Klimawende durch Systemwende

Der Klimawandel und seine Folgen, gegenwärtig v. a. durch menschliche Aktivitäten verursacht, sind ausreichend wissenschaftlich belegt.
Franz Neuhold

FürsprecherInnen einer grundlegenden Klimawende wie der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore oder der renommierte „Club of Rome“ warnen eindringlich. Und selbst die deutsche Kanzlerin Merkel tritt in Sonntagsreden als Klimaschützerin auf. Die tatsächliche Politik sieht im Großen und Ganzen leider anders aus.

Sicherlich wollen Teile der „Eliten“ ernsthafte politische Maßnahmen setzen. Doch sie geraten an zweierlei Grenzen. Erstens den Widerstand der anderen Hälfte der Besitzenden, die dann doch lieber ein spritfressendes Geländeauto fahren. Und zweitens jene Grenzen, die mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln bestehen bleiben. Man kann nur kontrollieren, was einem gehört. Die Ölpest im Golf von Mexiko 2010 war für jeden nachvollziehbar die Folge kapitalistischer Besitzverhältnisse und der Profitgier. Denn selbst wenn man die Explosion auf der Plattform als Ausgangspunkt nehmen würde, wäre bei einer Firma, die sich in gesellschaftlichem Besitz befindet, das Krisenmanagement wesentlich effizienter gewesen.

1992 fand in Rio die große UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung statt. Dies war auch der Auftakt für die Entwicklung hin zum Kyoto-Protokoll der Klimarahmenkonvention im Jahr 1997. Nach 20 Jahren liegt die angestrebte international koordinierte und wirksame Klimapolitik in Trümmern. Kyoto ist zahnlos. Alle Folgekonferenzen (Bali, Kopenhagen, Cancun, Durban) brachten außer der formalen Fortführung des Vertragswerkes keinen substanziellen Fortschritt.

In einem taz-Interview (12.12.2011) brachte der Klimaforscher Stefan Rahmstorf die Sache auf den Punkt: „Mit dem jetzt vereinbarten Zeitplan kann man die Klimaerwärmung nicht auf zwei Grad begrenzen. Es gibt eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Realität. Das sieht man daran, dass schon im ersten Satz der Vereinbarung davon die Rede ist, dass Klimawandel eine 'akute Bedrohung' sei. Und was verabredet man? Einen Vertrag, der in zehn Jahren in Kraft tritt.“

Er sieht zwar noch gewisse Lichtblicke („Trotzdem sind einige wichtige Dinge beschlossen worden.“), doch der allgemeine Ton ist angesichts der wissenschaftlichen Perspektive ultimativ: „Die Zeit läuft uns davon. Die globalen Emissionen müssen spätestens ab 2020 sinken, das müssen wir schaffen.“

Als offensivste Forderung schlägt Rahmstorf Strafzölle vor. Überdies unterstreicht er das wirtschaftliche Potential der „grünen Technologien“. Nun ist nicht ausgeschlossen, dass ein Staat mittels Steuern und Zöllen einen Schritt in Richtung Klimapolitik tun könnte, doch das wird trotz allem nur einen sehr kleinen Effekt haben. Solange Staaten unter Kontrolle der nationalen kapitalistischen Eliten sind, können sie keine international wirksame und nachhaltige Klimawende durchsetzen.

