Massenmord im Mittelmeer



Jeder Mensch, der heute bei der Flucht stirbt, wird ermordet.
Sebastian Kugler

Der Tod von mehr als 300 Flüchtlingen bei einem Schiffbruch vor Lampedusa sorgte für einen internationalen Aufschrei. Doch es ist nur das Ausmaß der Katastrophe, die Zahl der Toten auf einen Schlag, die den Fall so bekannt machte – denn täglich sterben Menschen an Europas Außengrenzen.

 

Das internationale antirassistische Netzwerk „United“ hat 2012 eine (unvollständige) Liste von Menschen zusammengetragen, die beim Versuch, aus dem Elend zu fliehen und in Europa eine neue Existenz aufzubauen, ihr Leben lassen musste. Die Liste (einsehbar unter http://www.unitedagainstracism.org/pdfs/listofdeaths.pdf) zählt unglaubliche 17.306 Namen seit dem 1.1.1993. Laut UNHCR starben alleine 2012 mindestens 1.500 Menschen beim Versuch, von der afrikanischen Küste nach Europa per Boot zu gelangen. Zum Vergleich: Die Zahl der „Mauertoten“ in der DDR liegt laut höchsten Schätzungen bei etwa 245 im Zeitraum 1961-1989.

 

Es ist ein Skandal, wenn nun VertreterInnen von Politik, Wirtschaft und Medien Krokodilstränen weinen und von einer „Tragödie“ sprechen. Waren es doch dieselben Leute, die so unermüdlich in den letzten Jahren die „Festung Europa“ aufgerüstet haben! Während es auf der einen Seite europaweit Sparpakete hagelt und die EU ein internationales Spardiktat durchprügelt, wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um Europas Außengrenzen zu militarisieren. 2005 betrug das jährliche Budget der Grenzagentur Frontex 6,2 Millionen Euro – 2011 bereits 88 Millionen Euro!

 

Die Absurdität erreicht ihre Spitze, wenn nun gegen FischerInnen, die Flüchtlingen das Leben retteten, wegen Schlepperei-Verdachts ermittelt wird und den Überlebenden der Katastrophe in Italien eine 5000€-Strafe wegen illegaler Einwanderung droht.



 

Auf dem internationalen Parkett will es wie immer niemand gewesen sein. Die italienische Regierung tut betroffen und der deutsche Innenminister Friedrich verteidigt fanatisch seinen „Krieg gegen die Schlepperei“, strukturelle, internationale Lösungen für das immer brennendere Problem sind von keiner Regierung oder EU zu erwarten.

 

Grundübel Kapitalismus

 

Der Wahnsinn an Europas Küsten hat seine Wurzeln im kapitalistischen System. Erst durch die Ausbeutung und Re-Kolonialisierung afrikanischer Länder durch imperialistische Mächte wie die USA, EU, Russland oder China wurden und werden die verschiedenen Fluchtursachen geschaffen, die Menschen dazu bringen, alles, was sie hatten und kannten zurückzulassen und sich auf eine Reise zu begeben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in Gefängnis oder Tod endet. Viele der Länder waren über lange Zeit Selbstversorger, bis sie in die Schuldenfalle von IWF und WTO gerieten und nur noch für europäische Märkte produzieren durften, anstatt die eigene Bevölkerung zu ernähren. Kriege, Armut und Umweltzerstörung fallen nicht vom Himmel – Sie sind das Ergebnis innerkapitalistischer Konflikte und widerstrebender Wirtschaftsinteressen. Die Massenflucht aus der „3. Welt“ bedeutet für die dortigen Sozialsysteme eine ernsthafte Gefahr: Mehr als 70 Prozent der Hochschulabsolventen in Guyana und Jamaika wandern in entwickelte Staaten aus, und andere Länder stehen vor ähnlichen Problemen mit ähnlich hohen Zahlen auswandernder AkademikerInnen. Malawi, das diesbezüglich ein krasses Beispiel abgibt, hat in der jüngsten Zeitspanne allein der letzten vier Jahre mehr als die Hälfte seines Pflegepersonals an die Emigration verloren, was dazu geführt hat, dass nur 336 Krankenschwestern für die Versorgung einer Bevölkerung von 12 Millionen Menschen übrig sind. Unterdessen liegt der Anteil der aus Mangel an Personal leerstehenden chirurgischen Abteilungen bei 85 Prozent und der Leerstand bei den Kinderarzt-Praxen beträgt 92 Prozent.

