Sa 13.02.2021
Die Unterstützung für die „Kampagne zivilen Ungehorsams“, die ihren Anfang bei Arbeiter*innen im medizinischen Sektor in über 80 Krankenhäusern in Myanmar nahm, wächst. Beschäftigte des Energieministeriums sowie Mitglieder der Polizeikräfte haben sich dem Kampf gegen den Putsch angeschlossen und demonstrieren öffentlich mit dem Drei-Finger-Gruß – dem Symbol des Protests.
Die Menschen in Myanmar strömen auf die Straßen, zu riesigen Protesten gegen den Militärputsch im Land. Trotz Covid-19 und Repressionen durch die Behörden wächst die Bewegung rasant. Wenn das Militär gedacht hat, dass es mit dem Putsch einfach durchkommt, so hat es sich getäuscht. Die Protestbewegungen könnten ausschlagebend sein.
Das Militär Myanmars (die Tatmadaw) führte den Putsch am 1. Februar durch, einen Tag vor der konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments. Der Notstand wurde ausgerufen, die Ergebnisse der Wahlen im November 2020 wurden für ungültig erklärt und die Anführer*innen von Aung San Suu Kyis National League for Democracy (NLD) wurden verhaftet.
Dieser Putsch kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für das Establishment in Myanmar. Die militärische Führung war in den letzten Jahren gezwungen Elemente einer Demokratisierung zuzulassen, zum einen weil dies international viele Türen öffnete, zum anderen da eine Welle an Protesten 2007 die innere Stabilität bedrohte. Reihenweise internationale Regierungschefs standen an, um Aung San Suu Kyi nach ihrer Entlassung 2010 zu treffen. Nur Tage vor dem Putsch erhielt das Land 350 Milliarden Dollar vom IWF zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.
NDL macht Hoffnungen zunichte
Die Beteiligten an früheren Protesten setzten ihre Hoffnungen auf Veränderung durch den Regierungseintritt der NLD. Doch das führte zunehmend zu Desillusionierung. Die NLD setzte die letzten Jahre über auf loyale Kooperation mit der Armeeführung. Aber diese Loyalität war nicht beidseitig: Sogar nachdem Aung San Suu Kyi in Den Haag die Verfolgung der Rohingya-Minderheit verteidigte, blieb die Armeeführung misstrauisch.
Es war kein Zufall, dass der Putsch am 1. Februar genau vor dem Antritt des neuen Parlaments stattfand. Im Novmeber 2020 hatte Aung San Suu Kyis NLD eine große Mehrheit der Sitze gewonnen, obwohl sich die Armee automatisch ein Viertel der Sitze zusprach. Das hätte der NLD eine stärkere Kontrolle über die Macht ermöglicht. Zudem steht der Ruhestand von Min Aung Hlaing, der starken Schlüsselfigur in der Armeeführung, unmittelbar bevor, da dieser im Juli 65 wird.
Vielleicht glaubte die Armeeführung sie würde, angesichts der Gesundheitskrise im Inland, sowie den wachsenden Spannungen zwischen China und den USA, mit dem Putsch durchkommen. Die sehr verhaltenen Reaktionen internationaler Institutionen zeigten, dass mit einer internationalen Verurteilung nicht gerechnet werden musste. Für das chinesische Regime stellt ein Militärputsch natürlich kein Problem dar, solange das Regime stabil bleibt. Die USA und andere internationale Mächte sind vorsichtig mit ihrer Reaktion auf den Putsch; sie wollen dem chinesischen Regime nicht zu viel Freiraum lassen, in einem Land mit wichtigen natürlichen Ressourcen. Das japanische Außenministerium ließ sogar offen verlauten, dass die Kommunikation mit dem Militär aufrecht erhalten bleiben soll, aus Angst, dass China sonst seine Position stärken würden.
