortzufahren.
Trotzdem die niederländischen WählerInnen die geplante europäische Verfassung – bei der es sich um den Versuch handelte, neoliberale Politik flächendeckend auf die ganze EU auszuweiten – beim 2005er Referendum zurückgewiesen haben, kündigte die neue Regierungskoalition an, dass sie „für Reform und Bündelung von Verträgen der EU“ eintreten wird.
Das Programm der SP
Als Oppositionspartei konnte die SP die innen- wie außenpolitische Verwaltertätigkeit der Regierung erfolgreich angreifen. Ein genauerer Blick auf Programm und Politik der SP zeigt allerdings schon jetzt große Unzulänglichkeiten. Während der Wahlkampagne rief die SP zu Reformen für erwerbstätige Menschen auf. So etwa für eine verbesserte Gesundheitsversorgung, dynamische Renten, erschwinglichen Wohnraum und ein Ende der Kinderarmut. Doch diese Minimalforderungen wurden nicht weiterentwickelt und die Frage von Gemeineigentum und Kontrolle über die Wirtschaft wurde nicht geklärt. Die Partei führte diesbezüglich aus: „Zug, Bus, Benzin und Strom sollten wieder uns allen gehören“. Unklar bleibt jedoch, ob es dabei um öffentliches Eigentum oder ein Modell von nebeneinander bestehendem öffentlichen und privaten Besitz geht. Erachtet die SP es darüber hinaus als akzeptabel, dass der private Sektor bzw. der „freie Markt“ eine dominierende Rolle in anderen Wirtschaftsbranchen spielt?
Offensief unterstützt viele der sozialen und wirtschaftlichen Forderungen der SP, tritt aber gleichfalls dafür ein, dass diese zu einem wirklich sozialistischen Programm weiterentwickelt werden, welches die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen aufgreift. Dies beinhaltet Verstaatlichung der wichtigsten Versorgungsbereiche wie Transport und Elektrizität sowie weiterer Schlüsselindustrien unter demokratischer/m Kontrolle und Management. SozialistInnen müssen selbstverständlich für jede Verbesserung für ArbeiterInnen kämpfen. Doch die letzten Jahre der sozialen Kürzungen deuten auf die Krise des niederländischen Kapitalismus hin, was bedeutet, dass die herrschende Klasse versuchen wird, die schwer erkämpften sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse zurückzunehmen.
Außenpolitisch lehnte die SP die NATO-Bombardements Serbiens und die Unterstützung der niederländischen Regierung für die Besetzung des Irak und Afghanistans ab. Dennoch stimmte die Parlamentsfraktion der SP für die Entsendung von UN-Missionen in alle Welt. Obwohl die grundlegende Funktion der UN darin besteht, die Position des Imperialismus auf Kosten der Menschen in der ex-kolonialen Welt zu verbessern. Die SP hat auch Illusionen in Körperschaften wie der WTO (Welthandelsorganisation), die wie Weltbank und IWF (internationaler Währungsfonds) eine ausbeuterische Einrichtung der Großkonzerne und des Imperialismus ist.
Die SP liegt vollkommen richtig, wenn sie betont, dass die „Liberalisierung“ des EU-Arbeitsmarkts von den Konzernchefs des Westens dazu benutzt wird, Löhne herunterzufahren und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Allerdings war es vollkommen verkehrt, dass die SP sich „gegen die Arbeitserlaubnis für osteuropäische Arbeiter auf dem niederländischen Arbeitsmarkt“ aussprach. Nicht nur, dass diese Forderung nicht umsetzbar ist – es gibt bereits eine große Anzahl ausländischer Arbeitskräfte in den Niederlanden –, sie kann auch den Rechten, demagogischen Politikern und Rassisten in die Hände spielen. Statt dessen sollte die SP die Gewerkschaftsbewegung aller ArbeiterInnen einschließlich der ausländischen KollegInnen unterstützen, um den Attacken der Chefetagen auf Löhne und Arbeitsbedingungen standhalten zu können. Verbunden werden muss das mit vereinten Kampagnen der Beschäftigten für Wohnungsbau, Gesundheitsversorgung und Bildung.