 

Im Kapitalismus haben sich Menschen dem Spiel der Märkte und Profite anzupassen. Historisch betrachtet hat sich der kapitalistische Weltmarkt auf widersprüchliche Art und Weise aus den Nationalstaaten heraus entwickelt. Bei Zeiten ist für einzelne Kapital-Fraktionen die „Handelsfreiheit“ das oberste Gut. Bisweilen jedoch hat aber dann und wann die jeweilige Landesgrenze wieder oberste Priorität. Generell pochen starke Kapitalien auf möglichst hohe eigene Handelsfreiheit, während sie die ihrer KonkurrentInnen zurückdrängen wollen. Die Produktivkräfte auf ausgewachsene Nationalstaaten zurückgreifen, und werden von diesen umgekehrt auch immer wieder – zumindest teilweise – beschränkt. Auch die temporäre Nachfrage nach Arbeitskräften formt die Debatte unter den VertreterInnen des Kapitalismus über die Frage von Öffnung oder Schließung von Grenzen. Die Meinungen prokapitalistischer Parteien und Medien spiegeln diese Widersprüche wider. Somit finden wir auch unter den VertreterInnen des Kapitals unterschiedlichste Positionen zur Frage von Migration. Von der allseits bekannten völkisch-rassistischen Hetze der FPÖ & Co bis zur Forderung nach „offenen Grenzen“.

 

So führt beispielsweise das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ eine Mission für offene Grenzen an und argumentiert ganz offen, dass mehr Zuwanderung zu niedrigeren Löhnen führen würde: „Die Kluft zwischen den Löhnen in den armen und den reichen Ländern, selbst wenn es um so niedere Tätigkeiten wie Küchendienste geht, stellt die Kluft zwischen den Preisen für Handelswaren aus den verschiedenen Teilen dieser Welt in den Schatten. Die potentiellen Erträge [Profite] aus einer Liberalisierung der Migration würde daher jene in den Schatten stellen, die aus einer Aufhebung der Welthandelsbarrieren resultierten“ (The Economist, 2002)

Sämtliche pro-kapitalistischen Positionen zu Migration können schlussendlich auf das Primat des Profits über Menschen zurückgeführt werden – sei es offensichtlich, wie bei der ÖVP, oder versteckter, wie die Grünen, die explizit „gut ausgebildete Fachkräfte“ ins Land holen wollen.

 

Sozialistische Antworten

 

Die Leichen, die nun aus dem Mittelmeer geborgen werden, sind nichts als die logische Konsequenz dieses unmenschlichen Systems. Die SLP, als Teil des Committee for a Workers International (CWI) kämpft weltweit gegen dieses System. Der „Festung Europa“, der gespielten Betroffenheit und der rechten Hetze stellen wir den gemeinsamen Kampf von Flüchtlingen und europäischen ArbeitnehmerInnen, Arbeitslosen und Jugendlichen entgegen.

Es benötigt ein sozialistisches Programm, um effektiv gegen die Todesmaschinerie im Mittelmeer (und an anderen Außengrenzen) und die rassistische Spaltung in Europa vorzugehen. Es reicht nicht, einfach „Bleiberecht für alle“ zu fordern. Antirassistische Forderungen müssen mit sozialen Forderungen verbunden werden, beispielsweise mit einem Kampf für einen Mindestlohn für alle, um Lohn-Dumping und Schwarzarbeit zu verhindern. Forderungen nach einem Ende der Repression gegen Flüchtlinge können kombiniert werden mit Forderungen nach mehr und qualitativ hochwertigem sozialen Wohnbau, um leistbares Wohnen für alle zu garantieren. Ein erfolgreicher Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich würde Europaweit Millionen Jobs schaffen – Ein gemeinsamer Kampf gegen Repression und rassistische Spaltung ist im Interesse von uns allen!

Geld und Ressourcen sind genug da – alleine das reichste 1% der österreichischen Bevölkerung besitzt 469 Milliarden Euro – mehr als genug, um Jobs und Wohnungen für alle zu schaffen. Europaweit horten die führenden Unternehmen Hunderte Milliarden Euro an nicht investiertem Kapital. Auf Basis des Kapitalismus werden die gesellschaftlichen Ressourcen jedoch nicht eingesetzt werden, um die nötigen Veränderungen zu bewirken – nicht einmal eine internationale Koordination der Flüchtlingspolitik in der EU ist in diesem Konkurrenzsystem, in dem sich jeder Nationalstaat und jedes Unternehmen selbst der/das nächste ist, möglich. An dem weltweiten Sturz dieses Systems und der Errichtung einer demokratischen, sozialistischen Gesellschaft führt deshalb kein Weg vorbei.


In einer sozialistischen Welt gäbe es keine Pässe und Grenzen; ganz zu schweigen von Abschiebegefängnissen und Abschiebungen. In einer sozialistischen Welt gäbe es auch nicht das, was als „Push-Faktoren“ beschrieben wird, die die Menschen dazu zwingen, in andere Länder auszuwandern: Krieg, Umweltzerstörung und Armut. Eine demokratisch und sozialistisch geplante Weltwirtschaft wäre in der Lage, die überwältigenden Errungenschaften, die Wissenschaft und Technik im Kapitalismus gebracht haben, und die Ressourcen, die diese Welt uns zu bieten hat, zu nutzen, um den Bedürfnissen der Bevölkerung jedes Teils der Welt gerecht zu werden. All jene, die sich dann noch entscheiden, in andere Gegenden dieser Welt überzusiedeln, würden dies nur dann noch tun, weil sie es als Selbstzweck verstehen und müssten nicht auf der Reise um ihr Leben fürchten.