Mi 02.03.2005
Im Februar 2004 hat die Europäische Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Neuregelung von “Dienstleistungen im Binnenmarkt” vorgelegt: die “Bolkestein-Richtlinie”. Ziel dieser Maßnahme ist es, EU-weit einheitliche Regelungen für Dienstleistungen zu schaffen. Unternehmen soll es möglich werden, überall Dienstleistungen zu erbringen, ohne die gesetzlichen Vorschriften des jeweiligen Landes zu erfüllen. Im Klartext bedeutet das einen EU internen Wettbewerb um die schlechtesten Arbeitsbedingungen, die niedrigsten Umweltstandards und den geringsten KonsumentInnenschutz. Leidtragende werden vor allem ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose, sozial Schwache und insbesondere Frauen sein.
Knackpunkt ist das sog. “Herkunftslandprinzip”, nach dem bei grenzüberschreitender Leistungserbringung Firmen nur noch den Gesetzen ihres Herkunftslandes unterliegen. Das würde bedeuten, dass es für Unternehmer möglich und lukrativ wird, sich in Ländern mit niedrigen Sozialstandards anzusiedeln und die Dienstleistungen im Nachbarland anzubieten. Dies führt zu einem - nach Aussagen der Kommission - durchaus beabsichtigten “Wettbewerb der Systeme”.
Die Sozialstandards werden ausgehebelt!
EU-Kommission und viele Politiker behaupten, dass bei Sozialstandards die Regelungen (etwa Kollektivverträge) des Landes gelten, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Das ist falsch!
Indem die Kontrolle und Durchsetzung an das Herkunftsland delegiert wird, muss beispielsweise eine tschechische Heimhilfe, die in Österreich pflegt, dann vor einem tschechischen Gericht österreichische Löhne einklagen. Darüber hinaus plant die EU-Kommission den nächsten Angriff: Einen einheitlichen Niedrigstandard-Katalog auch für Sozialstandards. Dieser soll dann gegenüber dem Recht einzelner EU-Staaten bevorzugt werden.
Wien ist Bolkesteinvorreiter!!
Die “Bolkestein-Richtlinie” macht Druck auf den öffentlichen Dienstleistungsbereich, wie z. B. den Gesundheitsbereich, Müllabfuhr usw.. Weitere Privatisierungen und Ausgliederungen werden die Folge sein. Mit weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen ist zu rechnen (mit dem Argument, wettbewerbsfähig bleiben zu müssen). Auch die jüngsten Ausgliederungen der Gemeinde Wien sind unter dem Blickwinkel von “Bolkestein” zu sehen. So wurden z.B. mit 1. Juli 2004 große Teile der öffentlichen Sozialverwaltung in den Bereichen Altenpflege, Behindertenwesen, Wohnungshilfe und anderen in den “Fonds Soziales Wien” ausgegliedert. (siehe Vorwärts 143). Wird die Bolkesteinrichtlinie Realität, können EU-weit Unternehmer soziale Dienstleitungen in Wien anbieten, die Standards müssen dann nicht mehr den Förderrichtlinien des FSW bzw. der Gemeinde Wien entsprechen. Durch den Einsparungsdruck der Gemeinde und das EU-Gebot für politisch Verantwortliche, das billigste Angebot zu nehmen, werden verstärkt Billigstanbieter zum Zug kommen. Für Menschen in Sozialberufen bedeutet das mehr Druck auf Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitszeitregelungen. Die Situation im Pflege- und Sozialbereich ist für die ArbeitnehmerInnen oft prekär: Die Arbeitszeiten sind häufig unregelmäßig, so kann z. B. das Pflegepersonal in Krankenanstalten bis zu 13 Stunden an einem Tag eingesetzt werden. Oft werden keine Vollzeitarbeitsplätze angeboten, die Einkommen sind niedrig und die Aufstiegschancen sind gering.
Frauen besonders stark betroffen
Im Pflege und Sozialbereich arbeiten vor allem Frauen. In Heimen und Krankenhäusern sind es über 80%, in der mobilen Betreuung über 95%, besonders in den niedrigeren Positionen. Die immer weiter auseinander gehenden Löhne von Männern und Frauen sind stark durch die unterschiedlich gute Bezahlung von klassischen Männer- und Frauenberufen zu erklären. Es sind schon beim Berufseinstieg deutliche Einkommensnachteile von Frauen gegenüber gleichaltrigen Männern auffällig: So verdienen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren im Durchschnitt um 17,6% weniger als gleichaltrige Männer und zwischen 20 und 24 Jahren 18,9%. Gerade der Sozial- und Pflegebereich ist ein gutes Beispiel für einen klassischen “Frauenberuf”. Gerade durch dieses Beispiel wird klar, wie die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen unter anderem zustande kommen. So liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt für eine Altenfachbetreuerin bei 820 Euro netto und für eine Pflegehelferin bei 1.000 Euro netto (allerdings nur bei seltenen Vollzeitjobs). Dabei ist zu bedenken, dass die Aufstiegschancen in diesem Bereich gering sind.
Gewerkschaften sind gefordert!
Noch ist Bolkestein nicht in Kraft. Durch den gemeinsamen Widerstand von Gewerkschaften, ArbeitnehmerInnen und einer kämpferischen Frauenbewegung kann die Richtlinie noch verhindert werden. Dazu braucht es auch eine Alternative:
- Mindestlohn, Mindestarbeitslose und Mindestpension 1.100 Euro netto! Gerade im Pflege und Sozialbereich sieht man gut, wie wichtig ein Mindestlohn von 1.100 Euro netto wäre. Auch für die Realisierung der Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit ist ein entsprechend hoher Mindestlohn eine entscheidende Voraussetzung.
- Rücknahme von und Kampf gegen jede Privatisierung und Ausgliederung.
- Umverteilung in den Sozialbereich - z.B. durch Wertschöpfungsabgabe.