Eintritt in die rechte Koalition = Desaster für die SP
Nachdem die Christdemokraten die Anstrengungsversuche der SP zur Gründung einer neuen Regierung missachtet haben, wird die Partei höchstwahrscheinlich weiter wachsen, wenn die lohnabhängigen Menschen sie als linke Opposition zur Regierung betrachten. Die SP könnte bis zu den kommenden Wahlen zur zweitstärksten Partei anwachsen und den Parteien der Konzernbesitzer somit noch weit stärkere Kopfschmerzen bereiten als mit jüngsten Versuchen der Regierungsbeteiligung. Die SP würde von den niederländischen Konzernchefs als zu anfällig gegenüber den Gefühlen und Forderungen der ArbeiterInnenklasse angesehen.
Die SP gewinnt breite Unterstützung bei Wahlen, ihr Programm ist hingegen weniger entwickelt als das früherer reformistischer linker Parteien. Die SP ruft nicht zu einem klaren Bruch mit dem Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft auf. Die Logik ihrer begrenzten reformistischen Politik besteht darin, in eine Koalitionsregierung einzutreten, um den Kapitalismus für die arbeitende Bevölkerung freundlicher zu „gestalten“.
Schon heute befindet sich die SP auf kommunaler Ebene in Koalitionen, die Privatisierungen durchsetzen. So in Nimwegen, wo der örtliche Busverkehr verkauft wurde. Es wäre ein großer Fehler, würde die SP auf nationaler Ebene an von rechten Parteien dominierten Regierungen teilnehmen. Ein so großer Fehler, dass er die Zukunft der SP aufs Spiel setzen würde. Dies würde bedeuten, dass mensch zum Kollaborateur von Kürzungen wird. Viele ArbeiterInnen würden desillusioniert der SP den Rücken kehren und der Stimmenanteil würde dramatisch fallen. Das wäre ein Tiefschlag für die ArbeiterInnen, die auf der Suche nach einer ernsthaften Alternative sind und würde den Kampf für eine neue Massenpartei der ArbeiterInnenklasse in den Niederlanden sehr verkomplizieren.
Voraussichtlich wird die SP weiterhin eine Rolle in der niederländischen Politik spielen. Auch dann, wenn sie ernsthafte politische Fehler machen sollte. Die Partei ist mehr als 30 Jahre alt, hat eine bewährte Führungsriege und Parteizeitung. Sie basiert auf Traditionen und Einfluss unter zumindestens einer Schicht von ArbeiterInnen und eine vergleichsweise große und vorwiegend aus der ArbeiterInnenschaft stammende – wenn auch größtenteils passive – Mitgliedschaft. Die niederländische ArbeiterInnenklasse wird der SP eine Bewährungschance geben. Diese wird allerdings nicht unbegrenzt sein, sollte die SP – einmal an der Macht – gegen die Interessen der ArbeiterInnen handeln. Darüber hinaus ist die Wählerschaft allgemein zwischen den Links-Rechts-Lagern polarisiert, wie die Wahlen vom November offenbart haben. Desillusionierung gegenüber einer SP würde somit zu mehr Zulauf für die Populisten und Ausländerfeinde wie der xenophoben „Partei für Freiheit“ (PVV) führen.
Um erfolgreich zu sein muss sich die SP ein klares sozialistisches Programm geben. auf dem Weg voran ist eine ausgiebige Diskussion und Debatte innerhalb der Mitgliedschaft dringend von Nöten. Dies beinhaltet auch eine Demokratisierung und Öffnung der Parteistrukturen, an Stelle des momentanen überhand nehmenden Zentralismus. Das erfordert den Aufbau einer wesentlich mehr auf Kampagnetätigkeit setzenden Partei, die weite Teile der ArbeiterInnenklasse und Jugend mit einbezieht, um den Abwehrkampf gegen die Angriffe der neuen Regierung anzuführen.
Auf diese Weise kann eine Kampagnen führende Partei mit Massenzuspruch und klar sozialistischem Programm aufgebaut werden. Das würde die SP dazu befähigen, in den nächsten Wahlen aus einer kraftvollen Position heraus zu bestehen – um für eine Mehrheitsregierung mit sozialistischem Programm einzutreten.
Dieser Artikel erschien in der Februarausgabe von Socialism Today, dem Monatsmagazin der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in England und Wales)