Israel/Palästina: Inmitten der Normalisierung von Besatzung und Blockade bricht ein neuer Krieg aus

Angesichts der Opfer und des Blutbades ist der Kampf für eine grundlegende Lösung notwendig
Sekretariat von Maavak Sotsyalisti / Nidal Eshteraki ("Sozialistischer Kampf" - ISA in Israel und Palästina)
  • Solidarität mit denjenigen, die ihre Angehörigen verloren haben, und mit der einfachen Bevölkerung aus allen Communities, auf beiden Seiten des Zauns, die mit den Schrecken des Krieges und den Massakern konfrontiert sind.

  • Der Kern des "Versagens": Die Arroganz der "Konfliktmanagement"-Politik der Regierung und die Normalisierung der Besatzung und der Belagerung haben zum Krieg geführt. 

  • Was wir brauchen, ist ein Kampf, um die Verschlechterung der Situation zu stoppen und die Belagerung, die Besatzung und die Armut zu beenden - als Teil eines Kampfes für eine grundlegende Lösung des endlosen Konflikts im Rahmen eines sozialistischen Wandels, auf der Grundlage gleicher Rechte auf Existenz, Selbstbestimmung, Würde und Wohlstand.

Der Krieg, der am Samstagmorgen mit einem Überraschungsangriff der Hamas ausbrach, der in seinem Ausmaß beispiellos war ("Operation Al-Aqsa-Flut"), und der sich mit einem Angriff durch die Netanjahu-Regierung fortsetzt (die den offiziellen Kriegszustand erklärt hat), der noch blutiger ausfallen dürfte, hat nach wie vor schreckliche Auswirkungen auf die Communities auf beiden Seiten des Zauns. Für die Bewohner*innen des israelisch-ägyptisch belagerten Gazastreifens, wo Netanjahu "Rache" versprochen hat, die "die Stadt des Bösen in eine Trümmerstadt" verwandeln soll, wird es immer schlimmer.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Todesopfer des Massakers in den Städten und Gemeinden im Süden des Landes und des wahllosen Raketenbeschusses, auch in den Beduinengemeinden, wo es keine Schutzräume gibt. Inzwischen ist die militärische Eskalation bis zur israelisch-libanesischen Grenze vorgedrungen, und der Raketenbeschuss durch die Hisbollah scheint eine Warnung vor einer möglichen israelischen Invasion in Gaza zu sein. Die Krise kann sich noch wochenlang fortsetzen und sich sogar zu einem regionalen Krieg ausweiten.

Schock, Trauer und Angst herrschen jetzt unter den Bewohner*innen der Negev und anderer Gebiete, und nicht nur unter der jüdischen Bevölkerung: noch ausgeprägter ist das im Gazastreifen, wo die Menschen den Bombardierungen natürlich ohne so etwas wie einem "Iron Dome"-System, Sirenen oder Schutzräumen ausgesetzt sind. Socialist Struggle Movement (ISA in Israel-Palästina) steht in Solidarität an der Seite der einfachen Menschen, den Angehörigen der Getöteten und den Verwundeten aus allen Communities auf beiden Seiten des Zauns und mit den entführten Zivilist*innen. Als diese Zeilen verfasst wurden, ist die Zahl der Getöteten im Süden auf über 700 aus verschiedenen nationalen Communities und auf 500 im Gazastreifen gestiegen (Angaben vom Montag). All dies geschieht, während die Netanjahu-Regierung brutale kollektive Bestrafungen vorantreibt, einschließlich der Unterbrechung der Stromversorgung und der Zerstörung von Gebäuden im Gazastreifen - tatsächlich ein Mittel des Staatsterrorismus.

