Di 26.03.2013
In Belfast führte ein Beschluss des Gemeinderats, die britische Fahne nur noch an besonderen Feiertagen wehen zu lassen zu Straßenschlachten. Protestantische Jugendliche gegen die Polizei und Gegenmobilisierungen der katholisch-republikanischen Seite waren die Folge. Die „Nationale Frage“ bricht wieder auf. Die sozialen Ursachen der Ausschreitungen wurden weitgehend ausgeblendet. Denn die randalierenden Jugendlichen kommen v.a. aus den ärmsten Teilen Belfasts, in denen die Arbeitslosigkeit dramatisch ist.
Vor dem Hintergrund der Krise zeigt sich, dass die kapitalistische EU, die als Friedensprojekt verkauft wurde, auch um die nationalen Konflikte in Europa zu lösen, genau das nicht getan hat. Überall brechen diese nationalen Konflikte wieder auf: in Belgien, Schottland, Irland, Spanien – andere Regionen werden folgen! Das macht deutlich, dass zwar in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs die nationalen Spannungen reduziert bzw. zugedeckt werden können. Doch wenn diese nicht wirklich gelöst werden, wenn Ungleichheiten und Diskriminierungen bestehen bleiben, dann brechen sie wieder auf, wenn die sozialen Probleme zunehmen. Der Kapitalismus ist außerstande, die „Nationalen Fragen“ zu lösen!
Katalonien ist dafür ein Beispiel: 51% der KatalanInnen sind für die Unabhängigkeit von Spanien. Allerdings können sich 59% eine spanisch-katalanische Doppelstaatsbürgerschaft vorstellen. Dies zeigt ebenso die Widersprüchlichkeit des Prozesses wie die Tatsache, dass es nationalistische Antworten von rechts und links gibt. Historisch war der katalanische Separatismus durch seinen Kampf gegen den Franco-Faschismus geprägt. Heute wird versucht, die Interessen des „reichen“ Kataloniens in den Mittelpunkt zu stellen, das nicht Nettozahler für das „arme“ Spanien sein soll. Ähnliche Argumente gibt es bezüglich einer schottischen Unabhängigkeit – die reichen Ölvorkommen sollen nicht „nach London“ gehen.
Verständlich ist der Wunsch, von den Reichtümern des eigenen Landes bzw. der eigenen Region auch profitieren zu können. Hier setzen auch linke NationalistInnen, wie die katalanische CUP an. Diese forderte im letzten Wahlkampf die Streichung der Schulden, Verstaatlichungen unter Kontrolle der Beschäftigten und Sozialismus. Auch die schottische SNP hatte einst Forderungen wie Verstaatlichung der Ölindustrie aufgestellt. Ihre Rechtsentwicklung zeigt aber auch die Gefahren nationalistischer Lösungsansätze.
Denn im Rahmen des Kapitalismus werden die sozialen Probleme so oder so nicht gelöst werden. Der spanische Staat steckt tief in der Wirtschaftskrise (über 25% allgemeine, über 50% Jugendarbeitslosigkeit). In Schottland ist die Unterstützung für eine Unabhängigkeit in ärmeren Schichten mit 58% ungleich höher, als bei wohlhabenden (27%). Das bedeutet nicht, dass ärmere Menschen reaktionärer sind, sondern dass der Wunsch nach einer Lösung der sozialen Probleme dringender ist.
Doch diese Lösung wird es im Rahmen des Kapitalismus nicht geben: Die nationale Verfügungsgewalt über die Reichtümer eines Landes sagt noch nichts über ihre Verteilung im Land aus. Saudi Arabien ist nur ein Beispiel, Russland ein weiteres.
Als SozialistInnen unterstützen wir das Recht auf Selbstbestimmung, bis hin zur Abtrennung. Doch wir machen auch klar, dass das alleine die sozialen Probleme nicht lösen wird. Die Wirtschaften Kataloniens und Rest-Spaniens sind organisch verbunden. Eine volle wirtschaftliche Trennung ist nicht möglich – und das spanische Kapital wird viel daran setzen, eine solche zu verhindern.
Angesichts der historischen Erfahrung und der desaströsen Politik der spanischen Zentralregierung, ist der Unabhängigkeitswunsch vieler KatalanInnen nachvollziehbar. Doch hat Spanien in den vergangenen Jahren massive Mobilisierungen bis hin zu Generalstreiks gegen Kürzungspolitik und Kapitalismus gesehen. Auch in Barcelona waren hunderttausende gegen die spanische und katalanische Regierung(en) auf der Straße. Die Fokussierung auf die „Nationale Frage“ bedeutet auch eine Abkehr vom gemeinsamen Widerstand aller im spanischen Staat lebenden ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen Kürzungen, Arbeitslosigkeit und Kapitalismus. Es besteht die Gefahr, dass durch die Stärkung des Separatismus der gemeinsame Widerstand an Bedeutung verliert.
Entscheidend ist, ob nationalistische/separatistische Bewegungen in der Lage sind, den allgemeinen Kampf gegen den Kapitalismus und seine Folgen weiterzuentwickeln oder ob sie vor allem eine Ablenkung darstellen. Zentral sind Fragen nach Vergesellschaftung der Reichtümer eines Landes/einer Region unter Kontrolle und Verwaltung der Menschen die dort leben. Wichtig ist es auch, Kämpfe und Bewegungen gegen Kürzungen in anderen Staaten zu unterstützen um eine Abwärtsspirale internationaler Konkurrenz bei Löhnen, Sozial- und Umweltstandards zu verhindern. Ein unabhängiges Schottland oder Katalonien stellt nur dann eine Verbesserung für die ArbeiterInnen und Jugendlichen dar, wenn es ein sozialistisches ist und Teil einer sozialistischen Föderation mit den Nachbarstaaten bzw. einem sozialistischen Europa.