Militär fürchtet Proteste
Das größte Problem für die Militärführung und die internationalen Mächte, insbesondere China, waren und bleiben Massenproteste. Das wurde berücksichtigt: Sowohl Führungspersönlichkeiten der Mönchsproteste von 2007 als auch des Aufstandes 1988 wurden am 1. Februar sofort verhaftet. Aber vielleicht dachte die Armeeführung, dass es nicht zu einer Massenbewegung kommen würde. Dass die Gesundheitskrise nicht alle Bewegungen ausbremst, hat sich unter anderem schon im Nachbarland Thailand gezeigt. Wenn sich weiter Proteste entwickeln, könnte sich der Putsch als Peitsche der Konterrevolution herausstellen, die die Revolution vorantreibt.
Die Annullierung der Wahlergebnisse 1990, ein Sieg der NLD, folgten auf die Massenbewegung von 1988. Aber nun hat der Schritt der Armeeführung eine neue Bewegung ausgelöst. Das untergräbt die Strategie von Aung San Suu Kyi und der NLD-Führung. In den letzten Jahren folgten sie einer Strategie der loyalen Kooperation mit der Armeeführung. Falls die Massenbewegung die Machtergreifung des Militärs aufhält/beendet, wird es schwer für Aung San Suu Kyi weiter diesem Kurs zu folgen.
Denn der Putsch zeigt das Versagen dieser Zusammenarbeit auf und zudem neigt die Massenbewegung immer dazu, mehr Forderungen zu entwickeln, wenn sie an Selbstvertrauen gewinnt. Diese sich entwickelnde Massenbewegung durch Manöver an der Spitze aufzuhalten, wird schwierig, auch wenn die Bewegung nicht sehr organisiert ist und zweifellos widersprüchlichen Elemente in sich trägt.
Wenn die Massen einmal in Bewegung sind, ruft die Diskussion über demokratische Rechte schnell auch soziale Forderungen hervor. Beide gehören natürlich zusammen. Marxist*innen überlassen die Diskussion über Demokratie nicht den „liberalen“ Flügeln der herrschenden Klasse, sondern sind Teil des Kampfes, als die konsequentesten Demokrat*innen. Sie verbinden demokratische Forderungen mit der Notwendigkeit des revolutionären Kampfes für einen sozialistischen Wandel.
Das ist es nicht, wofür die NLD steht, weshalb in den letzten Jahren die Unzufriedenheit mit Politik und der Richtung der NLD wuchs. Wenn die NLD die Wahlen im November 2020 gewonnen hat, so war dies vor allem der Abneigung gegenüber dem Militär geschuldet. Die NLD hat den verschiedenen ethnischen Gruppen Myanmars, etwa in den Shan- oder Kachin-Staaten, nichts zu bieten. Im Rakhaing-Staat z.B. erlangte die lokale ethnische Arakanesische Nationalpartei mehr Stimmen als die NLD, sogar bei einer Begrenzung der Wahlbeteiligung auf nur 25%.
Arbeiter*innenklasse übernimmt die Führung
Nach dem Putsch und dem Beginn des Massenprotests änderte sich die Situation. Es ist logisch das viele der Demonstrierenden vor allem die Freilassung Aung San Suu Kyis und der NLD-Führung fordern. Sie sehen in ihnen ein Mittel gegen die Armee. Zugleich sollte sich die Diskussion jedoch darauf konzentrieren, wie die Armeeführung tatsächlich gestoppt werden kann: Aung San Suu Kyis Methoden haben offensichtlich nicht funktioniert. Ihre Politik der Zusammenarbeit fasste die Armeeführung als Zeichen von Schwäche auf. Und wie wir wissen, lädt Schwäche zu Aggression ein.