Die Entführung Dutzender Israelis in den Gazastreifen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß diente der Hamas dazu, die Feuerkraft des israelischen Regimes einzuschränken und die Freilassung der palästinensischen Gefangenen auszuhandeln. Die Entführung der Zivilist*innen, darunter Kinder und ältere Frauen, ist zu verurteilen, denn nicht sie sind für die brutale Politik des israelischen Regimes im Gaza-Streifen und gegenüber den Palästinenser*innen verantwortlich. Dabei muss erwähnt werden, dass diese Politik - zu der auch die massenhafte Inhaftierung (mit militärischem oder ganz ohne Gerichtsverfahren) von Kindern und Palästinenser*innen insgesamt gehört, die demonstrieren und sich gegen die Besatzung wehren - überhaupt erst die Motivation für die Entführungen angetrieben hat. Nun wäre eine militärische Intervention zur Befreiung der Geiseln mit einer großen Zahl von Todesopfern verbunden. Die israelische Regierung sollte einen schnellen und umfassenden Gefangenenaustausch im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung ermöglichen.

Wir rufen zu Protesten auf, um den Krieg und die Politik der kollektiven Bestrafung und des "Teile und herrsche" zu beenden, sich nicht an einer Racheoffensive gegen die Bewohner*innen des Gazastreifens zu beteiligen und für eine tiefgreifende Veränderung der Lebensverhältnisse zu kämpfen, einschließlich des Beendens der Besatzung und der Blockade. Auch der Aufruf zu einem Proteststreik und zu Wutmärschen im Westjordanland können dazu beitragen, einen notwendigen Kampf gegen den Status quo - die Diktatur der Besatzung und der Belagerung - zu führen und gleichzeitig die Selbstverteidigung und den Schutz der palästinensischen Demonstrant*innen und Bewohner*innen vorzubereiten.

Die militärische Eskalation des nationalen Konflikts kam nicht aus dem Nichts. Die rechte Regierung unter Netanjahu, Ben Gvir und Smotrich hat mit aller Kraft versucht, nicht nur den Massenwiderstand gegen den "Justizputsch" zu verhindern, der ihre Position stärken sollte, sondern auch die Besatzung, die Belagerung und die Millionen von Palästinenser*innen aufgezwungenen Siedlungen zu festigen. Dies geschieht im Schatten der arroganten Behauptung, das "Konfliktmanagement" im Griff zu haben, und der zynischen Behauptung, den regionalen Frieden durch den Normalisierungsprozess zwischen Israel und Saudi-Arabien unter der Schirmherrschaft der USA zu fördern.

Die akute und eskalierende Kriegssituation, zu der es jetzt gekommen ist, entstand nach zwei Runden militärischer Eskalation seit der Regierungsbildung (im Dezember) und nach Jahren, in denen die Häufigkeit der Konfliktrunden als Ausdruck der zunehmenden Instabilität der Besatzung und Belagerung zunahm. Die derzeitige Eskalation weist Besonderheitenauf, die eine neue Phase des Zusammenstoßes markieren.

Überraschungsangriff der Hamas

Die Hamas, von der die israelischen kapitalistischen Besatzungsregierungen bis heute behaupten, sie sei "abgeschreckt " (erst kürzlich erklärte Israels Nationaler Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi, dass "die Hamas sehr, sehr zurückhaltend ist "), durchbrach vorübergehend die Grenzen der Militärblockade mit Hunderten bewaffneten Männern, einige sogar auf dem Seeweg und mit Gleitschirmen. Diese Kräfte übernahmen den Grenzübergang Erez/Beit Hanoun und das Hauptquartier der Gaza-Division der israelischen Armee, beschlagnahmten Militärfahrzeuge und verbarrikadierten sich in einer Polizeistation in der südlichen Stadt Sderot. Neben Elementen des Partisanenkriegs gegen die Streitkräfte übernahmen sie darüber hinaus mehrere israelische Gemeinden für lange Stunden (bis zu mehr als einem Tag) und verübten in dieser Zeit auch Terrorakte, bei denen sie wahllos Zivilist*innen töteten, darunter auch Teilnehmer*innen eines Musikfestivals, und entführten wie bereits erwähnt Dutzende Zivilisten*innen.

