Mo 05.05.2014
Freitag Abend ist es zu den blutigsten Ausschreitungen in der Ukraine seit Dezember 2013 gekommen. Der politische Konflikt entwickelte eine eigene tödliche Dynamik und gerät immer mehr außer Kontrolle des Kiewer Regimes, der russischen Regierung, der separatistischen Gruppen im Osten und der NATO. Die Militärhandlungen im Osten des Landes und der Terror von mobilen Banden der Nationalisten im Süden ähnelt immer mehr dem Bürgerkrieg in ex-Jugoslawien.
Im der Millionenmetropole Odessa haben die ukrainischen NationalistInnen ein Massaker an ihren Gegnern angerichtet. Mobilisiert durch ein Fußballspiel kamen Tausende bewaffnete Rechte nach Odessa, einer Stadt mit überwiegend russischsprachiger Bevölkerung. Die meisten der NationalistInnen hatten nichts mit Fußball im Sinn. Bewaffnet mit Schutzwesten, Militärhelmen, Molotow-Cocktails, Messern, Baseballschlägern und Pistolen wollten sie ihre Stärke zeigen und die Zeltstadt ihrer politischen GegnerInnen zerschlagen. Nach blutigen Straßenkämpfen mit den GegnerInnen der Kiewer Regierung, den Linken und den AntifaschistInnen ist es den Rechten gelungen ihre politischen Feinde in dem Gewerkschaftsgebäude Odessas zu blockieren, in dem diese sich verschanzt hatten. Nach einem Sturm des Gebäudes mit Hilfe von Molotow-Cocktails und Schusswaffen, brach ein Feuer aus. Mehr als vierzig Menschen kamen in den Flammen um. Die ukrainischen Linken berichten über mehrere Verletzte und getötete GenossInnen. Viele Menschen, die sich aus dem brennenden Gebäude retten konnten, wurden von Nazis auf der Straße zu Tode geprügelt. Die lokale Polizei war nicht in der Lage oder nicht Willens die Rechten aufhalten.
Die ukrainische Armee startete zusammen mit den so genannten Nationalen Garden und der Polizei vor einigen Tagen in Absprache mit der NATO eine Großoffensive in der Ostukraine und blockierte die Städte Slawjansk und Kramatorsk. Es ist schwer, fast unmöglich, objektive Informationen zu erhalten. Dennoch: wie intensiv die Gefechte sind, zeigen die offiziellen Verlustzahlen der ukrainischen Armee, welche von drei abgeschossenen Hubschraubern sowie mehreren toten Soldaten spricht. Mittlerweile sprechen die hochrangigen ukrainischen Offiziere offen über Krieg. Getötet wurden nicht nur mehrere bewaffnete ostukrainische Milizmitglieder, sondern auch ZivilistInnen, die versucht haben die Panzerkolonne der Kiewer Regierung zu stoppen. Militärisch gesehen befindet sich der Konflikt dennoch in einer Pattsituation. Der Staatsapparat bleibt weiterhin demoralisiert und gespalten. Die ukrainische Polizei in den östlichen Landesgebieten reagiert passiv und unmotiviert, mehrere Polizisten erschienen nicht zum Dienst oder übergaben sogar ihre Waffen den föderalistischen Milizen. Auch die Armee zeigt deutliche Anzeichen von Zerfall. Momentan erscheint es fast unmöglich, Soldaten zu motivieren in die Städte zu marschieren, in denen sie selbst aufgewachsen sind. Die herrschende Clique in Kiew setzt auf die motivierten Ex-Mitglieder der Maidan-Selbstverteidigung und auf die NationalistInnen. Diese werden in den Nationalen Garden eingegliedert, dort bewaffnet und geschult. Letztere sind zwar unerfahren, aber nationalistisch motiviert und bereit zu schießen und zu rächen. Die lokalen OligarchInnen gründen zusammen mit dem Innenministerium mittlerweile eigene private „Polizeieinheiten“, welche aus der Kasse der MilliardärInnen finanziert und bewaffnet werden. Das alles bildet die perfekten Voraussetzungen für ein Blutbad.
Dieser bunten Truppe gegenüber stehen nicht weniger bunte föderalistische Milizen, deren diverse Regimenter ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Einigen von ihnen sind pro-russische NationalistInnen oder sogar russische „Gäste“, die sich ideologisch wenig von den GegnerInnen aus dem feindlichen Lager unterscheiden. Einige sind UdSSR-NostalgikerInnen, einige sind ehemalige Polizisten, die Repressalien seitens des neuen Regimes befürchten. Es gibt die, die Anschluss an Russland wollen; die, die mehr Autonomie fordern und die, die einfach nur Angst vor westukrainischen NationalistInnen haben. Klar jedoch war, dass diese Milizen bisher nirgendwo eine Massenunterstützung in der Bevölkerung aufbauen konnten. Die ArbeiterInnenklasse der Region unterstützte keine nationalistischen Kräfte, weder prorussische, noch prowestliche. Massenmobilisierungen fanden allerdings statt, als die Kiewer Regierung versuchte unterschiedliche Dörfer und Städtchen der Bergarbeiterregionen mit Panzerkolonnen zu schikanieren. Die ArbeiterInnen, SchülerInnen und RentnerInnen stoppten die Kettenfahrzeuge mit bloßen Händen, demoralisierten und entwaffneten die Soldaten, und brachten die erste Phase der Militäroperation zum Scheitern. Dennoch, je intensiver die Auseinandersetzungen, desto wahrscheinlicher, dass auch die breite ArbeiterInnenmasse an dem Konflikt teilnehmen wird. In einer Situation, in der ihre Städte bombardiert werden, werden die ArbeiterInnen wahrscheinlich eher die „prorussischen“ Milizen unterstützen, auch wenn kaum jemand in der Ostukraine Illusionen bezüglich Putins Russland hegt.
Nötig wäre es, dass die die Bergarbeitergewerkschaften und die Linken vor Ort, ein Kampfprogramm auszuarbeiten, welches auf Massenmobilisierung, Generalstreik, Entwaffnung der NationalistInnen von allen Seiten setzt. Auch wenn das momentan wenig realistisch erscheint, gibt es dafür gewisse Voraussetzungen. Zum einen haben die ArbeiterInnen Ostens starke Kampftraditionen. Erst in den letzten Woche haben die Bergarbeiter von sieben Bergminen, die dem reichsten Ukrainer Renat Ahmetov gehören, für bessere Löhne gestreikt. Natürlich wurde dieser Kampf von allen Massenmedien ignoriert. Zum anderen sind linke Organisationen in der Region präsent. Wenn diese einen internationalistischen Klassenstandpunkt einnehmen ohne eine Seite der rechts-nationalistischen und imperialistischen Kräfte zu unterstützen, könnten sie einen Weg zur Einheit der ArbeiterInnenklasse in der Ukraine, unabhängig von nationaler Zugehörigkeit und auf Basis des Kampfes für soziale Rechte und gegen einen Krieg aufzeigen. Weder von Obama, Merkel, der EU noch von Putin ist eine Perspektive für Frieden zu erwarten. Mit jedem Tag, an dem diese Kräfte den Ton setzen, schlittert das Land mehr in Richtung Bürgerkrieg.