Fr 10.03.2006
Du hast im Oktober 2005 im Post-Verteilerzentrum in Linz als Teilzeitkraft zu arbeiten begonnen. Was waren Deine ersten Eindrücke?
Beim Vorstellungsgespräch kam immer wieder die Frage, ob ich auch flexibel sei. Ich kann auch E-Wagen fahren, darum wurde ich eingestellt auch unter dem Aspekt, dass ich einspringen kann, wenn der E-Wagen-Fahrer, das ist der einzige Pragmatisierte dort, einmal krank ist. Mir wurde eingeschärft, ich müsste auch länger bleiben, wenn mal mehr zu tun ist, solle halt möglichst immer einsatzbereit sein wenn sie einen brauchen.
Kurze Unterbrechung: Du sagst „der einzige Pragmatisierte“. Welche Arbeitsverhältnisse hatten die anderen?
Die meisten arbeiten Teilzeit - 20 oder 25 Stunden pro Woche - und sind bei der Post angestellt. Es gibt aber auch Leasingpersonal. In der Nachmittagsschicht gab es mehrere Leasingarbeiter. Bei uns und teilweise bei den Aufschneidern. Ich selbst wurde über Beziehungen bei der Post aufgenommen. Am Anfang gibt es 1 Monat Probezeit, dann kommt ein befristetes Arbeitsverhältnis während der nächsten 2 Monate. Nach insgesamt also 3 Monaten erfolgt die Übernahme, d. h. aber, man ist nochmals 6 Monate befristet. Erst dann wird das Dienstverhältnis, wenn man Glück hat, unbefristet. Pragmatisiert sind nur mehr die Älteren. Sie haben andere Verträge.
Okay, zurück zu Deinen ersten Eindrücken …
Es gibt mehrere Grundregeln: Nicht auf die orangen Kisten setzen - überhaupt sollte einen ein Chef niemals sitzen sehen. Du darfst nur mit durchsichtigem Plastiksackerl kommen, damit du nichts stehlen kannst. Du hast 10 Minuten Pause, aber in der 10. Minute solltest du schon wieder auf Deinem Arbeitsplatz sein.
Beim ersten Mal an meinem Arbeitsplatz kamen mir die Beschäftigten dort alle wie Roboter oder wie „Zombies“ vor, die meisten mit einem ziemlich leblosen und leeren Gesichtsausdruck bei der Arbeit. Die Abteilungsleiterin war auffällig freundlich, aber eben auch fordernd.
Wie ist der Arbeitsablauf?
Die Aufschneider schneiden die zusammengeschnürten Bündel von Briefen und Katalogen auf. Es gibt insgesamt glaub ich 6 Maschinen für Kleinbriefformate und 1 Maschine fürs Großformat. Eine Person steht immer am oberen Ende der Maschine und füttert die Maschine. Bei der Maschine fürs Großformat sind es 3 Personen. Die sortierten Briefe kommen in Kisten. Bei der großformtigen Maschine sind 2 Personen pro 100 Kisten zuständig. Du musst immer schauen, dass genug leere Kisten da sind, auf den Kisten Labels oben sind usw.. Wenn eine Kiste voll ist, leuchtet eine rote Lampe an der Maschine.
Die Maschine gibt an sich das Tempo vor. Das kann extrem stressig werden, dauernd hin und her hasten und nicht nachkommen. Ein wahnsinniges Tempo ist dort normal, auch wenn z.B schon morgens absehbar ist dass heute wenig zu tun sein wird.
Wenn keine Arbeit da ist, wirst du nach Hause geschickt. So kannst du natürlich auch Minusstunden produzieren. Leasingleute kriegen einfach weniger Geld. Ist viel Arbeit da, arbeitest du länger. Überstundenzuschläge gibt es was ich weiss nicht. Das ganze ist ein Paradebeispiel für unbezahlte Flexibilität.Für die Firma irrsinnig effektiv und preiswert.
Wäre es möglich, die Maschinen auch langsamer zu schalten, wenn einmal weniger Arbeit da ist?
Sicher, man könnte weniger reingeben, längere Pausen machen oder eine Maschine ausschalten. Das Problem ist jedoch, wenn pro Stunde und pro Maschine zu wenig Stückzahlen produziert werden, musst du einen Bericht schreiben, warum. So schaffen sie es, dass das nicht passiert und keiner wagt, langsamer zu arbeiten.
Die Leute sind schon so drauf, dass sie immer was machen müssen. Wenn was nicht funktioniert oder wenn wer ausfällt, müssen die anderen die Mehrarbeit tun. Eigentlich ist es so, dass immer 2 Personen für eine Maschine zuständig sind. Die Leute werden so gefordert, dass es gerade noch geht. Die Arbeit ist schon so verdichtet, dass die Arbeitsproduktivität kaum mehr gesteigert werden kann.