Innerhalb weniger Stunden hat die Hamas nicht nur eine Machtdemonstration sondern auch ihr politisches Ziel erreicht, indem sie es geschafft hat, die "Normalisierung" zwischen Israel und dem saudischen Regime sowie der Palästinensischen Autonomiebehörde zu erschweren. Obwohl dies nicht der erste Überfall des militärischen Flügels der Hamas auf den Zaun des Gazastreifens ist, handelt es sich um die größte Demonstration militärischer Gewalt, die die Hamas bisher durchgeführt hat, und zwar mit einem noch nie dagewesenen Geschick und Kühnheit,  in eine Rhetorik verpackt, die die Operation als eine Befreiungsmaßnahme darstellt.

In den ersten Stunden nutzten einige Bewohner*innen des Gazastreifens die vorübergehende Unterbrechung der Belagerung, um den Zaun zu überqueren und das größte Gefängnis der Welt, wenn auch nur für einen Moment, mit einem Gefühl der Begeisterung zu verlassen. Für eine große Zahl von Bewohner*innen des Gazastreifens und für viele Palästinenser*innen im Allgemeinen kann die Möglichkeit, auch nur für einen Augenblick Zeuge eines Durchbruchs des Belagerungszauns und einer Machtdemonstration gegen die Kraft zu werden, die sie gefangen hält, ihr Leben mit Füßen tritt und ihnen die nationale Unabhängigkeit und jede Möglichkeit des Zugangs zu dem Gebiet verweigert, aus dem ihre Familie stammt, an sich schon Sympathien für den bewaffneten Flügel der Hamas wecken, der in diesem Zusammenhang als "Schutztruppe" dargestellt wird.

Andererseits könnte das israelische Regime den massiven Schaden für die israelische Zivilbevölkerung zynisch ausnutzen, um den Mythos zu nähren, dass die Blockade des Gazastreifens eine "defensive" Politik sei, und noch mehr Unterstützung für das Töten und die Zerstörung im großen Stil im Gazastreifen zu mobilisieren. Die zwei Millionen Einwohner*innen des Gazastreifens leben in extremer Armut und Not, 63% von ihnen leiden unter Ernährungsunsicherheit, haben kein sauberes Wasser, keine grundlegende Infrastruktur und können sich nicht frei bewegen. Das israelische Regime nutzt die Existenz- und Sicherheitsbedenken der jüdischen Arbeiter*innenklasse politisch aus, um Unterdrückung und Angriffe auf Palästinenser*innen zu legitimieren. Gleichzeitig haben die täglichen Angriffe sowie die Verwüstungen und Verluste, die israelische Bombenangriffe über Jahre hinweg hinterlassen haben, der Hamas erst die politische Möglichkeit gegeben, eine Stimmung verzweifelter Unterstützung von Teilen der palästinensischen Bevölkerung auch für reaktionäre Aktionen mit wahllosen Angriffen auf die Zivilbevölkerung zu nutzen.

Da das blutige Gleichgewicht zwischen israelischen und palästinensischen Opfern oft extrem asymmetrisch ist - auf jeden israelischen Toten kommen Dutzende palästinensische Tote -, können die seltenen Momente, in denen sich ein etwas "ausgeglicheneres" Zahlenverhältnis abzeichnet, die verzweifelte Unterstützung für die Hamas stärken. Sie kann so tun, als sei sie in der Lage, "einen Preis zu verlangen", Rache zu üben oder sogar eine Abschreckung aufzubauen, oder eine militärische Kraft, die die Besatzung und die Belagerung besiegen kann.