Ein prominentes Beispiel, um dies zu zeigen, ist die Nutzung der Kernenergie. Schon kurz nach den ersten Durchbrüchen in der Erforschung sowie Anwendung der Kernspaltung der 1930er und 40er Jahre kam es zu einer Serie von teils schwerwiegenden Unfällen im Bereich der wirtschaftlichen sowie militärischen Nutzung der frühen 50er und 60er, die weitergehende Fragen der Sicherheitstechnik aufwarfen. Viel wurde seitdem weiterentwickelt. Doch konnten die Probleme nicht restlos gelöst werden, wodurch Störfälle zu gewaltigen Katastrophen führen konnten. Alle Konzepte, die über klassische gas-gekühlte oder Siede- sowie Druckwasser-Reaktoren hinausgingen, sind seit Jahrzehnten nicht in der Lage, eine sicherere oder leistungsstärkere Energiebereitstellung zu bieten (Bsp. Hochtemperaturreaktoren sowie die Brüter-Technik). Anstatt ernsthaft zu bilanzieren und zu schlussfolgern, aus der Kernenergie auszusteigen (gute Alternativen gibt es genug), hielten viele Staaten und Energiekonzerne daran fest. Sie taten und tun dies nicht aus einer objektiven Risikobewertung heraus oder gar im kollektiven Interesse „aller Menschen“. Die Triebfedern sind einerseits eine recht hohe Profitrate sowie die systembedingte Verquickung von „ziviler“ Nutzung und militärischer Verwertbarkeit. Konzerne können bedeutende Kosten (von der Forschung bis zur „Entsorgung“) auslagern bzw. vergesellschaften lassen.

Warum gibt es keine erfolgversprechende Klimaoffensive der großen kapitalistischen Regierungen?

Wie fruchtlos auch die beste wissenschaftliche Beratung bürgerlicher PolitikerInnen sein kann, zeigt das Beispiel einer großen Studie zur Frage der Kernkraft-Laufzeitverlängerung, die 2010 (und somit noch vor Fukushima) in Deutschland für Aufsehen sorgte. Das zugrundeliegende „Energiegutachten der Bundesregierung“ wurde dabei von Kanzlerin Merkel eigenwillig interpretiert. Mittels selektiver Auswahl ohne Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang argumentierte sie, dass eine Laufzeitverlängerung der KKW ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvoll sei. Doch das ist Quatsch. Dr. Brigitte Knopf, Expertin für Energiesystemmodelle am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, unterzog Merkels Position einer Kritik und resümierte: „Das Energiegutachten belegt keine signifikanten Vorteile einer Laufzeitverlängerung: weder ein 'deutlich' höheres Wirtschaftswachstum, noch niedrigere Strompreise oder geringere Importabhängigkeit (im Gegenteil). Offensichtlich hat die Bundesregierung trotz ihrer Vorgaben nicht das bekommen, was sie sich von dem Gutachten erhofft hatte. ... Diese Tatsache erschüttert und demotiviert uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die wissenschaftliche Politikberatung verkommt damit zu einer reinen Alibifunktion, wenn nicht zur Farce.“ (Quelle: „Klimalounge“ von Prof. Rahmstorf auf der blog-Plattform „scilogs“.)

Ein wesentliches Merkmal kapitalistischer Politik ist der Nationalismus. Dieser verhindert, die seit einem Jahrhundert internationalisierte Wirtschaft zum Wohle der Menschheit zu gestalten. Das eigene nationale Besitzbürgertum bzw. gewisse Teile davon stehen im Vordergrund. Somit gibt sowohl es den inneren Gegner (die anderen Klassen, v. a. ArbeiterInnen) als auch das äußere Schlachtfeld des Weltmarkts. Unter anderem wird dabei die Umwelt mit dem Argument geopfert, „man müsse wettbewerbsfähig“ sein. Wenn die Wirtschaft der „Standortlogik“ unterworfen ist, kann man nicht erwarten, dass allein mit guten Worten und schlüssigen Analysen die weltweit Herrschenden zu einer koordinierten und grundlegend anderen Politik zu bewegen sind. Eine solche Politik müsste noch dazu Maßnahmen beinhalten, die Privateigentum und Profitinteressen direkt angreifen müsste. Es ist somit der am geringsten illusorische Standpunkt, eine ernsthafte Klimapolitik in die Hände der global aufstrebenden ArbeiterInnen-Bewegungen zu legen. Der Kapitalismus wird andernfalls die Grundlagen der menschlichen Zivilisation weiter zerstören. Gerade in Zeiten von Wirtschaftskrisen ist zu erwarten, dass selbst die ansatzweise vorhandenen Klimaschutz-Maßnahmen den angeblichen Sachzwängen geopfert werden.

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