Darum gibt es dort auch keine Vollzeitjobs. Das würde auf Dauer niemand aushalten. Wenn du aufs Klo musst, bleibt das Band nicht still. Der Kollege oder die Kollegin muss dann in der Zeit beide Maschinen mit Kisten bedienen. Dadurch herrscht hoher Gruppendruck
Wie viel hast Du verdient?
Netto waren es etwas über EUR 7,-- pro Stunde. Bei den Leasingarbeitern ist der Verdienst etwas geringer. So um die EUR 5,40 die Stunde. Das alles ohne Überstunden oder sonstige Zulagen. Die Fix-Angestellten kriegen noch einen geringen Essensbons.
Wie sehen die Leute dort ihren Arbeitsplatz?
Die meisten, die sich dazu geäußert haben, sagen, dass die Arbeit, die sie vorher gemacht haben, besser war. Aber sie machen das wegen der Arbeitszeit, wegen der Kinder. Die meisten, die dort arbeiten, sind Frauen mit geringer beruflicher Qualifikation. Die Vormittagsschicht ist von 8 - 12 Uhr. Manche fangen schon um 7 Uhr an. Wann es aufhört weiss man vorher nie genau.
Den meisten ist klar, dass auf sie „geschissen“ wird. Eine Kollegin, die schon länger als 10 Jahre bei der Post beschäftigt ist - zuerst als Putzfrau, dann Handsortierung, jetzt bei der Maschine -, war beim Chef, weil ihr die Arbeit an der Maschine zu anstrengend vorkam. Der sagte ihr klipp und klar, wenn es ihr nicht passt, dann ist sie weg.
Allen ist klar, dass der Mensch nichts zählt. So etwas wie ein „Post-Ethos“ ist nicht vorhanden. Sie sind alle „angefressen“ und sagen, beim Billa oder als Putzfrau war es besser. Aber es fehlt auch ein wirkliches Zusammenhalten - immer wieder kommt der Hinweis auf die notwendige Stückzahl und die anderen würden das auch so machen.
Alle sind „angefressen“, aber es fehlt Hoffnung - und es herrscht Angst, auch das Wenige, den Arbeitsplatz, auch noch zu verlieren. Darum haben fast alle Angst, in Krankenstand zu gehen, wenn sie krank sind. Sie fürchten sich, durch Leasingarbeiter ersetzt zu werden. Sie fürchten sich auch, zu viel Zeit fürs Klo gehen zu verbrauchen. Das führt dazu, dass fast alle aufs Klo rennen. Streitereien, gegenseitige Vorwürfe und Antreiberei sind manchmal die Folge.
Besonders schlimm war es vor ca. 2 Jahren. Da starb eine Frau an der Maschine. Die Chefs ließen die Maschine nicht einmal kurz abschalten. Die anderen mussten daneben weiterarbeiten!
Wie steht es mit der Gewerkschaft?
Die war kaum ein Thema dort.
Nach der Befragung war schon eine Stimmung, dass der Streik notwendig ist. Die meisten haben dafür unterschrieben. Sie haben Angst, dass sie durch den Börsegang ihr Essensgeld verlieren und dass sie durch Leasingarbeiter ersetzt werden.
Als ich zu einer meinte „Hoffentlich macht die Gewerkschaft auch wirklich was“ sagte sie „ja eh“ - also kein großes Vertrauen, aber doch die Hoffnung, dass was geschieht. Aber ohne Gewerkschaft streiken, da ist die Angst leider noch zu groß.
Du hast ja dann begonnen, im Verteilerzentrum einen Streik zu propagieren.
Nachdem ich am 11. Jänner in den Nachrichten von einem Streik im Linzer Verteilerzentrum hörte, entwarf ich noch am gleichen Tag ein kleines Plakat, in dem zum Streik aufgerufen wird. Thematisch standen dabei bewußt mehr die Arbeitsbedingungen als der Börsegang im Vordergrund. Am nächsten Tag brachte ich vor und während der Arbeit an verschiedenen Orten die Plakate an und unterhielt mich mit den Leuten.
Schon am Morgen war klar, dass die Gewerkschaft nicht streiken sondern weiter beraten wird, obwohl schon im Herbst um die 90 % der Beschäftigten für einen Streik im Falle des Börsegangs gestimmt hatten. Über den Streik vom Vortag war so gut wie nichts bekannt. Es hieß lediglich, dass es ein wilder Streik war, von dem sich die Gewerkschaft distanziert hatte. Erst später erfuhr ich, dass angeblich auch oberösterreichische ÖGB-Funktionäre ihre Finger im Spiel hatten und der Streik nicht so spontan war, wie behauptet wurde. Offenbar dürften diese aber genauso wie die streikende Abteilung von oben stark unter Druck gesetzt worden sein mit dem Resultat, dass schon bald kein Wort mehr darüber verloren wurde, weder vom ÖGB noch von den Medien.