Die Hamas-Führung weiß, dass sie sicherlich nicht in der Lage ist, die stärkste Militärmacht in der Region militärisch zu besiegen. Im Laufe der Jahre hat sich die Hamas-Führung, wie es für eine politische Kraft mit einem rechten, pro-kapitalistischen Programm typisch ist - das politische Unterdrückung, Angriffe auf die Arbeiter*innen und Armen im Gazastreifen, Unterdrückung von Frauen und LGBTQ-Personen und religiösen Zwang beinhaltet -, auf die Gnade der Regime in der Region und der imperialistischen Mächte und sogar auf "Koexistenz"-Vereinbarungen mit Israel verlassen. Im Gegensatz zur Palästinensischen Autonomiebehörde und den arabischen Regimen versucht die Hamas jedoch, durch militärische Aktionen den Eindruck eines Sieges zu erzeugen - nach einem Muster, das der Hisbollah ähnelt, die 2006 von ihrer Seite aus die Grenzen der regionalen Macht Israels aufzeigte und in der Vergangenheit damit drohte, israelische Gemeinden zu übernehmen, wie es die Hamas jetzt getan hat.

Androhung einer "entscheidenden militärischen Lösung"

Die Netanjahu-Regierung hat immer behauptete, die Fähigkeit zu haben, den Verlauf im nationalen Konflikt vollständig zu kontrollieren und jeden Widerstand "abzuschrecken". Nun Ist sie mit einem dramatischen (Teil-) Verlust der Kontrolle über die Ereignisse konfrontiert und versucht, die Initiative mit militärischen Mitteln zurückzugewinnen. Sie droht mit einer langwierigen und weitreichenden Offensive auf den Gazastreifen - im Grunde, um die bestehende Besatzungs- und Blockadeordnung zu schützen, die die aktuelle Krise überhaupt erst ausgelöst hat.

Verteidigungsminister Galant droht damit, "der Hamas das Genick zu brechen". Dies ähnelt Netanjahus Drohung aus dem Wahlkampf 2009, eine so genannte "entscheidende militärische Lösung" herbeizuführen. Schon zuvor hatten israelische Regierungen Hamas-Führer ermordet und deren Streitkräfte angegriffen. Zwischen den Runden des Blutvergießens und der "Wiederherstellung der Abschreckung" hat sich die relative militärische Kapazität der Hamas, auch wenn sie begrenzt ist, erhöht und so weit entwickelt, dass das israelische Regime gezwungen war, sie stärker zu berücksichtigen, während es sich standardmäßig auf "Absprachen" mit der Hamas-Regierung im Gazastreifen verließ, um die bestehende Ordnung zu erhalten und zu bewahren. Der Versuch des israelischen Regimes, "die Hamas militärisch zu besiegen", wird nicht nur nicht in der Lage sein, die Hamas-Bewegung auszuschalten, sondern auch weitreichende destabilisierende Folgen nach sich ziehen, weshalb sich die Netanjahu-Regierung in ihren Reden eher vage ausdrückt.

Die Mobilisierung der israelischen Establishment-Parteien aus der unterwürfigen "Opposition" zur politischen Unterstützung der Politik und der Militäroperationen der Netanjahu-Ben-Gvir-Bande in der gegenwärtigen Krise unterstreicht ihre eigene Verantwortung für die gegenwärtige Situation, auch während der vorherigen Regierung. Die Vorschläge von Lapid und Gantz, unter den Vorzeichen des Krieges wieder mit Netanjahu in die Regierung einzutreten - wobei Lapid fordert, die rechtsextremen Minister auszutauschen, während Gantz bereit ist, sie zu behalten -, beweisen an sich schon, dass die Unterschiede zwischen den Parteien in den Kernfragen letztlich gering sind.

Netanjahu, dessen Regierung bis zur aktuellen Krise auf die Unterstützung einer deutlichen Minderheit der israelischen Öffentlichkeit angewiesen war, ergriff die Gelegenheit, eine breite Koalitionsvereinbarung mit den Parteien von Lapid und Gantz voranzutreiben, ohne mit den rechtsextremen Parteien zu brechen. Dies entspricht dem Interesse der herrschenden Klasse, einen "abenteuerlichen" Einfluss der rechtsextremen Minister als Reaktion auf die Ereignisse einzuschränken, und steht auch im Einklang mit dem Druck, der in der letzten Zeit von Washington ausgeübt wurde, um eine Normalisierungsvereinbarung mit dem saudischen Regime zu erleichtern. Netanjahu hat jedoch Angst, Ben Gvir und Smotrich loszuwerden, da er mit ihnen um eine Unterstützungsbasis konkurriert.

