So 23.07.2006
Auch hier, in einer Gegend in der Nähe von Beirut, die bisher nicht so stark von den Bombenangriffen in Mitleidenschaft gezogen worden ist, wird die Lage täglich schwieriger. Den Leuten, die im Süden der Hauptstadt bzw. im Süden des Libanon wohnen, muss es wie ein wahr gewordener Alptraum vorkommen. Viele Menschen dort weigern sich trotz der Bombenangriffe ihre Häuser zu verlassen. Sie wissen, dass ihnen nichts mehr bleibt, wenn sie flüchten würden. Es gibt aber wohl auch eine Art von Stolz, mit der sich mensch der Militärmacht der israelischen Regierung widersetzen will.
Diejenigen, die aus dem Süden geflohen sind, werden in Schulen untergebracht, welche für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt wurden. Die israelische Luftwaffe hat bereits eine dieser Schulen mit der Begründung bombardiert, dass Guerillas der Hisbollah sie nutzen würden.
Zudem ist die israelische Luftwaffe dazu übergegangen LKWs mit Nahrungsmitteln anzugreifen. Aus diesem Grund halten Autofahrer seither sofort an, wenn sie sich hinter einem LKW befinden oder sie fahren direkt von der Straße ab, um nicht in einen eventuellen neuen Bombenangriff zu geraten.
Fleisch ist hier bereits ausgegangen und es mangelt allmählich an Joghurt und Milch. Wegen der Diesel-Knappheit ist es uns nur noch möglich, die Generatoren für zwei Stunden laufen zu lassen. Danach folgen zweistündige Pausen.
An dem Tag, als die israelische Regierung damit begann den Libanon zurück in die Steinzeit zu bomben, sollte eigentlich ein unbefristeter Streik der Beschäftigten im Energiesektor gegen die Privatisierung ihrer Branche beginnen. Ein solcher Streik hätte sich zu einer Massenbewegung ausweiten können, die weite Teile der Arbeiterklasse in einen Kampf gegen Preissteigerungen, höhere Lebenshaltungskosten und für Lohnerhöhungen einbezogen hätte. Damit wäre zum ersten Mal seit der letzten Lohnerhöhung von 1996 die Inflation ausgeglichen worden. Ohne Frage hat der Krieg nun die Möglichkeit einer auf Klassen-Basis vereinigten Arbeiterbewegung zunichte gemacht. Die Elektriker, die nicht ums Leben gekommen sind, versuchen jetzt verzweifelt, Krankenhäuser und lokale Gemeinwesen wieder mit Strom zu versorgen.
Doch bei dieser geplanten Arbeitsniederlegung handelte es sich nur um eine(n) von vielen Kämpfen bzw. Bewegungen von ArbeiterInnen. Einige wurden zwar von Anführern sektiererischer und konfessioneller Organisationen beeinflusst, um den entstandenen Druck zu kompensieren. Doch haben sie alle die brennende Wut wiedergegeben, die innerhalb der Arbeiterklasse und unter der armen bäuerlichen Bevölkerung herrscht. Diese Wut resultiert aus den ständigen Preissteigerungen und einer Privatisierung, die nur noch wenig vom öffentlichen Sektor übrig gelassen hat.
Die Mehrzahl in der Mittelschicht ist mittlerweile völlig verarmt. Vor kurzem sprach ich mit jemandem, der mir sagte, dass es seiner Familie bisher ganz gut ging. Sein Vater und seine Mutter hatten beide einen Arbeitsplatz. Jetzt aber sind sie arbeitslos und mussten das Haus verkaufen, um die Schulden abbezahlen und die Kinder in die Schule schicken zu können.
Für libanesische ArbeiterInnen sieht die Lage weit schlechter aus. Die Einkommen reichen kaum noch, um Miete, Lebensmittel und Fahrscheine bzw. Benzin bezahlen zu können. Vor Monaten schon versuchte die Regierung die Brotpreise anzuheben. Das wird die Ärmsten natürlich am härtesten treffen. Die geplante Preiserhöhung belief sich auf 8.000 Lira, von 2000 Lira auf 10.000 Lira. Dagegen kam eine starke Opposition und Wut auf. Michel Aoun, heutiger Vorsitzender des Free Patriotic Movement (Patriotische freie Bewegung) und vormals rechts-nationalistischer und populistischer Militärführer im libanesischen Bürgerkrieg, hat sich selbst umgeformt, hin zu einem beliebten Fürsprecher der Massen. Seine Reden handeln von der Klasse aber auch von Brot und Butter. Anfang Juni nahmen Hunderttausende an einer Demo gegen die Anhebung der Brotpreise teil, die Aouns Bewegung organisiert hatte. Das Ergebnis war, dass die Regierung die Pläne sofort wieder vom Tisch nahm.
Gegen die geplanten Erhöhungen der Strompreise, die als Vorbereitung weiterer Privatisierungen im Energiesektor eingeordnet werden können, kam es ebenfalls zu Massen-Widerstand. Im Süden des Libanon, da, wo die Hisbollah beheimatet ist und breite Unterstützung erfährt, entwickelte sich dieser Massen-Widerstand zu einem Boykott der Zahlung der Stromgebühren. Stattdessen organisierten die Leute dort ihre eigene Stromversorgung. Wegen des Fehlens einer Massenpartei der ArbeiterInnen, die alle ethnischen wie religiösen Teile der Bevölkerung umfasst, kam es auch nicht zur Ausweitung dieser Bewegung.
Ganz im Gegenteil: Die Propagandamaschine wurde angeworfen und den ArbeiterInnen und BäuerInnen im Norden des Libanon wurde gesagt, dass ihre Strompreise noch einmal steigen würden, da die Menschen im Süden ja gar nicht mehr zahlen. Das führte dazu, dass eine Arbeiterbewegung, die alle ethnischen und religiösen Bevölkerungsteile einbezieht, von vornherein gespalten wurde. Begründet liegt dies in der Tatsache, dass die Regierung die These verbreitet hat, nach der die ShiitInnen im Süden für die Strompreis-Erhöhungen aller verantwortlich sind.
Dennoch machen all diese Bewegungen die vorhandene Wut deutlich. Die Folgen des Krieges werden diese Aspekte alle wieder zum Vorschein kommen lassen. Dann nämlich, wenn wieder klar wird, dass die Kapitalisten erneut versuchen Mega-Profite auf dem Rücken der leidenden ArbeiterInnen und jungen Leute zu machen.