Di 27.12.2011
Neben neuen Videobeweisen, die zeigen was in der westkasachischen Stadt Schanaosen am 16. Dezember wirklich passierte, als PolizistInnen und Einheiten des Innenministeriums friedlich protestierende ÖlarbeiterInnen emordeten, gelangen aus den Städten Schanaösen und Aktau, die weiterhin der Brutalität der Staatsmacht ausgesetzt sind, weitere Berichte nach außen.
Am 21. Dezember erreichte ein verzweifelter Brief die oppositionelle Zeitung „Respublika“. Der Inhalt: „Ich kann diesen Brief nicht unterzeichnen, aber ich kann nicht schweigen. Vielleicht könnt ihr etwas tun. Sie bereiten die Verbrennung von etwa 100 Leichen vor, die in der Leichenhalle von Aktau liegen. Wie viele von ihnen aus Schanaosen kommen weiß ich nicht. Sie haben verboten, die Leichen zu identifizieren und weigern sich, sie an die Angehörigen zu übergeben."
Dieser Brief ist ein weiterer Beweis dafür, dass die offizielle Zahl der Regierung von 15 Toten dramatisch zu niedrig angesetzt ist. Am 20. Dezember fanden in Schanaösen sechs Bestattungen von ArbeiterInnen statt. Aber weitere 60 Familien vermissen ihre Angehörigen und befürchten das schlimmste.
Russische und Europäische JournalistInnen haben es an den Tatort des Massakers der letzten Woche geschafft, obwohl die kasachischen Behörden Flüge nach Schanaosen abgesagt hatten. Ein Journalist der unternehmernahen russischen Zeitung „Kommersant“ (vor kurzem vom berüchtigten russischen Oligarchen Prokorov übernommen) beschreibt, was er in Schanaosen während der Terrorherrschaft von Polizei und Militär gesehen hat: „Fleeeeiisch! - sagte der Mann in Zivilkleidung und grinste. Er stand am Eingang des Polizeireviers, Reihen von schwarzgekleideten Bereitschaftspolizisten trieben eine Kette von Menschen vorbei. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen. Sie humpelten auf halb gebeugten Beinen vorbei, gebückt, mit den Händen auf dem Kopf – wer stolperte, wurde von den Polizisten weiter gestoßen oder in die Seite geschlagen.
Das war eine weitere Gruppe von wegen Beteiligung an den Unruhen auf dem zentralen Platz am letzten Freitag verhafteten. Sie hat er mit „Fleisch“ gemeint. In den Korridoren des Polizeireviers, wo die Wände und der Fußboden mit Blut bespritzt waren, roch es auch nach Fleisch. Auf die Frage, warum Blut an den Wänden sei, antwortete ein Polizist mit einem freundlichen slawischen Gesicht ohne zu zögern: „Wir haben ein Schaf geschlachtet, wir haben schließlich gefeiert“.
Schanaosen von Checkpoints umgeben, Frauen in Polizeigewahrsam vergewaltigt
JournalistInnen, die aus Schanaosen und Aktau zurückkehrten berichteten von Schreien, die sie aus Polizeizellen hörten, in denen ÖlarbeiterInnen geschlagen und gefoltert werden. Ein Reporter beschrieb die Situation:
„Derweil ist die Stadt Schanaösen heute [22. Dezember] immer noch von Checkpoints der Polizei umgeben und man kommt nur sehr schwer hinein. Die AnwohnerInnen haben Angst und stehen unter Druck, die Stadt sieht aus, als wäre sie bombardiert worden. ArbeiterInnen und FreundInnen werden weiterhin verhaftet und gefoltert. Frauen geben an, im Gewahrsam vergewaltigt worden zu sein.
Zelte, die zum Gedenken an die Toten aufgebaut worden waren wurden entfernt, so dass die Toten nicht gezählt werden können... [Überlebende] werden zu ihren Verwandten entlassen, aber wenn sie sterben, werden sie zu einem unbekannten Ort transportiert. Einige Jungen, die überlebt haben, beschreiben, wie sie nach den Schlägen nackt nach draußen gebracht und mit Wasser übergossen wurden [bei Temparaturen unter dem Gefrierpunkt].“
Ein weiterer Bericht in der Zeitung „Respublika“ gibt an: „In den Kellern des Polizeireviers werden die Jungs halbtot geschlagen. Wenn sie fast umfallen, bekommen sie Morphium und werden wieder geschlagen.”
Obwohl die Ölproduktion in Aktau wieder aufgenommen wurde geben die ArbeiterInnen nicht auf und versuchen weiterhin zu demonstrieren. Aber am 22. Dezember nahm die Polizei fünf führende ÖlarbeiterInnen mit, seitdem gibt es keinen Kontakt zu ihnen. Ihre Handys wurden ihnen abgenommen. Mittlerweile werden in der Stadt 30 ÖlarbeiterInnen vermisst.
Es scheint einen Zusammenhang zur Ankunft von Präsident Nasarbajew in Aktau am 22. Dezember zu geben. Die Gründe für seinen Aufenthalt sind noch nicht klar. Nasarbajew war gerade aus Moskau zurückgekommen, wo er normalerweise als Ehrengast behandelt wird. Diesmal schien man sich dort jedoch für ihn zu schämen. Nicht wegen der brutalen Gewalt gegen ÖlarbeiterInnen und ihre Familien, sondern weil ihm die Situation „außer Kontrolle geraten“ ist. Die Beunruhigung seiner russischen Gastgeber wurde bei einem Fototermin in Moskau sichtbar, als Nasarbajew in die letzte Reihe einer Gruppe von „Würdenträgern“ gestellt wurde und nicht auf seinen üblichen Platz in der Mitte.
Von der kasachischen Bevölkerung kommt weiterhin eine Flut von Unterstützungsbotschaften an die ÖlarbeiterInnen. Wenn sie vom Massaker an den ÖlarbeiterInnen und ihren Familien hören, sympathisieren die Menschen mit den ArbeiterInnen. Bis jetzt wurde diese Sympathie noch nicht aktiv mit Straßenprotesten oder anderen Aktionen ausgedrückt. Aber die schrecklichen Ereignisse der letzten Tage haben Erschütterungen in der kasachischen Gesellschaft ausgelöst, sie wird nicht mehr dieselbe sein. Das ist sicher der Anfang vom Ende der Nasarbajew-Diktatur.
Das Massaker in Schanaosen hat zu internationalen Protesten geführt [siehe campaignkazakhstan.org], darunter auch ein Protest vor der kasachischen Botschaft in Athen am 20. Dezember, wo eine Delegation eine von über 80 griechischen GewerkschafterInnen, Jugendlichen, UmweltschützerInnen und sozialistischen AktivistInnen unterzeichnete Petition abgab. Bitte schickt weiter Protestbotschaften mit der Forderung, die Terrorkampagne des Nasarbajew-Regimes zu beenden.