Die grundlegende Ursache des Krieges

Die Frage "wer den ersten Schuss abgefeuert hat" in der Dynamik, die zur gegenwärtigen Krise geführt hat, mag angesichts der sich zuvor entwickelnden Eskalation der nationalen Spannungen unterschiedliche Antworten hervorrufen, geht aber in jedem Fall an den grundlegenden Ursachen des Krieges vorbei. Auch die Frage des "Geheimdienstversagens" der israelischen Armee, 50 Jahre nach dem Krieg von 1973, lenkt vom Kern ab: Die Wurzel der Krise ist die Durchsetzung der bestehenden Ordnung, in der der israelische Kapitalismus, mit der stärksten Militärmacht in der Region, Besatzung und Annexion durchsetzt und Millionen von Palästinenser*innen grundlegende Rechte, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung, verweigert.

Die politische Unterstützung der kapitalistischen Regierungen des "westlichen" imperialistischen Blocks für die Militäraktionen der Netanjahu-Regierung verschafft nun den Spielraum für die Fortsetzung des Blutbads und stellt eine grundlegende Verteidigung des Status quo der Besatzung dar. Die persönliche Sicherheit der einfachen Menschen auf beiden Seiten des Zauns interessiert sie nicht nur nicht, sondern sie wird durch sie beeinträchtigt.

Bereits seit der Zeit der vorherigen Bennet-Lapid-Regierung ist die Zahl der palästinensischen Todesopfer stark angestiegen und hat im Westjordanland einen 20-Jahres-Rekord aufgestellt. Die Zerstörung palästinensischer Häuser im Westjordanland hat sich beschleunigt; Angriffe des Staates und von Siedler*innen, die auf die Entwurzelung palästinensischer Gemeinden abzielen, wurden fortgesetzt, ebenso wie die Zunahme religiös-nationalistischer Provokationen durch rechtsgerichtete jüdische Kräfte, die einen Religionskrieg mit staatlicher Unterstützung rund um die Al-Aqsa-Moschee propagieren. Die Wirtschaftskrise verschärfte den Druck Unter der Besatzung. Die Regierung Netanjahu-Ben Gvir hat jedoch eine noch unnachgiebigere Haltung gegenüber jeglichen Zugeständnissen an die Palästinenser*innen eingenommen und versucht, jeden Gedanken an palästinensische Unabhängigkeit zu begraben.

Gleichzeitig bemühten sich die Führungen der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) unter der Schirmherrschaft der Hisbollah und des Iran, sich in der Konfrontation mit der Besatzung als effektiver darzustellen als die Fatah und die Palästinensische Autonomiebehörde, die sich aufgrund ihrer faktischen Rolle als Subunternehmen der Besatzung in einer akuten Legitimationskrise befindet. Angesichts der neuen Regierung Netanjahu kündigten Hamas und PIJ in diesem Jahr an, in der Konfrontation mit Israel als Einheitsfront aufzutreten, auch wenn die Hamas-Führung es vorzog, beim Aufflammen des Konflikts im Gazastreifen im Mai und den Razzien im Westjordanland im Juli nicht in einen direkten Konflikt mit Israel zu geraten. Vor zwei Wochen, am 24. September, kündigten die Führer der Hamas, des PIJ und der PFLP bei einem Treffen in Beirut jedoch an, dass sie ihre Koordination untereinander verstärken würden, um die Aktionen als Reaktion auf die Aggression des Besatzungsregimes zu eskalieren.