Zum Plakat äußerten sich viele Kolleginnen positiv, keine/r negativ. Sie hatten aber Angst, bei einem Streik ohne Gewerkschaft den Job zu verlieren. Bald begann eine lange Streiterei mit verschiedenen Chefs, großteils vor der Belegschaft, als diese merkten, dass die Plakate von mir waren.
Dabei bekräftigte ich meine Forderungen, beschwerte mich über die geforderte Flexibilität, während die Maschinen unflexibel immer laufen, über das Rennen aufs Klo, über den Fabrikscharakter der Arbeit, die niedrige Bezahlung usw. Ich merkte dass viele Kolleginnen nickten und mir zustimmten.
Durch die Chefs wurde ich beleidigt und runtergemacht, abwechselnd wurde gedroht und dann wurde mir wieder „väterlich“ geraten, meine Meinung zu überdenken. Nachdem die Chefs merkten, dass mir viele der Frauen zustimmten, wurde mir befohlen, die Halle zu verlassen. Das habe ich verweigert. Ich merkte, dass wirklich eine gewisse Angst da war, dass der Funke überspringen könnte. Sie versuchten, mich von den anderen Beschäftigten zu trennen. Ich selber versuchte, meinen Kolleginnen ihre Macht vor Augen zu halten, die sie objektiv an diesem Arbeitsplatz besitzen und schlug ihnen vor, sich zusammenzureden, da bei einer kollektiven Aktion der Einzelne weniger zu befürchten hat.
Geendet hat das Ganze, dass ich zwangsbeurlaubt und rauseskortiert wurde. Mir wurde in Aussicht gestellt, dass meine Befristung nicht verlängert wird. Außerdem hatte ich ab sofort Hausverbot.
Welches Resumee ziehst Du aus dieser Aktion?
Von den Kolleginnen gab es großteils Zustimmung, Sympathie und Respekt, es war eine Art „passive Unterstützung“. Ich habe auch bemerkt, wie gut es mir und auch den anderen tat, dass den Chefs einmal ordentlich eingeschenkt wird und dass jemand das Maul aufreißt. Negative Reaktionen gab es so gut wie gar nicht. Darum habe ich auch nicht das Gefühl, dass alles umsonst war.
Ich war sowieso befristet angestellt und meine Zeit hätte wahrscheinlich so oder so in 2 Wochen geendet. Ich hatte auch die Arbeit total satt und habe schon überlegt, ob ich die letzten Wochen nicht in Krankenstand gehen sollte. Darum war es für mich keine wirklich große Entscheidung etwas zu riskieren. Besonders wichtig war mir, nicht so sehr den Börsegang sondern die miesen Arbeitsbedingungen zum Thema zu machen. Damit wollte ich so was wie Offensive reinbringen. Dabei war mir klar, dass meine Vormittagsschicht, besonders die Leute an meiner Maschine, sicher nicht die kampfbereiteste war.
Meine Erfahrung ist jedenfalls, dass die Leute nicht zu dumm sind oder zu bequem, dass sie sich alles gefallen lassen. Sie sind auch nicht zufrieden. Aber sie haben Angst, sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz.
Da könnte sogar eine derart verkrustete Gewerkschaft wie der ÖGB nützlich sein, wenn er die Initiative setzt und die Kämpfe beginnt. Wenn die Leute sehen, welche Kraft und Macht sie in Wirklichkeit haben, könnten Ängste überwunden, aber auch neue Horizonte eröffnet werden. Was immer man auch macht, es sollte kraftvoll und offensiv ablaufen.
Wenn man auf Unzufriedenheit mit harmlosen und defensiven Demonstrationen wie im Falle des ÖGB in Wien statt mit Arbeitskämpfen im Betrieb antwortet darf man sich find ich auch nicht wundern wenn die ArbeiterInnen nur spärlich kommen.
Ich bin auch überzeugt, dass gerade die Verteilerzentren die neuralgischen Punkte für einen wirksamen Streik wären. Ein Streik an einem derartigen Knotenpunkt würde zum Stillstand des Briefverkehrs im ganzen Bundesland führen, egal ob sich Briefträger, Fahrer usw. beteiligen. Relativ wenig Leute könnten einen großen Druck erzeugen, wenn sie gemeinsam handeln. Wichtig ist daher, sich und anderen diese potentiell existierende Macht bewußt zu machen. Vielleicht hilft das auch, die vorhandene Angst zu überwinden und neue Perspektiven zu eröffnen.