Um erfolgreich zu sein, muss die Bewegung ihre eigenen Instrumente entwickeln um sowohl die Bewegung selbst zu stärken als auch die politischen und sozialen Forderungen zu verteidigen, die durch die größtmögliche Beteiligung aus ihr entstehen. Bereits tausende Arbeiter*innen im Gesundheitsbereich und Mediziner*innen haben sich organisiert zum „zivilen Ungehorsam“ in Form von Streiks. Und Kupferminenarbeiter*innen und sogar Beamte beginnen zu streiken. Um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, gewährleisten Ärzt*innen des Yangoon Krankenhauses zwar weiter eine Notfallversorgung, behandeln jedoch keine Menschen, die sich in irgendeiner Weise an Aktionen pro Militär beteiligt haben.
Der Aufruf zum Generalstreik nach den Protesten von Ärzt*innen, Lehrkräften und anderen bietet Möglichkeiten die Bewegung erheblich zu stärken, besonders wenn Streikkomitees an allen Arbeitsplätzen und in den Stadtteilen gegründet werden, sodass eine Koordinierung dieser Streikkomitees die Basis für eine verfassungsgebende Versammlung bilden kann. Das ist dringend notwendig; auch um den Protest vor Repression und Gewalt der Obrigkeiten zu schützen.
Die Unterstützung für die Armeeführung ist sehr begrenzt, wie sich schon bei den Wahlen im November 2020 gezeigt hat, und das wird sich durch diesen Putsch nicht verbessern. Ein Regime, das mit dem Rücken zur Wand steht, kann seltsame Sprünge vollführen, etwas das erst recht für ein Regime zutrifft, dass dies bereits zuvor getan hat. Das kann zu einem deutlichen Anstieg an Gewalt und Repression führen, um den Protest blutig niederzuschlagen. Das Regime hat die Protestierenden schon mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen attackiert, zudem gibt es im Ausnahmezustand massive Einschränkungen des Internets und der sozialen Medien.
Lehren aus der Geschichte
Die Massen in Myanmar haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass auf blutige Niederlagen neue Bewegungen folgen können: Die Erfahrungen von 1988 sind noch nicht vergessen. Zugleich, müssen politische Lehren gezogen werden: Wandel lässt sich nicht durch gemeinsames Regieren mit dem Militär oder unter seinen Bedingungen erreichen. Demokratische Reformen reichen zudem nicht aus um den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung zu verändern. Ein Programm des sozialistischen gesellschaftlichen Wandels und der Aufbau einer revolutionären Organisation, die diese Notwendigkeit in organisierten und koordinierten Streikkomitees vertritt, ist notwendig.
Es darf keinen Glauben daran geben, dass die Institution des globalen Kapitalismus eine wahrhaft „progressive“ Rolle spielen können: Die Heuchelei der entwickelten Nationen, sowie von Blöcken wie ASEAN, im Bezug auf Menschenrechte ist offensichtlich. Dazu kommt die Frage der Kapitalinteressen, die ihre Hauptmotivation darstellen; erst in Folge des tatsächlichen Putsches haben die große japanische Firma Kirin und der singapurische Geschäftsmann Lim Kaling ihre finanziellen Verbindungen mit vom Militär in Myanmar geführten Gemeinschaftsprojekten abgebrochen
Die Massenbewegung gegen das Regime im benachbarten Thailand, die Inspiration aus Hongkong zieht, und in der eine Vielzahl von jungen Menschen aktiv sind, hat sich auch auf das Bewusstsein der Menschen in Myanmar ausgewirkt.
Die jüngste Analyse der Bewegung in Thailand von Mitglieder der ISA ruft auf zum Aufbau „einer neuen im Kampf verankerten linken Partei um die Gesellschaft zu verändern“ durch eine Herausforderung des Militärs und der Großkonzerne (sowie der königlichen Familie Thailands). Die Bewegung in Myanmar muss Arbeiter*innen anziehen, einschließlich derer, die durch Joint-Venture-Unternehmen in Sonderwirtschaftszonen ausgebeutet werden, und eine solide Basis aufbauen unter den unterdrückten Massen auf dem gesamten asiatischen Kontinent.