Die Krise im Gazastreifen und die Proteste am Zaun

Diese Ankündigung erfolgte inmitten einer neuen Serie palästinensischer Proteste am Zaun des Gazastreifens, die mit militärischen Repressionen beantwortet wurden. Das israelische Regime befürchtete, dass die Proteste außer Kontrolle geraten würden. Eine Entwicklung in Richtung einer Massenbewegung stellt für das Regime ein grundsätzlicheres Risiko dar als militärische Konfrontationsrunden, nicht zuletzt in Anbetracht des größeren Potenzials einer Massenbewegung, auf regionaler und globaler Ebene Zuspruch und Sympathie hervorzurufen und sogar Arbeiter*innen und junge Menschen in der jüdischen Bevölkerung zu beeinflussen. Generell befürchtete das israelische Regime jedoch eine Destabilisierung und die Entwicklung von Konfrontationen in verschiedenen Bereichen, die Riad unter Druck setzen und eine Normalisierungsvereinbarung verhindern würden.

Diese Angst vor einer Destabilisierung hat in den letzten Monaten auch immer wieder dazu geführt, dass die Leiter*innen des militärischen Sicherheitsapparats in Abstimmung mit Netanjahu und Gallant interveniert haben, um den rechtsextremen Flügel einzudämmen, insbesondere bei den Versuchen von Ben Gvir, Angriffe auf die Bedingungen der palästinensischen Gefangenen voranzutreiben. Am 29. September berichtete die libanesische Zeitung Al-Akhbar, dass die israelische Regierung unter ägyptisch-katarischer Vermittlung offenbar einer "Rückkehr zu früheren Absprachen", einer erneuten symbolischen Aufstockung der katarischen Hilfsgelder für den Gazastreifen sowie der Quote für die Einreise von Arbeiter*innen aus dem Gazastreifen nach Israel, der Ausweitung des Fischereigebiets an der Küste des Gazastreifens sowie Export- und Importquoten zugestimmt hat. Offensichtlich wurden dann israelische Streitkräfte aus dem Gazastreifen in das Westjordanland abgezogen, was der Hamas ein militärisches Überraschungsmoment ermöglichte.

Während die von der Fatah geführte Palästinensische Autonomiebehörde ihre Bereitschaft signalisiert hat, mit der israelisch-saudischen Normalisierung zusammenzuarbeiten, hat der saudische Kronprinz Bin Salman zu verstehen gegeben, dass israelischen Zugeständnisse an die Palästinenser,*innen kein Hindernis sein würden, solange ihm nichts im Wege steht. Diese Andeutung und die sich trotz des offensichtlichen Einvernehmens verschärfende Krise im Gazastreifen gaben offenbar den Ausschlag für die Hamas-Führung, in einem noch nie dagewesenen Ausmaß militärisch zu intervenieren, um den Druck auf Israel zu erhöhen, indem sie die "Gleichung ändert". Damit sollte demonstriert werden, dass man in der Lage ist, mit militärischen Mitteln einen höheren Preis zu verlangen, einschließlich der Unterbrechung des Normalisierungsprozesses, und dabei den falschen politischen Eindruck zu erwecken, dass man im Kampf um die Überwindung von Belagerung und Besatzung einen Schritt weitergekommen ist.

Einen Kampf aufbauen und einen Ausweg vorantreiben

Es ist wichtig zu betonen, dass die Bewohner*innen angesichts der Belagerung, der Besatzung und einer möglichen militärischen Invasion das Recht haben, sich gegen die Angriffe zu wehren und sich zu organisieren, um sich zu verteidigen, auch durch einen Partisanenkrieg. Viele Palästinenser*innen müssen sich über die symbolische Zerstörung einiger israelischer Militärfahrzeuge gefreut haben, wenn man bedenkt, welche Zerstörungen, Trauer und Not sie seit Jahren im Gazastreifen ertragen müssen. Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen einem solchen Widerstand - der sich am vorteilhaftesten entwickeln kann, wenn er Teil einer Strategie des Aufbaus einer Massenbewegung ist, die jetzt notwendig ist, und unter der demokratischen Kontrolle gewählter Aktionskomitees steht (was mit dem politischen Programm und der Strategie der Hamas nicht vereinbar ist) - und dem wahllosen Beschuss und Ermordung der Zivilbevölkerung, insbesondere der arbeitenden und armen Bevölkerung aus allen nationalen Gemeinschaften. Die militärischen Angriffe der Hamas gegen Arbeiter*innen und Arme dienen nicht nur nicht der Befreiung von der Blockade und der nationalen Unterdrückung, sondern werden vom israelischen Establishment politisch als Vorwand benutzt, um Unterstützung für noch barbarischere Angriffe gegen die Palästinenser*innen unter Belagerung und Besatzung zu mobilisieren.

Der Minister für "nationale Sicherheit", Ben Gvir, hat den "Ausnahmezustand an der Heimatfront" ausgerufen, der die Befugnisse der Polizei im öffentlichen Raum ausweitet. Dies kann auch dazu genutzt werden, die politische Verfolgung im Allgemeinen und gegen arabisch-palästinensische Aktivist*innen im Besonderen zu verstärken. Im Hintergrund gibt es Berichte über rechtsextreme Aktivist*innen, die die Krise nutzen wollen, um die nationale Spaltung weiter zu schüren und Angriffe gegen die arabisch-palästinensische Gemeinschaft zu fördern. Es ist notwendig, einen konfessionsübergreifenden Kampf gegen die Versuche der Rechtsextremen zu organisieren, rassistische Angriffe und nationalistische Zusammenstöße auf den Straßen der Städte zu fördern, und gegen die Regierung, die diese Elemente routinemäßig nährt und ihnen durch ihre gesamte Politik mehr politisches Vertrauen gibt.

Die Tatsache, dass die Netanjahu-Regierung bis zu dieser Krise mit einer Massenbewegung konfrontiert war, könnte dazu führen, dass sich später auch eine breite Protestbewegung entwickelt, die die Versäumnisse und die Verantwortung für diesen Krieg kritisiert. Die etablierte Führung der Massenbewegung - eine selbsternannte Führung, die im Dienste der Kapitalist*innen und Generäle agiert, die den Massenkampf gegen den "Justizputsch" zynisch ausnutzen - hat sich jedoch mit den offiziellen "Oppositions"-Parteien verbündet, die die Regierung und die Bombardierung der Bewohner*innen des Gazastreifens politisch unterstützen und zu einer Aussetzung der Demonstrationen aufgerufen.

Es ist notwendig, die Proteste und den Kampf jetzt zu unterstützen, um einen Weg aufzuzeigen, das Blutbad zu beenden und die Probleme zu lösen, die zum Krieg geführt haben. Nach den Erfahrungen aus dem Mai 2021 sind jetzt Protest- und Kampfaktionen notwendig - wie der damalige palästinensische "Würdestreik", gemeinschaftsübergreifende Solidaritätsdemonstrationen an Arbeitsplätzen und Schulen, Mahnwachen, Treffen von Gewerkschaften, um Stellung zu beziehen - gegen die militärische Eskalation, gegen die Bombardierungen in Gaza, gegen das "Teile und herrsche" und gegen die Fortsetzung der Belagerung und der Besatzung. Angesichts der Politik der nationalen Unterdrückung, der Kriegsverbrechen und der Ungleichheit, die von den rechten kapitalistischen Regierungen vorangetrieben wird, ist es notwendig, die Perspektive eines Auswegs auf die Tagesordnung zu setzen, für die Lösung der grundlegenden Probleme, im Rahmen eines Kampfes für einen sozialistischen Wandel in der Region, auf der Grundlage der Gewährleistung gleicher Rechte auf Existenz, auf Selbstbestimmung und auf ein Leben in Würde und Wohlstand.

 

Bild: Ärtze ohne Grenzen (MSF)